78. Filmfestspiele von Venedig 2021
In Geisterhäusern |
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Why should we care? – Pablo Larrains »Spencer« | ||
(Foto: BIENNALE CINEMA 2021 Press Service) |
»And he saw the vaporetto with Laura and the two sisters steaming down the Grand Canal, not today, not tomorrow, but the day after that, and he knew why they were together and for what sad purpose they had come. The creature was gibbering in its corner. The hammering and the voices and the barking dog grew fainter, and, 'Oh God,'he thought, 'what a bloody silly way to die...'«
- Daphne du Maurier, »Don’t look now«»Weil hier das Reale nur um Weniges zugedeckt bleibt, oder verändert scheint, wird der Betrachter immer zum Voyeur, der ein Rätsel lösen will.«
- Karl Heinz Bohrer (1932-2021)
»I have absolutely no idea, where I am.« – als sich die Princess of Wales mit ihrem grünmetallic Porsche 911 auf einer englischen Landstraße verirrt, ist dies der erste Satz des Films. So kann es in diesem Film auch den Zuschauern gehen.
Sind wir in einer Puppenstube? In einem Geisterhaus? In einer Netflix-Serie? Indizien gibt es für alle drei Varianten. Man wird das Gefühl nicht los, Pablo Larrain hätte wohl sehr gerne The Crown inszeniert. Weil man ihn nicht ließ, gibt es diesen Film. Genauso sehr hat Larrain wohl früher gern mit Barbie-Puppen gespielt: Andauernd neue Kostüme. Gelb von Chanel, Rot von Dior, minzgrün von einem namenlosen Londoner Designer, der seit 1783 das Königshaus beliefert. Im Gegensatz zu Barbie hat Diana Ankleidedamen, die nebenbei dafür sorgen, dass die Vorhänge zugezogen
bleiben und den täglichen Seelenzustand von Her Royal Highness dem Sicheheitschef melden.
Der Darsteller des Sicherheitschefs ist Timothy Spall, den man aus so ziemlich jedem Mike-Leigh-Film kennt, und den ich nicht nur überschätzt finde, sondern einfach nicht mehr sehen kann. Der taucht im Film immer dann auf, wenn Diana mal einen kurzen ruhigen oder entspannten Moment hat, und redet ihr recht unsanft ins Gewissen:
Und dann fallen noch so bescheuerte Sätze wie sie sich auch schon in den 50er Jahren in den »Sissi«-Filmen finden: »No one is above the tradition.«
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Die ersten 30 Minuten in diesem Film sieht man nur sie, Diana, und das Personal, und ihre Kinder. Die Royal Family sieht man nicht und nach diesen 30 Minuten – ich habe auf die Uhr geschaut – sieht man sie dann erstmal nur verschwommen aus dem Hintergrund.
Sandringham, drei Tage an Weihnachten 1990/91. Fünf Hunde kommen im Rolls-Royce mit einem HGM Nummernschild und die Queen selbst fährt im Taxi voraus. Familienterror, Spießrutenlauf, Tortur.
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Ansonsten? Ein rotes Barbour-Jacket. Und Kristen Stewart. Nichts anderes. Aber Kristen Stewart lohnt sich immer. Stewart spielt die Rolle der Diana Spencer als Karikatur: Ob das Augenklimpern, der leicht schief geneigte Kopf, die hochgezogenen Schultern. Alles Manierismen, Äußerlichkeit. Das funktioniert zwar spontan, verstärkt aber den Eindruck des Über-Künstlichen, den der Film sowieso erzeugt.
Man sieht dann irgendwann, wie sie in Kostüm und Stöckelschuhen über einen Acker geht, ein verzogenes Kind, das sich nicht anpassen will; das keineswegs sie selbst ist, denn sie weiß gar nicht, was sie ist. Dazu Katzenmusik mit bedrohlichem Unterton.
Lange Gänge, lange Wege, vermutlich soll Mitleid mit ihr haben, es kurios finden, oder schlimm – keine Ahnung. Der Film macht viel zu viele Mätzchen. Das kann doch nicht der Regisseur von Ema sein! Erst das und jetzt so ein gediegener Quatsch.
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In den Vordergrund drängt sich schon während des Films immer wieder die Frage, die sich auch schon im August 1997 gestellt hat: Why should we care?
Vielleicht müssen uns diese Royals nicht wirklich bekümmern. Vielleicht ist das übergroße Interesse für sie nur ein Indiz für eine soziokulturelle oder sozialpsychologische Störung.
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»Parallele Mütter« heißt übersetzt der neue Film von Pedro Almodóvar. Doch die Story, die sich um zwei Frauen dreht, die irgendwann entdecken, dass ihre Kinder bei der Geburt vertauscht wurden, und über dieses Schicksal sogar zum Liebespaar werden, ist nur das melodramatische Zentrum eines Films, der einerseits »typisch Almodovar« ist – mit schrillen Typen, hölzernen Dialogen, kunterbunten Kulissen und bewusster Künstlichkeit »over the top« – aber eben doch einen anderen Ton anschlägt. Hintergrund und emotionales Herz des Films ist nämlich die Rahmenhandlung, die sich um den Spanischen Bürgerkrieg 1936-39 dreht, eine Vergangenheit, die in Spanien nicht vergehen will. Denn das Land streitet gerade darum, ob man dem Schicksal der über 100.000 nachforschen soll, die seinerzeit von Francos Faschisten verschleppt, ermordet und oft genug in Massengräbern unter irgendwelchen Wiesen und Äckern namenlos verscharrt wurden. Bis heute kennt man viele dieser Massakerorte und Grabstätten nicht – Penelope Cruz spielt nun die Enkeltochter eines solchen Verschwundenen, die Aufklärung will.
