USA/E/F 2008 · 131 min. · FSK: ab 12 Regie: Steven Soderbergh Drehbuch: Peter Buchanan, Steven Soderbergh, Ben Van Der Veen Kamera: Peter Andrews Darsteller: Benicio Del Toro, Rodrigo Santoro, Demián Bichir, Catalina Sandino Moreno, Julia Ormond u.a. |
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So war das, mit der Revolution |
»Der Mythos verbirgt nichts und stellt nichts zur Schau. Er deformiert. Er ist weder eine Lüge noch ein Geständnis. Er ist eine Abwandlung.« – Roland Barthes
Che, dies gleich vorweg, ist ein einziger Film, auch wenn er jetzt in zwei Teilen ins Kino kommt. Ähnlich wie seinerzeit bei Quentin Tarantinos Kill Bill ist das Ergebnis mit rund viereinhalb Stunden allerdings so lang geraten, dass es heute kein Verleih mehr wagt, ihn in einem Stück ins Kino zu bringen. Die Gliederung des Films entspricht den Vorstellungen aus Antike und Mittelalter über den Stufengang des menschlichen Lebens, das in der Mitte seinen Zenit erreicht. Che – El Argentino heißt der erste Teil, in Deutschland naiver Che – Revolución. Er erzählt, angelehnt an das »Kubanische Tagebuch«, von den drei Jahren der kubanischen Befreiungsarmee in den Bergen der Sierra Maestra und vom Guerillo Ernesto »Che« Guevara, bevor dieser im Bolivianischen Dschungel es wagte, den Befreiungskampf zu wiederholen und damit kläglich scheiterte. Am Ende erfolgte sein Tod und seine Wiederauferstehung als Mythos »Che«. Das »Bolivianische Tagebuch«, das Ches letztes Lebensjahr vor seiner Ermordung beschreibt, ist dann das Thema von Che – Guerilla, der Ende Juli in die deutschen Kinos kommen soll.
Was aber ist Soderberghs Ansatz für »seinen« Che? Man kann es sich ganz leicht machen, und sagen, Steven Soderbergh habe einfach nicht verstanden, was es mit dem Mythos »Che Guevara« auf sich hat. Er habe einfach nicht verstanden, dass ein Mythos nie falsch sein kann. Aber können wir diesen Regisseur so gering schätzen, der doch zuvor in vielen seiner Filme bewiesen hat, dass er weiß, was er tut. Spricht nicht die Tatsache, dass Hollywood-Independent Soderbergh (Traffic, Ocean’s Eleven) zehn Jahre an diesem Film gearbeitet hat, eine andere Sprache, deutet sie nicht darauf hin, dass er sich sehr genau überlegt hat, was er hier zeigt, und warum? Lang, sehr lang ist dieser Film erwartet worden. 60 Millionen Dollar hat er gekostet. Und wie, um diese ganze Anstrengung und ihre Kosten zu dokumentieren, ist der fertige Film jetzt gleichfalls lang, sehr lang geworden. Geglückt ist er nicht, und es erstaunt auch, wie wenig man von dem Geld, das er gekostet hat, am Ende sieht.
Che im Dschungel. Der Mann keucht ziemlich stark, vor allem zu Beginn des Films, sicher auch damit die Zuschauer schnell begreifen, dass der Mann Asthma hat. Und vielleicht noch denken: »Was für ein Exempel an Selbstüberwindung!« Trotz Asthma hat Che ziemlich oft einen Zigarrenstumpen zwischen seinen Zähnen. Mal ist der Dschungel so dicht, dass ein Buschmesser zum Einsatz kommt, dann wieder ist der Blick offen für den Weg, der noch vor ihm und seinen zunächst nur elf Weggefährten
liegt. Zwischenüberschriften informieren die Zuschauer über die Fortschritte der Weltrevolution: »367 km nach Havanna«, »287 km nach Havanna« und so fort. Von den vier Stunden und zweiundzwanzig Minuten vom Che befinden sich Film und Zuschauer etwa dreieinhalb Stunden gemeinsam mit dem »Commandante« im Dschungel. Irgendwann müssen mal Verräter erschossen werden. Recht hat er. Von den zweifelhaften Seiten in Guevaras Biografie zeigt der Film nichts. Die
kommunistische Revolution, die doch nur mit Generalstreiks in den Städten und einer Massenerhebung erkämpft werden konnte, wird hier zur Leistung eines Einzelkämpfers und seines Adjudanten Fidel.
