09.09.2007
64. Filmfestspiele von Venedig 2007

Sex, Politik und ein bisschen Moral

Lust, Caution
Schon wieder gewonnen:
Ang Lee mit Lust, Caution
(Foto: Tobis Film)

Filmfestspiele von Venedig: Ang Lee gewinnt den Goldenen, Brian De Palma den Silbernen Löwen

Von Rüdiger Suchsland

Am Ende war es dann doch ein über­ra­schendes Votum: Zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren gewinnt der in den USA lebende Chinese Ang Lee den Goldenen Löwen bei den Film­fest­spielen von Venedig – und zum dritten Mal in Folge ein chine­si­scher Regisseur. Sein Film Lust, Caution wurde überdies mit dem Kame­ra­preis ausge­zeichnet. Für Lee ist dies bereits der vierte Haupt­preis auf einem A-Festival – vor den beiden Goldenen Löwen hatte er 1993 und 1996 zweimal in Berlin den Goldenen Bär gewonnen – damit gehört er endgültig zu den erfolg­reichsten lebenden Regis­seuren der Welt.

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Vor allem, weil Lee erst kürzlich hier gewann, hatte man Lust, Caution, der bereits am ersten Tag des Wett­be­werbs lief, eher einen der anderen Preise zugetraut. Das elegisch insze­nierte, dennoch auf seine Art intime Histo­ri­en­drama spielt in Hongkong und Shanghai während des Zweiten Welt­kriegs, als China von Japan besetzt war, und handelt vom Konflikt zwischen Begehren und Moral. Eine junge Studentin kämpft in einer Wider­stands­gruppe gegen die Besatzer. Bei einem geplanten Attentat auf einen führenden Kolla­bo­ra­teur soll sie als »Lockvogel« dienen – unglück­li­cher­weise verliebt sie sich in ihr Opfer.

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»Es ist über­wäl­ti­gend, dass diese Ehre gerade von einer Jury kommt, die nur aus Regis­seuren besteht«, bedankte sich Lee bei der Preis­ver­lei­hung. In seiner Dankes­rede erinnerte er an den kürz­li­chen Tod der »Regie­ganten« Antonioni und Bergman, und widmete seinen Preis der Erin­ne­rung an Bergman, den er persön­lich kannte, und erst kürzlich besucht hatte.

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Der Silberne Löwe für Regie ging an Brian De Palma für dessen beklem­mendes Irak-Kriegs-Drama Redacted. »Dieser Krieg wird nicht schnell vorbei sein«, erklärte De Palma auf der Preis­ver­lei­hung: »Hoffent­lich werden die Leute, wenn sie endlich die Bilder des Krieges zu sehen bekommen, draußen auf der Straße demons­trieren.« Die besondere Qualität von Redacted liegt in seinen Skrupeln, darin, dass dieser Film und sein Regisseur sich immer wieder selbst in Frage stellen, ihre eigenen Perspek­tive nicht trauen. Indem er zwischen verschie­denem Film­ma­te­rial, Bild­po­si­tionen und Kame­ra­bli­cken, zwischen Spielfilm und Doku, Off-Kommentar und Video­ta­ge­buch­stil hin und her wechselt, signa­li­siert De Palma den Zuschauern: Es gibt kein Bild, keine Aussage, dem man wirklich trauen kann – ihr müsst selbst entscheiden. »Der Film ist für mich eine Suche nach Antworten«, so De Palma.

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Der dritt­wich­tigste Jury-Preis ging ex aequo an Todd Haynes (für das Bob-Dylan-Biopic I’m Not There und den Franzosen Abdel­latif Kechiche für dessen Fami­li­en­drama La graine et le mulet. Der Film gewann auch den »Fipresci-Preis« und mit seiner Haupt­dar­stel­lerin Hafsia Herzi den »Premio Marcello Mastroi­anni.« Die beiden weiteren Darstel­ler­preise gingen etwas über­ra­schend an die US-Darsteller Brad Pitt und Cate Blanchett – die beide nicht zur Preis­erlei­hung erschienen.
Klarer Verlierer vom Samstag ist der Ameri­kaner Paul Haggis, dessen In the Valley of Elah ebenfalls vom Irakkrieg handelt, im Zweifel aber wegschaut und auf eine Weise versöhn­lich wirkte, die für viele nur wie typische Hollywood-Verlo­gen­heit erschien.)

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So endete am Wochen­ende ein Festival, das Licht und Schatten bot. Zwar fielen die drei italie­ni­sche Beiträge durch, und man vermisste ganze Film­re­gionen, wie Latein­ame­rika, doch war der Wett­be­werb allemal auf starkem Grund­ni­veau – wenn es auch nur wenige Filme gab, die über­ra­schende avant­gar­di­sche Film­spra­chen, Expe­ri­mente und stilis­ti­sche Inno­va­tion boten. Eher setzte Festi­val­chef Marco Müller auf bekannte Namen und ameri­ka­ni­sche Stars, als auf das Neue und Uner­war­tete. Das wiegt um so schwerer, als dass unter Müller die Neben­reihen – noch vor wenigen Jahren ein Herz des Festival – zuletzt stark reduziert wurden, so dass man die dort noch wirklich lohnens­werten Filme an einer Hand abzählen konnte. Hinzu kommt, dass die dies­jäh­rige, mit viel Aplomb angekün­digte Retro­spek­tive zu Italo-Western die Erwar­tungen nicht erfüllte, und vom Festival selbst überaus lieblos gehand­habt wurde. Damit erfüllt die »Mostra« derzeit die Aufgaben eines Festivals nur halb. Und das Programm trug allen­falls über eine Woche, nicht aber über zwölf lange Tage. Viel Show, etwas zu wenig dahinter – lautet die Kritik, die auch in der italie­ni­schen Presse lauter wird.
Zudem hat sich Müller mit dem Davide Croff, dem Chef der Gesamt­bi­en­nale offenbar zerstritten. So deutet, unab­hängig von Croffs anste­hender Vertrags­ver­län­ge­rung viel darauf hin, dass Müllers Zeit am Lido abge­laufen ist – egal wie viele Holly­woods­stars er diesmal an den Lido karrte. Seine Nach­fol­gerin, munkelt man, werde Irene Bignardi, die bereits einmal, in Locarno, auf Müller folgte. So endet Venedig, wie so oft: Mit der Rückkehr der italie­ni­schen Lokal­po­litik und einem strah­lenden Sieger aus Asien.

(to be continued)

Rüdiger Suchsland