Im Dialog heißt es dann irgendwann von der älteren zur jüngeren der zwei Frauen: »Jetzt weißt du mal, in was für einem Scheiß-Land du lebst, was für Geschichten da alle versteckt worden sind. Die Geschichte wird nie enden, wenn die Wahrheit nicht zutage kommt, wenn die Toten nicht anständig beerdigt werden, wenn die Verbrechen nicht ausgesprochen werden.«
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Penelope Cruz spielt übrigens eine bekannte Fotografin, die sich in der Modewelt bewegt. In einem weiteren Film dieser Tage wird sie eine Filmregisseurin spielen.
Nebenbei bemerkt, frage ich mich, warum sich dunkelhaarige Frauen im fortgeschrittenen Alter die Haare, wenn sie denn gefärbt werden müssen, nicht dunkel färben, sondern blond. So auch Cruz, im Film jedenfalls.
Da trägt sie auch T-Shirts mit Aufschriften wie »we should all be feminist«.
Alles ist ein bisschen zu löchrig erzählt, ein bisschen schlampig, als ob Almodovar die Geduld verliert, und es langsam nicht mehr nötig hat, sich Mühe zu geben. Aber gleichzeitig schon gut.
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Auch 2021 fehlt es trotz spanischer Eröffnung am Lido keineswegs an Hollywoodglanz und Americana-Stoffen.
Die Australierin Jane Campion präsentierte »The Power of the Dog«, einen für diese bekannte Feministin überraschenden Film: Denn es handelt sich um einen Western, der in den frühen 20er Jahren angesiedelt ist, allerdings weit weg von den Roaring Twenties und der Welt des Großen Gatsby.
Es gibt noch Cowboys und schon Autos – ein bisschen eine ähnliche Welt, wie in All the Pretty Horses.
Ich-Erzähler ist ein junger Mann, Peter, der Sohn der von Kirsten Dunst gespielten Frau in einer Männerwelt. Ihr Mann hat sich umgebracht, der halbwüchsige Sohn ist in sich zurückgezogen, ein Nerd, ein Schwächling, einer der hier nicht reinpasst. Er ist der Ich-Erzähler dieser Geschichte. Und eigentlich könnten schon die ersten Sätze verraten, was hier passieren wird, denn Peter sagt, dass er seine Mutter jetzt beschützen müsse.
Zunächst aber geht es um etwas ganz anderes: Zwei ungleiche Brüder – gespielt von Benedict Cumberbatch und Jesse Plemons – betreiben zusammen eine reiche Rinderfarm. Die Brüder Philip und George sprechen über sich selber halb im Scherz, halb im Suff als Romulus und Remus. Und reden von dem »Wolf, der uns erzog.«
Eine Vivisektion von Männlichkeit. Und eine Sozialstudie des Middle-West-Amerika, der reichen Farmer und ihrer armen Lakaien.
Familie ist auch hier wieder ein Terrorzusammenhang – so schön und großzügig und Bonanza-haft dieses riesige Holzhaus mit seinen langgezogenen Treppen aussieht – jeder hier in diesem Geisterhaus trägt einen tiefen Schmerz im Herzen und jeder
hat seine Geheimkammern um überleben zu können.
Als der eine Bruder, George die einsame Witwe Rose (Kirsten Dunst) heiratet, kann der andere, Philip, Zorn, Neid und seine verkappte Homosexualität immer weniger zügeln – so entspinnt sich ein episches Drama voller Destruktivität, bei dem allein die herrlichen Landschaftsbilder Montanas für ungebrochene Schönheit sorgen.
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Nicht weniger destruktiv wird es beim alten New-Hollywood-Helden Paul Schrader. In seinem neuen Film »The Card Counter« hat er sich einen professionellen Spieler vorgenommen, der überaus diszipliniert, wie eine Art Mönch des Gamblings, zu einem Star der »Poker«- und »Blackjack«-Welt aufsteigt. Bis zu dem Tag, an dem er von den Verbrechen des US-Foltercamps Abu-Ghraib eingeholt wird, wo auch er sich einst zu schwersten Verbrechen zwingen ließ... »The Card Counter« ist eine Nachtreise ins Verdrängte des »American Dream«, in ein Land das als Ganzes ein Horrorkabinett geworden ist: »Nichts kann rechtfertigen, was wir getan haben« ist nur der deutlichste vieler klarer Sätze der Hauptfigur in einem Film von großer politischer Sprengkraft.
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Das rote Babour-Jacket im »Spencer«-Film hat mich noch an etwas anderes erinnert, zunächst unbewusst, dann langsam dämmerte es mir: Der mörderische Zwerg in Nicholas Roegs in Venedig spielendem Wenn die Gondeln Trauer tragen trägt eine Jacke im gleichen Rot.