Soderbergh folgt dem historischen Ablauf der Ereignisse nahezu chronologisch. Dazwischen werden in Schwarzweiß als Rahmen Passagen seiner berühmten Rede bei der UNO hineingeschnitten – »Socialismo o muerte!« –, nachgestellt natürlich wie der Rest des Films, der
fast völlig auf Dokumentaraufnahmen verzichtet. Dazwischen sieht man auch zweimal Momente eines Abends im Jahr 1955, an dem Che von Fidel Castro der Legende nach für die Revolution gewonnen wurde. Und eine Szene mit Weib und Kindern, mehr nicht.
Viele interessante Teile der Lebensgeschichte des Argentiniers Ernesto »Che« Guevara spart Soderbergh konsequent aus: Nichts über den Aufstieg Ches innerhalb der kubanischen Revolution. Nichts über das durchaus gespannte Verhältnis zu Fidel Castro. Nichts über seine Zeit als kubanischer Minister. Nichts über die Monate in Afrika. Nichts über die Hintergründe der Bolivienmission. Nichts überhaupt über Beweggründe, Motive. Nichts über seine Kindheit. Keine Psychologie. Keine Küsse mit Frau Aleida oder Tamara Bunke (gespielt, nebenbei bemerkt, von Franka Potente, die insgesamt sechs Szenen und ein Dutzend Sätze bestreitet). Wenn überhaupt, dann erlebt man Che als den Spaßverderber der Revolution, der Askese predigt, der seinen Mitstreitern jedes noch so kleine Vergnügen, auch in der Stunde des Sieges, versagt.
Ursprünglich hätte Terrence Malick Regie führen und Soderbergh nur produzieren sollen. Allein das letzte, bolivianische Kapitel, sollte im Zentrum stehen. Das wäre interessant geworden, da Malick (The Thin Red Line, The New World), der Existenzphilosoph des Kinos und Heidegger-Übersetzer, noch jeden seiner Stoffe mythisch aufgeladen hat. Eine modernere Version von Herzogs Aguirre – Der Zorn Gottes wäre möglich gewesen. Aber nichts davon passierte. Soderberghs Authentizitätsgestus – Handkamera, fiktiver Dokumentarismus – ist nur Schein: Der Castro-Darsteller hat einen mexikanischen Akzent, der eher parodistisch wirkt, ansonsten spricht man marktgerechtes Spanglish. Stilistisch wirkt alles dann doch nur wie eine schlechte Fernsehdokumentation – voller Reenactment. Ohne Dramaturgie, ohne Spannung, ohne Fokus, ohne Idee, Mut oder Esprit. Ein langatmiges, träges Stück Film, das in einer Weise missglückt ist, wie es dann angesichts der Voraussetzungen und Umstände doch überrascht. Bestenfalls wirkt alles ein bisschen wie die Mainstream-Version eines Straub-Films: Grüner Wald, grüne Blätter, das Rauschen des Windes, und unter Bäumen Menschen, die ununterbrochen etwas deklamieren, was inhaltlich oft belanglos ist. Dieses Neutralisieren und Entleeren immerhin ist interessant, und muss wohl Absicht sein. Nur fragt man sich, wofür das alles? Warum einen Film, der alle schönen und hässlichen und abgründigen Seiten seines Gegenstandes ignoriert?
Ganz offensichtlich will Soderbergh die Realität hinter dem Mythos zeigen: Revolution ist letztendlich ziemlich langweilig und unspektakulär. Sie braucht Zeit, und strengt an. Trost bietet nicht Marx, sondern nur die Natur. Auch wenn wir das eher bezweifeln: Es mag schon sein, dass Revolution langweilig ist. Aber muss es der Film deshalb auch sein? Soderberghs Che ist eigentlich nur das gestammelte Geständnis, dass ihm zu seinem Gegenstand aber auch
gar nichts eingefallen ist, dass er zu Guevara aber auch überhaupt nichts zu sagen hat, dass er in ihm keinerlei Gefühle auslöst, nicht Liebe, nicht Hass, keine Gedanken und keine Position.
