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Quer durch die Wildnis auf der Jagd nach dem Corona-Virus | ||
(Foto: Grandfilm) |
Von Dunja Bialas
»Zugegeben, wir sind Kriegsgewinnler.« Ein Freund, der bei der »Süddeutschen Zeitung« arbeitet, hat das gesagt. In der Tat: Für die Journalisten der Tageszeitung gibt es viel zu tun, zu recherchieren und zu schreiben, die Auflagen steigen. Vor kurzem erreichte mich eine Werbemail, die ein neues Kombipaket von Sky und Netflix anpreist. »Das Beste von Sky & Netflix in HD für nur 24,99 mtl. Nur für kurze Zeit!« Schon klar. Auch die großen Streamingdienste sind die »Kriegsgewinnler« der Stunde. Alle Einkünfte fließen in die jeweiligen Unternehmen, es geht um Abozahlen, um Profit. Da will man an vorderster Front mit dabei sein, wenn der Heimurlaub droht. Der Preiskrieg hat begonnen.
Aber es gibt auch andere Ideen. So kann man sich solidarisch zeigen gegenüber denen, mit denen man sonst zusammenarbeitet. Am Dienstag kündigte der in Nürnberg ansässige Verleih Grandfilm an, sein Repertoire als Stream zugänglich zu machen, zum Preis einer Kinokarte. Die Hälfte des Erlöses kommt den Kinos zugute, in denen sie normalerweise ihre Filme zeigen, z.B. dem Filmrauschpalast oder dem Wolf Kino in Berlin, dem Zazie Kino in Halle, dem Abaton oder 3001 in Hamburg, in München dem Werkstattkino und in Regensburg der Filmgalerie.
Der Münchner Verleih Eksystent zog am Mittwoch nach. Geschäftsführer Jakob Kijas schreibt in der Pressemitteilung: »In Zeiten wie diesen heißt es noch viel mehr, dass nur Zusammenhalt uns durch die Krise bringen kann. Isadoras Kinder, den wir eigentlich regulär im April starten wollten, bieten wir über eine Plattform an, die die Einnahmen auch an alle teilnehmende Kinos verteilt.« Hier geht es zu unserer Kritik.
Eksystent startet am Freitag in Rückgriff auf die bereits bestehende Plattform »Kino on Demand«. Toll dort ist, dass man auswählen kann, welches Kino man gezielt am Erlös beteiligen will. Nach und nach will Eksystent sein Repertoire bereitstellen, darunter finden sich die viel gelobte und handverlesene Filmreihe »Femmes Totales« oder Ava von Léa Mysius, einer der spannendsten französischen Filme der letzten Jahre.
Grandfilm hat die Abkürzung ohne eine bereits bestehende Plattform genommen und kurzerhand auf Vimeo hochgeladen. Drei Filme stehen bereits online, es sollen noch mehr folgen.
Beginnen könnte man direkt mit Lav Diaz’ vierstündigem Norte, The End of History – zum symbolischen Preis von nur 0,99€, »weil der Upload bei der Länge nicht in Full HD möglich war«, wie Tobias Lindemann von Grandfilm erklärt. Das Filmepos nach Dostojewskis »Verbrechen und Strafe« ist einer der nur zwei Farbfilme des notorisch in Schwarzweiß drehenden philippinischen Slow-Cinema-Regisseurs. Außerdem der erste Film, mit dem Grandfilm 2014 sein anspruchsvolles Vereihprogramm begann. Norte erzählt mit melodramatischer Wucht und blankem Realismus ganz konkret und doch allegorisch vom moralischen Elend der Philippinos, die immer noch das Erbe der amerikanischen und spanischen Kolonialherrschaft auf sich schultern.
Die anderen Filme kosten jeweils 9,99€ (Grandfilm) oder 4,99€ (Eksystent mit Kino on Demand). Das ist natürlich im Vergleich mit den Flatrate-Angeboten der Big Streamer wie Netflix und Co. deutlich mehr, aber durchaus vergleichbar mit einer Kinokarte, sogar im preiswerten Werkstattkino.
Zu den Preisen jetzt mal ganz grundsätzlich: Immer ist viel die Rede von Nachhaltigkeit, nur nicht im Kulturbereich. Der Preiskrieg der Streaming-Discounter mag suggerieren, dass es Kultur zum Nulltarif geben kann. In Wirklichkeit aber wird hier die Rechnung ohne Berücksichtigung der Produktionskette gemacht, in der viele Menschen viel Arbeit hineingesteckt haben, wertvolle Arbeit, die auch bezahlt sein will. Verleiher und Kinos stehen am Ende dieser Kette, sie erst machen die Arbeit sichtbar. Auch das wiederum ist Arbeit, und all das muss uns mehr wert sein als der Gegenwert eines Käfighuhns.
Wenn man heute, unter dem Eindruck der vielen Nachrichtenmeldungen, die man in den letzten Tagen konsumiert hat, auf der Grandfilm-Plattform den elegischen Zama von Lucrecia Martel (2017) sieht, hat man den Eindruck: Irgendwie passt er auf ganz neue Weise zu unserer verrückt gewordenen Welt. Ein Offizier der Spanischen Krone sitzt zu Kolonialzeiten an einem Provinzort in Paraguay fest. Vergebens wartet er auf seine Versetzung nach Buenos Aires. Schließlich macht er sich mit einer Gruppe von Soldaten auf die Jagd eines gefährlichen Banditen. – Das klingt fast wie eine Chiffre auf unsere Zeit. Wir sitzen fest, wie der Offizier: Reiseverbot und, wer weiß, vielleicht auch bald Ausgangssperre. Vergebens warten wir auf die Versetzung in eine Kneipe. Der gefährliche Bandit ist natürlich das Corona-Virus. Denkt man sich.
Außerdem aber wird hier auch von der Sinnlosigkeit des ganzen Kolonialunterfangens erzählt. Schon taucht die Frage auf: Zog die Kolonialzeit nicht auch eine globale Migrationsbewegung nach sich? Inklusive dem Einbringen von fremden Pflanzen, Krankheiten, Viren. Ja, wir kommen nicht weg von diesem Corona-Thema. Aber das ist auch eine Stärke eines Films: mehrere Schichten bereitzuhalten, die je nach Sichtweise neue Themen freilegen.
Mit seinen überragend schönen Bildern zeigt der Film auf jeden Fall, wie sehr Kino zur Kunst gehört, zur gehobenen Unterhaltung, zur Kultur.
Auch Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes von Julian Radlmaier, der dritte Film, den Grandfilm auf Vimeo bereitgestellt hat, lässt sich ebenfalls wie eine Parabel auf die heutige Zeit an. Ein arbeitslos gewordener Filmemacher sieht sich gezwungen, einen Job als Erntehelfer anzunehmen. Auch wir haben uns schon überlegt, ob wir nicht als Arbeitskräfte in die Landwirtschaft einsteigen, schließlich herrscht dort jetzt Mangel, und wir haben, dank weggebrochener Aufträge, plötzlich Zeit. Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes ist ein frühlingsleichter Film, ein Schelmenstreich. Freches deutsches Kino.
Grandfilm und Eksystent haben, mit entsprechenden Solidarisierungen, ihre Streamingdienste in Reaktion auf die Corona-Kino-Krise eingerichtet. Andere anspruchsvolle Verleiher – darunter Filmgalerie 451, Arsenal aus Tübingen oder das Arsenal Filminstitut Berlin – bieten ihr Programm schon länger als VoD oder auf der etwas anachronistisch anmutenden DVD an. In den nächsten Wochen werden wir auch sie vorstellen. Solange, bis wir wieder ins Kino können.