20.01.2000

»Diese Art von Geschichte fasziniert mich einfach«

Sam Mendes, Annette Bening und LKevin Spacey
Sam Mendes beim Dreh von American Beauty

Regisseur Sam Mendes im Gespräch über seine Film American Beauty

Die Kritiker in den USA waren begeis­tert, die Verei­ni­gung der Film­jour­na­listen in Los Angeles wählte ihn gar zum besten Film des Jahres 1999, was ein gutes Omen für den Oscar 2000 zu sein scheint. Dabei trifft American Beauty ins finstere Herz der USA; ein Film über ameri­ka­ni­sche Suburbs, Familien sowie Frauen- und Männer­bilder.
Zoran Gojic führte ein Gespräch mit Sam Mendes, dem briti­schen Regisseur des Films.

artechock: Hat sie der Erfolg ihres Film­de­büts über­rascht?

Sam Mendes: Sehr. Ich meine, ich habe gehofft, dass American Beauty bei der Kritik gut ankommt. Ich war sicher, es würde in jedem Fall ein inter­es­santer Film werden. Was mich verblüfft hat, war wieviele Leute sich den Film dann letzt­end­lich ansehen. Für mich ist das kein Main­stream-Film. Aber den Leuten geht die Geschichte offenbar ans Herz und sie finden einen persön­li­chen Bezug dazu. Die Tatsche, dass so viele Menschen den Film gesehen haben ist für mich viel aufre­gender als irgend­welche Preise.

artechock: American Beauty wird ja bereits als haushoher Favorit für die Oscar-Verlei­hung im März gehandelt. Machen sie sich Hoff­nungen?

Mendes: Hören sie, ich werde ehrlich sein: Nein, ich denke nicht, dass der Film den Oscar bekommt. Dafür ist er zu düster. Aber für mich ist alleine schon die Tatsache, dass er überhaupt im Gespräch dafür ist, ein riesiger Erfolg. Und ein gutes Zeichen für den ameri­ka­ni­schen Filmmarkt. Es ist kein Star-Vehikel, er hat eine unge­wöhn­liche Struktur und es gab noch andere außer­ge­wöhn­liche Filme, die ebenfalls Erfolg hatten. The Sixth Sense ist so ein Film, der Unsummen einge­spielt hat. Es ist im Grunde eine einfache Geschichte um eine Mutter und ihren Sohn. Das lag vermut­lich an Star Wars. Die anderen Studios hatten Angst große Filme gegen Star Wars antreten zu lassen und haben deshalb andere Filme ins Rennen geschickt. Das ist gut für die Filme­ma­cher, auch für mich. Es hätte schlimmer kommen können.

artechock: Sie sagen selber, dass American Beauty ein düsterer Film ist, der eigent­lich am Massen­ge­schmack vorbei zielt. Weshalb haben sie sich dann für ihr Kinodebüt so einen Stoff ausge­sucht?

Mendes: Diese Art von Geschichte faszi­niert mich einfach. Ande­rer­seits ist mein Geschmack im Grunde relativ nahe am Main­stream. Die Filme, die mich beein­flusst haben und die ich seit meiner Jugend liebe, waren ameri­ka­ni­sche Filme aus dem Zeitraum zwischen 1968 und 1975: Midnight Cowboy, Die Reife­prü­fung, Rosemary’s Baby, Chinatown, etc. Main­stream­filme also. Aber aus einer Zeit, in der Main­stream­filme viel inter­es­santer waren als heute. Insofern bin ich ein Anachro­nismus und kein Produkt des zeit­ge­mäßen Hollywood. Viel­leicht beginnt ja jetzt wieder eine Zeit, in der Filme dieser Art wieder öfter gemacht werden. Midnight Cowboy hat 1968 den Oscar gewonnen. In den 80ern wäre das undenkbar gewesen.

artechock: Sie stehen Hollywood eher skeptisch gegenüber, aber jetzt gehören sie dazu und sind für sechs Golden Globes nominiert.

Mendes: Ist doch toll. Außerdem: Die Preis­ver­lei­hungen sind einfach nur Fern­seh­shows, die erfunden wurden, um Werbung für Filme zu machen. Lassen sie uns das nicht vergessen. Es ist eine TV-Sendung und kein Grund, um Filme zu drehen. Es ist trotzdem nett, aber man sollte nicht zu viel darüber nach­denken oder reden.

artechock: Sie haben für den Film mit veri­ta­blen Hollywood-Stars gear­beitet. Sind sie gut mit denen ausge­kommen?

