64. Filmfestspiele von Venedig 2007
Vamos a matar, compañeros |
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Ein amerikanischer Albtrum: In the Valley of Elah |
Obwohl hier viel weniger Filme laufen als in Cannes oder Berlin, ist Venedig unglaublich viel schlechter organisiert, so dass man über Tage nicht gut zum Schreiben kommt – nicht gut heißt: über einen längeren Zeitraum, konzentriert, unter passablen Bedingungen. Darum kam auch dieses Tagebuch ins Stocken, hoffen wir mal, dass wir das in den verbleibenden fünf Tagen noch nachholen können.
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Wenn nichts gut ist an den Spaghetti-Western in der Retrospektive, dann sind es doch zumindest die Titel. Una ragione pervvere e una per morire zum Beispiel heißt der übrigens gute Film von Tonino Valerii, auf Deutsch: Ein Grund zu Leben und ein Grund zu Sterben. Noch besser: Vamos a matar companeros von Sergio Corbucci, der ganz hervorragend auch für den Rest der hier besprochenen Filme passen würde. Eines der Glanzstücke der Retro: Neben Thomas Milan und Franco Nero sieht man hier auch Jack Pallance, Fernando Rey – bevor er zum Helden des Autorenkinos wurde – und: Iris Berben! Was uns auf den Gedanken brachte: Wann macht eigentlich endlich mal einer eine Iris-Berben-Retropektive?
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»Eine interessante Information, deren Hintergründe bisher nicht zu erforschen waren: Die Spaghetti-Western heißen in Japan« „Makkeroni-Western“. Und wer weiß, was ein „Sukiyaki-Western“ ist? Genau: Ein Western aus Japan mit japanischen Darstellern, der in der Regel auch in Japan spielt. Darauf kommen wir demnächst noch mal zurück. Was aber gleich eine zweite wichtige Frage aufwirft: Wie heißen dann eigentlich die deutschen Western? „Kartoffel-Western“?
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Scarlett Johannson, Richard Gere, Ludovine Sagnier, Ewan McGregor und Diane Kruger – bekannte Namen präsentierten sich während der letzten Tage im Dutzend mit neuen Filmen auf dem roten Premierenteppich der Filmfestspiele von Venedig. Doch auch wenn diese Stars ihre Fans und die Boulevardjournalisten zu kurzfristigen Begeisterungsstürmen hinzureißen vermögen – sie bleiben doch allem Lärm und Yellow-Press-Geschnatter zum Trotz nur Nebensache am Lido. Denn weder Claude Chabrol, noch überraschenderweise Woody Allen laufen mit ihren neuen Filmen im Wettbewerb, und auch die neuen Filme von Johannson und Gere wurden eindeutig vor allem nach Venedig geladen, damit diese Darsteller noch für ein paar Schlagzeilen mehr sorgen. Und zumindest für Woody Allen könnte es am Wochenende bei seinem erklärten Lieblingsfestival für längere Zeit der letzte Auftritt gewesen sein – hat er doch das Festival massiv verärgert, indem er über Nacht zwei der vier regulären – und für jeden Film gleichen – Vorführungen untersagte, ohne sich darum zu kümmern, dass er diese längst zugesagt hatte und sie in allen Programmen gedruckt waren. Der Grund dürfte außer in Allens bekannter Unberechenbarkeit wohl auch darin zu finden sein, dass Cassandra’s Dream zwar kein ganz schwacher, aber ganz bestimmt nicht Allens bester Film ist, und man offenbar nicht noch mehr schlechte Presse haben wollte.
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Der Wettbewerb selbst hält nach einem starken Auftakt weiterhin sein gutes Niveau. Kaum schwache und viele, bei allen Unterschieden überdurchschnittliche Filme waren bis zur Festivalhalbzeit am Dienstag zu sehen.
