27.06.2024

Die Schaumgeborenen

Cinewaves
(Zeichnung: Niko B. Urger)

Die neue Filmfest-Leitung präsentiert sich in Plauderlaune und programmatisch selbstbewusst. Für das Publikum gibt es »Goodies«

Von Dunja Bialas

Das Filmfest München schlägt jetzt Wellen. Wie es sich für eine neue Leitung gehört, haben Direktor Christoph Gröner und die künst­le­ri­sche Co-Leiterin Julia Weigl das Erschei­nungs­bild des 41. Filmfests erneuert. Anstatt wie bisher Sonnen­brillen im Kinosaal gibt es jetzt »CineWaves«, die das gesamte Festival-Wording umspülen. Das Präfix aller Wett­be­werbe ist jetzt »Cine« (CineMas­ters, CineVi­sion, CineCopro, CineRe­bels, CineKindl). Nur das »Neue deutsche Kino« darf weiterhin so heißen, weil das sich aufdrän­gende »CineGerms« wohl erst hätte erklärt werden müssen. Konse­quen­ter­weise aber ist das Cinema neuer Spielort.

Die Einigkeit von Gröner­weigl

Die Preis­tro­phäen sind »CineWaves«, eine in Form der Surfer­welle geschwun­gene Metall­platte. Die Idee stammt sicher­lich von Wasser­freundin Julia Weigl, die in den vergan­genen Filmfest-Jahren mit den Festi­val­gästen früh morgens in die Isar sprang. Die CI des neuen Filmfests ist also schaum­ge­boren. Viel­leicht auch bier­schaum­ge­boren, denn die Beer­garden-Conven­tion bleibt der Branche erhalten.

Die immer strahlend lächelnde, ameri­ka­no­phile Aphrodite Weigl und der wegen seiner kura­to­ri­schen Tätigkeit für die Deutsche Reihe als germa­no­phil einzu­stu­fende Neptun Gröner wollen jetzt also lieber »gemeinsam eintau­chen« als zusammen sitzen. Der Stil des neuen Duos fühlt sich demo­kra­ti­scher als bisher an, ist offener in der Ansprache und kommu­ni­ka­tiver, nicht mehr aalglatter PR-Sprech. Dafür gibt es aber auch viel Denglisch, was der sprach­li­chen Paarung des Duos entspricht. Das sich immer schön einig ist und sogar synchron sprechen kann: »…sagen Christoph Gröner und Julia Weigl«, ist eine wieder­keh­rende Formel für die wört­li­chen Verlaut­ba­rungen in den Pres­se­mit­tei­lungen. Gröner und Weigl, das sind eben Gröner­weigl.

CineWaves
Hier drauf­kli­cken zum Vergrößern! (Grafik: Niko B. Urger)

Programm mit Entde­ckungen

Das Duo konnte den auf das Filmfest seit Gründung lastenden Druck des Glamours tatsäch­lich ein wenig abstreifen. Das Programm dieses Jahr liest sich viel­fäl­tiger und über­ra­schender als die Nachspiel-Programme der letzten Ausgaben. Es gibt aber trotzdem viele Cannes-Titel, das dieses Jahr übrigens wie die viel­ge­schmähte Berlinale ein anderes, kleineres Kino gezeigt hat, auch zum Unmut der versam­melten Jour­naille. Neben den heftig disku­tierten Filmen von Yorgos Lanthimos (Kinds of Kindness, siehe unsere Cannes-Bespre­chung) und Coralie Fargeat (The Substance) sind auch die unbedingt sehens­werten Werke von Guy Maddin (Rumours, Cannes-Bespre­chung), Payal Kapadia (All We Imagine As Light), Jia Zhang-kes Caught By the Tides (Cannes-Bespre­chung), Karim Aïnouz (Motel Destino) und Minh Quy Truong (Viêt and Nam) zu sehen.

Dieses Jahr lassen sich die Entde­ckungen anderer Festivals in München wieder­holen. Wer vom neuen Lanthimos enttäuscht ist, könnte sich Swimming Home des briti­schen Künstlers Justin Anderson ansehen, in dem Lanthimos' Frau Ariane Labed mitspielt (Rotterdam-Bespre­chung). Sehr lohnens­wert und meine persön­liche Festival-Entde­ckung des Jahres 2024 (gemacht auf dem Cinéla­tino in Toulouse) ist Landrián von Ernesto Daranas Serrano, ein Portrait über den schwarzen kuba­ni­schen Filme­ma­cher Nicolás Guillén Landrián. Seine Kurzfilme wurden in den Sech­zi­ger­jahren zunächst von der kuba­ni­schen Revo­lu­tion gefeiert, dann verboten, der Filme­ma­cher schließ­lich patho­lo­gi­siert und wegge­sperrt. Beglei­tend zum doku­men­ta­ri­schen Portrait werden Landriáns restau­rierte Kurzfilme gezeigt, die an den brasi­lia­ni­schen Cinema-Novo-Stil erinnern. Das Doppel­pro­gramm ist absolutes Muss für alle, die sich fürs latein­ame­ri­ka­ni­sche Kino inter­es­sieren.

