15.06.2000

Girls Interrupted

Filmplakat ROMANCE
Ein umstrittenes Plakat

Catherine Breillat über Romance

Diese Woche ist Woche der Frauen: Gleich drei Filme nehmen sich den durch­ge­knallten Killer-Frauen / den Nympho­ma­ninnen / dem irre­ge­wor­denen weib­li­chen Geschlecht an, die ganz anders sind als all diese gewohnten Haus­frauen-Weibchen mit Spitzen-BH und Blüm­chen­klei­dern, die uns sonst so vorge­führt werden. Sex, Hysterie und Gewalt, Irresein – das sind Formen von Flucht­ver­halten, die gerne Frauen zuge­schrieben werden, vor allem im Kino.

Das „Normale“ sucht man in Durch­ge­knallt (Girl, Inter­rupted), Office Killer und Romance vergebens. Doch was ist schon normal? Viel­leicht das Verhalten von Marie, der Haupt­figur in Romance von Catherine Breillat. Die 1947 geborene Regis­seurin ist in ihrer fran­zö­si­schen Heimat für ein sehr persön­li­ches Filmwerk bekannt. Sie schrieb verschie­dene Dreh­bücher und Romane und drehte seit 1976 sieben Spiel­filme, meist Portraits weib­li­cher Sexua­lität. Am Donnerstag startet Romance, ein anspruchs­voller, kompro­miß­loser Film über weibliche Sexua­lität. Wegen seiner frei­zü­gigen Szenen war Romance dem Vorwurf der Porno­gra­phie ausge­setzt – das Film­plakat (links) wurde z.B. in den USA verboten.
Mit Catherine Breillat sprach Rüdiger Suchsland

artechock: Wie kam es zu Romance?

Catherine Breillat: Mir ging es um einen Kommentar zu konven­tio­nellen Vorstel­lungen sexueller und emotio­naler Hingabe. Was der Haupt­figur von Romance passiert, ist ja nichts wirklich Unge­wöhn­li­ches. Vielmehr handelt es sich um Erfah­rungen, die wir alle machen: Ein Mann, den man liebt, will nicht mehr mit einem schlafen, eine Geburt, Unter­drü­ckung im Beruf, die eine sexuelle Kompo­nente hat, Liebes­af­fairen, in denen es nur um Sex geht, sado-maso­chis­ti­sche Erfah­rungen, eine Verge­wal­ti­gung...

artechock: Aber dies sind doch extreme Erfah­rungen?

Breillat: Ja, aber Erfah­rungen, die vielen Menschen bekannt sind, Alltags­si­tua­tionen. Die Übergänge zum Extrem sind ja nicht abrupt, sondern fließend. Fälle von Ohnmacht verschie­denster Art. Und um Ohnmacht handelt es sich nicht weniger, wenn es sich um Situa­tionen handelt, die man frei­willig erträgt.

artechock: Ist Ohnmacht die weibliche „condition humaine“?

Breillat: Ja, das scheint mir schon zuzu­treffen. Natürlich sind Frauen gesell­schaft­lich unter­drückt. Aber es geht in meinem Film nicht primär um den Geschlech­ter­kon­flikt. Es ist mir zwar oft vorge­worfen worden, ich würde Männer zu negativ zeigen. Aber meine Haupt­figur ist ja auch keine Heilige. In Wahrheit zeige ich Macht. Liebe ist vor allem eine Frage der Macht. Und ich wollte diesen Macht­be­zirk ausloten, auch über Tabus und jene unaus­ge­spro­chenen Macht­struk­turen zeigten, die wir alle verin­ner­licht haben. Romance über­schreitet die Grenzen des Selbst­ver­s­tänd­li­chen. Denn das ist ja auch immer das Bequeme.

artechock: Sie sind dafür gefeiert, aber auch stark atta­ckiert worden, auch von Frauen-Akti­vis­tinnen...

Breillat: Absolut lächer­lich! Sie als Mann begreifen viel­leicht besser, dass Romance ja überhaupt kein Film ist, der sich gegen Frauen richtet.

artechock: Nein, schon eher wird einem als Mann etwas mulmig. Es steckt so eine unter­grün­dige Aggres­si­vität in dem Film, wie ein lauerndes Ungeheuer, das jederzeit ausbre­chen könnte...

Breillat: Genau! Gut, dass sie es so empfinden. Was sie da spüren, ist die Gewalt der Verhält­nisse, eine Aggres­si­vität die eigent­lich auch unaus­weich­lich ist, die man nur lieber totschweigt.

artechock: Gibt es nicht auch Glück zwischen den Geschlech­tern, überhaupt den Menschen?

Breillat: Doch selbst­ver­s­tänd­lich. Nur lassen sich Glück und Gewalt nicht trennen, genau­so­wenig wie Norma­lität und Exzess, Romantik und Realismus. Es existiert immer beides zusammen. Sex ist sehr meta­phy­sisch. Denn in ihm zeigt sich genau diese Gleich­zei­tig­keit.

artechock: Ist Romance ein realis­ti­scher Film?

Breillat: Ja und nein. Realis­tisch wenn es um die Struk­turen geht. Aber natürlich ist es auch eine Abstrak­tion von der beob­acht­baren Wirk­lich­keit.

artechock: Man hat ihnen Porno­gra­phie vorge­worfen. Kann Porno Kunst sein?

Breillat: Nein. Porno­filme sind gar kein richtiges Kino. Und Romance ist ja auch kein Porno, sondern er zitiert Porno-Situa­tionen. Davon abgesehen: Wirklich obszön sind doch ganz andere Filme, welche, die das Publikum für dumm verkaufen. Arma­geddon zum Beispiel.