07.09.2007
64. Filmfestspiele von Venedig 2007

Kiffer killen keine Kinder

The Darjeeling Limited
Scheiß mit Biedermeiermoral :
The Darjeeling Limited
(Foto: Twentieth Century Fox of Germany)

Multible Persönlichkeiten, der Hintern von Natalie Portman, Druiden und Drogen im Kino

Von Rüdiger Suchsland

»Aus der Kriegs­schule der Seele: Ein für allemal einen Charakter darstellen, aber ohne dass erkennbar wird, dass man noch fünf oder sechs andere hat.« Ein Zitat von Friedrich Nietzsche, angeblich aus »Die fröhliche Wissen­schaft«. Bei der Schnell­suche im Internet nicht zu finden, aber wir wollen es Alexander Kluge (und unserer Mitschrei­be­kunst) einmal glauben, der den Satz in seinem »Programm 4« durch Tech­no­rhythmen grundiert zitiert. Der Nietzsche-Rave passt zu blendend zu einigen Lido-Filmen, als dass man auf es verzichten wollte.

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1881-1882, als Nietzsche an der »Fröh­li­chen Wissen­schaft« schreibt, erlebt Jesse James gerade seine letzten Monate, und ist, wenn man Andrew Dominiks Film glauben darf, auch damit beschäf­tigt, die verschie­denen Charak­tere – oder Ungeheuer – in seinem Inneren unter Kontrolle zu halten. Für den Jesse-James-Darsteller Brad Pitt wiederum, wie eigent­lich für jeden Darsteller, hat Nietzsche hier eine gute Gebrauchs­an­wei­sung formu­liert.
Jetzt wünschen wir uns eigent­lich, dass Brad Pitt einmal Nietzsche spielt, und zwar so, dass alle sieben Charak­tere sichtbar werden.

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Warum es ausge­rechnet sieben sein müssen? Oder gibt hier immer noch die Magie des Märchens den Ton an? Aber auch in Johnnie To’s Mad Detective geht es um die verschie­denen Charak­ter­fa­cetten der Seele, und auch dort begegnet man einem Schurken, der gleich sieben verschie­dene Personen in sich trägt. Einmal fahren alle sieben zusammen im Auto, da wird es eng, aber das ist eine schöne Filmszene.
Dass er schön sei, kann man über den Rest des Films leider nicht sagen. Er lief hier als »Über­ra­schungs­film«, der vierte im vierten Müller-Jahr, und der Über­ra­schungs­ef­fekt beginnt sich auch abzu­nutzen, wenn man die Über­ra­schung schon erwartet, noch dazu weiß: Es muss ein Film aus Asien sein.
Mad Detective ist ein schwacher To. Viel­leicht ist die Story um einen Cop, der im Wahnsinn zum Medium und also Super­ermittler wird, als Kurz­ge­schichte sogar ganz gut. Aber im Film nervt das. Das Haupt­pro­blem: Der Film ist nicht schön anzusehen. Und das ist es doch, was bei To immer funk­tio­niert.

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»Wo Dinge zerklei­nert werden, fällt Staub an.« heißt es einmal in Bitomskys STAUB-Film. Gilt auch für Bob Dylan. Er ist ungreifbar, und wer ihn dennoch zu fassen versucht, dem entzieht er sich wie Staub zwischen den Händen. So gesehen könnte es auch keinen besseren Titel für einen Bob-Dylan-Film geben, als I’m Not There (Ich bin nicht da). Und so gesehen ist es nicht nur eine sehr origi­nelle, sondern auch eine ange­mes­sene Entschei­dung, diesen multiplen Künstler und seine verschie­denen Facetten statt von einem gleich von sechs Darstel­lern verkör­pern zu lassen, und zwar unter anderem von einer Frau und von einem Schwarzen, und das alles nicht etwa chro­no­lo­gisch, sondern parallel. Man kann diese Entschei­dung aller­dings auch ziemlich manie­riert finden, und wären nicht unter anderem Cate Blanchett, Richard Gere und Christin Bale unter diesen Dylan-Darstel­lern, würde man alldem noch weniger wohl­wol­lend folgen. So ist I’m Not There im Grunde ein ziemlich typische Hollywood-Biografie, die ihren Main­stream-Charakter durch Stil­mätz­chen zu über­tün­chen sucht, aber auch genau daran krankt. Was Todd Haynes eigent­lich erzählen will, bleibt völlig unklar. Viel­leicht dass Dylan Gott ist; und er, Haynes, sein Ästhet? Zu sehr erstarrt sein Film, der soeben im Wett­be­werb von Venedig Premiere hatte, in Ehrfurcht vor seinem Gegen­stand, versucht diesen zu imitieren, statt eine eigene Haltung sichtbar werden zu lassen.
Jeden­falls wird hier endlich sichtbar, dass Haynes' Kino immer schon purer Ästhe­ti­zismus gewesen ist, wogegen ja auch nichts zu sagen ist. Aber es nutzt sich halt ab.

