Der Informant!

The Informant!

USA 2009 · 108 min. · FSK: ab 12
Regie: Steven Soderbergh
Drehbuch:
Kamera: Peter Andrews
Darsteller: Matt Damon, Scott Bakula, Joel McHale, Melanie Lynskey, Eddie Jemison u.a.
Münchhausens Erbe

Money, Lies and Audiotape

Seit Ausbruch der Finanz­krise wird von allen Seiten munter darüber speku­liert, wie es dazu kommen konnte, dass sich Milli­ar­den­werte in Luft auflösen und riesige Konzerne wie ein Karten­haus in sich zusam­men­bre­chen. Besonders beliebt ist in diesem Zusam­men­hang, einem bzw. dem »System« die Schuld zu geben. Abhängig davon, wer eine Erklärung (und damit Abhilfe) für die Krise bietet, wird etwa das System der Bonus­zah­lungen oder das System der Großbanken oder das Zins­system oder gleich unser gesamtes Wirt­schafts­system, das man gemeinhin als Kapi­ta­lismus bezeichnet, für die vorlie­genden Miss­stände verant­wort­lich gemacht (ohne den Film gesehen zu haben, kann man davon ausgehen, dass das neueste Werk von Michael Moore Kapi­ta­lismus: Eine Liebes­ge­schichte auf eine solche System­kritik hinaus­läuft).

Einen inter­es­santen Kontrast zu all diesen Theorien vom System­fehler als haupt­ver­ant­wort­li­cher Ursache des finan­zi­ellen Desasters stellt eines der markan­testen Ereig­nisse dieser Krise, der Fall des Bernard »Bernie« Madoff, dar. Mag sein Handeln auch durch bestimmte Struk­turen und Systeme ermög­licht und erleich­tert worden sein, so war es letztlich doch vor allem seine krimi­nelle Energie, sein Größen­wahn, seine aber­wit­zigen Lügen und Scharaden, seine bedin­gungs­lose Verfol­gung einer (fixen) Idee, die einen Schaden jenseits der 50 Milli­arden Dollar verur­sachte.

Bereits in der sehens­werten Doku Enron – The Smartest Guys in the Room konnte man sehen, dass hinter vielen vermeint­lich hoch­kom­plexen, undurch­schau­baren, unbe­herrsch­baren, abstrakten Mecha­nismen (und ihren daraus folgenden Kata­stro­phen) das unvor­stellbar profane und primitive Handeln einzelner Personen steckt (dasselbe leistet auch Errol Morris' Doku Standard Operating Procedure, der hinter den Gefan­ge­nen­miss­hand­lungen in Abu-Ghraib weniger die »poli­ti­schen Kata­strophe« oder gar ein philo­so­phi­sches »Böses«, sondern vielmehr die – nicht weniger erschre­ckende – Banalität von persön­li­chen Befind­lich­keiten und Gestört­heit aufzeigt). Einen solchen mensch­li­chen Faktor bzw. solches mensch­li­ches Versagen nimmt sich auch Steven Soder­bergh in seinem zwischen Posse und Satire ange­sie­delten Film Der Informant! zum Inhalt.

Hier ist es die (mehr oder minder) wahre Geschichte von Mark Whitacre (mit sicht­li­chem Vergnügen von Matt Damon gespielt), dem leitenden Ange­stellten einer Mais verar­bei­tenden Firma, der im Rahmen seiner ausufernden Betrü­ge­reien zwischen seinen Arbeit­geber und das FBI, welche er in gleicher Weise anlügt und gegen­ein­ander ausspielt, gerät. Wie und was Whitacre derart zusam­men­lügt, wie seine Umwelt darauf reagiert und was er damit erreicht, lässt nicht nur die Prot­ago­nisten im Film, sondern auch den Zuschauer im Saal immer wieder mit ungläu­bigem Blick und weit geöff­netem Mund zurück.

Whitacre ist das, was man neuer­dings als Mini-Madoff bezeichnet. Zwar sind die Beträge, die er bis zum Ende seiner »Karriere« ergaunert hat, im Vergleich zum großen Madoff nur Peanuts. Hinsicht­lich ihrer Verblen­dung und ihren diffusen Motiven sind die beiden aber Brüder im Geiste. Während die Leben weiterer Seelen­ver­wandter in Owning Mahowny als Grundlage für eine stilles Drama und in Fargo für eine exis­ten­zi­elle, tief­schwarze Komödie dienten, wählt Soder­bergh für seine Darstel­lung eines in Lügen gefan­genen Menschen das Format der bunten Satire.

