19.03.2020

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Zama
Quer durch die Wildnis auf der Jagd nach dem Corona-Virus
(Foto: Grandfilm)

Die Verleihe Grandfilm und Eksystent starten Streaming-Angebote, die auch den Kinos zugute kommen

Von Dunja Bialas

»Zugegeben, wir sind Kriegs­ge­winnler.« Ein Freund, der bei der »Süddeut­schen Zeitung« arbeitet, hat das gesagt. In der Tat: Für die Jour­na­listen der Tages­zei­tung gibt es viel zu tun, zu recher­chieren und zu schreiben, die Auflagen steigen. Vor kurzem erreichte mich eine Werbemail, die ein neues Kombi­paket von Sky und Netflix anpreist. »Das Beste von Sky & Netflix in HD für nur 24,99 mtl. Nur für kurze Zeit!« Schon klar. Auch die großen Strea­ming­dienste sind die »Kriegs­ge­winnler« der Stunde. Alle Einkünfte fließen in die jewei­ligen Unter­nehmen, es geht um Abozahlen, um Profit. Da will man an vorderster Front mit dabei sein, wenn der Heimur­laub droht. Der Preis­krieg hat begonnen.

Streamen zum Preis einer Kinokarte

Aber es gibt auch andere Ideen. So kann man sich soli­da­risch zeigen gegenüber denen, mit denen man sonst zusam­men­ar­beitet. Am Dienstag kündigte der in Nürnberg ansässige Verleih Grandfilm an, sein Reper­toire als Stream zugäng­lich zu machen, zum Preis einer Kinokarte. Die Hälfte des Erlöses kommt den Kinos zugute, in denen sie norma­ler­weise ihre Filme zeigen, z.B. dem Film­rausch­pa­last oder dem Wolf Kino in Berlin, dem Zazie Kino in Halle, dem Abaton oder 3001 in Hamburg, in München dem Werk­statt­kino und in Regens­burg der Film­ga­lerie.

Der Münchner Verleih Eksystent zog am Mittwoch nach. Geschäfts­führer Jakob Kijas schreibt in der Pres­se­mit­tei­lung: »In Zeiten wie diesen heißt es noch viel mehr, dass nur Zusam­men­halt uns durch die Krise bringen kann. Isadoras Kinder, den wir eigent­lich regulär im April starten wollten, bieten wir über eine Plattform an, die die Einnahmen auch an alle teil­neh­mende Kinos verteilt.« Hier geht es zu unserer Kritik.

Eksystent startet am Freitag in Rückgriff auf die bereits bestehende Plattform »Kino on Demand«. Toll dort ist, dass man auswählen kann, welches Kino man gezielt am Erlös betei­ligen will. Nach und nach will Eksystent sein Reper­toire bereit­stellen, darunter finden sich die viel gelobte und hand­ver­le­sene Filmreihe »Femmes Totales« oder Ava von Léa Mysius, einer der span­nendsten fran­zö­si­schen Filme der letzten Jahre.

Grandfilm hat die Abkürzung ohne eine bereits bestehende Plattform genommen und kurzer­hand auf Vimeo hoch­ge­laden. Drei Filme stehen bereits online, es sollen noch mehr folgen.

Mehr wert als ein Käfighuhn

Beginnen könnte man direkt mit Lav Diaz’ vier­stün­digem Norte, The End of History – zum symbo­li­schen Preis von nur 0,99€, »weil der Upload bei der Länge nicht in Full HD möglich war«, wie Tobias Lindemann von Grandfilm erklärt. Das Filmepos nach Dosto­jew­skis »Verbre­chen und Strafe« ist einer der nur zwei Farbfilme des notorisch in Schwarz­weiß drehenden phil­ip­pi­ni­schen Slow-Cinema-Regis­seurs. Außerdem der erste Film, mit dem Grandfilm 2014 sein anspruchs­volles Vereih­pro­gramm begann. Norte erzählt mit melo­dra­ma­ti­scher Wucht und blankem Realismus ganz konkret und doch alle­go­risch vom mora­li­schen Elend der Phil­ip­pinos, die immer noch das Erbe der ameri­ka­ni­schen und spani­schen Kolo­ni­al­herr­schaft auf sich schultern.