Mendes: Sehr gut. Ich bin es gewohnt mit Schau­spie­lern zu arbeiten, da gibt es keine Unter­schiede. Ich war froh, Kevin Spacey und Annette Bening zu haben. Sie sind sehr profes­sio­nell und umgäng­lich. Es gab keine hyste­ri­schen Szenen oder derglei­chen. Ich war viel nervöser im Umgang mit den Tech­ni­kern, weil ich von diesen Dingen nicht die geringste Ahnung hatte. Ich wusste nicht, was der Kamermann eigent­lich macht. Aber mit Schau­spie­lern hatte ich am Theater immer schon zu tun, das kann ich.

artechock: Gibt es denn einen Unter­schied, wenn man für die Bühne und für die Film­ka­mera insze­niert.

Mendes: Das sind zwei Welten. Theater ist ein Prozess, so wie Sport. Man spielt im Team. Ich sehe jeden und wer gerade was tut. Es mag sie über­ra­schen, aber im Grunde ist Theater ohnehin nicht das Medium des Regis­seurs, sondern das der Schau­spieler. Kino ist hingegen eindeutig das Medium des Regis­seurs. Das ist wie Medi­ta­tion. Der Film existiert vor dem ersten Drehtag in einem. Der Regisseur trifft alle Entschei­dungen, es gibt keine Diskus­sionen. Es ist die letzte funk­tio­nie­rende Diktatur. Man hängt von der Kunst­fer­tig­keit anderer ab, aber der Regisseur ist derjenige, der entscheidet. Es ist natürlich auch langsamer und lang­wei­liger. Weniger roman­tisch als Theater. Theater ist orga­ni­scher. Dort beginnt man armselig mit ein paar Leuten und dem Text und dann fügt man verschie­dene Aspekte hinzu. Beim Film ist es fast umgekehrt. Beim Drehen ist das Licht, die Kostüme und derglei­chen schon da und man konzen­triert sich während der Arbeit letztlich nur noch auf die Schau­spieler und vergisst alles andere.

artechock: Nach welchen Kriterien haben sie den visuellen Stil des Films kreiert?

Mendes: Ich habe alles aufge­zeichnet. Ich hatte Angst, dass ich bis zum Dreh­be­ginn alles wieder vergesse. Ich wollte vor allem visua­li­sieren, was auch in den Charak­teren steckt. Schönheit, Licht, aber auch Steri­lität. Es ist ein sehr gestylter Film, aber in seinen Mittel sehr ökono­misch. Ich wollte keine Steady-Cam oder Kame­ra­fahrten, Wenn sich die Kamera bewegt, dann sehr langsam, weil jede Einstel­lung für sich stehen und eine gewisse Spannung behalten sollte. Außerdem kann man viel mit dem Raum arbeiten. Obwohl: Einen im Computer gene­rierten Trick habe ich drin. Nennen sie mich George Lucas.

artechock: Sie zeichnen in dem Film kein nettes Bild von Amerika. Hilft ihnen ihre europäi­sche Herkunft, die Distanz zu bewahren?

Mendes: Es gibt ja eine lange Liste von Nicht-Ameri­ka­nern, die sehr ameri­ka­ni­sche Filme gemacht haben. Wilder, Lubitsch, Forman, Weir, etc. Sie alle haben gemeinsam, dass sie die Land­schaft und die Leute in ihr unter­schied­lich bewerten. In Paris, Texas werden die Städte objektiv gezeigt, aber die Menschen sehr subjektiv. Wissen sie, einen Film wie American Beauty hätte ich in England nicht drehen können. Ich wäre zu befangen.

artechock: Viele halten American Beauty tatsäch­lich für das defi­ni­tive Porträt der weißen ameri­ka­ni­schen Mittel­klasse-Seele. Wie gehen sie damit um ?

Mendes: Jeder Künstler erzählt eine Geschichte auf seine Art. Und als Filme­ma­cher möchte man sich nicht auf Defi­ni­tionen einlassen. Ich meine Shake­speare behandelt in »Lear« doch nicht das Problem alter Männer die sehr verschie­dene Töchter haben. Er erzählt einfach eine gute Geschichte. Und in American Beauty geht es nicht um die Nöte weißer Mittel­schicht-Männer oder was weiß ich sonst. Es ist eine Geschichte, die ich erzähle und von der ich hoffe, dass jedem Zuschauer etwas eigenes dazu einfällt. Ich hatte beim Drehen nicht das Gefühl, dass ich etwas Bedeu­tendes schaffe. Viel­leicht ist es deswegen so gut gelungen. Wenn man krampf­haft versucht etwas Wichtiges zu sagen, geht das glaube ich immer daneben. Das wartet jetzt auf mich. Alle erwarten von meinem zweiten Film etwas ganz Beson­deres.

artechock: Also bleiben sie beim Film?

Mendes: Ich möchte auch weiterhin am Theater arbeiten, aber auch Filme drehen. Film ist im Moment sehr aufregend, aber Theater ist meine Heimat.