Durch seine schlaf­wand­le­ri­sche Sicher­heit im Umgang mit Stilen und Stil­mit­teln gelingt es ihm, eine bizarre Welt zu schaffen, die wie das Amerika der frühen 1990er Jahre (in dem der Film spielt) durch den Filter einer 1970er Jahre Fern­seh­serie wirkt. Das passt erstaun­lich gut und führt zu einem (wort­wört­lich) zeitlosen Hinter­grund, für diese univer­sell gültige Geschichte. Verant­wort­lich für den ganz spezi­ellen Touch des Films sind vor allem die Kame­ra­ar­beit, die Soder­bergh unter dem Pseudonym Peter Andrews einmal mehr selber übernimmt und die munter swingende Musik des Altmeis­ters Marvin Hamlisch. Oft reicht schon eine seiner flotten Melodien aus, um das meist gar nicht explizit lustige Treiben der Agenten, Manager und Anwälte zu kontras­tieren und es so als weit­ge­hend lächer­lich zu entlarven.

Diesem Prinzip der leichten Über­höhung und unmerk­li­chen Dissonanz folgt der Humor des gesamten Films. Im Gegensatz zum thema­tisch verwandten Burn After Reading der Coen-Brüder, in dem stel­len­weise zu dick aufge­tragen wird, woraufhin der Film (vor allem seine Figuren) ins Kasperl- und Klamauk­hafte abgleiten, betreibt Soder­bergh die Ironi­sie­rung in Der Informant! bedeutend diskreter (man könnte auch sagen: perfider). Als scheinbar paradoxes Ergebnis dieser Taktik verlässt man als Zuschauer das Kino mit dem Gefühl einen äußerst lustigen Film gesehen zu haben, obwohl man während der Vorstel­lung keine fünf Mal richtig gelacht hat.

Damit ein solcher Humor funk­tio­niert, bedarf es zwangs­läufig darstel­le­ri­scher Leis­tungen, die dieses sich immer knapp neben der Spur bewegen glaubhaft zum Leben erwecken. Mit einem weit­ge­hend unbe­kannten Ensemble gelingt dies hier bis hinab zur kleinsten Neben­rolle, womit Soder­bergh erneut sein Talent bei der Besetzung und Schau­spiel­füh­rung unter Beweis stellt. Seine Filme wirken schau­spie­le­risch immer wie aus einem Guss, egal ob er sie in absurdem Ausmaß mit Super­stars voll stopft (siehe Ocean’s 13) oder ob er nahezu voll­kommen auf große Namen verzichtet (siehe Che oder eben hier).

Ange­sichts der insgesamt eher subtilen Machart von Der Informant! verwun­dert es nicht, dass auch alle kriti­schen Ansätze auf einer zurück­hal­tenden, deswegen aber nicht weniger gültigen Ebene bleiben. Die multi­na­tio­nalen Konzerne im Allge­meinen und die Lebens­mit­tel­in­dus­trie im Spezi­ellen werden nicht als ungreif­bare Insti­tu­tionen mit dem Charakter der apoka­lyp­ti­schen Reiter darge­stellt, das FBI (als Vertreter des Staats) ist kein para­no­ides, all- und eigen­mäch­tiges Über­wa­chungs­organ.
Soder­bergh zeigt vielmehr, dass es letzten Endes vor allem das System Mensch ist, das äußerst anfällig für Schwächen, Fehler, (Selbst)Täuschung und Dummheit ist.

Der rosarote Tiger

»Warum sollte ein leitender Ange­stellter, der 350.000 Dollar im Jahr verdient, seine Firma über die Klinge springen lassen?« – Gute Frage. Sie kommt im Film von einem FBI-Agent, und bleibt ohne Antwort. Aber der Bioche­miker Mark Whitacre enthüllte Mitte der 90er Jahre gegenüber dem FBI korrupte Machen­schaften und Preis­ab­spra­chen seines Unter­neh­mens, eines globalen Agrar­kon­zerns. Am Ende ging er für neun Jahre in den Knast, während dieje­nigen, gegen die er über zwei­ein­halb Jahre mit Hilfe von Wanzen, verseckten Kameras und viel Einfalls­reichtum Beweise gesammelt hatte, mit drei Jahren davon­kamen. Irgend etwas war schief­ge­laufen. Steven Soder­bergh erzählt diese Geschichte ein wenig zu stil­si­cher und selbst­ver­liebt als Farce aus dem Wirt­schafts­leben, vor allem aber als Retro-Werk. Unter der Hand gerinnt ihm der Stoff zum Film zur Mach­tüber­nahme der FDP.

