Cinema Moralia – Folge 327
Großzügiger Blick auf den Maulwurfshügel |
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Grund zur Vorfreude: Irene von Albertis Die geschützten Männer | ||
(Foto: René Fietzek/Filmgalerie451) |
»Wer ständig im feindlichen Feld nach Anzeichen des Beifalls Ausschau hält, macht seine Feinde zu Schiedsrichtern des eigenen Redens«.
– Hans-Magnus Enzensberger 1962 zur Angst vor Beifall von der falschen Seite»Was den Sammler des Weiteren umtreibt, ist das Bedürfnis, dem Leben eine Ordnung zu verleihen, die es sonst nicht hat.«
– Michael Althen
Filmfest München mal wieder – man kommt wohl nicht drumherum. Außerdem freuen wir uns natürlich immer, wenn wir einen Vorwand haben, um nach München zu fahren. Erst recht weil das Wetter hoffentlich auch nächste Woche gut genug ist, um viel draußen zu sein. Weil es schöne Empfänge gibt, vom FFF und von ARTE und von der Bavaria und weil der Wettbewerb über neue deutsche Filme einige ganz wunderbare Werke verspricht, die uns für alles andere entschädigen werden.
Ich persönlich freue mich – nicht nur aus persönlichen Gründen – sehr auf Klandestin, den neuen Film von Angelina Maccarone, in dem Barbara Sukowa eine ganz außergewöhnliche Hauptrolle spielt, als konservative Politikerin. Mehr dazu im Podcast von heute.
Ich freue mich über Die Ermittlung nach Peter Weiss von RP Kahl, mit dem ich ein sehr sehr facettenreiches Podcast-Gespräch geführt habe, das nächste und
übernächste Woche hier an dieser Stelle erscheinen wird.
Ich freue mich und bin natürlich ungemein gespannt auf den ersten Spielfilm von Frédéric Jaeger, der, wie nicht alle wissen, aus München kommt, und jetzt als Filmemacher seine zweite – oder dritte? – Geburt in seiner Heimatstadt erlebt. Frédéric war bekanntermaßen lange Zeit Filmkritiker, nicht nur als Gründer und Chefredakteur von critic.de, er war danach Programmer für verschiedene Festivals, unter anderem hat
er die »Woche der Kritik« geleitet und in Mannheim-Heidelberg gearbeitet, und jetzt will er all das möglicherweise ganz hinter sich lassen und nur noch Filme machen. Allein schon diese Entschiedenheit ist eine gute Voraussetzung dafür und wenn seine Filme dann auch nur annähernd so entschieden sind, kann es nicht anders als wunderbar werden.
Und schließlich freue ich mich natürlich auch über den neuen Film von Irene von Alberti – unvergessen ist ihr letzter Film, der
ebenfalls auf dem Filmfest Premiere hatte: Der lange Sommer der Theorie.
Das waren alles noch vor-pandemische Zeiten, die ganz ganz lange her sind, länger als die sieben Jahre, die im Kalender stehen.
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Was das Filmfest München aber immer war: Es war eh ein Fest und ein Anlass, Freunde und Bekannte zu sehen, und solche die es gerne werden möchten, und außerdem: Ein Ort, an dem man die Fußball-WM oder EM erlebt hat. Unvergessen: Wesley Sneider haut im Alleingang Brasilien raus. Oder, auch 2010: Ich saß mit Carlos im Schuhmann’s, ein Münchner Schriftsteller lästert übel über zwei arme Spanier, die im Trikot vorbeigingen, und ich sage laut genug für den Nebentisch: »Morgen is' Schluss«. Fast hätte sich der Dichter mit mir geprügelt, hätte ihn der Feuilletonchef einer Süddeutschen Tageszeitung nicht zurückgehalten, aber ich hatte recht gehabt: Am Abend später flogen die Deutschen im Halbfinale gegen den kommenden Weltmeister raus.
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Was gibt’s sonst noch? Beim Filmfest eine ganze Menge sogenannte »kleine« Filme, independent, aber nicht à la Ulla Rapp, alles ein bisschen zu nett, zu brav, ohne Vision.
In einer Katalogbeschreibung heißt es: »Ein atmosphärisch dichter berührender Film über die heilenden Kräfte von Kreativität und Freundschaft«. Wer will denn so etwas sehen?
Oder: »Nach einem schweren Verlust hat sich Allen, früher ein großer Player im Musikgeschäft, in eine abgelegene Hütte zurückgezogen. Umgeben von der Einsamkeit der kanadischen Wildnis und den sphärischen Sounds seines Tonstudios ringt er mit seiner Trauer. Doch eine unerwartete Begegnung durchbricht Allens Isolation und zeigt ihm neue Perspektiven auf.«
Oder: »Ein essayistischer Dokumentarfilm über unseren menschlichen Blick auf Falter, aber auch über Klimawandel und Biodiversität.« Letzteres muss schon sein: Ein Zweck, ein politischer Anlass, Kino als Illustration einer Agenda. Da sich Falter nicht für den »Kampf gegen rechts« eigenen, also Biodiversität.
