Restless

USA 2010 · 91 min. · FSK: ab 6
Regie: Gus Van Sant
Drehbuch:
Kamera: Harris Savides
Darsteller: Henry Hopper, Mia Wasikowska, Ryo Kase, Schuyler Fisk, Jane Adams u.a.
Schöne, todgeweihte Jugend

Todgeweihte Darwinistin

Was Party-Crasher sind, das weiß man. Es gibt aber auch Beer­di­gungs-Crasher. Sie ziehen von einer Toten­feier auf die nächste, in der Regel aus mate­ri­ellen Gründen, um sich beim Leichen­schmaus den Bauch voll­zu­schlagen, manchmal aber auch nur, um schöne Musik zu hören, Atmo­s­phäre zu tanken oder einfach, weil sie sich selbst in morbider Weise vom Tod angezogen fühlen. Der junge Enoch ist so einer. Inzwi­schen läuft er schon in Gefahr von den Mitar­bei­tern der Beer­di­gungs­in­sti­tute erkannt zu werden, und als das mal wieder der Fall ist und eine Anzeige droht, rettet ihn Annabelle aus der verzwickten Lage, indem sie über­zeu­gend behauptet, man trauere doch nur um den gerade gestor­benen Onkel. Damit beginnt die Liebes­ge­schichte zwischen beiden.

Der Tod ist allge­gen­wärtig, und das nicht nur, weil sie ihr schräges Hobby fort­setzen. Sondern schnell wird klar, dass beide tiefere Beweg­gründe haben, die Nähe zu Tod und Sterben zu suchen, dass ihre Bedürf­nisse seelische sind: Enoch verlor seine Eltern bei einem fürch­ter­li­chen Auto­un­fall, war selbst klinisch tot und lag lange im Koma. Annabelle dagegen hat, schlimmer noch, selbst einen unheil­baren Hirntumor und nur noch drei Monate zu leben. Sie sind fürein­ander bestimmt und auch wieder nicht, denn sie haben keine Zeit. Daran ist nichts zu ändern. Die Frage ist: Wie lernt man sterben? Wie stirbt man glücklich? Geht das überhaupt, oder ist das nur Ideologie?

Der Film entgegnet dem mit einer Art privater Utopie. Die ange­mes­sene Antwort auf den Tod ist, ihm nicht zuviel Raum zu geben, auch wenn er über­mächtig zu werden droht. Die Krankheit, die Anna­belles Körper bereits über­wäl­tigt hat, kann Gemüt und Geist über­ra­schend wenig anhaben. Die Vielfalt und Schönheit der Welt, das weiß gerade Darwin-Fan Annabelle, ist schließ­lich auch noch da. Natürlich kann man auch in solchem Stoi­zismus Schlechtes finden: Die Verdrän­gung des Todes. Aber ihr redet Van Sant nicht das Wort. Er erinnert nur daran, dass man das Leben erst recht nicht verdrängen sollte. Der Tod war eigent­lich schon immer das Thema Van Sants, dessen viel­fäl­tiger Gestalt er sich in völlig unter­schied­lich tempe­rierten Filmen genährt hat: Gerry, Elephant und Last Days waren offen als Tode­stri­logie über­schrieben, auch von Selbst­mord­tri­logie hätte man reden können. Und auch in Paranoid Park geht es um eine Tode­s­er­fah­rung, in Milk um einen Mord. Was alle diese Filme nun mit Restless verbindet, ist ein gemein­sames Lebens­ge­fühl der Entfrem­dung.

Der Regisseur bleibt also seinen Ursprüngen im Inde­pen­dent-Kino treu, kehrt sogar ein bisschen zu ihnen zurüäck. Auch Restless hat eine ziemlich unzeit­ge­mäße Anmutung, ist, obschon konven­tio­neller als Van Sants letzte Filme vor Milk, ganz unver­gleichbar mit dem sonstigen ameri­ka­ni­schen Coming-of-Age-Kino. Er wirkt eher wie ein Film aus den 70er Jahren, von Hal Ashby viel­leicht: Zwei verlorene Seelen lernen sich kennen, und finden Halt anein­ander. Auch die beiden Haupt­dar­steller sind unge­wöhn­lich, und bilden ein wunder­bares Paar: Henry Hopper, der Sohn von Dennis, der dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ist, ist eine völlige Neuent­de­ckung. Mia Wasi­kowska, einer der Shooting-Stars des ameri­ka­ni­schen Kinos, dagegen kennt man schon als Alice in Tim Burtons Caroll-Verfil­mung. An Burton, dessen frühe Filme, wird man hier auch sonst manchmal erinnert – dieser Film ist ein Märchen, das in jeder Hinsicht aus der Zeit gefallen ist, es gibt einen Geist – von einem japa­ni­schen Kamikaze-Piloten – es gibt einen Verweis auf Nagasaki und die Atombombe.

Wer Wasi­kowskas Annabelle zu süß, zu simpel findet, dem müsste man entgegnen, dass sich diese Figur der jungen, schönen, todge­weihten Darwi­nistin, die sich besonders für Vogel­kunde inter­es­siert, von Beginn des Films an in ihr Sterben ergeben hat, mit dem eigenen Tod im Reinen ist. Manchmal erscheint sie sie hier feen­gleich, weil die eigent­liche Story eher um die Figur des Jungen kreist. Enoch muss erlöst werden, und wird es, indem er sich in diesem Fall – im Gegensatz zum Tod seiner Eltern – verab­schieden kann.

So ist dies ein tragi­ko­mi­scher, leichter, stel­len­weise betö­render, dabei milder Film. Trost spendet auch die Plat­ten­samm­lung des Regisseur, von Danny Elfman, über Sixties-Pop bis zu einem ein Song von Nico am Ende. Dazu kommen ein paar verspielte Nostalgie-Augen­blicke im Balla­denton, musi­ka­li­sche und modische Anspie­lungen auf die zwanziger Jahre. Filmisch kommt Restless sehr bescheiden daher, ganz anders und insgesamt etwas unam­bi­tio­nierter als die anderen Filme Van Sants seit Gerry: ohne Chro­no­lo­gie­brüche und Ellipsen. Aber auch hier erzählt der Regisseur, und darin liegt der Reiz des Films, poetisch in Form von Leer­stellen, Öffnungen und Ruhe­punkten, die sich, blickt man genauer hin, immer wieder auftun.