»Die Leidenschaft fürs Filmemachen war immer da« |
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Der Blick des Kritikers: Frédéric Jaeger | ||
(Foto: Sebastian Weindel) |
Was machen, wenn der langjährige Kritiker-Kollege die Seite der Leinwand wechselt und Filmemacher wird? Natürlich ein Interview! Frédéric Jaeger, Ex-Filmkritiker von critic.de, Ex-Programmer beim Filmfestival Mannheim-Heidelberg, hat jetzt zum Abschluss seines Filmstudiums an der Universität der Künste den Spielfilm All We Ever Wanted über eine Dreiecks- und Freundschaftsbeziehung realisiert, der auf Fuerteventura spielt und der kargen Landschaft viel Raum gibt. Jaegers Kurzfilme aus der Zeit seines Studiums waren in München bereits beim UNDERDOX Filmfestival zu sehen. Umso mehr freut es die Interviewende, gleichzeitig UNDERDOX-Leiterin, dass Jaeger jetzt in der Reihe »Neues Deutsches Kino« zusammen mit Irene von Alberti und Fabian Stumm gezeigt wird. Zur Offenlegung sei angemerkt: Das Interview ist die »Extended Version«, das die Autorin mit dem Filmemacher für die Pressemappe geführt hat. Geld ist dabei keines geflossen.
Das Gespräch führte Dunja Bialas
artechock: Deine Kurzfilme spielen alle in und um Berlin herum. Mit deinem Abschlussfilm All We Ever Wanted verlässt du dieses vertraute Setting und begibst dich in einen unbekannten Raum. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Frédéric Jaeger: Die Landschaft von Fuerteventura war für mich eine Entdeckung. Auf den ersten Blick eintönig und zersiedelt, aber faszinierend, da man auf sich selbst zurückgeworfen wird und schon bald anfängt, die Nuancen in den Grau- und Brauntönen wahrzunehmen. Die Vulkaninsel lädt dazu ein, sich in ihr zu verlieren und zu sehen, was man mit einem flüchtigen Blick nicht sehen kann. Da wusste ich, dass ich dort einen Film drehen will.
artechock: Die Landschaft ist dabei der stumme Protagonist, der entscheidend in die Konstellation der drei Figuren hineinfunkt.
Frédéric Jaeger: Das Setting ist für mich ein spielerisches Element. Einerseits erzählt es viel darüber, wo und wie sich Menschen zueinander verhalten. Andererseits kann es auch Beziehungen stören und eine Dynamik auslösen. Ausgangspunkt für den Film war die Frage, was es mit drei Menschen macht, wenn sie dieser unwirtlichen Landschaft ausgeliefert sind. Drei Deutsche – ein Paar und der beste Freund der Frau – reisen nach Fuerteventura, verlieren ihre Unterkunft und entscheiden sich zu bleiben. Der Film zeigt, was der Kontrollverlust mit ihnen und ihren ohnehin angestrengten Beziehungen macht.
artechock: Beziehung ist das Stichwort. Auch deine Kurzfilme würde ich grob als Beziehungskomödien labeln. In deinem Abschlussfilm kommt eine neue Komponente hinein: die Klassenfrage. Wie kam es dazu?
Frédéric Jaeger: Jeder, der schon einmal mit Freund*innen verreist ist, weiß, dass im Urlaub der Umgang mit Geld sehr schnell eine große Rolle spielt. In All We Ever Wanted hat Désirée die meiste Macht, weil sie über das Geld ihrer Mutter verfügt, während ihr weißer Freund Elias sich nach ihr richtet. Da überlagern sich Geschlechterrollen, Geld, Status und Race. Teil davon ist auch Coolness, denn Elias ist besonders
uncool, wäre aber gern so entspannt wie Sal. Mich interessieren die Erwartungen, die wir an Figuren und Situationen haben, und das, was sich dahinter versteckt.
Wenn Désirées Mutter ihr die Karten sperrt und die drei aus der Ferienvilla geschmissen werden, verändert sich etwas im Trio. Diese langsamen Verschiebungen und was sie sichtbar machen in den menschlichen Beziehungen, das wollte ich zeigen.
artechock: Siehst du in der Befreiung von ökonomischen Zwängen tatsächlich die Voraussetzung für Freiheit?
Frédéric Jaeger: Ungleichheiten sind dynamisch und faszinierend, da sie dramatisches und komödiantisches Potenzial haben. Oft werden sie aber verschleiert, weil es das romantische Ideal gibt, dass man sich in der Liebe auf Augenhöhe trifft. In All We Ever Wanted gibt es zwar eine Krise, aber keine existenzielle. Désirée, Elias und Sal entscheiden sich ganz bewusst, sich auf das Abenteuer einzulassen, weil sie nicht viel damit riskieren. Die Unfreiheit der drei hat mehr mit Hemmungen, Ängsten und Erwartungen zu tun. Dass ihre Welt aus den Fugen gerät, hilft ihnen dabei, das zu erkennen. Der Film zeigt, wie sie ihre Scham ablegen, ihr Begehren artikulieren und einander zuhören, was die Grundlage von Freiheit in Beziehungen ist.
artechock: Wenn wir die Frage nach ökonomischen Zwängen auf die Produktion des Films übertragen: Wie frei hast du dich beim Dreh gefühlt?
