Völker, seht die Signale! |
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Hinten sitzt mit Bart der schwarzgallige Sohn. Die letzte Familie eröffnet das »Mittel Punkt Europa Filmfest« | ||
(Foto: Jan P. Matuszynski / MittelPunktEuropaFilmfest) |
Von Dunja Bialas
Liegt der Mittelpunkt Europas in Regensburg? Die Donau, die durch die oberpfälzische Stadt fließt, darf immerhin als Hauptschlagader des Kontinents gelten. Seit der Steinzeit ist die Region besiedelt, weshalb die Stadt auf eine zweitausendjährige Vergangenheit zurückblicken kann. Adminstratives Zentrum Europas war Regensburg im 17. und 18. Jahrhundert, als der Immerwährende Reichstag dort tagte, die Ständevertretung im Heiligen Römischen Reich, das in seiner größten Ausdehnung das gesamte Gebiet des heutigen Mittel- und Teile Südeuropas umfasste. Das hat sich im Handel und in der Kultur niedergeschlagen; noch heute ist die Offenheit der Stadt gegenüber europäischen Einflüssen spür- und sichtbar.
In Regensburg gibt es auch das »Europaeum«. Das Ost-West-Zentrum ist der Universität eingegliedert, und Geschäftsführerin Lisa Unger-Fischer wurde vor wenigen Jahren mit der »Medaille für besondere Verdienste um Bayern in einem Vereinten Europa« ausgezeichnet. Jetzt hat sie sich eines weiteren Projektes angenommen. Sie leitet nun auch das seit 2016 bestehende, dieses Jahr zum zweiten Mal durchgeführte »Mittel Punkt Europa Filmfest«, zusammen mit der seit Februar 2018 berufenen kommissarischen Leiterin des Tschechischen Zentrums München. Das »Mittel Punkt Europa Filmfest« wurde für dieses Jahr von der Bayerischen Staatskanzlei groß aufgestellt und kann nun zeitgleich in zwei bayerischen Zentren stattfinden: Vom 1. bis 11. März im Filmmuseum München (FMM) und vom 4. bis 7. März in der Regensburger Filmgalerie im Leeren Beutel (LB) – das Festival ist ein neues Leuchtturmprojekt für Bayern.
Im Zentrum von »Mittel Punkt Europa« stehen Filme aus den sogenannten Visegrád-Ländern: Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei. Gastland ist dieses Jahr Belarus, wodurch sich der Schwerpunkt mehr gen Osten verlagert. Belarus wird seit 1994 von Aljaksandr Lukaschenka autoritär regiert und ist bekannt als Land, in dem die Zeit stillzustehen scheint. Der vom Festival ausgewählte Film GaraSCH von Andrei Kureichik, der auch zu Gast ist, erzählt vom Traum, nach Amerika auszuwandern und von der schwierigen Rückkehr nach Minsk. (FMM 6.3. 21:00 Uhr / LB 7.3. 21:00 Uhr)
Filme tragen zum Verständnis anderer Länder bei, wenn sie von der Volksseele erzählen, vom Leben der Bevölkerung, von den Sorgen und Sehnsüchten der Menschen. Festivals können deshalb auch als politisches Instrument der Aufklärung und Anerkennung gelten, und als ein solches versteht sich auch das »Mittel Punkt Europa Filmfest«. Jede Vorstellung setzt sich aus Filmen verschiedener Nationen zusammen, wodurch die »Einheit des Kulturraums« deutlich wird, wie die Veranstalter herausstellen, das Programm sei dabei »politisch durchaus kontrovers.« Dies mag nicht zuletzt an Filmen wie Kornél Mundruczós Jupiter’s Moon (Ungarn 2017) liegen, der von einem syrischen Flüchtling an der ungarischen Grenze erzählt (FMM 4.3. 21:00 Uhr), oder dem tschechisch-slowakisch-ukrainischen Thriller Die Linie über Flüchtlinge und Warenschmuggel (FMM 6.3. 18:30 Uhr / LB 7.3. 18:30 Uhr, Regisseur Peter Bebjak ist zu Gast): Die Visegrád-Länder wurden vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt, weil sie die Umsetzung der Umverteilungsquoten von Flüchtlingen blockieren.