Die anderen Filme kosten jeweils 9,99€ (Grandfilm) oder 4,99€ (Eksystent mit Kino on Demand). Das ist natürlich im Vergleich mit den Flatrate-Angeboten der Big Streamer wie Netflix und Co. deutlich mehr, aber durchaus vergleichbar mit einer Kinokarte, sogar im preis­werten Werk­statt­kino.

Zu den Preisen jetzt mal ganz grund­sätz­lich: Immer ist viel die Rede von Nach­hal­tig­keit, nur nicht im Kultur­be­reich. Der Preis­krieg der Streaming-Discounter mag sugge­rieren, dass es Kultur zum Nulltarif geben kann. In Wirk­lich­keit aber wird hier die Rechnung ohne Berück­sich­ti­gung der Produk­ti­ons­kette gemacht, in der viele Menschen viel Arbeit hinein­ge­steckt haben, wertvolle Arbeit, die auch bezahlt sein will. Verleiher und Kinos stehen am Ende dieser Kette, sie erst machen die Arbeit sichtbar. Auch das wiederum ist Arbeit, und all das muss uns mehr wert sein als der Gegenwert eines Käfig­huhns.

Filme schauen im Zeitalter von Corona

Wenn man heute, unter dem Eindruck der vielen Nach­rich­ten­mel­dungen, die man in den letzten Tagen konsu­miert hat, auf der Grandfilm-Plattform den elegi­schen Zama von Lucrecia Martel (2017) sieht, hat man den Eindruck: Irgendwie passt er auf ganz neue Weise zu unserer verrückt gewor­denen Welt. Ein Offizier der Spani­schen Krone sitzt zu Kolo­ni­al­zeiten an einem Provinzort in Paraguay fest. Vergebens wartet er auf seine Verset­zung nach Buenos Aires. Schließ­lich macht er sich mit einer Gruppe von Soldaten auf die Jagd eines gefähr­li­chen Banditen. – Das klingt fast wie eine Chiffre auf unsere Zeit. Wir sitzen fest, wie der Offizier: Reise­verbot und, wer weiß, viel­leicht auch bald Ausgangs­sperre. Vergebens warten wir auf die Verset­zung in eine Kneipe. Der gefähr­liche Bandit ist natürlich das Corona-Virus. Denkt man sich.

Außerdem aber wird hier auch von der Sinn­lo­sig­keit des ganzen Kolo­ni­al­un­ter­fan­gens erzählt. Schon taucht die Frage auf: Zog die Kolo­ni­al­zeit nicht auch eine globale Migra­ti­ons­be­we­gung nach sich? Inklusive dem Einbringen von fremden Pflanzen, Krank­heiten, Viren. Ja, wir kommen nicht weg von diesem Corona-Thema. Aber das ist auch eine Stärke eines Films: mehrere Schichten bereit­zu­halten, die je nach Sicht­weise neue Themen freilegen.

Mit seinen über­ra­gend schönen Bildern zeigt der Film auf jeden Fall, wie sehr Kino zur Kunst gehört, zur gehobenen Unter­hal­tung, zur Kultur.

Auch Selbst­kritik eines bürger­li­chen Hundes von Julian Radlmaier, der dritte Film, den Grandfilm auf Vimeo bereit­ge­stellt hat, lässt sich ebenfalls wie eine Parabel auf die heutige Zeit an. Ein arbeitslos gewor­dener Filme­ma­cher sieht sich gezwungen, einen Job als Ernte­helfer anzu­nehmen. Auch wir haben uns schon überlegt, ob wir nicht als Arbeits­kräfte in die Land­wirt­schaft einsteigen, schließ­lich herrscht dort jetzt Mangel, und wir haben, dank wegge­bro­chener Aufträge, plötzlich Zeit. Selbst­kritik eines bürger­li­chen Hundes ist ein früh­lings­leichter Film, ein Schel­men­streich. Freches deutsches Kino.

Bis wir wieder ins Kino können

Grandfilm und Eksystent haben, mit entspre­chenden Soli­da­ri­sie­rungen, ihre Strea­ming­dienste in Reaktion auf die Corona-Kino-Krise einge­richtet. Andere anspruchs­volle Verleiher – darunter Film­ga­lerie 451, Arsenal aus Tübingen oder das Arsenal Film­in­stitut Berlin – bieten ihr Programm schon länger als VoD oder auf der etwas anachro­nis­tisch anmu­tenden DVD an. In den nächsten Wochen werden wir auch sie vorstellen. Solange, bis wir wieder ins Kino können.