Frédéric Jaeger: Ich habe mit Mitte 30 parallel zu meiner Tätigkeit als Kritiker und Programmer nochmal angefangen zu studieren, an der Universität der Künste in der Klasse Narrativer Film. Mein Ziel war, viel zu drehen. Dafür muss man ästhetische Parameter finden, die vereinbar sind mit den Produktionsmitteln. Ich habe das als vergnügliche Herausforderung erlebt. Einer meiner Lieblingsfilme über das Filmemachen ist The Five Obstructions, den Lars von Trier gemeinsam mit seinem Mentor Jørgen Leth gemacht hat. Leth kriegt dafür die Aufgabe, mehrmals ein Remake von seinem erfolgreichsten Film zu drehen und jeweils fünf andere willkürliche Regeln zu befolgen. Und just aus diesen Beschränkungen entsteht eine beeindruckende Kreativität. Das ist ohnehin meine Erfahrung: Es ist deutlich einfacher, kreativ zu sein, wenn es einen Rahmen dafür gibt, als wenn alles möglich ist. Was nicht als ein Loblied auf unterfinanzierte Filme misszuverstehen ist. Es geht vielmehr darum, Schlupflöcher zu finden, Einschränkungen zu umgehen oder aus ihnen eine Stärke zu machen.
artechock: Du hast bereits mehrfach mit anderen Drehbuchautoren zusammengearbeitet. Wie stark hat die Zusammenarbeit mit Naomi Bechert deinen Film beeinflusst?
Frédéric Jaeger: Mit Blick auf meine Kurzfilme habe ich festgestellt, dass sie weniger divers sind als mein eigenes Umfeld. Anstatt zu hoffen, dass das Casting das schon richten würde, habe ich entschieden, dass zwei der drei Hauptfiguren schwarze Deutsche sein sollten. Letztendlich führte das Casting dazu, dass ich drei Hauptdarsteller mit rassifizierten Erfahrungen besetzt habe, von denen einer als Weißer durchgeht. Eine der Herausforderungen bestand darin, mit der Tatsache umzugehen, dass ich ein weißer Mann bin, der einen Film mit zwei schwarzen Figuren und Schauspielern schreibt und inszeniert. Es war mir wichtig, die Vielfalt unseres Alltags in Deutschland darzustellen – ohne dass der Film in erster Linie davon handelt oder blind ist für die Probleme des Lebens in einer rassistischen Gesellschaft. Dafür war es sehr wertvoll, Naomi Bechert als Co-Autorin zu haben, auch weil sie ihre Erfahrungen als afrodeutsche Drehbuchautorin und ihre Expertise in der Antirassismusforschung und in queer-feministischen Projekten eingebracht hat. Und später war der Austausch mit den Schauspielern entscheidend. Ich hoffe, der Film ist ein Spiegel der gemeinsamen Reise.
artechock: All We Ever Wanted zeichnen sehr malerische Bilder aus – von der Kargheit der Landschaft, von ihrer Leere und auch von ihrer Unwirklichkeit. Wie hast du mit dem Kameramann Maximilian Andereya zusammengearbeitet?
Frédéric Jaeger: Maximilian Andereya ist ein Multitalent, er arbeitet als Editor, als Kameramann und als Regisseur. Für den Film haben wir uns diese besondere Insel gemeinsam erschlossen. Gerade weil es im Film viele unangenehme Situationen gibt, war für uns klar, dass wir in dieser unwirtlichen Landschaft das Elegante und Schöne herausstellen wollten. Dabei zeigt der Film eine graduelle Entwicklung von einer statischen zu einer immer bewegteren Kamera, um der Befreiung der Figuren zu folgen. Der fließende Übergang zwischen sehr unterschiedlichen Stimmungen ist dafür besonders wichtig, was eine der großen Leistungen der Montage von Maja Tennstedt ist. Weil Begehren als zentrales Thema genauso verbunden ist mit der Wirklichkeit wie mit unseren Träumen, gleitet der Film auch immer wieder in das Traumhafte hinüber.
artechock: Ich kenne dich als sehr pointierten Dialogschreiber, der die Figuren auch mit einer gewissen Süffisanz aufeinander loslässt. Welche Bedeutung spielt für dich Humor beim Filmemachen?
Frédéric Jaeger: Mir ist es sehr wichtig, dass erstens ich mich selbst und zweitens die Figuren sich selbst nie komplett ernst nehmen. Es gibt stets einen doppelten Boden, insbesondere in der Art, wie sie miteinander sprechen. Oftmals beziehen sich Dialoge auf Phrasen, die wir aus dem Alltag kennen und auf Stereotype. Aber es gibt in anderen Momenten auch ein Sprechen, das ganz direkt ist. Dialoge sind ein Spiel von Verstecken und Offenlegen. Komik hat natürlich auch mit Timing zu tun, und in meinen Filmen sagen Menschen oft im falschen Moment das Richtige. Es macht großen Spaß, dafür zu sorgen, dass sich Situationen off oder deplatziert anfühlen.
artechock: Über die Verabschiedung der monogamen heterosexuellen Beziehung beschreitest du den Raum des Queeren. Ist diese Queerness für dich wesentlich gewesen im Dreieck von Class, Race und Gender?