Old-School-Nostalgie quillt aus Musik und Bildern, und schon in den ersten Minuten der Anfangs­credits, als man nur ein altmo­di­sches Tonband­gerät sieht, erscheinen seine Bilder eher wie aus den 60er-Jahren, als wie aus den 90ern, in denen der Film tatsäch­lich spielen soll: *Schmunzel, schmunzel* signa­li­siert nicht nur jede Einstel­lung, sondern die ganze Haltung, und die Musik klingt ein wenig, wie aus dem Rosarote Panther.

Mit Betrach­tungen über »Corn«, also Mais und Soja­bohnen, und was man damit außer Corn­flakes so machen kann – im Prinzip alles, denn aus Stärke produ­ziert man heute sogar Kunst­stoffe –, beginnt der Film, gefolgt von Betrach­tungen über die deutsche Sprache: Wie man »Porsche« ausspricht, ist noch irgendwie wichtig, schließ­lich hat der Mann vier Stück davon in der Garage stehen, völlig belanglios hingegen ist die Infor­ma­tion, dass sein deutsches Lieb­lings­wort »Kugel­schreiber« heißt – nur eine Vorlage für den Gag: »So many syllables just to say pen.«

Mark Whitacre ist ein hohes Tier mit glän­dendem Einkommen und großen Karrie­re­aus­sichten bei dem gigan­ti­schen inter­na­tio­nalen Agrar­kon­zern Archer Daniels Midland (ADM) in Decatur, Illinois. Aber eines Tages kommt sein Wohl­stands­leben durch­ein­ander, als er einem Betrug in seinem Unter­nehmen auf die Spur kommt. Soll er die FBI infor­mieren? Mit solchen Fragen beginnt eine zunächst überaus witzige Komödie über Menschen mit feinen Anzügen, großen Wagen und kleinen Gedanken. Wieder mal wie so viele Filme auf wahre Ereig­nisse zurück­ge­hend, und »based on the book 'The Informant (A True Story)' by Kurt Eichen­wald« (dem aller­dings Soder­berghs Ausru­fe­zei­chen fehlt) spielt Matt Damon mit geschmack­losem Schnauzer, 20 Kilo ange­fres­senem Fett und Kassen­brille einen Mann, der in den 90er Jahren einer­seits das FBI über die unsau­beren Machen­schaften seiner Firma infor­mierte – dabei aber selbst keines­wegs sauber blieb und so irgend­wann zwischen allen Stühlen saß.

Finanz­welt und Poli­zei­ar­beit als absurde mensch­liche Komödie und eine sehr unter­halt­same, in ihren Dimen­sionen wahn­wit­zige Hoch­stap­ler­ge­schichte in der Tradition von Catch Me If You Can gewürzt mit dem realis­ti­schen Ernst von Michael Manns The Insider. Von dem weiß Soder­berghs zwischen Realismus und Surrea­lismus wankender Film zu wenig, und Moral kümmert ihn im Gegensatz zu Mann, gar nicht. Aber Whitacre, das zur Erin­ne­rung, war der höch­st­ran­gigste CEO der USA, der je zum »Whist­leb­lower« wurde.

Damit ist Steven Soder­berghs The Informant! sozusagen das flauschig-leichte, schaum­ge­bremste, unauf­ge­regte, oder sagen wir doch einfach mal neoli­be­rale Gegen­s­tück zu seinem eigenen Gerech­tig­keits­thriller Erin Brockovich gelungen, das Spiel­film­ge­gen­s­tück auch zu all den notge­drungen ernst­haften Doku­men­ta­tionen über Banken­krise, Börsianer-Gier und die Moral des Kapi­ta­lismus, die zur Zeit in Kino und Fernsehen zu sehen sind, wie etwa Michael Moores Capi­ta­lism: A Love Story, der auch in den deutschen Kinos zu sehen ist: Eine comedie humaine mit vielen geist­rei­chen Innen­an­sichten aus der US-Business-Welt. Auch stilis­tisch wirkt das alles in erster Linie wie ein realis­ti­scheres, aber auch wesent­lich braveres Pendant zu Soder­berghs Ocean’s-Filmen – und George Clooney spielt hier eben auch nicht mit.

