Von Joker zu Trump |
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Nicht nur ein Kommentar oder ein Debattenbeitrag, ein Kunstwerk des dokumentarischen Kinos: What You Gonna Do When the World’s on Fire? | ||
(Foto: Grandfilm) |
»Who‘s the more foolish? The fool, or the fool who follows him?«
- Obi wan Kenobi in »Star Wars«, 1977
Die Simpsons haben es gewusst, Michael Moore hat es gewusst: »Trump wird gewinnen« verkündete der linkspopulistische Filmemacher bereits zwei Wochen vor der Wahl 2016: »People will vote for Donald Trump as a giant 'Fuck you'«. Hellseherische Fähigkeiten bewiesen auch die Macher der US-Zeichentrickserie »Die Simpsons«, als sie im Jahr 2000 in der Folge Barts Blick in die Zukunft von einem Präsident Donald Trump erzählen, der das Land in den wirtschaftlichen Ruin getrieben hat. Es habe zu ihrer Ansicht gepasst, »dass Amerika verrückt wird«, erklärten die Autoren jetzt. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Fiktion oft klüger und näher an der Realität dran ist, als die Informationsmedien – dies wäre er. Auch Unterhaltungskino ist nie bloße Unterhaltung, sondern das ins Bild gesetzte Unterbewusstsein des Zeitalters, und was als weltflüchtiges Spektakel gedacht war, kann spektakulär in die Welt zurückschlagen.
»The point is, Ladies and Gentlemen, that greed is good. Greed is right. Greed works. Greed clarifies, cuts through and captures the essence of the evolutionary spririt. Greed in all of its forms: greed for life, for money, for love, knowledge and greed – you mark my works – will not only save Teldow Paper, but that other malfunctioning corporation called the USA.« Mit diesen Sätzen fing alles an. Michael Douglas, besser gesagt: seine Figur Gordon Gekko lobt die Gier. Die
Gier an sich.
Regisseur Oliver Stone hatte seinen Film Wall Street seinerzeit als Kritik an dem in den 1980er Jahren neu aufgekommenen Hype der Börse und des globalen Finanzkapitalismus konzipiert – er konnte so wenig wie sein Darsteller ahnen, dass dieser Gordon Gekko bald »Kult« werden würde: Broker und Terminhändler nahmen diese Sätze wörtlich, feierten den neuen Helden.
Im Rückblick kann man bereits in dieser popkulturell enorm wirksamen Figur des skrupellosen Finanzhaies mehr sehen, als nur ein Abbild des Börsen-Materialismus seiner Epoche – nämlich den Urtyp jenes universalen neuen Ritters in Nadelstreifen, der seitdem die Welt erobert hat. Eines Kapitalisten, der Moral und Werte nicht mehr zu kennen scheint, sondern nur Zahlen, »Deals« und den eigenen Narzissmus. Der sich über die Gesellschaft erhebt, und sie sich unterwerfen will, sie
zumindest auf die Funktion der Kulisse beschränkt.
In der Kunst, in Kino und Literatur fing dies alles an. Aber diese von Stone so scharfsinnig, zugleich abgründig porträtierten 1980er Jahre und ihre Mentalität waren auch der Nährboden, auf dem die sehr spezielle Karriere des Donald Trump überhaupt gedeihen konnte. Und auch nach vier Jahren Donald Trump im Weißen Haus und am Tag vor seiner möglichen Wiederwahl erscheinen Kino, Literatur und Popkultur als die Medien, mit denen man diesen
merkwürdigen, einmaligen US-Präsidenten und sein Aufstieg am besten und scharfsinnigsten analysieren kann.
Vor zwei Generationen beschrieb Siegfried Kracauer (1889-1966) im Exil aus soziologisch-philosophischer Perspektive in seiner als »psychologische Geschichte des deutschen Films« gemeinten Untersuchung »Von Caligari zu Hitler« präzise die Mentalität der zwanziger Jahre in ihrer Sehnsucht nach autoritären Führerfiguren, und belegte, dass die Bilder auf der deutschen Leinwand, die Monster des Expressionismus, Caligari, Nosferatu und Mabuse mehr über uns erzählen, als wir ahnen. Kracauers Werk gibt uns das nötige Werkzeug in die Hand, um jene seltsame Mischung aus Entertainment-Kultur und Autoritarismus, aus Brutalisierung und Populismus, aus Pop und Faschismus, die den politischen Diskurs des Donald Trump dominiert, adäquat zu analysieren.