Frédéric Jaeger: Mit All We Ever Wanted wollte ich mich mit den sich langsam verändernden Sehnsüchten beschäftigen. Wie bei meinen Kurzfilmen geht es mir darum, eine queere Erzählung zu schaffen, die offen und unvoreingenommen ist. Der Film erforscht, wie wir fluide Sexualität denken und leben und wie das eine oft im Widerspruch zum anderen steht. Es geht weniger um Identität oder Labels als vielmehr darum, wie es sich anfühlt, sich ständig auf unsicherem Terrain zu bewegen. Das ist für mich sehr queer.
artechock: In der Synopsis des Films steht, dass Sal schwul ist.
Frédéric Jaeger: Das ist eine Krücke, die Außenstehenden helfen soll, sich zu orientieren. Im Film bleibt das offen, ebenso wie das Begehren von Elias, der in einer heterosexuellen Beziehung lebt, aber auch mit Männern knutscht. Vermutlich ist er bisexuell, ohne sich so zu labeln. Politisch müssen wir unbedingt für mehr Sichtbarkeit kämpfen, insbesondere für die Repräsentanz von Bisexuellen. Doch hier wollte ich das Unbestimmte und Mehrdeutige zulassen. Insofern ist es ein dezidiert nicht-heterosexueller Film.
artechock: Elias scheint im Trio eine leicht unterlegene Position zu haben. Magst du alle deine Figuren gleich gern?
Frédéric Jaeger: Ich empfinde für alle drei eine große Zärtlichkeit. Elias steht vor allem am Anfang des Films im Mittelpunkt, da er sich selbst in Frage stellt und sehr neurotisch ist. Ich finde es sehr einnehmend, dass er gern ein anderer wäre und aus seiner Haut überhaupt nicht raus kann. Doch die anderen Figuren entwickeln sich stärker. Sal, der anfangs wenig sagt, findet zunehmend seine Stimme und wird zur heimlichen Hauptfigur. Désirée, die zuerst die Richtung vorgibt, erlebt eine Veränderung, als sich die Dynamiken verschieben.
artechock: Du hast erst Mitte 30 Filmemachen studiert, obwohl du schon vorher mehrfach an Filmen beteiligt warst. Du hast parallel als Filmkritiker gearbeitet, später zusätzlich als Filmkurator, und hast mit dem Kollegen Dennis Vetter und mir zusammen ein eigenes Festival, die Woche der Kritik, gegründet. Wieso jetzt der Wechsel zum Filmemachen?
Frédéric Jaeger: Die Leidenschaft fürs Filmemachen war immer da, aber das Schreiben über Filme hat mir lange Zeit mehr Erkenntnis und Spaß gebracht. Filmemachen ist für mich kein Wechsel auf eine andere Seite, sondern ein anderer Zugang zur gleichen Leidenschaft fürs Kino. Nach zwanzig Jahren Filmkritik und zehn Jahren als Kurator würde ich sie gern primär im Filmemachen ausdrücken.
artechock: Müssen deine eigenen Filmprojekte den inneren Filmkritiker fürchten?
Frédéric Jaeger: Das müssen sie unbedingt! Aber der äußert sich sehr früh, bei der Storyentwicklung und beim Schreiben. Er stellt Fragen wie: Mit welchen Figuren will ich Zeit verbringen? In welchen Situationen will ich ihnen begegnen? Welche dramatischen Konstellationen interessieren mich? Da geht es um Lust, Humor und ein bisschen um Ethik. Am Set hat der Kritiker wenig Einfluss, da es dort um unmittelbare Entscheidungen geht.
artechock: Wie empfindest du das Zusammenspiel von Kritik und Schaffensprozess?
Frédéric Jaeger: Kritik und Schaffensprozess gehen Hand in Hand. Beim kreativen Prozess geht es darum, alle Ideen zuzulassen, bis man eine findet, die begeistert. Filmkritik ist für mich ohnehin eher ein Jasagen, eine Neugierde, etwas zu entdecken, und eine Freude an der Möglichkeit, einen Film zu sehen. Diesen Ansatz sollte man sich bewahren.
artechock: Nach dem Abschlussfilm kommt das Debüt. Wie geht es weiter und fürchtest du dich vor den Produktionsverhältnissen außerhalb der Hochschule?
Frédéric Jaeger: Momentan arbeite ich an einem Drehbuch für eine turbulente Komödie über einen übergewichtigen schwulen Mann, der in alle seine heterosexuellen Freunde verliebt ist. Ich bin sehr gespannt, wie Fernsehsender und Filmförderungen darauf reagieren werden. Ich sehe es jedenfalls als Spiel und Herausforderung und hoffe, die kreative Freiheit in neue Projekte übertragen zu können.