Die Schaumgeborenen |
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(Zeichnung: Niko B. Urger) |
Von Dunja Bialas
Das Filmfest München schlägt jetzt Wellen. Wie es sich für eine neue Leitung gehört, haben Direktor Christoph Gröner und die künstlerische Co-Leiterin Julia Weigl das Erscheinungsbild des 41. Filmfests erneuert. Anstatt wie bisher Sonnenbrillen im Kinosaal gibt es jetzt »CineWaves«, die das gesamte Festival-Wording umspülen. Das Präfix aller Wettbewerbe ist jetzt »Cine« (CineMasters, CineVision, CineCopro, CineRebels, CineKindl). Nur das »Neue deutsche Kino« darf weiterhin so heißen, weil das sich aufdrängende »CineGerms« wohl erst hätte erklärt werden müssen. Konsequenterweise aber ist das Cinema neuer Spielort.
Die Preistrophäen sind »CineWaves«, eine in Form der Surferwelle geschwungene Metallplatte. Die Idee stammt sicherlich von Wasserfreundin Julia Weigl, die in den vergangenen Filmfest-Jahren mit den Festivalgästen früh morgens in die Isar sprang. Die CI des neuen Filmfests ist also schaumgeboren. Vielleicht auch bierschaumgeboren, denn die Beergarden-Convention bleibt der Branche erhalten.
Die immer strahlend lächelnde, amerikanophile Aphrodite Weigl und der wegen seiner kuratorischen Tätigkeit für die Deutsche Reihe als germanophil einzustufende Neptun Gröner wollen jetzt also lieber »gemeinsam eintauchen« als zusammen sitzen. Der Stil des neuen Duos fühlt sich demokratischer als bisher an, ist offener in der Ansprache und kommunikativer, nicht mehr aalglatter PR-Sprech. Dafür gibt es aber auch viel Denglisch, was der sprachlichen Paarung des Duos entspricht. Das sich immer schön einig ist und sogar synchron sprechen kann: »…sagen Christoph Gröner und Julia Weigl«, ist eine wiederkehrende Formel für die wörtlichen Verlautbarungen in den Pressemitteilungen. Gröner und Weigl, das sind eben Grönerweigl.
Das Duo konnte den auf das Filmfest seit Gründung lastenden Druck des Glamours tatsächlich ein wenig abstreifen. Das Programm dieses Jahr liest sich vielfältiger und überraschender als die Nachspiel-Programme der letzten Ausgaben. Es gibt aber trotzdem viele Cannes-Titel, das dieses Jahr übrigens wie die vielgeschmähte Berlinale ein anderes, kleineres Kino gezeigt hat, auch zum Unmut der versammelten Journaille. Neben den heftig diskutierten Filmen von Yorgos Lanthimos (Kinds of Kindness, siehe unsere Cannes-Besprechung) und Coralie Fargeat (The Substance) sind auch die unbedingt sehenswerten Werke von Guy Maddin (Rumours, Cannes-Besprechung), Payal Kapadia (All We Imagine As Light), Jia Zhang-kes Caught By the Tides (Cannes-Besprechung), Karim Aïnouz (Motel Destino) und Minh Quy Truong (Viêt and Nam) zu sehen.
Dieses Jahr lassen sich die Entdeckungen anderer Festivals in München wiederholen. Wer vom neuen Lanthimos enttäuscht ist, könnte sich Swimming Home des britischen Künstlers Justin Anderson ansehen, in dem Lanthimos' Frau Ariane Labed mitspielt (Rotterdam-Besprechung). Sehr lohnenswert und meine persönliche Festival-Entdeckung des Jahres 2024 (gemacht auf dem Cinélatino in Toulouse) ist Landrián von Ernesto Daranas Serrano, ein Portrait über den schwarzen kubanischen Filmemacher Nicolás Guillén Landrián. Seine Kurzfilme wurden in den Sechzigerjahren zunächst von der kubanischen Revolution gefeiert, dann verboten, der Filmemacher schließlich pathologisiert und weggesperrt. Begleitend zum dokumentarischen Portrait werden Landriáns restaurierte Kurzfilme gezeigt, die an den brasilianischen Cinema-Novo-Stil erinnern. Das Doppelprogramm ist absolutes Muss für alle, die sich fürs lateinamerikanische Kino interessieren.
Und natürlich sind ein Muss dieses Jahr auch die deutschen Filme, zumindest einige. Gröner hat Kritikerkollege Urs Spörri als neuen Kurator der Reihe eingesetzt, der nun die Lücke füllen kann, die durch die Abwicklung der deutschen Berlinale-Reihe in der Festivallandschaft entstanden ist.