Und dann natürlich: die atemberaubenden meditativen Bilder. Meditativ, hey!
Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.
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Es gibt immerhin die tollen Cannes-Replays. Aber nicht The Substance. Der ist alles, aber nicht »Feministisch-satirischer Body-Horror«.
Dazu habe ich hier ausführlich geschrieben.
Der Film mit Kate Winslet über Lee Miller wäre toll, weil Lee Miller toll war. Aber es ist halt einfach kein guter Film. Schade.
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Was aber wieder für alles entschädigt: »Zum 41. FILMFEST MÜNCHEN wird im Pavillon 333 die private Filmsammlung des 2011 verstorbenen Filmjournalisten Michael Althen präsentiert. Von den 1980er Jahren bis in die frühen 2000er hat der Münchner Kritiker über 5500 Filme bei Ausstrahlung im Fernsehen auf VHS-Kassetten aufgezeichnet, nummeriert und archiviert. Von den großen Klassikern über B-Movies bis zu Lieblingsfilmen. Dazwischen auch Filmpreis-Verleihungen und Baseball-Spiele. Ob sich die Aufnahmen noch einmal angesehen wurden oder nicht, allein, dass sie ständig zugänglich waren, war der Sinn der Sache.«
Sophie Mühe und Artur Althen sind beide in cineastischen Haushalten großgeworden und lieben es, Filme zu schauen und Filme zu machen. Gemeinsam begeben sie sich mit der Althenschen VHS-Sammlung auf die Suche nach Klassikern und anderen Filmen, die nicht im Kanon gelandet sind, nach vergessenen und verschwundenen Filmen, die nicht die Transition in das nächste Medium geschafft haben.
Die Sammlung wird also noch einmal unter die Lupe genommen, bevor sie endgültig aufgelöst wird. In der Ausstellung »Was muss bleiben« wühlen Sophie Mühe und Artur Althen performativ in dem Fundus, spielen Kassetten auf (Röhren-)Fernsehern ab, öffnen den Raum für den (Film-)Dialog und zeigen in fünf Screenings Fundstücke aus der privaten Sammlung eines leidenschaftlichen Kinogängers. Frei nach dem Motto von Michael Althen: »Nur mal reinschauen«. (Text NN)
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»Gegen die Unübersichtlichkeit des Alltags, gegen das Chaos der Emotionen und Beziehungen wird die scheinbare Ordnung der Sammlung gesetzt. Wobei die Ruhe trügerisch ist: Denn nie ist eine Sammlung so komplett, perfekt und umfangreich, wie sie sein sollte oder könnte. Denn zwar will der Sammler die Welt im Kleinen wiedergeben, aber die Bescheidung ist seine Sache nicht – am Ende mündet alles in einen Wahn: nichts zu übersehen, nichts auszulassen, nichts zu vergessen. Man könnte das Alzheimers Wahn nennen.«
– Michael Althen, 1997
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Nur eine kleine Anmerkung: Nicht vom Filmfest, aber von überengagierten Pressekollegen werde ich darauf aufmerksam gemacht, dass es für bestimmte Filme ein »Embargo« gibt zum Schreiben über sie. Ich glaube, dass hier einige den Schuss noch nicht gehört haben. Alle Verleiher und ihre Presseagenten können froh sein, wenn es überhaupt noch Leute gibt, die über Filme schreiben, vor während oder nach einem Embargo. Lange wird das nicht mehr der Fall sein.
Erst stirbt die Kritik, dann der Film.
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Es ist schon 15 Jahre her, da erschien das 14. Heft der Filmzeitschrift Revolver. Darin kann man alles über die Filmkritik lernen, was man nicht weiß. Unter anderem, dass zu ihr notwendig Großzügigkeit gehört. Genauso wie zu ihr nicht weniger notwendig Kritik der Kritik und Selbstkritik gehört. Hart, persönlich, leidenschaftlich und unmissverständlich in der Sprache.
Auch viele, die sich Filmkritiker nennen, wissen das nicht. Mit ihnen wird dieser Beruf sterben.
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Fußball ist, wir wissen das seit langem, das bessere Kino. Nicht nur, weil man nicht weiß, wie es ausgeht. Man kann vom Fußball manches über das Kino lernen, auch über Darstellungen von Dramatik und über Intensität. Man kann vom Fußball sehr viel über Ästhetik lernen.
Man kann vom Fußball sehr viel für das Leben lernen. Man muss allerdings auch lernen wollen und die Lehren ziehen.