Diese zarte Zerbrechlichkeit der Welt |
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Flowers Blooming in Our Throats: Bild im Bild während der Shutdown-Zeit | ||
(Foto: privat / Eva Giolo) |
Von Dunja Bialas
Der Tag, an dem mir die Idee kam, »Fragilität« zum großen Thema von UNDERDOX zu machen, war wieder so ein Tag. Schon wieder konnten wir einen Film nicht programmieren, weil andere, größere Festivals die Deutschlandpremiere verlangen und wir deshalb den Film nicht spielen können. Ganz normale Festivalpolitik eigentlich. Sehr zu begrüßen ist, dass das, was wir vor 16 Jahren mal den »underdoxigen« Film getauft haben, also Grenzgänger, die sich zwischen Dokumentarfilm, Experimentalfilm, Spielfilm oder Kunstfilm positionieren, in keine Schublade passen und deshalb auch keine Zielgruppe anvisieren, jetzt auch von anderen deutschen Festivals gezeigt werden. Das ist eine der Erfolgsstories, die UNDERDOX erzählen kann: Wir haben die Pionierarbeit gemacht.
Ermüdend war der plötzliche Konkurrenzkampf an jenem Sommertag dennoch. In Anbetracht des Budgets, das uns für eine Woche Programm zur Verfügung steht (die Summe wird nicht mehr verraten), erschien der Bestand dieses aus der Liebe zum Extravaganten entstandenen Festivals plötzlich auf äußerst dünnem Eis. Fragil.
Die Fragilität ist im Grunde genommen die eigentliche Poetik unserer Festivalarbeit. Weil uns das eine nicht umhaut, kommen wir auf andere Ideen. So haben wir uns dieses Jahr gegen ein Kurzfilm-Programm entschieden und zeigen stattdessen mittellange, von uns »Long Shorts« genannte Filme. Das ergibt jetzt vier Abende, wo sich unter den Titeln »Mavericks«, »Analoge Paradiese«, »Dark Matters« und »Brex it!« überaus sinnliche Filme wie DARK MATTER des russisch-deutschen Experimentalfilmers Viktor Brim, MENSCH HORST über einen einsamen Plattenbaubewohner in Brandenburg oder etwa der den Atem anhaltende FLOWERS BLOOMING IN OUR THROATS der italienischen Künstlerin Eva Giolo zu sehen sind. Letzterer ist übrigens ein »Corona-Film«, vermutlich das meist gemiedene Genre der Festivals, wo man gerne betont, dass kaum ein Film mit Corona zu tun hat.
Die großen Titel und Meister findet man auch dieses Jahr bei UNDERDOX: Frederick Wiseman mit City Hall, Norbert Pfaffenbichler mit dem Gore-Schocker 2551.01: The Kid oder Denis Côtés Sozialhygiene. Überall fiel uns die Fragilität auf. Weil wir sie heineininterpretierten?
»Gewissheiten sind unsicher geworden, der Zusammenhalt steht auf dem Spiel. Tastend sucht die Gesellschaft – die privaten Bereiche, die Kultur, die Wirtschaft und insgesamt das öffentliche Leben – nach neuen Formen und Inhalten des Zusammenseins. Auch der Wandel – Abschied, Aufbruch und Neustart – bedeutet Fragilität.
Diese gesellschaftliche Fragilität manifestiert sich in tastenden und fragenden Werken, denen der Gestus der Behauptung fern liegt.
Die Filme von UNDERDOX zelebrieren offene Formen, viele Perspektiven und ästhetische Verschiedenheit, brechen mit Seh- und Rezeptionsgewohnheiten und tragen dazu bei, dass sich die Parameter verschieben«, so formuliere ich es für die Presse.
Heinz Emigholz, den ich an anderer Stelle gegen James Bond in die Waagschale werfe, zeigt seinen neuen Film The Lobby als Deutschlandpremiere. Wieder ist sein Alter Ego – dargestellt von Emigholz’ Stammschauspieler John Erdman – in einer emotionalen und kognitiven Krise. In verschobenen, verrückten Einstellungen – Spleen und Markenzeichen von Emigholz’ Architekturfilmen – sieht man ihn in verschiedenen Lobbys in Buenos Aires sitzen und von seinen inneren Nöten reden. Die Psyche als Zwischenzustand – und kein Selbstoptimierer weit und breit.
Außer dem Klima erscheint uns dieser Tage kaum etwas so fragil wie die geopolitische Lage. Erschüttert haben uns während der Vorbereitungen des Festivals die Ereignisse in Afghanistan. Uns hat damit eine Edition von vor fast zehn Jahren wieder eingeholt, als wir Far From Afghanistan zeigten, der nach dem Vorbild des Kollektivfilms Loin du Vietnam von Agnès Varda, Chris Marker, Jean-Luc Godard und anderen aus dem Inneren der Kriegsmaschine heraus entstanden war. Hier waren es die amerikanischen Independent-Regisseure John Gianvito (von ihm zeigen wir außerdem den aktuellen Her Socialist Smile über die erste amerikanische linksintellektuelle und taubblinde Aktivistin Helen Keller), Jon Jost, Minda Martin und Travis Wilkerson, große Namen, aber doch nur einem kleinen Kreis bekannt. Die Vorführung wird ein solidarisches Screening sein, die Eintritte werden an IRD (de.rescue.org) gespendet.
Eröffnen werden wir das Festival am heutigen Donnerstag mit Marta Popivodas Landscapes of Resistance über die serbische Partisanin Sofija Sonja Vujanović. Die Kamera hat Ivan Marković geführt, der sonst für Angela Schanelec Spiegelungen findet, die die Räume in kaleidoskopische Unendlichkeit führen. Seine Aufnahmen stehen bei Marta Popivoda in einem ungefähren Abbildungsverhältnis zum Erzählten, es sind oft die Schauplätze des Erinnerten, die er auf der Leinwand als Zeugen der Geschichte erzittern und leuchten lässt. Seine Kunst, Bilder aus dem Dunkeln zu schälen, lässt sich bei Isabell Heimerdingers SOON IT WILL BE DARK erfahren, in dem Long-Shorts-Programm »Dark Matters«.
Wieder in drei Spielstätten (Filmmuseum, Theatiner, Werkstattino) zu Gast, wagt UNDERDOX zum zweiten Mal, ein rein physisches Festival mit Filmen nur auf der Leinwand und Gästen im Kinosaal unter jetzt überholten, aber leider noch festgesetzten Corona-Bedingungen durchzuführen, wo andere Festivals sich schon längst darauf geeinigt haben, dass das Streamen das Mittel der Wahl und State of the art ist. Wir wissen einfach zu gut von der Wirkung des Kinosaals auf die Bilder. Die ist anders als alles andere: unumstößlich.
Die Autorin leitet zusammen mit Bernd Brehmer (Werkstattkino) das UNDERDOX Filmfestival.