Pans Labyrinth

El laberinto del fauno

Mexiko/E/USA 2006 · 119 min. · FSK: ab 16
Regie: Guillermo Del Toro
Drehbuch:
Kamera: Guillermo Del Toro
Darsteller: Sergi López, Maribel Verdu, Ivana Baquero, Doug Jones, Alex Angulo u.a.
Düsteres Märchen: PANS LABYRINT

Alice im Horrorland

Für sechs Oscars war er nominiert, drei hat er bekommen: Guillermo del Toros Pans Labyrinth – schon bei seiner Premiere auf dem Festival von Cannes, wo er spät lief, und wohl auch deshalb ohne Preis ausging, wurde deutlich, dass dies einer der wich­tigsten Filme der Dekade ist: Ein düsteres Märchen in der Tradition von Lewis Caroll und den Gebrüdern Grimm, eine heidnisch-katho­li­sche, überaus sinnliche Analogie auf die Franco-Ära, und die Gegenwart, zugleich eine kleine Theorie des Horror­films, der die Liebe zum Horror nicht »Bewäl­ti­gung« ratio­na­li­siert, sondern in ihre Sper­rig­keit bewahrt, und in ihrem Charakter bessere Gegenwelt gegenüber dem Horror der Wirk­lich­keit.

»Es war einmal unter der Erde, da träumte eine Prin­zessin von einer mensch­li­chen Welt...« Ophelia liest gern Märchen, und wenn sie gerade kein Buch zur Hand hat, dann denkt sie sich welche aus. Manchmal sind es richtig schreck­liche Gespens­ter­ge­schichten; was daran liegen mag, dass die Verhält­nisse in denen sie lebt, auch nicht wirklich schön sind. 1944 tobt der Zweite Weltkrieg, und in ihrer Heimat Spanien liegt das Ende des Bürger­kriegs auch erst fünf Jahre zurück. Die Faschisten unter Gene­ra­lis­simus Franco haben gesiegt, doch in der Provinz, in den dunklen Wäldern, hinter den sieben Bergen regieren die pro-repu­bli­ka­ni­schen Milizen der lokalen Parti­sanen, die sich im Terrain viel besser auskennen. Ophelia selbst hat ihren Vater verloren und die Mutter hat wieder gehei­ratet. Der böse Stief­vater, den das Mädchen konse­quent »Capitan«, also Hauptmann, nennt, ist ein Faschist, wie er nicht nur im Märchen­buche steht, und weil Ophelias Mutter schwanger ist, und Capitan Vidal meint, ein Sohn – selbst­ver­s­tänd­lich wird es ein Sohn – müsse bei seinem Vater geboren werden, fahren Mutter und Tochter zu jenem Außen­posten, wo Vidal Dienst tut. Als sie einmal unterwegs anhalten, findet Ophelia einen geheim­nis­vollen Stein, der wunder­ba­rer­weise genau in eine Öffnung in jener Statue passt, die am Wegesrand steht. Genau in dem Moment, als sie ihn hinein­ste­cken will – eine Initia­tion –, krabbelt eine Gottes­an­be­terin heraus. »Das muss eine gute Fee sein«, spürt Ophelia ganz klar, und nun beginnt ihre Reise in eine Traumwelt.

Spätes­tens mit diesem großar­tigen Film, der ihm soeben über­ra­schende, aber verdiente sechs Oscar-Nomi­nie­rungen einbrachte, beweist das aus Mexiko stammende Kino-enfant-terrible Guillermo del Toro (Chronos, 1994; Mimic, 1997; Blade II, 2002; Hellboy, 2004) dass er zu den inter­es­san­testen und besten Filme­ma­chern der Gegenwart gehört. In sehr eigenen, ausge­sucht poeti­schen und origi­nellen, jeden­falls unge­se­henen Bildern erzählt der Regisseur eine Geschichte des Horrors im Spanien während des ersten Jahr­zehnts nach dem Bürger­krieg. Film­his­to­risch wurde das Sujet der ersten Jahre nach dem Bürger­krieg im spani­schen Kino bereits 1973 mit Victor Enrices El espiritu de la colmena, und seit Beginn der Demo­kratie bereits mehrfach bear­beitet. So etwa handelte Julio Sánchez Valdés' Luna de lobos (1987) von einer Gruppe Repu­bli­kaner, die den Krieg nach dem offi­zi­ellen Ende der Kämpfe weiter­führen. Und del Toro selbst lieferte mit El espinazo del diablo (The devil’s backbone, 2001) einen für ihn typischen wilden Mix aus Geis­ter­ge­schichte und coming-of-age-Drama, das 1939 in der Endphase des Bürger­kriegs spielte. Dahinter verbarg sich eine ebenso kluge wie bittere Betrach­tung der spani­schen Geschichte des vergan­genen Jahr­hun­derts und das anrüh­rende Portrait eines Kindes im Krieg.