Nach Kracauer ist das Kino ein Seismograph seiner Entstehungszeit, ein Indikator für das kulturelle Unbewusste einer Epoche: Es deformiert und verzerrt nicht die Wirklichkeit, sondern legt Verborgenes frei, enthüllt »psychologische Prädispositionen«. Filme »wissen etwas«, das wir nicht wissen, sie haben einen untergründigen Gehalt, den man freilegen kann. Wenn das stimmt – und wir glauben, dass es stimmt – was verrät uns dann das amerikanische Kino über die USA des 21. Jahrhunderts und seine Menschen? Was erzählen diese Filme, ihre Mythen und Geschichten, ihre offenen Lügen und ihre versteckten Wahrheiten was wir übersehen haben? Wie könnte man mit Kracauers Ansatz auf Hollywood blicken?
Auf Gordon Gekko folgte American Psycho. Der 1991 erschienene Roman von Bret Easton Ellis erzählt von Patrick Bateman, einem Yuppie und Investment-Banker, der aus reiner Langeweile und Dekadenz ein zweites Leben als Serienmörder führt – ein amerikanischer Albtraum. Fast noch abgründiger als die reinen Morde – bei denen es sich auch um perverse Phantasien handeln könnte – ist das generelle Verhältnis der Hauptfigur zu Frauen: Er verachtet sie, sieht sie als Objekte und potentielle willige Sexmaschinen an. Und jeder, der sich an die Debatten um Donald Trumps Frauenverhältnis erinnert, an die bezeichnenden Sprüche und die Frauenverachtung des Präsidenten wird die Parallelen zu American Psycho feststellen.
So wie man Stones Investorenfigur heute leicht einen Donald Trump in seiner Mischung aus Narzissmus und Größenwahn erkennt, so verkörperte wieder ausgerechnet Michael Douglas – natürlich absichtlich besetzt, um diese Bezüge herauszuarbeiten – auch die andere. schwarze, verklemmt-kaputte Seite einer manisch-depressiven Narzisstenfigur, die manchen heute nur allzu vertraut vorkommt: In dem Film The Game von David Fincher spielt er einen Milliardär mit Vaterkomplex, Überfluss und Spielermentalität.
Das amerikanische Kino der letzten Dekaden ist – ganz im Sinne Kracauers – voller versteckter Hinweise auf den Gang der Dinge. Eine vielen sehr unterschiedlichen Filmen gemeinsame Tendenz ist die einer Rückkehr zum Irrationalismus. Nicht der Boom von Science-Fiction und Horror – diese Genres können sehr rational sein – sondern der der Fantasy und der Superhelden.
Auch wo nicht – wie in den Fantasyepen Herr der Ringe und Harry Potter große Schicksalsmächte und Zauberkräfte wirken, sind es doch zumeist geheime, übermenschliche Kräfte und Gaben, die den Einzelnen oft für alle Zeiten verwandeln, jedenfalls über den Rest der Menschen hinausheben. Den Hintergrund des Booms solcher Geschichten bildet eine »Spaßkultur« genannte Veränderung der Gesellschaft hin zum total gewordenen Amüsement und Spektakel. Der »Strukturwandel der Öffentlichkeit« (Jürgen Habermas) ist nicht allein der von den Medien als Erzieher und Agenten der Aufklärung des Publikums, über die Vorstellung der Medien als »Konsensfabrik« (Noam Chomsky) hin zu den Medien als Ware, als Produkt, das nicht das Publikum sich, sondern sich dem Publikum und seinen Wünschen anpasst, und an dem »Zerfall des öffentlichen Lebens«, und seiner Verwandlung in eine »Tyrannei der Intimität« (Richard Sennett) mitwirkt.
