64. Filmfestspiele von Venedig 2007
Sex, Politik und ein bisschen Moral |
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Schon wieder gewonnen: Ang Lee mit Lust, Caution |
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(Foto: Tobis Film) |
Am Ende war es dann doch ein überraschendes Votum: Zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren gewinnt der in den USA lebende Chinese Ang Lee den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig – und zum dritten Mal in Folge ein chinesischer Regisseur. Sein Film Lust, Caution wurde überdies mit dem Kamerapreis ausgezeichnet. Für Lee ist dies bereits der vierte Hauptpreis auf einem A-Festival – vor den beiden Goldenen Löwen hatte er 1993 und 1996 zweimal in Berlin den Goldenen Bär gewonnen – damit gehört er endgültig zu den erfolgreichsten lebenden Regisseuren der Welt.
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Vor allem, weil Lee erst kürzlich hier gewann, hatte man Lust, Caution, der bereits am ersten Tag des Wettbewerbs lief, eher einen der anderen Preise zugetraut. Das elegisch inszenierte, dennoch auf seine Art intime Historiendrama spielt in Hongkong und Shanghai während des Zweiten Weltkriegs, als China von Japan besetzt war, und handelt vom Konflikt zwischen Begehren und Moral. Eine junge Studentin kämpft in einer Widerstandsgruppe gegen die Besatzer. Bei einem geplanten Attentat auf einen führenden Kollaborateur soll sie als »Lockvogel« dienen – unglücklicherweise verliebt sie sich in ihr Opfer.
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»Es ist überwältigend, dass diese Ehre gerade von einer Jury kommt, die nur aus Regisseuren besteht«, bedankte sich Lee bei der Preisverleihung. In seiner Dankesrede erinnerte er an den kürzlichen Tod der »Regieganten« Antonioni und Bergman, und widmete seinen Preis der Erinnerung an Bergman, den er persönlich kannte, und erst kürzlich besucht hatte.
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Der Silberne Löwe für Regie ging an Brian De Palma für dessen beklemmendes Irak-Kriegs-Drama Redacted. »Dieser Krieg wird nicht schnell vorbei sein«, erklärte De Palma auf der Preisverleihung: »Hoffentlich werden die Leute, wenn sie endlich die Bilder des Krieges zu sehen bekommen, draußen auf der Straße demonstrieren.« Die besondere Qualität von Redacted liegt in seinen Skrupeln, darin, dass dieser Film und sein Regisseur sich immer wieder selbst in Frage stellen, ihre eigenen Perspektive nicht trauen. Indem er zwischen verschiedenem Filmmaterial, Bildpositionen und Kamerablicken, zwischen Spielfilm und Doku, Off-Kommentar und Videotagebuchstil hin und her wechselt, signalisiert De Palma den Zuschauern: Es gibt kein Bild, keine Aussage, dem man wirklich trauen kann – ihr müsst selbst entscheiden. »Der Film ist für mich eine Suche nach Antworten«, so De Palma.
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Der drittwichtigste Jury-Preis ging ex aequo an Todd Haynes (für das Bob-Dylan-Biopic I’m Not There und den Franzosen Abdellatif Kechiche für dessen Familiendrama La graine et le mulet. Der Film gewann auch den »Fipresci-Preis« und mit seiner Hauptdarstellerin Hafsia Herzi den »Premio
Marcello Mastroianni.« Die beiden weiteren Darstellerpreise gingen etwas überraschend an die US-Darsteller Brad Pitt und Cate Blanchett – die beide nicht zur Preiserleihung erschienen.
Klarer Verlierer vom Samstag ist der Amerikaner Paul Haggis, dessen In the Valley of Elah ebenfalls vom Irakkrieg handelt, im Zweifel aber wegschaut und auf eine Weise versöhnlich wirkte, die für viele
nur wie typische Hollywood-Verlogenheit erschien.)
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So endete am Wochenende ein Festival, das Licht und Schatten bot. Zwar fielen die drei italienische Beiträge durch, und man vermisste ganze Filmregionen, wie Lateinamerika, doch war der Wettbewerb allemal auf starkem Grundniveau – wenn es auch nur wenige Filme gab, die überraschende avantgardische Filmsprachen, Experimente und stilistische Innovation boten. Eher setzte Festivalchef Marco Müller auf bekannte Namen und amerikanische Stars, als auf das Neue
und Unerwartete. Das wiegt um so schwerer, als dass unter Müller die Nebenreihen – noch vor wenigen Jahren ein Herz des Festival – zuletzt stark reduziert wurden, so dass man die dort noch wirklich lohnenswerten Filme an einer Hand abzählen konnte. Hinzu kommt, dass die diesjährige, mit viel Aplomb angekündigte Retrospektive zu Italo-Western die Erwartungen nicht erfüllte, und vom Festival selbst überaus lieblos gehandhabt wurde. Damit erfüllt die »Mostra« derzeit die
Aufgaben eines Festivals nur halb. Und das Programm trug allenfalls über eine Woche, nicht aber über zwölf lange Tage. Viel Show, etwas zu wenig dahinter – lautet die Kritik, die auch in der italienischen Presse lauter wird.
Zudem hat sich Müller mit dem Davide Croff, dem Chef der Gesamtbiennale offenbar zerstritten. So deutet, unabhängig von Croffs anstehender Vertragsverlängerung viel darauf hin, dass Müllers Zeit am Lido abgelaufen ist – egal wie viele
Hollywoodsstars er diesmal an den Lido karrte. Seine Nachfolgerin, munkelt man, werde Irene Bignardi, die bereits einmal, in Locarno, auf Müller folgte. So endet Venedig, wie so oft: Mit der Rückkehr der italienischen Lokalpolitik und einem strahlenden Sieger aus Asien.
(to be continued)
Rüdiger Suchsland