Lovemobil-Debatte
Die Debatte in der Debatte |
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Für uns noch kein Schnee von gestern | ||
(Grafik: Lehrenkrauss / NDR / artechock) |
Von Redaktion
Zu unserem Special zu Lovemobil und als Reaktion auf das Interview mit der Regisseurin Elke Lehrenkrauss haben uns Zuschriften erreicht, die wir hier öffentlich machen wollen – auch, weil wir uns redaktionsintern ebenfalls die Köpfe heiß diskutiert haben
Hier der Inhalt unseres Dossiers im Überblick:
Liebe Leserinnen und Leser,
endlich wieder eine Debatte, bei der es nicht um Corona geht! Und sogar eine Debatte, in der über den Dokumentarfilm gestritten wird, dieser so oft auf das Thema reduzierten Kunstform.
Jetzt geht es plötzlich um das Wesen und die Grenzen des Dokumentarfilms, als befänden wir uns mitten in den 1970er Jahren, als es das Bewusstsein gab: das Ästhetische ist politisch. Ihr wisst schon (mit Godard): nicht politische Filme, sondern Filme politisch machen.
Noch vor Godards Zeit wurde das „Direct Cinema“ geprägt, ein Begriff, der jetzt, im Zuge der Lovemobil-Debatte, plötzlich in aller Munde ist. „Die Fliege an der Wand“ ist seitdem nichts mehr, was man totschlägt, sondern die Art, wie man filmt, wenn man „Direct Cinema“ macht: sie steht für die nicht merkliche Position des Filmemachers.
Elke Lehrenkrauss hat sich in Lovemobil diametral zur Idee des „Direct Cinema“ verhalten. Ihr gehe es nicht um das unmerkliche Filmen des Vorgefundenen, sondern um die „authentischere“ Wirklichkeit, die sie in Recherchen erfahren habe, sagt sie. Sie stellt also in Frage, dass es bei Lovemobil um den Gegensatz von Fiktion und Realität geht, wie es jetzt immer wieder heißt, weil sie reale Begebenheiten nachinszeniert hat. Entscheidend in dem „Skandal“ um ihren Film aber ist nicht sein Verhältnis zur Wirklichkeit oder zur Wahrheit, sondern allein, dass Lehrenkrauss ihr Verfahren nicht transparent gemacht hat. Darin ist sich die Dokumentarfilmszene weitgehend einig. Dazu hätte es viele Möglichkeiten gegeben, auch jenseits von Einblendungen à la „Aktzenzeichen XY ungelöst“ („nachgestellte Szene“) oder die ausgebliebene Aufklärung im Gespräch.
Lovemobil wird im Gegenteil vorgeworfen, allein deshalb „gefaked“ zu sein, weil der trügerische und nicht dementierte Eindruck entstand, es mit einem höchst kunstvollen Dokumentarfilm zu tun gehabt zu haben. Vereinzelt ploppt jetzt in der Debatte um „Wahrhaftigkeit“, „Realität“, „Authentizitiät“ und „Wirklichkeit“ des Dokumentarfilms auch die Frage nach der Verantwortung der Fernsehredaktionen auf, die sie gegenüber (jungen) Filmemacher*innen haben, und auch die Frage nach der Verantwortlichkeit gegenüber den Projekten. Denn Fachleute haben durchaus schon vorher den Anteil der Inszenierung bei Lovemobil diskutiert.
Weil wir darauf angesprochen wurden: Die Position von artechock ist weder »in dubio pro reo« noch Inquisition, ist weder vorurteilsgetrieben noch naiv. Wir sind neugierig und beleuchten deshalb den „Fall“ Lovemobil in seinen vielen Aspekten.
So kommt bei uns auch die Filmemacherin Elke Lehrenkrauss in einem ausführlichen Interview selbst zu Wort, anders als in den Diskussionsrunden von NDR und AG DOK, wo über sie verhandelt wurde, ohne dass sie sich erklären konnte.