Am Grund dieser Geschichten liegt die Infantilisierung des kollektiven Bewusstseins. Denn im Umkehrschluss bedeutet die Erzählung vom superheroischen Übermenschen, die Regression des Normalmenschen, der sich zu klein und zu machtlos fühlt, um heldenhaft in den Gang der Dinge einzugreifen, der sich besser bescheiden will, statt verantwortlich zu entscheiden, sich an den Rockzipfel des Helden flüchten, anstatt ein Risiko einzugehen. Wie ein Kind fühlt er sich ohnmächtig in der Welt und nur von etwas Übermächtigem geborgen.
In der Regel erzählen Superhelden-Universen überdies vom Vorrang des Individuellen, vom Sieg des Einzelnen über das Kollektiv. Einzige Ausnahme sind die X-Men. Hier können die besonderen Fähigkeiten, die die Helden von den übrigen Menschen trennen zu einer Belastung werden. Die »Mutanten« sind Außenseiter und werden vom Mainstream-Amerika gesellschaftlich ausgegrenzt. X-Men 2 dreht sich vor allem um Sondergesetze, die ein rechtskonservativer Senator und Regierungsberater gegen die »Mutanten« erlassen will. In den »X-Men«-Szenarien spiegeln sich präzis die Debatten zwischen reaktionärem Fremdenhass und Furcht vor »Moslems«, »Schwarzen«, »Latinos« und allem, das dem weißhäutigen protestantischen Amerika zu widersprechen scheint und jenen Liberalen, die für Koexistenz, Pluralismus und Integrationsmodelle plädieren.
Die Folgen der Trump-Jahre für Medien und Kultur der USA werden zukünftige Historiker zu analysieren haben. Ebenso die Tatsache, dass es letztendlich die Medien waren, die Trump erst geschaffen und ermöglicht haben, und die, obschon scharfe Kritiker, jetzt durch Einschaltquoten und Abonnements von ihm profitieren.
Das Kino aber lieferte schon vorab Bildsprache, Rollen-Vorbilder und Verhaltensmuster: Der Wahnsinn von Wolf of Wall Street konnte auch von der politischen Realität nicht überboten werden.
Genau bei jenen zwei Superhelden, die nicht wesenhaft übermenschlich sind – à la Superman, oder Spider-Man –, sondern die nur durch avancierte Technik zu Superhelden werden, handelt es sich dann passenderweise um Milliardäre mit Playboy-Leben: Bruce Wayne (Batman) und Tony Stark (Iron Man. Batman betrat bereits (Zufall?) 1989 pünktlich zum Mauerfall und Beginn des Zeitalters ohne Utopien die Kinoleinwände. Dass ausgerechnet Batman, der technikverliebte Millionär und schwarze Racheengel im ledernen Fledermauskostüm im Kino seitdem in bisher acht Filmen auftrat, liegt daran, dass er perfekt die Nachtseite des demokratischen Zeitalters verkörpert. Dieser Superheld ist gar nicht so super, sondern angeschlagen, kein Winner, sondern ein Überlebender. Seine Welt um Gotham City, eine Mischung aus New York, dem Berlin der 90er und Fritz Langs' Metropolis ist ein Welt aus schrankenloser Marktwirtschaft. Immer wieder sind Batman-Filme auch böse, bittere Porträts der schmutzigen Seiten Amerikas, Studien in Dekadenz und Amoral, die von dem geheimen Pakt zwischen Regierenden und Terroristen erzählen, von den Schwächen der demokratischen Institutionen, und der fehlenden Charakterstärke der Menschen.)
Immer wieder seit Jack Nicholsons – vollkommen zu Unrecht von Heath Ledger überschattetem – Auftritt als »Joker« in Tim Burtons erstem Batman, hat es Batman mit Demagogen von Rechts und Medienmogulen, die ihre Macht missbrauchen, sowie der Anfälligkeit der zum Pöbel degenerierten Bürger für autoritäre Lösungsmodelle zu tun. Die Masse ist schwach und manipulierbar, Joker ein Börsen-Verbrecher und Populist. Dieser Schurke ist die einzige Figur, die zumindest noch Spaß hat, die Exzess und Lust an der Überschreitung lebt. Joker ist selbstverständlich nichts anderes als ein Horror-Clown – und in alldem, im Zugang des Gamblers zur Welt, der selbst Fragen von Leben und Tod, Gewalt und Recht zum Egotrip und riskanten Spiel degradiert, Macht zum Spielzeug und der in obszöner Weise nichts ernst nehmen kann, scheinen die Gegenwart zum politischen Exzess, der mit dem Namen Trumpo verbunden ist, offensichtlich.
