14.05.2020

Der menschliche Faktor

Regeln am Band
Folge dem rosa Hasen: Regeln am Band, mit hoher Geschwindigkeit
(Foto: Lokshina / DOK.fest München @home)

Am Fließband, an der Autobahn und im Heim-Kino: Filme des Student Awards auf dem DOK.fest @home

Von Nora Moschuering

Jetzt ist es wieder kalt und nass geworden. Ich checke schon seit – ich weiß nicht mehr seit wann – die Wetter-App nicht mehr, weil das Wetter so ein bisschen unwichtig geworden ist, genauso wie die Wochen­tage. In meiner Erin­ne­rung ist das Wetter während des DOK.fests oft schön, das ist gut fürs Open-Air, für Kino­vor­füh­rungen nicht unbedingt. Was das Wetter in diesem Jahr für das DOK.fest bedeutet, bleibt abzu­warten, genauso wie die Lockerung der Corona-Ausgangs­be­schrän­kungen. Nach­zu­prüfen ist das ohnehin nicht.

Ich frage mich, wie viele Menschen das sogar recht gut finden: Das Zuhau­se­gu­cken. Keine Karten besorgen, nicht anstehen müssen, die zeitliche Flexi­bi­lität, das Pause-Drücken, den Döner nebenbei, das Unge­sprächig-Sein, das Selbst­ge­sprä­che­führen, das Vorwärts­scrollen und das Abbrechen.

Außerdem kann man jetzt an »mehreren Orten« gleich­zeitig sein. Zum ersten Mal bin ich dieses Jahr bei den Ober­hau­sener Kurz­film­tagen (13.–18. Mai, online. Sie stellen Slots für jeweils 48 Stunden zur Verfügung. Auch eine Möglich­keit). Mach ich beides: DOK.fest und Ober­hausen und daneben guck ich auch die Live-Streams und Filme der ZKM-Ausstel­lung bauhaus.film.digitally.expanded (voraus­sicht­lich noch bis zum 17.05. online). Viel­leicht »funk­tio­nieren« Film­aus­stel­lungen online sogar besser – nicht unbedingt die ZKM-Ausstel­lung, denn hier waren große konzen­trierte Projek­tionen geplant – aber allzu oft bewegt man sich in Video­kunst-Ausstel­lungen von einem unat­trak­tiven Fern­seh­bild­schirm mit Kopfhörer zum nächsten, guckt kurz rein und parallel noch auf ein anderes bewegtes Bild in der Nähe, man weiß nicht, an welcher Stelle im Film man sich befindet und es warten noch zehn weitere Videos, die einen unter Druck setzen.

Auch bei »Visions du Réel« (24.04.–02.05.20) in Nyon war ich zum ersten Mal und habe dieses Jahr Filme und Master­classes (Claire Denis, Peter Mettler, Petra Costa) ange­schaut. Das hat Spaß gemacht, auch wenn z.B. bei Peter Mettler der akus­ti­sche Sog und seine visuelle Energie irgendwo auf meinem 13 Zoll Bild­schirm verlo­ren­ge­gangen sind.

Natürlich freue ich mich wieder auf die Öffnung der Kinos. Aber bis es so weit ist, guck ich online, jetzt eben auch das Programm des DOK.fest Münchens.

An der Autobahn

Baustellen wirken auf mich sehr anziehend, ganz besonders wenn etwas abge­rissen wird oder in monu­men­tale Tiefen wächst, wie die Löcher um den Haupt­bahnhof in Stuttgart. Da kann ich stun­den­lang stehen, zusammen mit den kleinen Kindern, die einen Krip­pen­aus­flug machen. Nun ist es mit den Baustellen aber so, dass sie nur so lange faszi­nie­rend sind, so lange sie sich nicht in der eigenen Wohn­ge­gend befinden. Ähnlich ist es mit den Auto­bahn­brü­cken. Der Film Autobahn (verfügbar vom 16.–22.05.) von Daniel Abma begleitet acht Jahre lang einige Bewohner von Bad Oeyn­hausen, einem Kurort mit der Attrak­tion einer eigenen Autobahn, die mitten durch den Ort führt. Ein graues Nadelöhr auf der Fahrt von Amsterdam nach Warschau. Die geplante und während des Films gebaute Nord­um­ge­hung soll Abhilfe schaffen. Der Film zeigt Politik, die zwischen Allge­mein­wohl und Einzel­in­ter­essen entscheiden muss, einen Bürger­meister, der an einem von ihm maßgeb­lich durch­ge­setzten Projekt scheitert, ein älteres Ehepaar, das die Laster zählt, die die Erde aus der Grube neben der Wiese in ihrem Haus holen, oder eine ältere Dame, deren Wollladen direkt an der Stadt-Autobahn liegt, und ihr Häuschen in der Nähe der neuen Umge­hungs­straße. Liebevoll zeigt er ruhige und auch aufge­brachte Menschen, die nach oben ins Grün blicken, und versuchen, den Beton zu ihren Füßen zu igno­rieren. Leute, die auf der leeren Autobahn ihren Dackel spazieren führen, und Leute, die Auto fahren und tanken. Graffitis sind immer wieder Thema und der Jesus-lebt-Mann, den die ganze Sache auf ganz andere Art und Weise betrifft: Er muss sich bald eine neue Straße mit viel Verkehr, aber geringer Geschwin­dig­keit suchen. Schön, aber auch ein wenig melan­cho­lisch ist das. Der Film ist leider zu früh zu Ende, er endet bei der Auto­bah­neröff­nung. Schade, man hätte doch gerne gesehen, wie es sich entwi­ckelt, an beiden Straßen, besonders für die Anwohner, die man kennen­ge­lernt hat.