Nach dem herausragenden, aber inhaltlich deprimierenden Redacted von Brian DePalma dreht sich auch In the Valley of Elah von Paul Haggis (L.A. Crash) um Vietnam 2.0 – den Irakkrieg und dessen moralische und psychologische Folgen. Formal ist Haggis' Film allerdings das Gegenteil von DePalmas: Eine klassische Hollywood-Geschichte über starke Väter und schwache Söhne, die unter ihnen leiden, die ihre Achtung erobern wollen, und darob sündigen. Aber auch die Väter haben gesündigt, nur müssen sie, um das zu erkennen, auch diesmal wieder
reisen.
Es ist auch eine Story, die vor biblischen Metaphern nur so strotz, schon im Titel, der nicht etwa, wie man denken könnte, ein Tal im Irak bezeichnet, das zum Tal der Sünde wird, sondern jenes Tal, in dem der biblische David seine Angst bezwingen wird, bevor er auf Goliath trifft. Schon im Titel also klafft die spezifische Differenz: Während DePalmas auf den Inszenierungs- und Lügencharakter des Kinos, der Bilder und des Krieges hinweist, erinnert Haggis an die eine ewige
Ordnung, die über aller Unordnung intakt bleibt – für die Gläubigen jedenfalls, aber das sind hier alle.
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Man merkt schon in den ersten Minuten, dass dies ein gut komponiertes Drehbuch ist. Der Film fängt ruhig an, holt weit aus.
Der American Dad in diesem Väter-und-Söhne-Drama wird gespielt von Tommy Lee Jones. Er spielt einen Soldaten im Ruhestand, einen ziemlichen Zwangsneurotiker, der am Morgen erst einmal die Flagge in Ordnung bringt, so wie er später auch sein Bett ordentlich zusammenfaltet. Dessen Sohn, auch ein Soldat, wird kurz nach seiner Rückkehr aus dem Irak als vermisst
gemeldet. Der Vater macht sich selbst auf die Suche, wie ein Detektiv, und im Laufe dieser Reise wird er nicht nur den Sohn beerdigen, sondern sich neben seinem eigenem Versagen auch eingestehen müssen, dass der Mensch, den er gekannt und geliebt hat, durch den Krieg unrettbar zerstört wurde. Und weil die Suche auch kriminelle Strukturen bei der US-Armee zutage fördert, ist der Film teilweise ein Thriller und Jones zur Seite steht Charlize Theron als schöne Kommissarin in einer
Männerwelt.
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Der Film zeigt ein Amerika voller Frieden und scheinbarer Harmonie. Der Krieg ist – außer in den Köpfen – nur in den TV-Nachrichten präsent, dort allerdings in subtiler Penetranz ganz permanent. Egal wo ein Fernseher angeht – hier läuft immer die Daily-Soap-»Irak«.
Der Film zeigt allerdings auch ein Amerika, in dem die Armee ein Staat im Staat ist, der alles vertuscht, in dem die Soldaten drogensüchtig sind, in einem miesen Alltag aus Saufen und Table-Dance-Bars
abhängen, und zu einem hohen Prozentanteil aus Verlierern und Verbrechern bestehen, die in die Armee gehen, um ihrer Strafe zu entgehen, und dort neue Verbrechen begehen.
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In the Valley of Elah handelt also von der Erschütterung des braven, guten, netten Amerikaners von Nebenan, der mit sich perfekt im Reinen ist und vor dem Essen betet. Und genau für diese Leute, für das Mainstream-Publikum, nicht für das intellektuelle DePalmas ist dieser Film gemacht.
Formal ist Haggis' Film wie gesagt das Gegenteil von DePalmas: Haggis hält sich ganz an die Konventionen
Hollywoods, scheut auch vor Kitsch nicht zurück, zeigt die guten Menschen auch als schöne Menschen, und macht es mit alldem dem Mainstream-Publikum leichter. Am Ende hängt Tommy LeeJones dann die US-Flagge verkehrt herum: »That means Armee in distress« hatte er vorher bereits erklärt. Damit zeigt der Film wohl das Äußerste dessen, was derzeit im Rahmen Hollywoods möglich ist. Bei allem Mut aber bleibt er zu feige. Inhaltlich und im Ergebnis aber ähneln sich beide Filme: Der Irakkrieg
zerstört nicht „nur“ das Land im Orient, er korrumpiert Herz und Hirn der USA. Das Engagement der Filmindustrie kommt spät, aber in Filmen wie diesem beginnt sich Amerika einzugestehen, dass es einen kriminellen Krieg führt, dass seine Soldaten im Irak morden und foltern. »You have no idea, what we were doing there.« fasst es eine Filmfigur zusammen.