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Womit es sich jetzt nicht mehr vermeiden lässt, auf Darjee­ling Limited zu kommen. Eigent­lich ist alles über den Film gesagt, wenn man daran erinnert, dass Haupt­dar­steller Owen Wilson vor zwei Wochen einen Selbst­mord­ver­such unter­nommen hat – schon wenn man das Film­poster sieht, bekommt man eine Ahnung, warum.
Es macht keinen Spaß, über den Film zu schreiben, darum machen wir es so kurz, wie möglich: Wes Andersons Film ist wie seine letzten beiden Filme geprägt von Wich­tig­tuerei, Schmun­zel­humor, der Abwe­sen­heit von irgend­etwas, das man erzählen möchte und der Mädchen­liebe für kleine, süße und teure Gegen­s­tände. Weil Anderson inzwi­schen eine Marke geworden ist, produ­ziert er auch Marken­filme, weswegen wir uns auf noch etwa weitere 20 ähnliche Werke einzu­stellen haben…

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Nun macht es tatsäch­lich Spaß, American rich kids in einem Zimmer des Pariser Nobel­ho­tels Raphael zuzusehen, wie sie Musik auf dem I-Pod hören, Cheese­burger essen, in einem gelben Bade­mantel oder nackt herum­laufen und über sich reden. Das orangene Gelb, der Bade­mantel, vor allem aber Portman mit sehr kurzen Haaren, roten Fingernä­geln, und schließ­lich ihr nackter Hintern machen den Film zu einer schönen Erfahrung.
Aber Hotel Chevalier ist ja nur der 13-minütige Vorfilm zu Darjee­ling Limited. Er ist besser und inhalts­rei­cher – was nicht heißt, dass er viel zu sagen hätte, oder nicht auch vor allem vom Marken-Feti­schismus geprägt wäre. Aber immerhin geht es um etwas.
Der Spaß wird nur dadurch gemildert, dass man zuvor im Pres­se­fach eine schwach­sin­nige Pressnote erhalten hatte, folgenden Wortlauts: »There are two parts of Darjee­ling Limited. The first part, the short film, which you will see first, is a seperate story from, but is slightly related to the main feature. It will not be shown in theatres but instead on the internet and also at film festivals and on the DVD. Our goal is to try to get every person who goes to see the film, to see the short first. Thank you very much.«
Soviel zur Wich­tig­tuerei.

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In Darjee­ling Limited aber geht es um gar nichts mehr. Bzw. darum, wie lustig und originell doch Wes Anderson ist. Ein indisches Taxi fährt schnell zum Bahnhof, Bill Murray sitzt drin, vepasst den Zug im Gegensatz zu drei Brüdern deren einzige Gemein­sam­keit ihre orangenen Luis Vuitton-Koffer sind.
Es folgen zwei Stunden im Zug, die nichts mit Menschen oder Indien zu tun haben. Ein auf Hermes-Boutique gestyltes Indien, völlig orien­ta­lis­tisch, nie eine Geschichte, soll aber witzig sein, auch der Tod eines Kindes. Nur Gelaber, Gerede, in Halb­to­talen und Close-Ups, alles wird auf seine Gagfunk­tion zurecht­ge­stutzt. Ein so offen­sicht­li­cher Scheiß, dass er schon in 20 Jahren niemanden mehr inter­es­sieren wird, auch nicht als Zeit­zeugnis. Und am Schluß darf natürlich trotz aller Leere die Bieder­meier-Moral nicht fehlen: Große Kinder müssen erwachsen werden, Brüder einander vertrauen.

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Erst recht hat das nichts mit irgend­einer Erfahrung zu tun – außer der, wenn Anderson in den Spiegel guckt. Bzw: Wenn er eine Droge auspro­biert. Denn da wäre eine Erklärung: Solche Filme macht man, wenn man auf Drogen ist.
»Ein Ort ist unver­s­tänd­lich, wenn man seine Bewegung nicht versteht.« sagt Aris­to­teles bei Kluge. Ein Kommentar zu Andersons Indien-Bild, der aber von der Fehl­an­nahme ausgeht, dass Anderson verstehen will. Ob Aris­to­teles Drogen­er­fah­rungen hatte?

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Was der 87jährige Eric Rohmer so raucht, wüsste man auch mal gerne. Les Amours D’Asrée Et De La Céladon ist erst der vierte Kostüm­film in der langen Karriere Rohmers. Die Adaption eines seiner­zeit berühmten, heute völlig verges­senen Romans »Astrée« aus dem frühen 17. Jahr­hun­dert. Es umfasst fast 4000 Seiten, ist in fünf Teilen zwischen 1607 und 1628 erschienen, ist das einzige Werk von Honoré d’Urfe (1568-1625), und war im 17. und 18. Jahr­hun­dert überaus populär. Im Zentrum steht die Liebe von Astrée zu Celadon, die überaus umfang­reich und detail­liert, von zahllosen Exkursen unter­bro­chen erzählt wird.
Es gibt Druiden und Nymphen, weil alles in früher Vorzeit ange­sie­delt ist, und Rohmer konzen­triert sich eher auf das Schicksal des jungen Mannes: Astrée liebt den Schäfer Celadon, er liebt sie auch, doch bei einem Masken­spiel wird sie eifer­süchtig und verletzt. Seine Erklärungen und Entschul­di­gungen, die Beteue­rung der Liebe nimmt sie nicht hin, woraufhin er sich in den nahen Fluß stürzt. Von Nymphen gerettet kostet es ihn einige Anstren­gungen und eine neue Maskerade – als Mädchen verkleidet gewinnt er zunächst Astrées »keusche« Freund­schaft – um sie zurück­zu­ge­winnen.

