Cinephiles for Future |
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»Dernière séance«, die letzte Vorstellung | ||
(Foto: Cartoon: Niko B. Urger) |
Von Dunja Bialas
»Keine Zeit zu sterben.« Der vielsagende James-Bond-Titel diente fast zwei Jahre lang als Versprechen dafür, dass es mit dem Kino noch nicht vorbei sei. Prompt folgte die »Resurrection«. »Kein Weg nach Hause« heißt jetzt der Titel, der auch nach Nicht-Corona-Maßstäben alle Besucher-Dimensionen sprengt. Eine Milliarde Dollar spielte Spider-Man: No Way Home in gerade mal zwei Wochen ein und hat sich damit jetzt schon Rang 30 der erfolgreichsten Filme aller Zeiten gesichert. Die Milliarden-Marke knackten bislang überhaupt nur 50 Filme. Die meisten von ihnen stecken in der Franchise-Perpetuierungsschleife fest, wie Star Wars, Pirates of the Caribean oder die Fantasy-auf-H-Trias Hobbit, Herr der Ringe, Harry Potter. Etliche Superhelden spielen in der Milliarden-Liga mit, wie Avengers, Iron Man, Captain America, Captain Marvel, sogar Aquaman. Dann gibt es die milliardenschweren Kind-im-Manne-Filme wie Furious 7, Transformers und Toy Story. Skyfall nimmt sich als James-Bond-Einzelfall ziemlich läppisch aus. Auf Rang drei thront die atavistische Liebesschnulze Titanic (1997), neben The Lion King (1994) und Jurassic Park (1993) einer der wenigen Titel des letzten Jahrtausends. Die Liste der erfolgreichsten Filme aller Zeiten führt unumstößlich Avatar mit 2,788 Milliarden Dollar Einspielergebnissen an.
Avatar, der 2009 herauskam, wurde zur Chiffre für die »neue« Zukunft des Kinos. Nicht nur die Einspielergebnisse und der globale Hype manövrierten das Kino in nie dagewesene Dimensionen, das digitale 3D-Format sollte die Blaupause für eine neue Ära des Kinos werden und war verantwortlich dafür, dass die analogen Projektoren aus den Vorführräumen im wahrsten Sinne rausgeworfen wurden. Cineasten zerstritten sich damals über der Frage, ob die Zukunft sogar für den Dokumentarfilm im 3D-Verfahren läge, es schien, als wäre die alchemistische Formel für das Gold gefunden worden, zumindest wurde viel Geld für die Majors gedruckt. Naja, wir wissen, wie die Geschichte weiterging: verblasster Mythos.
Aber auch ohne 3D liegt seit den 2010er Jahren im Franchise die Zukunft der Filmindustrie, die schnappatmend und mit Dollarzeichen in den Augen die immer gleichen Titel und narrativen Schemata umwälzt. Letzte Woche hat an dieser Stelle mein Kollege Rüdiger Suchsland deutlich gemacht, dass die Blockbuster-Industrie langsam, aber sicher durchdreht und sich selbst zum Erliegen bringt.
Irgendwie erinnert diese beschleunigte Entwicklung des Kinos, die immer steiler ansteigende Verkaufskurve und Gewinnmargen, trotz Corona oder Corona zum Trotz, an den derzeitigen Wirtschaftsboom, der vor allem die Tech-Firmen boostert. Christian Bräuer vom Branchenverband AG Kino Gilde warnte im Mai 2020 davor, dass nach der Pandemie das Kino ärmer, weniger vielfältig werden könnte, wie nach der Spanischen Grippe, als die Vielfalt von Hollywood versiegte und die großen Studios ausgebaut wurden.