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Tony Leung als Folterknecht im Dienste der Japaner in Ang Lees Film Lust, Caution sei ein „Misscast“ erklärt mir die nette Kritikerin aus Japan, mit der ich seit Jahren immer wieder mal plaudere. Er sei zu weich, zu sanft, zu schön für so einen Menschen. Vielleicht war aber genau das der Punkt.
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Der Film Il ritorno di Ringo von Duccio Tessari erzählt im Western-Gewand die Odysseus-Geschichte. Es gibt sagenhafte Momente, etwa den, wenn der Held zunächst seine vermeintlich untreue Frau töten will. Dann sieht man, wie er ihr Kind sieht, dass er nicht kennt, aber erkennt, dass es seins ist. Und kurz darauf erkennt ihn diese Tochter instinktiv, bringt ihm Blumen. Oder wenn der Held mit gezogener Waffe hinter ein paar Buntglas- Fensterscheiben entlang geht, und
das Bild abwechselnd ganz Rot ist, Blau, Gelb, oder Grün. Zugleich teilen die Farbflächen das Bild auch fast wie ein Splitscreen und abstrahieren die Handlung. Alles Pose, alles Geste in diesem Rachethriller, wie in vielen Italo-Western, gerade den besseren. Es gibt auch schöne Dialoge: Eine Bardame will dem Held »die Karten lesen«: »Vergangenheit oder Zukunft?« – »Meine Vergangenheit kenne ich.« – »Nur wer Hoffnung hat, will seine Zukunft wissen.«
Und der Nachspann
verrät den Namen des Production Designers. Er heißt Antonio Negri. Was wohl nur ein Zufall ist, oder?
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Auch eine Reflexion der Gewalt Amerikas ist schließlich der Wettbewerbsfilm The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford von Andrew Dominik. Aus der zunächst allzu vorhersehbaren Nacherzählung der historischen Vorgänge der letzten Monate vor Jesse James' Tod im Jahr 1882 wird unter der brillianten Kamera von Roger Deakins (der auch In the Valley of Elah gefilmt hat, No Country for Old Men, The Village, Fargo und überhaupt überaus viele großartige Filme) ein
schöner Zen-Western.
Die Gangster werden als unbeabsichtigte Folgen des civil war, als Kinder des Krieges sichtbar. Aber eigentlich ist die Geschichte von Jesse James und Robert Ford hier die eine enttäuschter Liebe und unbewußter Demütigung. Die prototypische Geschichte von Star und Fan, an deren Ende der Fan den Star tötet, der ihn nicht so wie gewünscht wieder lieben will. Eine Bluttat aus Ressentiment.
Die vielleicht interessantesten Fakten betreffen die Folgen des
Mordes: Robert Ford wurde selbst zum Star, der 800 Mal seine Tat auf der Bühne nachspielte. Und der zhn Jahre später selbst ermordet wurde – ohne Nachrufe, Fotos und Nachruhm. Irgendwann würde man aber nun gern die Fortsetzung sehen: The Assassination of Robert Ford by the Coward Ed O’Kelley.
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Dominiks Film ist zu lang, aber nicht schlecht. Ein Drama der Entschleunigung, noch mehr aber der Desillusionierung, dass der print-the-legend-Moral der Mediengesellschaft Widerstand entgegensetzen will. Mich hat der Film stark an Robert Altmans Film Buffalo Bill and the Indians erinnert. Auch dies eine Enmythisierung, die selbst mythisches Potential entfaltet.