05.09.2007
64. Filmfestspiele von Venedig 2007

Vamos a matar, compañeros

Szenenbild »In the Valley of Elah«
Ein amerikanischer Albtrum:
In the Valley of Elah

Aber Helden sterben langsamer – Makkeroni, Sukiyaki, Vietnam 2.0 und ein Zen-Western – Tagebuchnotizen, 3. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Obwohl hier viel weniger Filme laufen als in Cannes oder Berlin, ist Venedig unglaub­lich viel schlechter orga­ni­siert, so dass man über Tage nicht gut zum Schreiben kommt – nicht gut heißt: über einen längeren Zeitraum, konzen­triert, unter passablen Bedin­gungen. Darum kam auch dieses Tagebuch ins Stocken, hoffen wir mal, dass wir das in den verblei­benden fünf Tagen noch nachholen können.

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Wenn nichts gut ist an den Spaghetti-Western in der Retro­spek­tive, dann sind es doch zumindest die Titel. Una ragione pervvere e una per morire zum Beispiel heißt der übrigens gute Film von Tonino Valerii, auf Deutsch: Ein Grund zu Leben und ein Grund zu Sterben. Noch besser: Vamos a matar compa­neros von Sergio Corbucci, der ganz hervor­ra­gend auch für den Rest der hier bespro­chenen Filme passen würde. Eines der Glanz­stücke der Retro: Neben Thomas Milan und Franco Nero sieht man hier auch Jack Pallance, Fernando Rey – bevor er zum Helden des Autoren­kinos wurde – und: Iris Berben! Was uns auf den Gedanken brachte: Wann macht eigent­lich endlich mal einer eine Iris-Berben-Retro­pek­tive?

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»Eine inter­es­sante Infor­ma­tion, deren Hinter­gründe bisher nicht zu erfor­schen waren: Die Spaghetti-Western heißen in Japan« „Makkeroni-Western“. Und wer weiß, was ein „Sukiyaki-Western“ ist? Genau: Ein Western aus Japan mit japa­ni­schen Darstel­lern, der in der Regel auch in Japan spielt. Darauf kommen wir demnächst noch mal zurück. Was aber gleich eine zweite wichtige Frage aufwirft: Wie heißen dann eigent­lich die deutschen Western? „Kartoffel-Western“?

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Scarlett Johannson, Richard Gere, Ludovine Sagnier, Ewan McGregor und Diane Kruger – bekannte Namen präsen­tierten sich während der letzten Tage im Dutzend mit neuen Filmen auf dem roten Premie­ren­tep­pich der Film­fest­spiele von Venedig. Doch auch wenn diese Stars ihre Fans und die Boule­vard­jour­na­listen zu kurz­fris­tigen Begeis­te­rungs­stürmen hinzu­reißen vermögen – sie bleiben doch allem Lärm und Yellow-Press-Gesch­natter zum Trotz nur Neben­sache am Lido. Denn weder Claude Chabrol, noch über­ra­schen­der­weise Woody Allen laufen mit ihren neuen Filmen im Wett­be­werb, und auch die neuen Filme von Johannson und Gere wurden eindeutig vor allem nach Venedig geladen, damit diese Darsteller noch für ein paar Schlag­zeilen mehr sorgen. Und zumindest für Woody Allen könnte es am Wochen­ende bei seinem erklärten Lieb­lings­fes­tival für längere Zeit der letzte Auftritt gewesen sein – hat er doch das Festival massiv verärgert, indem er über Nacht zwei der vier regulären – und für jeden Film gleichen – Vorfüh­rungen unter­sagte, ohne sich darum zu kümmern, dass er diese längst zugesagt hatte und sie in allen Programmen gedruckt waren. Der Grund dürfte außer in Allens bekannter Unbe­re­chen­bar­keit wohl auch darin zu finden sein, dass Cassandra’s Dream zwar kein ganz schwacher, aber ganz bestimmt nicht Allens bester Film ist, und man offenbar nicht noch mehr schlechte Presse haben wollte.

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Der Wett­be­werb selbst hält nach einem starken Auftakt weiterhin sein gutes Niveau. Kaum schwache und viele, bei allen Unter­schieden über­durch­schnitt­liche Filme waren bis zur Festi­val­halb­zeit am Dienstag zu sehen.
Nach dem heraus­ra­genden, aber inhalt­lich depri­mie­renden Redacted von Brian DePalma dreht sich auch In the Valley of Elah von Paul Haggis (L.A. Crash) um Vietnam 2.0 – den Irakkrieg und dessen mora­li­sche und psycho­lo­gi­sche Folgen. Formal ist Haggis' Film aller­dings das Gegenteil von DePalmas: Eine klas­si­sche Hollywood-Geschichte über starke Väter und schwache Söhne, die unter ihnen leiden, die ihre Achtung erobern wollen, und darob sündigen. Aber auch die Väter haben gesündigt, nur müssen sie, um das zu erkennen, auch diesmal wieder reisen.
Es ist auch eine Story, die vor bibli­schen Metaphern nur so strotz, schon im Titel, der nicht etwa, wie man denken könnte, ein Tal im Irak bezeichnet, das zum Tal der Sünde wird, sondern jenes Tal, in dem der biblische David seine Angst bezwingen wird, bevor er auf Goliath trifft. Schon im Titel also klafft die spezi­fi­sche Differenz: Während DePalmas auf den Insze­nie­rungs- und Lügen­cha­rakter des Kinos, der Bilder und des Krieges hinweist, erinnert Haggis an die eine ewige Ordnung, die über aller Unordnung intakt bleibt – für die Gläubigen jeden­falls, aber das sind hier alle.