Als Che im Film von einer Journalistin gefragt wird, welche Eigenschaft es sei, die vor allen anderen einen guten Revolutionär ausmache, antwortet er »Liebe«. Von Liebe aber ist hier nichts zu spüren. Nie wird das Charisma klar, über das Che Guevara doch ganz offenkundig verfügte, nie versteht man
die Realität des »Mythos Che«. Auch über die Widersprüchlichkeit der realen Figur erfährt man nichts. Was bleibt, ist das reichlich geschönte, dabei immer völlig blutleeres Tagebuch Che Guevaras.
Im ersten Film erscheint Che dabei noch als Tarzan der Revolution, als starker Mann des Dschungels, ein allen Mitkämpfern überlegener Übermensch. Im zweiten Teil wird er dann zum Zombie, zum zunehmend Ausgelaugten, dem man den kommenden Tod schon viele Filmminuten im Voraus ansehen würde, wenn man es nicht sowieso wüsste. Dieses Zombiehafte ist allerdings keineswegs eine These Soderberghs – das wäre ja noch interessant.
Soderbergh will offensichtlich das Bild Che Guevaras entromantisieren. Aber was ist das Interessante am Mythos? Das Unmythologische? Was ist das Interessante an der Ikone? Die Wirklichkeit? Was ist das Interessante an der Coolness? Die Wärme? Wenn Che vom Mythos handeln will, dann muss er auch vom Mythos handeln. Stattdessen stellt er nur recht plump ein paar Szenen aus einer sehr begrenzten Wirklichkeit auf die Leinwand. Wenn Soderbergh
Wirklichkeit erzählen will, braucht er Fakten, Inhalte, Gründe. Am Ende tut er keines von beidem. Che tritt uns hier nicht als Nietzschescher Übermensch und Seher vom Berge entgegen, aber auch nicht als Schurke oder Depp. Er wird zum weißen Blatt, das wir beliebig beschreiben können, das aber am Ende immer weiß und undefiniert bleibt. Denn eine Kraft hat der Film: egal welche Interpretationen zurückweisen zu können.
Genau diese Erfahrung spiegeln auch die bisherigen
Besprechungen des Films. Da argumentiert Gerd Koenen mit durchaus sehr guten Gründen dafür, ein Heldengemälde gesehen zu haben, das alle sündhaften Seiten ausblende, und legt dar, dass der Film »nichts vom düsteren Existenzialismus, mit dem Guevara die Exekutionen halbwüchsiger Guerillasoldaten oder junger Bauern wegen bagatellhafter disziplinarischer Vergehen kommandiert und selbst beschrieben hat« zeige. Dominik Kamalzadeh vom Wiener »Standard« hingegen sieht
Soderbergh »wie ein Archäologe« vorgehend, »der aus dem Bildergrab, in dem Che längst als millionenfach ausgebeutete linke Popikone ruht, einen lebendigen Menschen ausheben will. Nicht die Mythenbildung um Che interessiert ihn so sehr, vielmehr das Gegenbild, der praktisch veranlagte Mann der Tat, der die großen Bühnen der Politik anderen überlassen hat.« Und auch Wolfgang Hamdorf im »Filmdienst« bescheinigt Soderbergh einen »sehr zurückhaltenden Umgang mit dem
revolutionärem Pathos: Er verzichtet auf die großen Momente der Revolution, weder werden die Landung der Revolutionäre im Osten Kubas noch der triumphale Einmarsch in Havanna gezeigt«.
Soderbergh zeigt Che als Don Quixote, als Kämpfer von der traurigen Gestalt, der aus heutiger Sicht nur Sinnloses tut. Dieses entleerte, entromantisierte Bild entspricht ganz unserem Zeitgeist und der Tendenz, wie neuerdings mit Politischem im Kino umgegangen wird: Das Aufwerten (und Mythisieren?) der Schurken – vgl. Il Divo –, das Abwerten der Ikonen und dem allgemeinen Boom des Revisionismus, der ideologischen – obschon auch bereits wieder abgetragenen – Behauptung vom »Ende der Ideologien«: Wer weiß, was links ist? Wer glaubt überhaupt heute noch an die Leuchtkraft von Gedanken? Daran, dass es Dinge gibt, für die es sich zu sterben lohnt? Und wer konnte Walter Salles' Portrait des Revoluzzers als junger Mann im Roadmovie The Motorcycle Diaries vor ein paar Jahren schon als politischen Film wirklich ernst nehmen? Soderbergh zeigt Guevara, den Kommunismus und die kubanische Revolution so, wie man sie sich heute vorstellt: Ein bisschen lächerlich, unverständlich und vor allem sehr, sehr fern von uns.