Von Anfang an funk­tio­niert das Neben­ein­ander von »Realität« und Märchen­welt auch in Pans Labyrinth, dem zweiten Teil einer »Spani­schen Trilogie«, der noch ein Film namens 3993 folgen soll, an dem del Toro gerade arbeitet. Der Film ist Fantasy, aber er handelt zwei­felsfei immer von unserer Welt, ihren Schrecken und ihren Hoff­nungen. Die Wech­sel­be­zie­hung ist keine alle­go­ri­sche, der Film erzählt vom Neben­ein­ander zweier Welten, und welchen Realitäts-Status man der einen von ihnen zubil­ligen will, der von Fabel­wesen bevöl­kerten Märchen­welt, mit der Ophelia kommu­ni­ziert, hängt davon ab, welchen Status man überhaupt der Welt der Phantasie und der Mytho­logie zuzu­bil­ligen gewillt ist. Pans Labyrinth jeden­falls ist ein Stück moderne Mytho­logie, und wie jede Mytho­logie kann man hier alles als einen Tagtraum betrachten, aber auch als mehr. Ophelias Paral­lel­uni­versum ist magisch, aber real. Der Film ratio­na­li­siert es nicht, indem er sugge­riert, es sei »nur« Phantasie der Tagtraum. Er nimmt es einfach hin. Wie Orpheus im Mythos und in Cocteaus Orphée reist Ophelia in diesem Film in die Unterwelt, kehrt wieder zurück und hin und her. Dort begegnet sie einem Biest von ähnlicher Ambi­va­lenz wie das Monster aus James Whales Klassiker Fran­ken­stein, an den der Film mehrfach anspielt, ebenso wie auf Neil Jordans The company of wolves. Die zwei Welten, die Pans Labyrinth einander gegenüber­stellt, sind Ordnung und Phantasie, zugleich auch Kindheit und Erwach­se­nen­welt. Wenn Ophelia ihr Ende der Kindheit erlebt, und dem Teufel in Menschen­ge­stalt begegnet, muss man zwangs­läufig auch an die Kinder und ihre Reise in ein surreales Traum-Schre­ckens-Amerika in Charles Laughtons The Night of the Hunter denken.