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Gewiß ist es verdienst­voll diesen verges­senen Stoff der Verges­sen­heit zu entreißen. Gewiß kann man sich Stoff und Film mit dem gesam­melten Instru­men­ta­rium der Gender­for­schung nähren, man kann im Spiel der Illu­sionen eine Reflexion der eigenen Kunst entdecken, und in dem Film Rohmers fort­ge­setzte Liebe zum Ideal, eine Ode an die Kunst und an das Leben.
Nur muss man da fragen: Ist dies das, was man auf der Leinwand sieht, oder was man sich dazu denkt?

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Was man sieht, das sind pastellig-helle Bilder, dem die Gelbtöne ein wenig entzogen sind. Das Bild­format ist altmo­di­sches 4:3. Vogel­zwit­schern und das Kikeri der Hähne, das hohe Gras im Wind und die Schafe im Hinter­grund dieses Schä­fer­spiels schaffen die Aura einer weit­ge­hend unberührten Natur. Um so unna­tür­li­cher ist die Sprache. Künstlich, thea­ter­haft dekla­mie­rend, Bedeutung betonend reden die Figuren so, dass einem nur das Wort »geschwollen« bleibt. Und wenn sie immer wieder singen, wird es einfach uner­träg­lich.
Die Frauen sind immer schön bei Rohmer. Ihre Busen schla­ckern, mal entblößt, meist eng einge­schnürt in Kleider aus ebenso feinen wie leichten Stoffen. Das Mädchen Astrée hat lange blonden Haare, der Junge Celadon ein andro­gynes Aussehen.
Ein Alters­werk, dem man als Fan alles Mögliche unter­stellen kann, aber eine »Reinheit« und »Unschuld« der Gesten und der Sprache, die so sichtbar insze­niert und behauptet ist, dass alles um so künst­li­cher wirkt, und die an der Grenze zur unfrei­wil­ligen Lächer­lich­keit liegt.

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»Merda voi« – haben wir heute noch gelernt. Über die guten Filme reden wir morgen in Ruhe, jetzt noch schnell zu Frei­schwimmer von Andreas Kleinert. Kleinert, 1962 geboren, wurde bei uns mit Wege in die Nacht bekannt, einem strengen Film über die Folgen von 1989, der ihn 1999 sogar nach Cannes brachte. Seitdem viel Fernsehen gemacht, »Poli­zei­rufe« und »Schi­manski« gedreht. Mit Frei­schwimmer versucht er jetzt ein Comeback auf der großen Leinwand – das leider gründlich miss­lungen ist. Dabei ist der Film sehr gut besetzt: Alice Dwyer, Dagmar Manzel, Devid Striesow und August Diehl gehören zur Creme de la Creme der deutschen Darsteller. Doch die halb märchen­hafte, halb augen­zwin­kernde Insze­nie­rung geht nicht auf, und die Story will zu viel auf einmal sein, ist gleich­zeitig Komödie und Gift­mör­der­krimi, Puber­täts­drama-Drama und Pauker­film, und ein Hauch von Schul­mas­saker kommt am Ende auch noch dazu – die Schüler, denen von einem wahn­sin­nigen Lehrer und seinem gestörten Lieb­lings­schüler die Kehle durch­ge­schnitten wird, sind aller­dings nur aus Plastik und selbst­ge­bas­telt. Alice Dwyer mit blonden Haaren ist nur ein unsin­niger Gag, permanent signa­li­siert die Musik »Komödie«, schafft eine schmun­ze­lige Kitsch­stim­mung, der Held ist wiedermal ein vater­loser deutscher Junge, wie man ich so oft im Kino trifft. Wenns ein guter Film, wäre würde man alles aushalten. Aber bei Sätzen wie »Man kann sie hören, die Stille. Selbst in der stillsten Stille«, fragt man sich: Wer liest denn hier die Dreh­bücher? Und warum wird ausge­rechnet dieser Film nach Venedig einge­laden?

Man merkt schon, dass man hier sehr viel Wohl­wollen braucht, um den Film durch­zu­sitzen, weil sehr sehr viel zusam­men­ge­packt ist, zu viel beim besten Willen. Keine Hand rührte sich am Ende der Premiere zum Applaus, und auch nur ein spär­li­ches »Buh« – statt­dessen stilles Entsetzen im Kino.

Rüdiger Suchsland