Trotz dieser – in unseren Augen – sehr journalistischen Vorgehensweise hat uns nun die Kritik erreicht, unser Interview wäre nicht mit gebotener Neutralität geführt worden, mit der Regisseurin sei zu sanft umgegangen, ihr wären die Antworten einfach abgenickt worden. Auch redaktionsintern haben wir die Qualität des Interviews kontrovers diskutiert, am Ende aber verteidigen wir es.
Unsere Überlegungen dazu: Ein Interview oder »Gespräch«, wie das Lehrenkrauss-Interview zwei Mal von uns gelabelt wird, muss nicht neutral, muss weder kritisch noch inquisitorisch sein. Es darf genauso gut affirmativ und wohlwollend sein. Zudem sind die Gesprächsführenden keine Journalisten, wie dem Vorspann zu entnehmen ist; damit ist auch nicht zwingend ein journalistisches Interview zu erwarten – wie auch immer man das definieren wolle.
Unserer Ansicht nach führt das (autorisierte) Gespräch – auch wenn man nicht allen Ausführungen der Regisseurin folgen will und man sich vielleicht darüber ärgern mag, dass die Interviewenden nicht mehr „Biss“ hatten – sehr gut das Patt bei Lovemobil vor. Es zeigt auf, dass hier Aussage gegen Aussage steht. Die Schwierigkeiten einer Branche treten deutlich zutage, mit dem Missverhältnis prekär arbeitender Filmemacher*innen, die nach Ansicht der Fernsehredaktionen froh sein sollen, ihre Projekte realisieren zu können. Zwischen den Zeilen der Debatte offenbart sich so auch der Gap zwischen den festangestellten Redakteur*innen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und den frei und prekär arbeitenden Filmemacher*innen. Und da wird die Debatte auf einmal sehr umfassend.
Als Redaktion möchten wir dazu transparent sein. Hier lest Ihr die Zuschriften, die uns erreicht haben. Wir begrüßen ausdrücklich die Einmischung unserer Leser*innen und auch, dass jetzt sogar um die journalistische Aspekte des Interviews gestritten wird. Wir brauchen mehr Diskussionen, nicht über den Inhalt, auch über die Form! Denn erst das Nachdenken über die Form schafft das kritische Bewusstsein, und in diesem Geiste betreiben wir hier auf artechock auch Filmkritik.
Eure artechock-Redaktion
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Per E-Mail am 1. April 2021
»Das ist wirklich absurd, dieses fehlende Grundverständnis dokumentarischer Arbeit. (...) und dass eine „Direct Cinema Polizei“ ein Inszenierungsverbot in den Raum stellt. Dagegen wehre ich mich nicht nur als Filmemacherin, sondern auch als Kuratorin. Wenn es nur noch eine Art von Dokumentarfilm geben soll, wie langweilig wären die Festivals und unsere Kinolandschaft!«
Zit. nach Grit Lemke aus dem Interview mit Elke Lehrenkrauss
Liebe Grit Lemke,
niemand will nivellierte Dokumentarfilme, niemand spricht von Inszenierungsverbot und keiner bestreitet – jedenfalls habe ich es nicht gelesen – dass ALLE Dokumentarfilme konstruierte Wirklichkeiten sind. Aber Sie bringen den Begriff der „Direct Cinema Polizei“ auf und meinen damit wohl Filmemacher*innen, die in der Diskussion auf diese Filmform explizit hingewiesen haben.
Eine davon bin ich. Deshalb nehme ich Stellung.