Auch eine Bemerkung Kracauers scheint das Phänomen besser zu erklären, als viele politische Kommentare: »Propaganda ist totalitär, regressiv und nihilistisch. Man bringt bedeutende Begriffe um den Rest ihrer Substanz, schlüpft in die Gehäuse und macht mit dem Schimmer Reklame. Hinter dem Tumult der Propaganda taucht ein Totenkopf auf.«
Zum Schlüsseljahr dieser Geschichte wurde 2008: Es war das Jahr, in dem das Platzen der Immobilienblase zum Ausbruch der Staatsschuldenkrise führte, in dem Christopher Nolans zweiter Batman The Dark Knight als deren Analogie gelesen wurde und der Triumph der »Tea Party« mit der Wahl von Barack Obama zusammenfiel – in der sich Hoffnungen auf einen politischen Wandel ebenso bündelten, wie kurz darauf die Enttäuschung, dass nicht nur alles beim Alten blieb, sondern Obama die verachtete Politik seines Vorgängers noch mit geringerer Kompetenz fortsetzte.
2008 war auch das Jahr, in dem der erste Iron Man ins Kino kam. Die Ähnlichkeiten zwischen dem Waffenfabrikanten Tony Stark mit rechtskonservativen Ansichten und der Persönlichkeit des New Yorker Geschäftsmanns Donald Trump sind vielfältig: Stark hat sein Vermögen von seinem Vater geerbt, benimmt sich gern schlecht, oder verantwortungslos, ist überzeugt, es sei »besser gefürchtet zu werden, als respektiert«, dass »die beste Waffe die ist, die man nur einmal abfeuern muss«, und das die Definition für »Frieden bedeutet, dass man das größere Steak hat, als der andere.« Iron Mans starrer Metallpanzer, der alles Menschliche ummantelt, kann als das Sinnbild eines Amerika verstanden werden, das sich allen Außenreizen gegenüber abkapselt.
Ähnlich wie beispielhaft die Superheldenfilme kann man auch in anderen Filmen und Filmtypen den Vorschein der Gegenwart entdecken: In Matrix entscheidet sich der Held Neo für die bittere Pille der Erkenntnis der wahren Welt und gegen den Schein der süßen Illusion. Der Verräter Cypher bevorzugt genau diesen: Die Illusion. »Ignorance is bliss« sagt Cypher und wählt die
Illusion eines saftigen Steaks. Analog verläuft die Argumentation Trumps und seiner Wähler: »America first«, Ignoranz ist Glückseligkeit.
Das Pendant dazu bilden die Suburbia-Dekadenz-Studien seit Happiness und American Beauty. Sie spiegeln die Melancholie und untergründige Depression zu der der
»American Dream« geronnen ist,
Und bereits in den Filmen seit The Siege und Public Enemy No. 1, vor allem aber im Werk David Finchers seit den 90er Jahren eskalierte das Misstrauen des Paranoia-Kinos »New Hollywoods« zur allgemeinen – so gut begründeten, wie billigen –
Deligitimierung »des Systems«, der Institutionen und der Politiker. Einer der Gipfel war Clint Eastwoods reaktionäre Kolportagegeschichte Absolute Power in der US-Präsident persönlich in ein Mordkomplott verwickelt ist.
