Das nackte Überleben |
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Dem Tod davonlaufen: Lauf Junge lauf von Pepe Danquart |
Von Dunja Bialas
»Wer auch immer ein einziges Leben rettet, der ist, als ob er die ganze Welt gerettet hätte.« – Talmud
Überleben, Antisemitismus, Identität. 70 Jahre nach Befreiung der Konzentrationslager und Beendigung des Zweiten Weltkriegs widmen sich die 5. Jüdischen Filmtage München mit ausgewählten Filmen der Frage, wie Menschen den Krieg und die Konzentrationslager des NS-Regimes überleben konnten.
Eröffnet wird mit der spannenden Verfilmung des gleichnamigen Jugendbuchbestsellers Lauf Junge lauf von Pepe Danquart. Der vor allem für seine Dokumentarfilme bekannte Regisseur (Joschka und Herr Fischer, Höllentour) hat aus der Sicht des neunjährigen Srulik dessen Flucht aus dem Warschauer Ghetto als spannendes Drama inszeniert. Das Ende des Krieges will Srulik im Wald abwarten, auf sich gestellt, ernähren will er sich von der Natur. Der Winter und die Einsamkeit aber bringen ihn zu einer Bäuerin, die ihm beibringt, seine Identität zu verleugnen, um unerkannt in der Dorfgemeinschaft zu überleben. Jetzt ist er der katholische Waisenjunge Jurek. Die Jüdischen Filmtage zeigen den Film erstmals im polnisch/jiddischen Original mit deutschen Untertiteln (Montag, 27.04., 19 Uhr, Vortragssaal der Bibliothek im Gasteig)
Das amerikanische Ehepaar Kraus zeigte noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, was Zivilcourage und Engagement bewirken können. Fünfzig jüdischen Kindern retteten sie das Leben, als sie 1939 von Philadelphia nach Wien reisten, um diese in die USA zu bringen. Der Journalist Steven Pressman, der das Ehepaar ausfindig machte, befragt sie in der HBO-Dokumentation 50 Children: The Rescue Mission of Mr. And Mrs. Kraus in Gesprächen zu ihrem außergewöhnlichen Mut, sich gegen das Nazi-Regime zu stellen und das Unmögliche zu wagen. Pressman hat nun auch ein Buch veröffentlicht, mit eindringlichen Zeugnissen von 37 überlebenden Kindern und dem Originalmanuskript der Erinnerungen von Eleanor Kraus. Hier eine Rezension des „Wall Street Journal“, die am Wochenende erschien. (Dienstag, 28.04., 18 Uhr, Vortragssaal der Bibliothek im Gasteig, engl. OV)
Eine spannende Geschichte zu erzählen weiß auch der Dokumentarfilm Schnee von gestern der israelischen Regisseurin Yael Reuveny, die heute in Berlin lebt. In einer sehr persönlichen Annäherung geht die Regisseurin einem Geheimnis in ihrer eigenen Familie nach. Michla, die Großmutter der Filmemacherin, und Feiv’ke, deren Bruder, sind die einzigen Überlebenden der jüdischen Familie Schwarz aus Wilna. Nach dem Krieg ging Michla nach Israel, Bruder Feiv’ke bleibt als »Peter« an dem Ort, wo er im Arbeitslager gewesen war. Die Regisseurin sucht in ihren Fragen, die sie an ihren Großonkel stellt, dabei auch nach ihrer eigenen Identität, eine Suche, die sie schließlich in das Land zurückbrachte, das ihre Großeltern ermorden wollte. Das Schicksal setzt sich fort, über Generationen hinweg. (Donnerstag, 30.04., 20 Uhr, Vortragssaal der Bibliothek im Gasteig, in Anwesenheit der Produzentin)
Mit einem Film wenden sich die Jüdischen Filmtage auch der Gegenwart zu. Der Nahost-Thriller Bethlehem von Yval Adler erzählt die ungewöhnliche Beziehung zwischen dem israelischen Geheimdienstoffizier Razi und seinem palästinensischen Informanten Sanfur, selbst Bruder eines gesuchten palästinensischen Untergrundkämpfers, den Razi aufspüren möchte. Auch hier geht es ums nackte Überleben, auf palästinensischer Seite. Ein außergewöhnlicher Film zum Nahost-Konflikt, der diesen als unauflösbaren Double-Bind inszeniert, und mit dem sich die Jüdischen Filmtage als eine Veranstaltung empfehlen, die genau hinsieht und der Komplexität von Geschichte und Politik nachgeht. (Dienstag, 28.04., 20 Uhr, Vortragssaal der Bibliothek im Gasteig, hebr./arab. mit dt. UT)
Jüdische Filmtage
27.-30.04.2015, Vortragssaal der Bibliothek im Gasteig. Rosenheimerstr. 5, 81667 München
Die Veranstaltung der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition wird gefördert vom Kulturreferat
Zum Weiterlesen empfiehlt Artechock: Die Emigration Filmschaffender während der Nazizeit (Hg. vom deutschen Filmportal)