Auch wenn es viel­leicht stimmt, dass man Steven Soder­bergh kaum etwas übel­nehmen kann, stra­pa­ziert er mit diesem Film die Nerven auch seiner echten Fans beträcht­lich. Zuviel des Schmun­zel­hu­mors, zuviel des Stylings – viel­leicht ist Soder­bergh ja am Ende doch nicht ganz so gut, wie man gern glauben würde. Oder viel­leicht dreht er auch einfach zu schnell zu viele Filme. Viel­leicht ist Soder­bergh nicht minder ein Nerd, wie seine Haupt­figur, ein Regisseur, der seine Filme baut, wie andere Leute Modell­ei­sen­bahnen. Alles, was einen schon immer an Soder­berghs Filme irritiert, mitunter gestört hat, alles was sie trotz ihres Könnens und gele­gent­lich aufblit­zender Genia­lität dann auch wieder grund­sätz­lich lang­weilig und öde gemacht hat – liegt hier jeden­falls nun offen zutage: Soder­bergh will klug sein, ist aber auch ein wenig feige und rela­ti­viert sich darum immer selbst.

Man kann die Neigung, sich aus der Affaire zu ziehen, indem er einen Stil durch den des nächsten Films demen­tiert, eine moralisch-poli­ti­sche Position durch die nächste widerlegt oder gar »kriti­siert«, Soder­berghs Pose, sich durch jeden Film »neu zu erfinden« und dadurch ungreifbar, unan­greifbar auch zu bleiben, nun natürlich als »post­mo­derne Methode« beschreiben: Nach dem schwarz­grünen Che-Epos im Cinema-Verité-Stil kam es zu einem hippen Glitzer-Glitter-Arthouse-Stück in dem – welch ein Einfall – Pornostar Sasha Grey die Haupt­rolle spielte (und nebenbei auch ein bisserl Haut zeigte) – The Girl­friend Expe­ri­ence. Aber was ist eigent­lich post­mo­dern daran, außer dass Künstler nicht mehr in Sack und Asche gehen und ihrem Stil asketisch treu bleiben müssen? Genauer: Was unter­scheidet diese Post­mo­derne von schnöder Anpassung an den Markt und moralisch-politisch-ästhe­ti­schem Rela­ti­vismus?
Viel eher ist Soder­bergh doch ganz einfach ein proto­ty­pi­scher Reprä­sen­tant des Filme­ma­chens des Neoli­be­ra­lismus. Sein Werk ist sozusagen ange­bots­ori­en­tiertes Filme­ma­chen: Eine Gemischt­wa­ren­hand­lung, die für jeden etwas bietet.

Weil The Informant! dieses Verfahren so offen ausstellt, wie wenige Filme Soder­berghs bisher, entpuppt sich dies, wie die Zufälle so sind, als der Film – nein, nicht zur Schwarz­gelb, aber zur Mach­tüber­nahme der FDP. (Nein – natürlich nicht, dass Soder­bergh jetzt schon irgend­etwas von Guido-mobil und wie er die Welt sah gehört hätte. Es geht um Zeitgeist. Nicht weniger.) Denn was Whitacre hier prak­ti­ziert, ist das Herstellen von »spontaner Ordnung«, von Evidenz im Augen­blick, bei der niemand mehr nach Moti­va­tion oder Gesinnung fragt, bei der die Entschei­dungs­ge­gen­s­tände beliebig sind. Die Ordnung kann nur spontan sein, wenn sie nicht auf vorge­ge­bene Ziele ausge­richtet ist. Und die Haupt­figur des Films ist – honi soit qui mal y pense – ja ein Hoch­stapler und Großkünstler der Lüge, einer der so von den eigenen Geschichten berauscht ist, dass er ihnen irgend­wann selber glaubt. Und »Lüge« ist hier selbst­ver­s­tänd­lich wie bei Nietzsche im ganz und gar außer­mo­ra­li­schen Sinn gemeint (also, liebe FDP-Fans: Ich sage hier nicht, dass nur alle FDPler und Neoli­be­ralen Lügner sind, oder das das besonders schlimm wäre, wenn sie es wären).