Ich habe Klaus Wildenhahn zitiert, um deutlich zu machen, dass es im Dokumentarfilm gar nicht um Objektivität geht, sondern dass Filmemacher*innen eine Haltung einnehmen müssen, und ich habe ihn zitiert, um auf das Problem aufmerksam zu machen, was hinter der Problematik mit Lovemobil steht: Der durchinszenierte Dokumentarfilm, der (melo-)dramatisiert und mit einer Dramaturgie und Ästhetik wie im Spielfilm arbeitet, aber wie Direct Cinema daherkommt. Von diesen Filmen sprach ich, die von Förderungen, Festivals und Sendern gewünscht sind – übrigens schon lange. Bloß dass diese Techniken sich stetig verfeinern. Diese Filme leben davon, dass sie etwas vorgeben/ verschleiern, was sie nicht sind und der/ die (ungeübte) Zuschauer*in glaubt, es sei so gewesen. Diese Filme nähern sich dem Spielfilm immer weiter an und wollen aber als Dokumentarfilm erscheinen und werden auch explizit so beworben und vorgestellt.
Die Kritik richtet sich also nicht an Filme, die mit Inszenierungen arbeiten und diese transparent machen, sondern an all die Filme, die ihre eigentliche Machart verschleiern und die Methode des Direct Cinema vorgeben. Zum Spiel gehört, dass die Filmemacher*innen sich hinterher hinstellen und lang und breit darüber berichten, wie authentisch alles ist und ihre Inszenierungen hinter einer Wand des Schweigens und manchmal des Lügens verstecken – und hier sind wir bei Lehrenkrauss. Die Stärke von Lovemobil lag ja für die meisten Zuschauer*innen darin, dass sie geglaubt haben, sie wären Zeuge authentischer Situationen und würden »echte« Menschen und ihre Geschichte(n) kennenlernen. Nur geübte Zuschauer*innen, Menschen vom Fach hätten die Inszenierungen erkennen müssen, wobei auch für sie nicht absehbar sein konnte, dass diese Protagonist*innen Darsteller*innen waren.
Zurück zum Begriff der „Direct Cinema Polizei“, er impliziert Macht sowie Durchsetzungskraft und Repression im Sinne von Herrschaft.
Aber Direct Cinema war nie die gängige, herrschende Methode, war immer abseitig und in der Nische, eher subversiv, lief den Sehgewohnheiten entgegen und dem Wunsch – wie Wildenhahn sagte – nach der Sinfonie zuwider: Und auch Leacock erzählte immer wieder: »Niemand wollte unsere Filme, die Leute hassten sie, nur wir wollten sie, weil wir sahen, was wir alles damit erzählen konnten.« Die Amerikaner revolutionierten das Dokumentarfilmkino und wurden dennoch nie Mainstream. Der Mainstream nahm sich, was er davon brauchen konnte und zog weiter.
Auch Klaus Wildenhahn und Gisela Tuchtenhagen hatten immer mit Widerständen zu kämpfen, wobei Wildenhahn einen Redakteursposten innehatte und jedes Jahr einen Film machen konnte. Aber die Filme wanderten vom 1. ins 3. Programm und dann in die Nacht. Als ich als Filmstudentin an der HfbK in Hamburg studierte (ab 1990), hieß es als gut gemeinter Tipp: Schreib nie in ein Exposé, dass du mit der Methode des Direct Cinema arbeiten willst, dann bekommst du kein Geld. Tuchtenhagen, die Grimme-Preise und den Preis der Akademie der Künste erhielt, bekam anschließend jahrelang kein Geld von Förderungen und Sendern. Daher arbeitete sie zunehmend als Kamerafrau und drehte Filme ohne Finanzierung.
Wenn Sie also jetzt von „Direct Cinema Polizei“ sprechen, dann ist das eine Umkehrung der Situation:
An den Geldtöpfen in den Sendern, bei den Filmförderungen sitzen überwiegend Menschen, die genau solche Filme wollen wie Lovemobil, aber sie wollen, dass die Inszenierungen nicht auffliegen bzw. sich in einem Rahmen abspielen, bei dem alle mitmachen und sich keiner beschwert. Ohne die Cutterin wäre nichts passiert und Elke Lehrenkrauss könnte weiter erzählen, wie sie die intimen Situationen herstellen konnte, und wie toll es ist, dass die Protagonist*innen den Absprung von der Prostitution geschafft haben – wahrscheinlich durch den Film. Nur deshalb konnte sie guten Gewissens den Preis annehmen – so Lehrenkrauss in einem ihrer vielen Interviews, wo sie die Authentizität des Filmes explizit immer wieder herausstellte.
