Performativer Widerspruch |
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Die Tücken der doppelten Codierung | ||
(Foto: #allesdichtmachen / artechock) |
Von Dunja Bialas
»Gegen unsere polemologische Inkompetenz, die Unfähigkeit zu streiten, brauchen wir dringend Streitkompetenz. Das Aushalten von Widerspruch, von Widersprüchen.« (Rüdiger Suchsland)
Diese Worte meines Kollegen Rüdiger Suchsland habe ich letzte Woche zu später Stunde bei vorgerücktem Redaktionsschluss auf »artechock« gesetzt. Leider zu spät, um seinem Wunsch nachzukommen. Denn so manches, was er letzte Woche für »artechock« schrieb, fordert meinen Widerspruch heraus, und dem gebe ich, derart aufgefordert, jetzt gerne nach.
Ich widerspreche dabei als Autorin, nicht als Redakteurin von »artechock«. Unser Filmmagazin hat von jeher keine »Redaktionsmeinung«, weil wir gerade auf das Plurale und Vielfältige setzen, was uns eine Meinungs- und Perspektivenvielfalt beschert, wenn wie jüngst bei Lovemobil ein Kaleidoskop entsteht, das von der tatsächlichen Komplexität der Angelegenheit zeugt.
Wenn allerdings diese Vielfalt ausfällt, weil sich nur eine Stimme zu einer Sache äußert, kann dies von außen als Redaktionsmeinung wahrgenommen werden. Es gibt sie aber nicht, die »Redaktionslinie«. Aber es gibt mein eigenes Unbehagen, das zwar nicht das Maß aller Dinge ist, aber doch mein Maß dafür, ab wann es wichtig wird zu widersprechen.
Corona ist in unserer aufgeheizten Wirklichkeit zu einem neuralgischen Punkt geworden, an dem sich die Geister scheiden und Freundschaften zerbrechen. Jetzt hat #allesdichtmachen durch seine inhärente Widersprüchlichkeit einen großen Medien-Coup ausgelöst und dabei Kritikerkollegen und Schauspielerfreunde in zwei unterschiedliche Lager gespalten.
Man kann von der Aktion halten, was man möchte. Das Anliegen scheint aber doch ziemlich klar zu sein: Es ging darum, aus Kunst- oder Künstlerperspektive (hier Schauspieler) zu kritisieren, dass seit über einem Jahr die Kunst übersehen wird, weil es vor allem darum gehe, die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen gesundheitlich, vielleicht auch noch wirtschaftlich, aber nicht psychologisch, gesamtgesellschaftlich oder individuell zu bewerten. Soweit, so gut. Gewählt für die Kritik wurde das Mittel der Satire. Diese riskiert immer, auch nach hinten loszugehen, da sie so schwierig zu beherrschen wie zu verstehen ist, weil sie als uneigentliches Sprechen stattfindet: Obwohl ich etwas sage, meine ich es nicht so. Prompt kam für #allesdichtmachen Beifall aus dem Lager der Corona-Leugner und der AfD, die in ihrem Parteiprogramm das Abschaffen der Corona-Masken fordert.
Nun kann hochgehalten werden, dass, nur weil der Beifall aus der falschen Ecke kommt, dies nicht automatisch heißt, dass auch das Argument falsch ist. Problematisch ist jedoch, dass die Aktion gar kein Argument formuliert hat, weil sie durchweg »uneigentlich« spricht. Ironisch werden die Corona-Maßnahmen kritisiert, was zum Einfallstor des Whataboutism wurde (»Was ist mit den Kranken und Verstorbenen, wo bleibt die Solidarität mit den Pflegekräften?«, #allemalneschichtmachen), der mit einem mehr als irritierenden Relativismus beantwortet wurde (»Wir können den Autoverkehr komplett einstellen, dann haben wir keine Verkehrstoten mehr. Wir könnten alle möglichen drakonischen Maßnahmen treffen, damit niemand mehr Krebs kriegt.«)
Hanns Zischler führte in seinem #allesdichtmachen-Video erhellend die Gefahr von Satire vor: Er distanziere sich ausdrücklich von dem, was er nun sagen werde, schickte er voran. Damit nahm er eine kluge Metaposition ein und führte nebenbei auch den grundlegenden performativen Widerspruch vor, in den man sich begibt, wenn man in uneigentlichen Worten spricht. Mit einem Disclaimer wollte sich Zischler auf der richtigen Seite wiegen und performte dies dann auch, indem er distanziert und schlecht die nachfolgenden Worte vom Blatt ablas.
Trotz so mancher, meist erst nachträglich erfolgten Verteidigungsrede konnten diejenigen, die sich zu #allesdichtmachen geäußert haben (Dietrich Brüggemann, Jan Josef Liefers) aber nicht ausräumen, dass im uneigentlichen Sprechen auch das eigentlich Gesagte gemeint war. Das ist auch ein inhärentes Problem der Negation: Es wird vor allem gehört, was verneint wird, aber nicht das kleine Wörtchen »nicht«. Und dieses fehlt noch dazu in der Ironie.