Denn die Schlüs­sel­frage des Films lautet: Warum hat Whitacre das alles überhaupt gemacht? Antwort: Weil er nicht anders kann. Und will. Weil er ein Süchtiger und psychisch Kranker ist, aber einer, der aus der eigenen Not eine Tugend macht. Und darin ähnelt er vermut­lich doch ein wenig dem Regisseur des Films. Der viel­leicht auch nicht recht weiß, wer er ist, was er als Filme­ma­cher will, ob er als Filme­ma­cher überhaupt irgend­etwas will. Und der darum so viel Wind macht, dass keiner im falschen Moment Fragen stellt. Der seine Virtuo­sität und seine vielen Möglich­keiten, sein Können derart (und immer etwas over the top) zur Schau stellt, damit ihn alle bewundern und nicht fragen, was eigent­lich dahinter ist, was das denn bitte­schön überhaupt alles soll. Darin ähnelt Soder­bergh nun aller­dings wieder der FDP. Form replaces function – darum gibt es hier auch noch einen stetig das Geschehen kommen­tie­renden, dabei im Hinblick auf den Film völlig undis­zi­pli­nierten Off-Kommentar.

Steven Soder­bergh entfaltet nun in The Informant! eine ausge­feilte Drama­turgie der Lüge. »Lügen ist ein Sprach­spiel, das gelernt sein will wie jedes andere«, wußte bereits Ludwig Witt­gen­stein: Nicht mora­li­sche Regeln, sondern Spiel­re­geln sind ausschlag­ge­bend für die Praxis des Lügens wie anderer gesell­schaft­li­cher Hand­lungen. Seine Haupt­figur ist ein manisch-depres­siver Spieler, einer der sich in den Mittel­punkt drängt, und immer etwas zu überdreht ist. Das gehört dazu. Denn das Spiel des Lügens folgt also bestimmten Regeln. Jeder gute Lügner muss erst einmal die Wahrheit kennen, um diese dann ausrei­chend souverän zu negieren. Der Wahr­haf­tige hat dagegen überhaupt keine Wahl – er ist der Wahrheit wie einer Behin­de­rung ausge­lie­fert. In ihrem Buch Die Kunst des Lügens beschreibt Simone Dietz das Lügen als sprach­liche Fähigkeit und »kommu­ni­ka­tive Kompetenz«, als moralisch neutral. Die Lüge kann unge­rechter Betrug, aber auch heilvolle Sozi­al­kom­pe­tenz sein. Es kann eine traurige Ange­le­gen­heit sein, aber auch ein Triumph. Allemal ist das Lügen anstren­gender als jede Aufrich­tig­keit und Ehrlich­keit. Der Zwang zur ständigen Korrektur, zur Anpassung des Vorge­täuschten an den wirk­li­chen Tatbe­stand allein macht es schon mühselig. Aber es hält genau darum den Verstand auch wach und in Bewegung. Alle haben diese Erfahrung gemacht: Plato, der im Kleinen Hippias die erste theo­re­ti­sche Vertei­di­gung der Lüge formu­lierte, Montaigne, Nietzsche, Freud, Choderlos de Laclos, Flaubert, Oscar Wilde... Lügen ist geistig-seeli­sches Lifting. So wie die erste Schön­heits­ope­ra­tion ständige Korrek­turen und Ergän­zungen nach sich zieht, verlangt auch die Lüge ein fort­ge­setztes Update. Die Lüge muss also auch als schöne Kunst betrachtet werden.

Davon ahnt Soder­bergh zu wenig, auch wenn er all dies kaum bewusst noch verdop­pelt: Sein Film ist Fiktion in der Fiktion. Im Unter­schied zu Besseren seiner Zunft ist hier aber nichts mehr zu spüren oder zu sehen von der Lüge auf höchstem Niveau, von Lüge als Mittel des Wider­stands und der Subver­sion. Whitacre ist wie der ganze Film den Zwängen der Identität und der Gesell­schaft ganz und gar verfallen. Und Soder­bergh scheint nichts zu wissen davon, dass die Lüge längst gesell­schafts­fähig ist, nichts von der Lust der Zuhörer am Neuen und Fremden, am Uner­war­teten und Unglaub­li­chen, am Schauder, belogen zu werden.

Was bleibt, ist also eine Komödie über einen dreisten Narr, der auf Michael-Crichton-Bücher steht, über das schöne Leben mit vier Porsches in der Garage, über einen noto­ri­schen aber char­manten Lügner einen Mensch voller Wider­sprüche – gut geschrieben, witzig, dabei alles in allem auch ein glatter Film, mit dem man Spaß hat, von dem aber über das Ende hinaus nicht viel bleibt. Entspannt? Ja, dass ist der Film schon, aber eben zu entspannt. Wie die FDP.