Zurück zum Bild der Direct-Cinema-Polizei:
Wenn jetzt eine seit langer Zeit fällige Diskussion über Grenzen von (verschleierten!) Inszenierungen beginnt, dann sind die Machtverhältnisse so verteilt, dass Verfechter*innen einer offenen Filmform, Vertreter*innen von essayhaften Filmen, Überzeugungsfilmer*innen von Direct-Cinema-Filmen usw. nach wie vor in der Minderheit sind und es bestimmt auch bleiben werden.
Dennoch – auch wenn die Verhältnisse (zunächst) so bleiben, wie sie sind, ist es ein Anfang einer Erosion – die uns, wenn wir nicht aufpassen, alle wegfegt, denn Glaubwürdigkeit ist die Währung im Dokumentarfilm.
Ich hoffe auf eine ehrliche Bestandsaufnahme.
In diesem Sinne, es lebe der Dokumentarfilm und seine Vielfalt!
P.S. Klaus Wildenhahn und Gisela Tuchtenhagen waren meine wichtigsten Lehrer. Meine Filme arbeiten mit unterschiedlichen Methoden und Macharten, dazu haben mich beide bei Auseinandersetzungen über meine Filmarbeit immer bestärkt: den eigenen Zugang zu finden, auch in der filmischen Form.
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Per E-Mail am 1. April 2021, Veröffentlichung mit Genehmigung
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich ärgere mich zutiefst über die Art und Weise Ihres Umganges mit der Lovemobil-Thematik. Ihrem Interview mit Elke Lehrenkrauss fehlt jegliche kritische Distanz.
Aus dem Interview: GL: Letztendlich hast du genau das geliefert, was die Öffentlichkeit sehen will.
Aus einer sehr filmakademischen Perspektive dekonstruieren Sie zusammen mit Lehrenkrauss Begriffe der Dokumentarfilmpädagogik und drehen sich mit der Filmemacherin im Kreis. Das Interview liest sich wie ein Showcase der Binnenlogik des postfaktischen Dokumentarfilmes. Interessant ist dabei, was von Ihnen weggelassen bzw. ignoriert wird.
Sätze wie Lehrenkrauss' selbstentlarvender Satz zur authentischeren Realität, Sätze wie »sowas ist so echt, das kann man sich ja gar nicht ausdenken« (ein Schnipsel aus dem STRG_F-Beitrag) und das mittlerweile fast auch schon geflügelte »Wenn er sagt, es ist echt, dann ist es auch echt«, kenne ich als Allgemeinplätze von Dokumentarfilmpodien oder aus Postproduktionsstäten. Ich nenne die oftmals zugrundeliegende künstlerische Haltung in Anlehnung an Donald Trump postfaktisch. Natürlich gibt es verschiedene Auffassungen zur Realität und zur Dokumentarischen Arbeit.
Allerdings: Jene postfaktischen Filmemacher machen aus anderen Gründen keine authentischen Dokumentarfilme: Sie sind, wie Elke Lehrenkrauss auch, selbst nicht authentisch. Sie versuchen in ihren Gesprächen über die eigenen Filme die Realität nach Kräften zu beugen, Begriffe bis zur Inhaltlosigkeit zu dekonstruieren und etwas zu verkaufen, was einfach nicht der Fall ist. Sie können hier mit Begriffen operieren, wie Sie wollen: Die Damen waren einfach keine Prostituierten in diesen Wohnwagen. Und der Film heißt LOVEMOBIL. Egal, wie viele Begriffe aus dem Dokfilmseminar sie gebraucht – FAKE! Selbst eine routinierte Lebenslügnerin wie Lehrenkrauss wird von den Auswirkungen derartiger Ungereimtheiten heimgesucht.