Nach ihrer Ankunft beim Stief­vater wird Ophelia von der Fee zu einem Labyrinth im Wald geführt, dessen Zentrum eine Treppe in die Tiefe birgt. Dort begegnet sie einem Faun mit undurch­sichtig-ambi­va­lenten Charakter, der ihr das Geheimnis ihrer Herkunft eröffnet: Eigent­lich ist sie nämlich eine Prin­zessin. Vor dem nächsten Vollmond muss sie drei Aufgaben lösen, um ins Fabel­reich ihrer Herkunft heim­kehren zu können. Während sie an der Lösung dieser Aufgaben arbeitet, besiegt sie einen Riesen­frosch, kämpft gegen ein blindes, kinder­mor­dendes Ungeheuer zwischen den Etagen ihres Hauses, und versucht das Rätsel um den Faun und sein Labyrinth zu entschlüs­seln. Während­dessen nimmt der Terror in ihrer Umgebung immer mehr zu: Im Kampf gegen die Parti­sanen schreckt Capitan Vidal vor keiner Grau­sam­keit zurück: Er foltert und tötet Unschul­dige, er tyran­ni­siert aber auch das Haus­per­sonal, die Mutter Ophelias und schließ­lich sogar Ophelia selbst
Brillant auf der Schwelle kind­li­chen Spiels und Ahnungen erwach­sener Ernst­haf­tig­keit spielt die seiner­zeit erst zehn­jäh­rige Ivana Baquero die Haupt­rolle der Ophelia. Und in der Figur des von Sergi López glänzend verkör­perten bösen Stief­va­ters und Fran­quisten Vidal gelingt ein bril­lantes Portrait des Faschismus – in seiner Todes­be­ses­sen­heit, wie in der Zwang­haf­tig­keit dieses ordnungs­fe­ti­schis­ti­schen Charak­ters, der ein »Espana limpia« (»sauberes Spanien«) propa­giert, und in seiner Freizeit Uhren repariert – und zugleich ein Folter­knecht ist. »Faschismus ist für mich der Moment, in dem wir Befehle bekommen, und uns nur zwei Optionen bleiben.« sagt del Toro, »Wer hat eigent­lich das Recht, den Irakern zu sagen, was für sich richtig ist?« Das ist die Aktua­lität des Films. Das Labyrinth ist Ort des Übergangs, ein Ort an dem man nicht verweilt. »Es steht für Spanien als Land im Übergang.«

Zugleich bewegt sich der Film auch in einer bekannten und durchaus spezi­fi­schen Tradition spanisch­spra­chiger Phan­tastik und Märchen. Man muss Amenabars The Others anführen, die Werke Fernando Arrabals wie »Viva la Muerte Es lebe der Tod«, aber natürlich auch die Filme Luis Bunuels, die surrea­lis­ti­schen Expe­ri­mente Dalis. Zu denken ist auch an den Regis­seurs Julio Medem (Lucia und der Sex) und Del Toro’s Freund aus Jugend­zeiten, den ebenfalls aus Mexiko stam­menden Regisseur Alfonso Cuarón (Große Erwar­tungen, Harry Potter und der Gefangene von Askaban und Children of Men), der hier als Produzent fungiert. In der Lite­ra­tur­ge­schichte muss man noch an Cervantes »Don Quixote« erinnern, wo der Romanheld ein Träumer ist, der Abenteuer und Romantik herbei­phan­ta­siert, wo die Wirk­lich­keit von öder Prosa ist. Doch hier fehlt noch das Abgrün­dige, wie es dann etwa im kafka­esken »magischen Realismus« des Jorge Luís Borges.

Überaus gelungen ist auch die Verbin­dung der märchen­haften mit den realis­ti­schen Elementen – ein Balan­ceakt. In Bildern und Durch­füh­rung ist das glei­cher­maßen sehr freu­dia­nisch wie poetisch. Del Toro bietet satte, barocke, überaus sinnliche Bilder: Es tropft und kleckert, Dreck, Regen­wasser, Schleim, Urin, und vor allem Blut, viel Blut fließen, man meint die Feuch­tig­keit und Kälte zu fühlen, das Moos des Waldes zu riechen. Pans Labyrinth ist eine zwingende phan­tas­ma­go­ri­sche Genre-Melange mit Bezügen zur Malerei von Goya, zum heidnisch-antiken, wie zum christ­li­chen Kosmos; moderne Mytho­logie, katho­li­sches »Alice im Horror­land« – ein großar­tiger Film, der zugleich mit seiner Story auch eine kleine Theorie des Horror­films mitfor­mu­liert: Die Liebe zum Horror wird hier nicht als Form der »Bewäl­ti­gung« durch Schock begriffen, sondern als Flucht­phan­tasie plausibel, als Gebor­gen­heit spendende bessere Gegenwelt gegenüber dem Horror der Wirk­lich­keit. Und als Tagtraum in den Sekunden des Todes. Denn am Ende dieses Horror­trips, bei dem ihre Mutter und Vidal auf der Strecke bleiben, wird auch Ophelia in die Unterwelt einziehen und damit tatsäch­lich ihren Vater wieder­finden.
Ein wunder­barer Film, von dem man mit Gewiss­heit sagen kann, dass er nicht nur zu den blei­benden Werken des Jahres, sondern dieser Dekade gehört.