Vom Fordismus zur Industrie 4.0 und dann?

Um die gesell­schaft­liche Verant­wor­tung von Unter­nehmen drehen sich Auto­mo­tive von Jonas Heldt und Regeln am Band, bei hoher Geschwin­dig­keit (begrenzt auf 300 Tickets) von Yulia Lokshina, wie Autobahn Filme des Student Awards. Man kann/sollte sie auch mit Sicht auf Adidas' zeit­weiser Einstel­lung der Mieten oder ausge­schüt­teter Renditen an Aktionäre der Auto­mo­bil­in­dus­trie oder dem fast leis­tungs­freien und stetigen Geld-Zuwachs von Immo­bi­li­en­be­sit­zern betrachten und dem Ausbruch des Corona-Virus im Umfeld von Schlacht­be­trieben.

Die Leih­ar­bei­terin eines Audi-Logis­ti­kers, Sedanur, ist ein Glücks­fall für Auto­mo­tive – Work Audi Future. Sie hat eine so offene, herzliche und ehrliche Art zu sprechen, wie ich es selten erlebt habe. Sie liebt Autos (es ist ja nicht so, dass die Objekte und ihre Erzäh­lungen nicht auf uns zurück­wirken) und kann sich nicht vorstellen, wieder Kinder­gärt­nerin zu werden. Die Head­hun­terin Eva ist die andere Seite – wobei sich die beiden über den Film immer mehr annähern, d.h. dass sich ihre Arbeits­leben ähnlicher sind, als sie zu Beginn scheinen – über Eva tritt man in den Arbeits­alltag einer Free­lan­cerin ein und erfährt nebenbei auch etwas über Fach­kräfte. Zwischen diesen beiden Frauen immer wieder Found-Footage aus der Zeit der »sozialen Moderne« und des »Post­wachs­tums­ka­pi­ta­lismus«, wie es Oliver Nachtwey in Die Abstiegs­ge­sell­schaft nennt. Einer Zeit mit Voll­be­schäf­ti­gung und zumindest der Möglich­keit des sozialen Aufstiegs durch Arbeit. Laut Nachtwey befinden wir uns heute in der »regres­siven Moderne« und laut einer Forschungs­union auf dem Weg zur Industrie 4.0: Roboter fahren durchs Bild, eine Drohne fliegt mit einem Lenkrad vorbei. Sie »arbeiten« neben dem Gewerk­schaftler Gerhard von der IGM, der versucht, die Menschen von der Notwen­dig­keit des gewerk­schaft­li­chen Zusam­men­schlusses zu über­zeugen – in Zeiten von Leih­ar­beit wichtiger, aber eben auch schwie­riger denn je. Inter­es­sant wird es aber auch da, wo etwas mehr gezeigt wird, die Kamera vorher läuft und später rausgeht, wenn beispiels­weise PR-Leute von Audi rein­spre­chen oder ein Text vorge­lesen wird. Auto­mo­tive ist ein so harter wie witziger Film und er hat tatsäch­lich so etwas wie ein Happy End.

Um die Fleisch­in­dus­trie geht es bei Regeln am Band, bei hoher Geschwin­dig­keit, eine Industrie aus deren Inneren es noch weniger Bilder gibt als aus der Auto­mo­bil­in­dus­trie. Regeln am Band ist rauer als Auto­mo­tive, aber auch verspielter und expe­ri­men­teller. Er hat dafür beim dies­jäh­rigen Film­fes­tival Max Ophüls Preis den Preis für den »Besten Doku­men­tar­film« bekommen. Der Film beginnt mit Schweinen in grün, die bei Cembalo-Musik ihr bürger­li­ches Bieder­meier erleben, während von Stanis­lavs Tod erzählt wird, der in eine Maschine gezogen wurde oder sich viel­leicht ziehen hat lassen. Es geht um Tönnies, Deutsch­lands größter Schlacht­be­trieb für Schweine in Rheda-Wieden­brück und viele südo­st­eu­ro­päi­sche Arbeiter, die häufig von Subun­ter­nehmen ange­stellt sind und deren Arbeits- und Wohn­be­din­gungen an Ausbeu­tung grenzen. Es geht auch um die Rheda-Wieden­brü­ckerin Inge, die versucht, daran etwas zu ändern. Sie setzt sich für Leih­ar­beiter ein und führt viele Gespräche mit ihnen über ihre Situation, sie spricht für sie vor dem Stadt-Podium oder vor dem Inte­gra­ti­onsrat. Daneben stehen – als eine Art theo­re­ti­sche Unter­ma­lung oder Metaebene, – die Proben zu dem Thea­ter­stück »Die heilige Johanna der Schlacht­höfe« (1931) von Bertolt Brecht, Elisabeth Hauptmann und Emil Burri an einem Münchner Vorort-Gymnasium. Wie kann man eine Vorstel­lung davon bekommen, wie hart die Arbeit wirklich ist? Den Schülern fällt es schwer, sie sind weit davon entfernt, das macht ein Ungleich­ge­wicht auf, das aber inter­es­sant ist. Viel­leicht ist ja gerade der Doku­men­tar­film dafür da, solche Lücken zu schließen. Denn wie Brecht schreibt: Das Unglück ist nicht wie der Regen, man muss die Verhält­nisse nicht akzep­tieren, man kann sie ändern. Der Film fragt auch danach, wer etwas ändern muss: Die Gesell­schaft, der Konsument, die Politik oder auch die Unter­nehmen.