»Naja, ich habe das, was ich inszeniert habe, wirklich so erlebt – nur mit anderen Protagonist/innen, um mich vor mir selbst zu rechtfertigen. Das fühlte sich alles richtig schlecht an. Ich habe es dann aber durchgezogen, weil ich es irgendwie nicht mehr sagen konnte. Ich hätte so gern diese spannenden Diskussionen geführt.«
Wäre ihre Realität so authentisch wie sie es vorgibt, wäre ihr Handeln so zu rechtfertigen, wie Sie es mit ihr versuchen, dann würde sie sich nicht schlecht fühlen. Würde der NDR sich nicht ärgern. Würde der Preis nicht zurückgegeben werden. Denn selbst alle Filmschaffenden ahnen es: Außerhalb des Dokumentarfilmhörsaales ist dies kein Dokumentarfilm. Der „gewöhnliche“ Zuschauer weiß das auch ohne Filmstudium.
Dann versuchen Sie, Dokumentarfilm und Direct Cinema zu trennen und gegeneinander auszuspielen, obwohl scheinbar der überwältigende Teil der Menschen diese von Ihnen herbeigeredete Rezeptionshaltung einfach nicht einnimmt. Die tatsächliche Rezeptionshaltung versuchen Sie dann zu problematisieren:
Ein Problem des Films ist natürlich die Art, wie er gesehen wird. Also die dokumentarische Lesart, die Perspektive der Zuschauenden auf den Film.
Auch wenn von Euphemismen wie „dokumentarische Form“, „künstlerischer Film“, „Hybrid“ etc. Gebrauch gemacht wird: Sie hat den Film den Zuschauern als Dokumentarfilm verkauft. Es ist von Ihnen total unauthentisch, dass Sie mit Lehrenkrauss gemeinsam im Klein-Klein der Herstellungsprozesse verloren gehen. Sie geht damit zum Dokumentarfilmpreis und anderen Foren und spricht über ihren Film als sei es ein Dokumentarfilm. Lügt dabei. Es ist total abstoßend wie Sie dieser verlogenen Selbsttherapie auch noch voyeuristisch und unkritisch beiwohnen. Das einzig Interessante im Gespräch mit Lehrenkrauss ist, wie sie darzustellen versucht, dass es keine Genrefestlegung gab. Genau so kenne ich die postfaktischen Dokumentarfilmer, stets um jede Festlegung verlegen. Dass sie sich schlecht fühlt zeigt: Es gab diese vermeintlich stille Übereinkunft, die von Frau Lehrenkrauss und Ihnen nach Kräften geleugnet wird, etwa in einem Gespräch, oder einem rechtlich nicht verbindlichen Dokument. Im Moment der Rückgabe des Preises. Im Moment ihrer Denominierung. Nur die postfaktischen Dokumentarfilmer wollen diese Übereinkunft einfach übersehen.
Als Hinweis sei noch gesagt: mit 50.000 € dreht man bei den Öffentlich-Rechtlichen keinen szenischen Film von 50 Minuten, es sei denn, man ist Student und arbeitet völlig unentgeltlich. Aber selbst dann hat die Filmhochschule einen Vertrag mit der Sendeanstalt und nicht man selbst als Student. Es ist also ziemlich transparent, worauf man sich als Filmemacher einlässt, insbesondere dann, wenn es um die Unterscheidung zwischen szenischen und dokumentarischen Filmen geht. 50-minütige szenische Filme gibt es übrigens fast nur im „serial drama“. Auch hier sind die Ausnahmen Studentenfilme. In allen Vertragsdokumenten ist aber von einem einzigen Film die Rede, der – aufgepasst – auf dem Dokumentarfilmsendeplatz laufen soll. Die Rechtfertigung von Lehrenkrauss – unterirdisch, postfaktisch at it’s best! Dies macht noch mal deutlich, wie unfassbar unangebracht Ihre Kritik an der dokumentarischen Rezeptionshaltung im Falle von Lovemobil ist. Der Zuschauer ist da viel weiter als Sie und Lehrenkrauss. Aber wenn man stets alles daran setzt, die formalen Rahmenbedingungen zurechtzuschminken, um eine Fake-Doku zu verteidigen, redet man sich da eben gerne Vieles ein. Beim szenischen Film der Öffentlich-Rechtlichen übernimmt man nicht auch noch als Regisseur mal eben so das Produktionsdepartment. Beim szenischen Film gibt es mindestens einen Tonmenschen, eher mehrere, das kann ich Ihnen als Filmtonmensch einfach mal so sagen. Ansonsten: Make Up, Kostüm … Jede Menge Volk am Set. Eine andere Filmkultur eben. Besteht der Stab des öffentlich-rechtlichen Films am Set aus zwei Leuten, handelt es sich aller Voraussicht nach nicht um einen szenischen Film. Und bekommt dieser vermeintlich szenische Film einen Dokumentarfilmpreis … bitte, bitte, verkaufen Sie uns nicht für blöd!
