Period Pictures und Post-Punk |
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Aus dem Dunkel ans Licht: Alina Şerban arbeitet die rumänische Geschichte auf (Der Freibrief) | ||
(Foto: Rumänisches Filmfestival / Alina Şerban) |
Von Dunja Bialas
Ein Kammerspiel auf weiter Steppe. Die Akteure: eine Braut ohne Bräutigam, ein Priester, ein Lehrerpaar, ein paar Kinder, Mütter, Väter, eine Katze – ein kleiner Mikrokosmos. Sie stehen stellvertretend für 40.000 Menschen, die in der stalinistischen Ära Rumäniens in den 1950er Jahren auf Veranlassung von Gheorghiu-Dej mitten ins Nirgendwo deportiert wurden. Sich selbst überlassen, sollten sie den unfruchtbaren Boden urbar machen und eine neue Siedlung aufbauen, so der Plan der »Säuberung«. Betroffen waren vor allem die Menschen des Banats, einer Region an der Grenze zu Titos Jugoslawien. Sie galt als Sicherheitsrisiko, ihre Bewohner als Dissidenten und Klassenfeinde. In der Steppe sollte die Not sie umerziehen, in einem Straflager ohne Zäune, denn die brauchte es in der großen Steppe nicht.
Und was . . . ist Freiheit? (Si atunci, ce e libertatea?) (2020) heißt der Film, der in entsättigter Farbe von den Ereignissen zwischen 1951 und 1956, dem Ende der Deportationen, erzählt. Er eröffnet das Rumänische Filmfestival, das jetzt unter dem Stichwort »Reloaded« die hybride Neuauflage des bereits für letzten November geplanten Festivals wagt. Festivalleiterin Brigitte Drodtloff und der federführende Kurator Klaus Volkmer mussten das Programm drastisch reduzieren, auf nur eine Vorführung im Kino (das Filmmuseum München hat seit dem 8.6. wieder geöffnet!) und Vorführungen im digitalen Kinosaal, mit dem das Filmmuseum während der Schließungszeit Kontakt zum Publikum gehalten hat.
Dennoch sind immerhin sieben Filme im Programm – eine ganze Menge für den Stream, der nur vom 17. bis 20. Juni geöffnet ist. Rausgefallen ist der bahnbrechende, jedoch formal auch sehr herausfordernde Malmkrog (2020) von Cristi Puiu, der mittlerweile auf Mubi seine das Kino überspringende Direct-to-Consumer-Auswertung gefunden hat. Der dreistündige Malmkrog spielt im Fin de siècle des 19. Jahrhunderts, an einem Ort im rumänischen Siebenbürgen, den eine ungarische Adelsfamilie geprägt hat. Eine großbürgerliche Tischgesellschaft diskutiert intensiv über Religion und Gott, Vorlage des Films war die düster gefärbte Theodizee des russischen Philosophen Wladimir Solowjow, und bis auf wenige Überraschungsmomente ist der Film ein strenges Kammerspiel, bei dem der Dialog stets die Oberhand behält. Malmkrog ist ein meisterlicher Film in der Tradition von Carl Theodor Dreyer oder Marguerite Duras.
Am kommenden Freitag aber kann sich nun im Cinemascope-Format ein anderer Historienfilm über die große Leinwand des Filmmuseum München ausbreiten – was nach der halbjährigen Shutdown-Laptop-Erfahrung cineastische Überwältigung verspricht.
Andrei Zincăs Und was . . . ist Freiheit? nach dem Roman der Regimekritikerin Ana Blandiana führt in die Weite der Bărăgan-Steppe, die in den 50er Jahren als rumänisches Sibirien galt. Der Film zeigt den stillen Überlebenskampf der Deportierten, mit gruppendynamischen Zersetzungen und dem starken Zusammenhalt, den es braucht, um gemeinsam zu überleben. Kann man im Nichts die Freiheit finden? Aus dieser bejahten Frage ziehen die Protagonisten ihre Autarkie, um mitten in der Steppe eine Insel des Widerstands zu bilden. Erst wenn es keinen Mut mehr braucht, frei zu sein, ist der Zustand der Freiheit erreicht, schreibt Ana Blandiana. Der Regisseur Andrei Zincă ging 1982 ins Exil, zunächst nach Lateinamerika, dann in die USA, wo er für einen Latino-TV-Sender arbeitete. Erst seit 2006 ist er zurück in Rumänien, und sein dritter rumänischer Film ist ein filmisches Statement über den Verlust von Heimat und gegen den staatspolitischen Terror, der die Menschen vertreibt.
Ein weiteres sehenswertes Period-Picture ist ein Kurzfilm, den der Stream bereithält. Bilet de iertare (Der Freibrief) reist in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. In Rumänien versklavten damals die Bojaren-Adeligen die »Tsiganen«. Eine Roma-Sklavin bittet, ihren Sohn freizulassen, was von der Dienst-Herrin verhindert wird, die ihn sich als eine Art Ersatz-Ehemann wünscht. In dem stilsicher und mit ruhiger Hand inszenierten Regiedebüt der Schauspielerin Alina Şerban spielt die junge Roma selbst die Hauptrolle – und arbeitet an einem weiteren dunklen Kapitel der rumänischen Geschichte; ein Langfilm ist geplant.
Ins Rumänien der Gegenwart taucht Ruxandra Ghițescu, Absolventin der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, in ihrem Spielfilmdebüt Otto Barbarul ein. Es reiht sich in die Filme, die mit großer Lust von dysfunktionalen Familien erzählen, langsam das Seziermesser in den heimischen Wohnzimmern ansetzen, um genüsslich die tiefere Verlogenheit des familiären Gefüges freizulegen. Im Zentrum steht der jugendliche Punker Otto. Seine Freundin hat sich umgebracht, nun suchen seine Mitmenschen nach Gründen und immer noch schwelenden Gefahren für ihren Freitod. Vergeblich redet der Vater auf Otto ein, eindringlich löchern ihn Sozialarbeiter mit ihren psychogrammatischen Inquisitionen. Otto Barbarul zeigt die große Kunst des rumänischen Kinos, kleine Geschichten mit großer emotionaler Intensität zu erzählen. Der Film ist unaufgeregt in seinen stilistischen Mitteln – lange Einstellungen, eine nur durch Punkmusik unterbrochene Stille und hilflos-verzweifelte Dialoge zwischen den Familienmitgliedern geben der dokumentarischen Erzählweise großen filmischen Raum.
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Eröffnung im Filmmuseum München: 11. Juni 2021, 19 Uhr, Karten nur an der Kinokasse
Online-Programm (freier Zugang): 17. bis 20. Juni 2021
Zum Streamingkanal des Filmmuseums
Weitere Filme im Streamingkanal:
Cardinalul (Der Kardinal) | Rumänien 2020 | R: Nicolae Mărgineanu
Cărturan | Rumänien 2020 | R: Liviu Săndulescu
Heidi – Fetița munților (Heidi – Das Mädchen aus den Bergen) | Rumänien 2020 | R: Cătălin Mitu-lescu
Dragă Moş Crăciun (Lieber Weihnachtsmann) | Rumänien 2018 |
R+B: Bogdan Ilieșiu