Die deutschen »Lücken­füller«

Und natürlich sind ein Muss dieses Jahr auch die deutschen Filme, zumindest einige. Gröner hat Kriti­ker­kol­lege Urs Spörri als neuen Kurator der Reihe einge­setzt, der nun die Lücke füllen kann, die durch die Abwick­lung der deutschen Berlinale-Reihe in der Festi­valland­schaft entstanden ist.

Dem Reihen­titel »Neues deutsches Kino« alle Ehre machen die vielen neuen oder nicht so bekannte Namen, die man dann bei den »Filmtalks« besser kennen­lernen kann. Frédéric Jaeger (All We Ever Wanted, siehe artechock-Interview) und Starter-Film­preis­träger Aaron Arens (Sonnen­plätze) sprechen mit Judith Anger­bauer (Sabba­tical) zu »Eska­pismus« (Di 2.7. 13:00). Die Berliner Produ­zentin Irene von Alberti zeigt ihren neuen Film Die geschützten Männer und spricht mit dem begna­deten Dialog­schreiber Fabian Stumm, der nach Knochen und Namen jetzt seinen neuen Film Sad Jokes präsen­tiert, über »Die Macht des Humors« (Mo 1.7. 16:00). Keine Frage: Das neue Filmfest liebt den Talk und den Diskurs.

Die neue Festival-Drama­turgie

Das führt uns direkt in die Problem­zone des Festivals. Eine der am meisten disku­tierten Fragen unter den Pres­se­leuten war in den vergan­genen Tagen: Warum eigent­lich findet die Eröffnung erst am zweiten Tag, also am 29., statt, während das Festival doch schon am 28. Juni beginnt? Speku­la­tionen über Raum­ver­füg­bar­keit, more glamour am Samstag und anderes machten die Runde. Bis einer schier verzwei­felte vor der gedruckten Ausgabe der neuen »Programm­zei­tung«. Er konnte die Vorfüh­rungen vom Freitag und Samstag partout nicht finden. Wurde eine Seite im Druck vergessen?

Man muss schon das Klein­ge­druckte lesen, um fest­zu­stellen, dass das Filmfest mit dem Festival-Termin leider eine Mogel­pa­ckung auftischt. Das klingt hart, aber sorry, das ist so. Erst ab dem Sonntag gibt es Vorfüh­rungen fürs Publikum. Davor wird ganztägig getalkt, es gibt keine Filme zu sehen. Das Filmfest verkauft das als »Festival-Drama­turgie«, wie es in der Programm­zei­tung heißt. Das einzige Screening am soge­nannten »Warm-up-Freitag« findet im Ameri­ka­haus bei freiem Entritt statt, gezeigt wird Charlotte Wells' Aftersun. That’s it.

Aftersun ist ein toller Film, keine Frage. Der lief bereits vor zwei Jahren im Kino und wird bei »Mubi« gestreamt, die auch zum Screening einladen. Überhaupt ist die ganze Veran­stal­tung reinste Promotion. Es werden »exklusive« Einblicke ins Filmfest-Programm verspro­chen (bin mal gespannt), dazu gibt es »limi­tierte« Goodies (bekommt nicht jeder eins?). Außerdem winkt ein »Mubi Go«-Jahresabo. Beim »Welcome Drink« des Partners Campari kann man sich das dann schön­trinken.

Wer sich jetzt auf den »Opening-Samstag« freut, hat sich leider zu früh gefreut. Ganztägig Film­vor­stel­lungen im Kino wie sonst und auch bei anderen Festivals am ersten Wochen­ende üblich: Fehl­an­zeige. Die »Publi­kumseröff­nung« am Abend mit der Premiere von Lucy Cohens Debütfilm Edge of Summer soll darüber hinweg­trösten (oder -täuschen). Sie findet ebenfalls im Ameri­ka­haus statt. Man sitzt dort auf Stühlen, wie man sie von Konfe­renzen kennt. Das Ameri­ka­haus ist kein Kino. Und die Publi­kumseröff­nung ist Schön­fär­berei.

Goodies für das Publikum

Es kommt die große Frage auf: Warum verzichtet das Filmfest auf Vorfüh­rungen am lukra­tiven Samstag, wo alle Zeit haben, wo alle Filme sehen wollen? Statt­dessen, so lobt sich das Festival, gibt es den Publi­kumstag am letzten Sonntag. Alle Film-High­lights kosten dann nur 9,90 Euro. Das ist in der Tat sehr löblich. Bloß verlän­gert sich das Festival dadurch nicht um einen Tag, sondern bleibt mit acht Publi­kums­tagen so lang wie in den Jahren zuvor. Fürs Publikum gibt es jetzt Goodies, vor und nach dem Filmfest.

Wir drücken dem überaus sympa­thi­schen Leitungs-Duo die Daumen, dass das Konzept trotzdem aufgeht. Denn die erste von ihm verant­wor­tete Ausgabe könnte auch schon die vorletzte sein: Christoph Gröner wurde im vergan­genen Jahr mit dem über­ra­schenden Abgang von Festi­val­lei­terin Diana Iljine zum Interims-Direktor berufen, jedoch bereits für 2026 wird die Festi­val­lei­tung von den Gesell­schaf­tern neu ausge­schrieben. Weigl und Gröner können sich dann natürlich bewerben, hoffent­lich mit einem erprobten Konzept.

Bis dahin lassen wir uns aber von ihren Film­fest­wellen gerne mitreißen.
Capriolen inbe­griffen.