Nicht aber das eine Kino sollte gegen das andere ausgespielt werden, nicht Avengers gegen Mad Max (der erstaunlicherweise nicht unter den erfolgreichsten 200 Filmen zu finden ist), und auch nicht Transformers gegen Titane. Nicht Blockbuster gegen Arthouse, eher noch Mainstream gegen Nische. Generell gilt: Die Cinephilie ist allumfassend. Deshalb hat auch Susan Sontag nur bedingt recht, wenn sie zum 100. Geburtstag des Kinos in »The Decayof Cinema« schreibt: »Im Zeitalter des hyperindustriellen Films spielt die Cinephilie keine Rolle mehr.«
Auch die Opposition Streamen vs. Kino ist ein großes Missverständnis. Viel zitiert sind Studien, die von cinephagen Alles-Gucker berichten, die sich zwischen zahlreichen Kinobesuchen auch noch zu Hause Filme und Serien reinziehen, all you can watch. Der Streaminganbieter Mubi bietet seit 2007 konsequenterweise nischige Festivalfilme und in London auch Kinobesuche im Abo an. Jetzt hat er ein gedrucktes »Notebook« herausgegeben, das nicht nur cinephil, sondern auch in hohem Maße bibliophil ist. »Cinema is the meeting place between a film and an audience. In this magical symbiosis lies the life of the art«, schreibt »Notebook«-Herausgeber Daniel Kasman im Vorwort. Es folgen Texte über »Cinemagoing« in Bangkok, über die Virtualität physischer Filmfestivals (und die Physik virtueller Festivals), über den Kinoraum als Ausstellungsort von Filmen, über das Vergessen von Filmen. Die Ausgabe Null ist mit »For the Cinema to Come« überschrieben, sie ist geprägt vom Verlust des Kinos durch den Corona-Shutdown; und so durchzieht eine eigenartige Wehmut die 140 haptischen Seiten.
»Sehr subjektive, meist persönliche Essays« stellen seit vier Ausgaben Filmstudierende der HFF München in der gleichfalls gedruckten REVÜ zusammen, die wir hier schon einmal vorgestellt haben. Sie wollen »über und mit Filmen« nachdenken, tun das sehr behutsam und, ja, achtsam quer durch die Filmgeschichte. Sie verbinden Filmvorführungen im Kino mit Lesungen und verstricken einen danach in Diskussionen, in denen kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Nicht nur das Lesen über Film ist mit REVÜ neu, auch das Sprechen darüber. Herausgeberin und Regie-Studentin Carlotta Wachotsch schreibt: »Wir müssen mutig sein, in Deutschland Film als Kunstform anzuerkennen und nicht nur mehrheitlich mit reiner Unterhaltung zu verbinden. Wir haben so viel Angst bekommen, dass das Medium im eigenen Wesen nicht stark genug ist, sich selbst zu erhalten. Cinephilie wird oft verklärt als ein Diskurs des 'Arthouse', doch deren Förderung ist die Lösung für den Erhalt eines ganzen Mediums und seiner Orte.«
An der Münchner LMU hat sich aus Studierenden die Gruppe »Cinephiles München« gebildet. Man verabredet sich zum Kino, tauscht sich über Filme aus, gleicht ab, was andere gesehen haben und wie sie es fanden. Einige von ihnen sind bei den Students for Future organisiert und haben für Dear Future Children auch eine Filmvorführung im Kino Neues Rottmann auf die Beine gestellt. »Um Mitgefühl für die Ansichten und Lebensweisen anderer Menschen zu erzeugen« eigne sich das Kino hervorragend, sagt Mitorganisator Alexander Fogus. Er zitiert den amerikanischen Filmkritiker Roger Ebert: »Movies are like a machine that generates empathy.« Auch für die Klimakrise sei das Kino ein wichtiger Ort, es könne die »katastrophalen Auswirkungen emotional greifbar machen.« Obwohl Adam McKay gerade am großen Klimakrisenkino gescheitert ist (siehe unsere Besprechung zu Don’t Look Up), sei das Kino grundsätzlich das geeignete Medium für Klimagerechtigkeit. Paula Ruppert, eine weitere Cinephile aus München, liebt das Kino für die Euphorie, die es auch bei den Fans der Blockbuster hervorzurufen vermag. »Das Kino kann dazu führen, dass man sich Filme anschaut, die man auf Plattformen umgehen würde, da man die eigene Komfortzone verlassen müsste«, schreibt sie außerdem in »Kino und Zukunft« und verteidigt das Kino gegen die ihr oft gestellte Frage, »warum man als junger Mensch heute noch ins Kino geht«.
Das »Notebook« von Mubi enthält auch einen Text darüber, Filme nicht zu sehen. Daher noch ein Gedankenspiel zum Abschluss. Stell dir vor, es ist Blockbuster, und keiner schaut hin. Ich persönlich habe nur drei der 50 erfolgreichsten Filme gesehen, und das unter teils obskuren Umständen: Titanic auf einem Jahrmarkt mit Curved Screen, was einem vorgaukeln sollte, »mittendrin« zu sein. Black Panther im kleinen Nichts-gegen-die-Museum-Lichtspiele-Kino. Von Skyfall kenne ich nur das Lied von Adele. Joker: habe ich gesehen und gefeiert. Kein Herr der Ringe, kein Hobbit, kein Harry Potter. Nein, auch alle anderen Filme nicht. Was kann ich denn dafür, dass Mad Max »nicht« erfolgreich war?