Einer der besten ist Jonathan Demmes Polit-Paranoia-Film Der Manchurian Kandidat von 2004, ein Update des Frankenheimer-Films von 1962 – eine elektrisierende Parabel auf die postdemokratischen Verhältnisse des 21. Jahrhunderts – noch in ihren Schwächen verräterisch. Ein Schläfer sitzt als Vizepräsident im Weißen Haus, und das Böse ist hier keine fremde Nation, sondern ein transnationaler Wirtschaftskonzern, der zum Staat im Staate geworden ist, und einen Putsch von Rechts plant. Der Film nimmt die patriotische Rhetorik auf’s Korn, das Gerede von der »homeland security«: »Die wirkliche Gefahr ist die der Abschaffung der Bürgerrechte«, heißt es, es drohe »ein Staatsstreich, ein regime change in unserem eigenen Land.« Meryll Streeps Darstellung der bis zum Terrorismus ehrgeizigen Mutter und US-Senatorin ist das Herz des Films, weil sie sich eng an die Realität hält, und diese doch immer überschreitet: Einerseits eisig professionell mit herrischer Körpersprache und näselnd-elitärem Ostküsten-Akzent im Original, auch der Ritterhelm-artigen Frisur von Washingtons Power-Frauen, andererseits abgründig mit inzestuösem Touch, jederzeit hart an der Kippe zum hysterischen Zusammenbruch – in jeder Pore eine Glanzleistung. Subversiv ist diese Kritik am US-Polit-System bis heute geblieben – nur die Illusion, dass solche Filme etwas bewirken, Verhältnisse verändern könnten, muss man sich wohl abschminken. Wer den maskenhaften Kandidaten einer schönen neuen Konzern-Welt beobachtet, auf die Worte der Radiosprecher lauscht, die permanent vor Terroristen warnen, wird die Bezüge zur Wirklichkeit nicht übersehen. Die Kultur der Angst, über die Frankenheimer noch spekulieren konnte, ist längst Realität geworden.
Wer kein Recht mehr hat in Amerika, der hat das Recht auf eine Waffe. Und damit fühlt er sich stark. Das ganze Leben ist Krieg.
Roberto Minervini, ein in Italien geborener Regisseur, zeigt Schießübungen irgendwo im Wald von Louisiana. Es ist ein Dokumentarfilm, den wir hier sehen, keine Fiktion: Es sind Männer und Frauen, die hier schießen, junge und alte. Den meisten sieht man an, dass sie arm sind, verschwitzte, schlecht gekleidete, schlecht ernährte, Weiße. Und die Zielscheiben,
auf die sie ballern und die sie recht gut treffen, denn sie sind geübt, haben die eindeutige Silhouette schwarzer Amerikaner.
Roberto Minervini, ein in Italien geborener Regisseur, der schon seit vielen Jahren in den USA lebt, hat sich in einer ganzen Reihe von sensiblen intimen dokumentarischen Porträts, den Entrechteten, den Erniedrigten und Beleidigten Amerikas gewidmet. Sein besonderes Interesse gilt dem alten Süden, den konföderierten Verlierern des Bürgerkriegs und hier wieder dem sogenannten »White Trash«. Ein hässliches, aber nicht unpräzises Wort, das »weißer Müll« bedeutet, und jene Menschen meint, die komplett abgehängt sind vom Amerikanischen Traum – potentielle Trump-Wähler.
Minervinis Filme heißen Low Tide, The Other Side, Stop the Pounding Heart. Ein grundsätzlicher destruktiver Geist durchzieht vieles, was
diese Menschen tun. Und doch schafft Minervini es, ihnen ihre Würde nicht zu nehmen, sondern sie uns als Menschen zu zeigen, die wir verstehen – soweit es da etwas zu verstehen gibt.
»There is gonna be another revolution in this country. The UN will invade...« – es wird eine Revolution kommen. Auch das sagten Minervinis Protagonisten schon Jahre vor Trump.
Ein tolles Angebot zum Thema machen jetzt die Kollegen des Verleihs Grand-Film, und machen den neuesten Film Minervinis aus Anlass der Wahlen und des Lockdown online zugänglich: What You Gonna Do When the World’s on Fire? ist in vieler Hinsicht anders: Schwarzweiß, beobachtender, passiver – und er handelt von amerikanischen Schwarzen.
Sie schreiben treffend: »mit Spannung und auch etwas Furcht blicken wir und die ganze Welt in Richtung USA, wo morgen die Präsidentschaftswahlen stattfinden werden. ... Als Kommentar zu den Wahlen in den USA – wie immer sie auch ausgehen werden – haben wir uns dazu entschlossen, Roberto Minervinis Dokumentarfilm What You Gonna Do When the World’s on Fire? bereits
morgen zur ›Wahlnacht‹ als Video on demand zu veröffentlichen. Beim Kinostart Ende Juli wurde diese eindrückliche Dokumentation von der Presse gefeiert und in zahlreichen Kinos gezeigt. Es standen für die nächsten Wochen noch weitere Kinotermine an, die aber vorerst durch den erneuten Lockdown ausfallen müssen.