Eine Land­partie in Sachsen

Neben den drei Film­emp­feh­lungen möchte ich kurz über einen Film schreiben, der mich geärgert hat: Fort­schritt im Tal der Ahnungs­losen von Florian Kunert. Der Film hat seine Runden gemacht und wurde z.B. auch bei der Duis­burger Filmwoche kontro­vers bespro­chen. Das Protokoll findet man hier. Vom DDR-Kombinat »Fort­schritt Land­ma­schinen« stehen nur noch einige Ruinen, in ihnen führt der Regisseur ehemalige Kombinats-Mitar­beiter mit syrischen Geflüch­teten zu einer Art »Kennen­lern­kurs« zusammen. Oder so. Grundidee schon frag­würdig: Ach wegen Pegida in Dresden – wie zu Beginn kurz ange­schnitten wird? Zur Ursa­chen­for­schung? Um Verständnis auf beiden Seiten zu erzeugen? Weil die zu inte­grie­renden die Vergan­gen­heit kennen müssen? Oder gar weil beide Seiten Verlus­ter­fah­rungen haben? Dass die DDR etwas mit Syrien zu tun hatte, wäre ein inter­es­santer Anknüp­fungs­punkt gewesen, der aber nicht weiter verfolgt wird. Und dann guckt man da zu: Die Geflüch­teten spielen Krieg in den Ruinen oder reenacten den morgend­li­chen Schul­ap­pell in der DDR. Die Prot­ago­nisten werden wie Statisten durch die Kulissen geführt und zu bestimmten Themen irgend­wohin drapiert. Sucht Kunert nach Klischees? Insze­niert er sie, um durch die Über­höhung etwas zu zeigen oder aufzu­bre­chen. Viel­leicht so? Soll das eine Groteske sein? Eine Satire? Mir ist das unan­ge­nehm und den Prot­ago­nisten oft auch. Zu allem Überfluss werden auch noch ein paar ältere Herr­schaften in Wiesen gestellt, um Lieder aus der »alten« Zeit zu singen, oder es wird wirklich »Aufer­standen aus Ruinen« unter eine Kame­ra­fahrt durch das alte Werks­gelände gelegt. Dann noch mal, um die eigene Bedeutung zu unter­strei­chen: Eine Pegida-Demo. Weil die beiden freund­li­chen Herren, äh was sind? Auch Ostdeut­sche? Alle sind Schau­spieler für eine vage Idee von etwas, die aber nicht funk­tio­niert. Im Gegenteil, der Filme­ma­cher hätte nach einzelnen Szenen sehen können, dass die Menschen und ihr Leben inter­es­sant genug sind, all ihre Erfah­rungen und die gegen­sei­tige zaghafte »wirkliche« Annähe­rung besser wären, als seine Insze­nie­rungs-Ideen. Der Film will insgesamt versöhn­lich sein, das ist schon sein aner­ken­nens­werter Grund­tenor, z.B. wenn zum Schluss die Geflüch­teten und die alten Herren gemeinsam Trecker fahren und Ballons fliegen lassen, dann soll das opti­mis­tisch wirken. Es wirkt aber albern und so, als wollte hier jemand auf Teufel komm raus seinen Film durch­in­sze­nieren, alles andere ist ihm egal.

Aber das ist es ja dann auch, was Festivals ausmacht: Gutes und Schlechtes, Diskur­sives und Frag­wür­diges, Span­nendes und Lang­wei­liges, viel­leicht eben auch Versuche, die scheitern. Nach­ge­dacht habe ich über den Film zumindest viel und wie schon geschrieben: Bei @home kann man machen was man will: Ausmachen, ein Gewürz­regal zusam­men­schrauben ... und sich nach einer Pause wieder an den nächsten Film setzen.

DOK.fest München
6. bis 24. Mai 2020
@home

Filme mieten: 4,50 € (5,50 € mit Soli-Beitrag für die Kinos)
Zeit­fenster: 24 Stunden

Festi­val­flat­rate: 50 € (davon gehen 3 € an die Kinos)

Hotline – tech­ni­sche Sofort­hilfe: 0800 / 5565136

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