Entsprechend hoch kochten die Emotionen: von einem Rundfunkrat, der Berufsverbot forderte (aber gleich wieder zurücknahm) über angebliche Morddrohungen gegen Meret Becker (die revidiert wurden) bis hin zu Ulrich Matthes, der sich zuerst gegen, dann vor die Schauspieler stellte, jedoch niemals hinter sie. Und es gab viel Aufmerksamkeit, von ungewünscht bis gewünscht: vom Applaus aus AfD- und Corona-Leugner-Reihen, von der Springer-Presse bis hin zu Talkshowauftritten und Interviews mit Beteiligten der Aktion, in denen sich diese ausführlich erklären konnten. Recherchen des »Tagesspiegel« zogen Verbindungslinien in die Corona-Leugner-Szene (so ungefähr die Szene, die derzeit die größte gesellschaftliche Ächtung mit sich bringt), brachte aber auch einen Text von Harald Martenstein mit der These, die Akteure würden mundtot gemacht. Viel wurde geredet und geschrieben über die Aktion und die Missverständnisse, kaum aber ging es dabei um die Kultur und ihr Vergessensein während Corona. Was auch an den Aushängeschildern liegen mag, wie dem omnipräsenten »Tatort«-Professor Jan Josef Liefers.
Fazit der Aktion: Themaverfehlung.
Soweit meine Sichtweise auf #allesdichtmachen. In vielem gehe ich darin d’accord mit meinem Kollegen Rüdiger Suchsland, und ich teile auch zunächst die Sichtweise seines Textes. Genau genommen bis zu dem Moment, wo er von einem »zunehmend enger werdenden Meinungskorridor« spricht und von »nibelungengetreuem Kadavergehorsam«. »Was in der Bundesrepublik fehlt, in der Kultur wie in der Politik, ist der Streit. Wir leiden unter einem krankhaften Harmoniebedürfnis, und einer Unfähigkeit zu streiten«, schreibt er weiter.
Ich gewinne zunehmend den Eindruck, dass »Streit« von Rüdiger Suchsland vor allem als Einbahnstraße definiert wird. Nur wer einer allgemeinen Meinung – die so allgemein gar nicht ist – widerspricht, soll das tun, nur dann ist »Streit«. Wenn aber wiederum diesem Widerspruch widersprochen wird, setze die Streitkultur aus. »Diktatur« sei die Folge und »Pluralitätsverachtung«. Große Worte leider, für eine Gesellschaft, die das Plurale hochhält, in der es die unterschiedlichsten Foren gibt, und im »Tagesspiegel« neben einem Text, der Verbindungen von #allesdichtmachen zur Querdenken-Szene aufzeigt, eben auch einen Text, der davon spricht, dass den Akteuren »Mäuler gestopft werden«.
Die von Rüdiger Suchsland hochgehaltene Polemik (»Plädoyer für eine polemologische Kompetenz«) lässt ihn zu folgender Polemik hinreißen: »[Wir brauchen] die Akzeptanz, dass sich die meisten Menschen nicht dafür interessieren, diskursive Moral-Fleißbienchen zu sammen, indem sie immer nur das Mantra wiederholen: Wir müssen Leben retten.« Er tappt in die Falle, die sich schon #allesdichtmachen gestellt hatte: Das Anliegen wird auf der Inhaltsebene unsichtbar, weil nebenbei einmal kurz die Corona-Maßnahmen verhöhnt werden – anstatt bei der Sache zu bleiben. Weiter geht es mit der Polemik, wenn Rüdiger Suchsland von »Gestapo-Methoden und die von Neonazis aufgestellten Feindeslisten« mit Blick auf »Lockdown-Hardliner« Cornelius Roemer spricht, der schwarze Listen für die #allesdichtmachen-Akteure fordert. Erinnerungen an die McCarthy-Ära wären vielleicht passender gewesen, wenn man schon einen Vergleich ziehen will. Leider aber ruft Rüdiger Suchsland stattdessen semantisch komplementäre Verfolgten-Verfolger-Bilder auf den Plan, wie es eine Kasseler Querdenkerin getan hat, als sie sich als Sophie Scholl wähnte.
Abschließend schickt Rüdiger Suchsland in seinen Text auch noch viel Emotion hinein. »Wehret den Anfängen«, »unsere Medien« müssen »die eigenen Uniformen zerreißen«, schreibt er. Welche Uniformen könnten das wohl sein? Die der Medien als Gesinnungs-Soldaten oder doch lieber die der Medien als Gestapo-Wasserträger?
Bei Rüdiger Suchsland findet die Polemik in Wortfeldern statt, die verhindert, dass man in der Sache, die ja im Prinzip gute Beobachtungen enthält, noch mitgehen will. Ich stelle in seiner Semantik einen performativen Widerspruch fest, ähnlich wie bei #allesdichtmachen. Einen inhärenten Widerspruch, der Glatteis produziert, auf dem man leicht ausrutschen kann. Und ohne kompetent zu polemisieren, wie es der Autor selbst fordert, weil er nur die eine Seite der Diskussions-Wahrheit sehen will. So geht Streitkultur wohl nicht.