Eröffnet wird mit dem polnischen Die letzte Familie, einem absurden, pechschwarzen und sehr empfehlenswerten Biopic über den polnischen Surrealisten Zdzisław Beksiński. Erzählt wird vom ganz normalen Leben zwischen Horror und Groteske in einer Plattenbauwohnung, was eine tolle Einstimmung in den berühmten osteuropäischen Filmhumor gibt. (FMM 1.3. 19:00 Uhr / LB 4.3. 18:30 Uhr, mit dem tschechischen Animationsfilm Čím víc vím).
In München geht es im Programm weiter mit einem osteuropäischen Kuriosum, wenn es nicht so ernst wäre. Jugendliche werden in ihren Sommerferien militärisch unterwiesen. Dies kennt man so vor allem aus der Ukraine und Russland, aber auch in Tschechien gibt es derartige Militärlager. Teaching War ist ein wichtiger Dokumentarfilm und Regiedebüt der jungen FAMU-Absolventin Adéla Komrzý. (FMM 2.3. 18:30 Uhr, die Regisseurin ist zu Gast)
Heiter wird es wieder beim polnischen Sirenengesang, der in die 1980er-Jahre eintaucht. Regisseurin Agnieszka Smoczyńska lässt in ihrem Horrormusical Meerjungfrauen die Nachtclubs Warschaus unsicher machen – das brachte ihr 2016 den Special Jury Award in Sundance ein. (FMM 2.3. 21:00 Uhr)
A Prominent Patient wartet mit dem prominenten Hanns Zischler auf – der Film des Tschechen Julius Ševčík ist ein Biopic über Jan Masaryk (Karel Roden), der versuchte, 1938 die Unterzeichnung des »Münchner Abkommen« zu verhindern. Der Film wurde mit zwölf Teschechischen Löwen ausgezeichnet. (FMM 3.3. 21:00 Uhr)
In beiden Städten zu sehen ist wieder I’m a Killer des Polen Maciej Pieprzyca, der auch zu Gast ist. Der Film beginnt als Krimi über einen Serienmörder und entwickelt sich zum beklemmenden Psychoduell zwischen Partei und Staat. (FMM 3.3. 18:30 Uhr / LB 5.3. 21:00 Uhr)
In die unrühmliche Gegenwart blickt der tschechische Dokumentarfilm The White World According to Daliborek von Vít Klusák, der mit Ceský sen – Der tschechische Traum bekannt wurde. Klusák portraitiert einen Neo-Nazi mit einem großen Hass auf die Welt, der gleichzeitg aber ein Muttersöhnchen ist. Die Spannung gilt es auszuhalten! (FMM 4.3. 18:30 Uhr / LB 5.3. 18:30 Uhr)
Nach dem ungarischen Film 1945 über das Kriegsende in einem ungarischen Dorf, der das große Drama von »Schuld und Sühne« verhandelt (FMM 6.3., 18:30 Uhr / LB 7.3. 18:30 Uhr, Regisseur Ferenc Török ist zu Gast), geht es heiterer in die Abschlusstage. Der mit dem Ungarischen Filmpreis 2017 ausgezeichnete Dokumentarfilm Soul Exodus portraitiert die Klezmer-Band »The Brothers Nazaroff« (FMM 9.3. 18:30 Uhr, zwei Bandmitglieder sind zu Gast). Aus der Sparte Kinder- und Jugendfilm, für die die Osteuropäer ebenfalls berühmt sind, kommt der poetische Film Little Habour der Slowakin Iveta Grófová. (FMM 10.3. 18:30 Uhr, Schauspieler Milan Chalmovský ist zu Gast)
The Teacher des renommierten tschechischen Regisseurs Jan Hřebejk gibt dem Festival noch einen letzten Höhepunkt. Seine beißende Komödie geht zurück in die 1980er Jahre und persifliert das System kleiner, angeblich sozialistisch gedachter Gefälligkeiten. (FMM 11.3. 18:30 Uhr)
Mittel Punkt Europa Filmfest
1.-11.3.2018 München
Filmmuseum (Karten: 089/233 96 450)
4.-7.3.2018 RegensburgFilmgalerie im Leeren Beutel (Karten: 0941 / 298 45 63)
Eintritt: 5€
Gefördert von der Bayerischen Staatskanzlei, der Stadt Regensburg und dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München