Ich weiß nicht woher Sie die Kraft nehmen, all dies zu übersehen und ein derart unkritisches Interview zu veröffentlichen. Der deutschsprachige Zuschauer kann einem vor dem Hintergrund einer solchen Filmberichterstattung nur leid tun. Ich schreibe eigentlich keine Leserbriefe und wurde nur durch zeit.de auf Ihr Portal verlinkt. Ich will auch nicht die Menschen hinter Ihrem Online-Portal angreifen, aber für gelungene Interviews dieser Art braucht man journalistisches Fingerspitzengefühl oder filmische Expertise. Ich wurde auch nach mehrmaligem Lesen Ihres Beitrages diesbezüglich nicht fündig.
Viele Grüße
Tausch
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Per E-Mail am 6. April 2021
(…) Letztendlich ist es jetzt genau die angesprochene „Direct Cinema Polizei“, die aufschreit und dabei z.B. von „post-faktischen Filmemachern“ redet, was ich sowieso für eine gefährliche Verquickung von nicht zueinander gehörenden Kategorien halte, aber egal. Ebenso der wiederholte Verweis in der Debatte auf Wodka Factory, der einzig und allein von einer erschreckenden Unkenntnis der polnischen Dokumentarfilmschule zeugt. Also, man könnte viel dazu sagen – aber will man das Ganze noch mehr anheizen? Ich würde eher nichts darauf erwidern wollen, wie ich mich auch in der ganzen Debatte bisher streng zurückgehalten habe aus o.g. Gründen. Ich verstehe auch die ganze Heftigkeit nicht und die Art, wie sie auf einer persönlichen Ebene ausgetragen wird.
Ob Ihr den offenen Brief veröffentlicht, ist Eure Entscheidung als Redaktion. Ich könnte auch gut damit leben, da ich mich von dieser Fraktion nicht angesprochen fühle. Dass Ihr mich bzw. uns dazu konsultiert, empfinde ich als sehr anständig und kollegial – etwas, das man dieser Tage oft vermisst.
Was den Vorwurf fehlender Distanz betrifft, so ist das natürlich richtig beobachtet: Wir sprechen nicht aus der Distanz. Darüber haben Ludwig und ich uns vorher abgesprochen und ganz bewusst entschieden, kein klassisches journalistisches Interview – obwohl es natürlich um die Offenlegung von Fakten ging – zu führen, sondern ein Gespräch unter Filmschaffenden. Dies erschien uns ehrlicher. Auch, dass wir unsere Position – ganz bewusst! – sparsam, aber deutlich kenntlich machen. Deshalb habe ich darauf hingewiesen, dass ich »als Filmemacherin und Kuratorin« spreche. Dass dies und meine Haltung zur Causa nun wiederum Leuten missfällt, ist ebenso legitim und für mich nicht problematisch. Wobei ich natürlich sehe, dass Ihr Euch als Redaktion dazu verhalten müsst. Ihr dürft meine hier geäußerte Position dazu gern zitieren.