Dem Reihentitel »Neues deutsches Kino« alle Ehre machen die vielen neuen oder nicht so bekannte Namen, die man dann bei den »Filmtalks« besser kennenlernen kann. Frédéric Jaeger (All We Ever Wanted, siehe artechock-Interview) und Starter-Filmpreisträger Aaron Arens (Sonnenplätze) sprechen mit Judith Angerbauer (Sabbatical) zu »Eskapismus« (Di 2.7. 13:00). Die Berliner Produzentin Irene von Alberti zeigt ihren neuen Film Die geschützten Männer und spricht mit dem begnadeten Dialogschreiber Fabian Stumm, der nach Knochen und Namen jetzt seinen neuen Film Sad Jokes präsentiert, über »Die Macht des Humors« (Mo 1.7. 16:00). Keine Frage: Das neue Filmfest liebt den Talk und den Diskurs.
Das führt uns direkt in die Problemzone des Festivals. Eine der am meisten diskutierten Fragen unter den Presseleuten war in den vergangenen Tagen: Warum eigentlich findet die Eröffnung erst am zweiten Tag, also am 29., statt, während das Festival doch schon am 28. Juni beginnt? Spekulationen über Raumverfügbarkeit, more glamour am Samstag und anderes machten die Runde. Bis einer schier verzweifelte vor der gedruckten Ausgabe der neuen »Programmzeitung«. Er konnte die Vorführungen vom Freitag und Samstag partout nicht finden. Wurde eine Seite im Druck vergessen?
Man muss schon das Kleingedruckte lesen, um festzustellen, dass das Filmfest mit dem Festival-Termin leider eine Mogelpackung auftischt. Das klingt hart, aber sorry, das ist so. Erst ab dem Sonntag gibt es Vorführungen fürs Publikum. Davor wird ganztägig getalkt, es gibt keine Filme zu sehen. Das Filmfest verkauft das als »Festival-Dramaturgie«, wie es in der Programmzeitung heißt. Das einzige Screening am sogenannten »Warm-up-Freitag« findet im Amerikahaus bei freiem Entritt statt, gezeigt wird Charlotte Wells' Aftersun. That’s it.
Aftersun ist ein toller Film, keine Frage. Der lief bereits vor zwei Jahren im Kino und wird bei »Mubi« gestreamt, die auch zum Screening einladen. Überhaupt ist die ganze Veranstaltung reinste Promotion. Es werden »exklusive« Einblicke ins Filmfest-Programm versprochen (bin mal gespannt), dazu gibt es »limitierte« Goodies (bekommt nicht jeder eins?). Außerdem winkt ein »Mubi Go«-Jahresabo. Beim »Welcome Drink« des Partners Campari kann man sich das dann schöntrinken.
Wer sich jetzt auf den »Opening-Samstag« freut, hat sich leider zu früh gefreut. Ganztägig Filmvorstellungen im Kino wie sonst und auch bei anderen Festivals am ersten Wochenende üblich: Fehlanzeige. Die »Publikumseröffnung« am Abend mit der Premiere von Lucy Cohens Debütfilm Edge of Summer soll darüber hinwegtrösten (oder -täuschen). Sie findet ebenfalls im Amerikahaus statt. Man sitzt dort auf Stühlen, wie man sie von Konferenzen kennt. Das Amerikahaus ist kein Kino. Und die Publikumseröffnung ist Schönfärberei.
Es kommt die große Frage auf: Warum verzichtet das Filmfest auf Vorführungen am lukrativen Samstag, wo alle Zeit haben, wo alle Filme sehen wollen? Stattdessen, so lobt sich das Festival, gibt es den Publikumstag am letzten Sonntag. Alle Film-Highlights kosten dann nur 9,90 Euro. Das ist in der Tat sehr löblich. Bloß verlängert sich das Festival dadurch nicht um einen Tag, sondern bleibt mit acht Publikumstagen so lang wie in den Jahren zuvor. Fürs Publikum gibt es jetzt Goodies, vor und nach dem Filmfest.
Wir drücken dem überaus sympathischen Leitungs-Duo die Daumen, dass das Konzept trotzdem aufgeht. Denn die erste von ihm verantwortete Ausgabe könnte auch schon die vorletzte sein: Christoph Gröner wurde im vergangenen Jahr mit dem überraschenden Abgang von Festivalleiterin Diana Iljine zum Interims-Direktor berufen, jedoch bereits für 2026 wird die Festivalleitung von den Gesellschaftern neu ausgeschrieben. Weigl und Gröner können sich dann natürlich bewerben, hoffentlich mit einem erprobten Konzept.
Bis dahin lassen wir uns aber von ihren Filmfestwellen gerne mitreißen.
Capriolen inbegriffen.