Dieser Film ist nicht nur ein Kommentar oder ein Debattenbeitrag, er ist ein Kunstwerk des dokumentarischen Kinos, in wunderbarem Schwarz-weiß gedreht
und bestechend durch die unmittelbare Nähe zu seinen ProtagonistInnen.«
Der Film ist als Video on demand ab Dienstag, 3.11. um 20:00 Uhr zum Preis von 4,99 Euro abrufbar unter folgendem Link (wird erst morgen um 20 Uhr aktiviert): https://vimeo.com/ondemand/wygdwtwof
Am Freitag erscheint What You Gonna Do When the World’s on Fire? außerdem bei absolut Medien als DVD.
Immer wieder zeigen uns Filme das Verdrängte einer Gesellschaft. Selbst Unterhaltungskino ist nie bloße Unterhaltung, sondern das ins Bild gesetzte Unterbewusstsein eines Zeitalters, und was als weltflüchtiges Spektakel gedacht ist, kann spektakulär in die Welt zurückschlagen. Tatsächlich zeigen viele Filme in den letzten Jahren die Schattenseiten Amerikas.
Kinobilder aus den USA beschrieben schon seit Jahren immer wieder eine gespaltene, gestörte Gesellschaft. Man könnte viele Titel nennen – stellvertretend kann man an American Honey erinnern. Die Regisseurin Andrea Arnold zeigt eine Handvoll charmanter Werber einer Drückerkolonne, die Zeitschriften-Abos verkaufen. Immer neues Menschenmaterial ist gefragt, denn der Job ist hart,
der Seelen- und Leiber-Verschleiß ist groß.
Dieser Film seziert die Mythen Amerikas , den verblassten Traum eines besseren Lebens, des angeblichen Aufstiegs vom Tellerwäscher zum Millionär.
Ein Road-Movie auf einem Highway nach Nirgendwo, auf dem die Zuschauer bald das Gefühl haben, jede verdammte Türklinke selbst zu putzen, und herumzuhängen mit zugedröhnten Zwanzigjährigen aus bildungsfernen Schichten. Ein ambivalenter Film der Ausbeutung zeigt, der aber auch selbst profitiert von der Schönheit junger Menschen und cool-verklärender Musik.
Worauf es in Amerika aber wirklich ankommt, das beschrieb in humorvoller Form am präzisesten schon vor Jahren Hollywood-Veteran Warren Beatty. In seinem Film Bulworth spielt er einen Politiker, der plötzlich die Maske fallenlässt, und die Wahrheit sagt, in Form eines Rap: Geld, Geld, Geld.
Nachbemerkung
Natürlich kann man solche Deutungen und ein derartiges Ernstnehmen des Kinos als solches für Unsinn halten. Natürlich kann man allen Ernstes annehmen, nichts hänge mit irgendetwas zusammen, alles Erkennbare sei beliebig und dem Zufall unterworfen. Geschichtsphilosophie und spekulative Theorien sind derzeit zwar nicht in Mode. Jedoch gehört philosophisches Denken mit umfassenden Ansprüchen und einer Totalität der Weltdeutung, in der alle
Einzel-Phänomene auf gemeinsame Grundprinzipien zurückgeführt werden zur Geschichte der Wissenschaft seit ihren Anfängen.
Wenn aber an all dem etwas dran ist, dann muss ein Blick in die Zukunft erlaubt sein: Noch einmal Gotham-City, jene universale Metropolis. In The Dark Knight Rises spielte ein gesichtsloser Schurke, mit einer Ledermaske vor dem Mund, die er nie abnimmt, und die seine Stimme verfälscht, den Volkstribun und hetzte »die Bürger« gegen »den Staat« auf. So ist das Kino, sagen jetzt manche. Nein: So sind die Menschen. Sie haben nur die Medien und die Filme, die sie verdienen.