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Man merkt schon in den ersten Minuten, dass dies ein gut kompo­niertes Drehbuch ist. Der Film fängt ruhig an, holt weit aus.
Der American Dad in diesem Väter-und-Söhne-Drama wird gespielt von Tommy Lee Jones. Er spielt einen Soldaten im Ruhestand, einen ziem­li­chen Zwangs­neu­ro­tiker, der am Morgen erst einmal die Flagge in Ordnung bringt, so wie er später auch sein Bett ordent­lich zusam­men­faltet. Dessen Sohn, auch ein Soldat, wird kurz nach seiner Rückkehr aus dem Irak als vermisst gemeldet. Der Vater macht sich selbst auf die Suche, wie ein Detektiv, und im Laufe dieser Reise wird er nicht nur den Sohn beerdigen, sondern sich neben seinem eigenem Versagen auch einge­stehen müssen, dass der Mensch, den er gekannt und geliebt hat, durch den Krieg unrettbar zerstört wurde. Und weil die Suche auch krimi­nelle Struk­turen bei der US-Armee zutage fördert, ist der Film teilweise ein Thriller und Jones zur Seite steht Charlize Theron als schöne Kommis­sarin in einer Männer­welt.

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Der Film zeigt ein Amerika voller Frieden und schein­barer Harmonie. Der Krieg ist – außer in den Köpfen – nur in den TV-Nach­richten präsent, dort aller­dings in subtiler Penetranz ganz permanent. Egal wo ein Fernseher angeht – hier läuft immer die Daily-Soap-»Irak«.
Der Film zeigt aller­dings auch ein Amerika, in dem die Armee ein Staat im Staat ist, der alles vertuscht, in dem die Soldaten drogen­süchtig sind, in einem miesen Alltag aus Saufen und Table-Dance-Bars abhängen, und zu einem hohen Prozent­an­teil aus Verlie­rern und Verbre­chern bestehen, die in die Armee gehen, um ihrer Strafe zu entgehen, und dort neue Verbre­chen begehen.

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In the Valley of Elah handelt also von der Erschüt­te­rung des braven, guten, netten Ameri­ka­ners von Nebenan, der mit sich perfekt im Reinen ist und vor dem Essen betet. Und genau für diese Leute, für das Main­stream-Publikum, nicht für das intel­lek­tu­elle DePalmas ist dieser Film gemacht.
Formal ist Haggis' Film wie gesagt das Gegenteil von DePalmas: Haggis hält sich ganz an die Konven­tionen Holly­woods, scheut auch vor Kitsch nicht zurück, zeigt die guten Menschen auch als schöne Menschen, und macht es mit alldem dem Main­stream-Publikum leichter. Am Ende hängt Tommy LeeJones dann die US-Flagge verkehrt herum: »That means Armee in distress« hatte er vorher bereits erklärt. Damit zeigt der Film wohl das Äußerste dessen, was derzeit im Rahmen Holly­woods möglich ist. Bei allem Mut aber bleibt er zu feige. Inhalt­lich und im Ergebnis aber ähneln sich beide Filme: Der Irakkrieg zerstört nicht „nur“ das Land im Orient, er korrum­piert Herz und Hirn der USA. Das Enga­ge­ment der Film­in­dus­trie kommt spät, aber in Filmen wie diesem beginnt sich Amerika einzu­ge­stehen, dass es einen krimi­nellen Krieg führt, dass seine Soldaten im Irak morden und foltern. »You have no idea, what we were doing there.« fasst es eine Filmfigur zusammen.

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Tony Leung als Folter­knecht im Dienste der Japaner in Ang Lees Film Lust, Caution sei ein „Misscast“ erklärt mir die nette Kriti­kerin aus Japan, mit der ich seit Jahren immer wieder mal plaudere. Er sei zu weich, zu sanft, zu schön für so einen Menschen. Viel­leicht war aber genau das der Punkt.

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Der Film Il ritorno di Ringo von Duccio Tessari erzählt im Western-Gewand die Odysseus-Geschichte. Es gibt sagen­hafte Momente, etwa den, wenn der Held zunächst seine vermeint­lich untreue Frau töten will. Dann sieht man, wie er ihr Kind sieht, dass er nicht kennt, aber erkennt, dass es seins ist. Und kurz darauf erkennt ihn diese Tochter instinktiv, bringt ihm Blumen. Oder wenn der Held mit gezogener Waffe hinter ein paar Buntglas- Fens­ter­scheiben entlang geht, und das Bild abwech­selnd ganz Rot ist, Blau, Gelb, oder Grün. Zugleich teilen die Farb­flächen das Bild auch fast wie ein Split­screen und abstra­hieren die Handlung. Alles Pose, alles Geste in diesem Rache­thriller, wie in vielen Italo-Western, gerade den besseren. Es gibt auch schöne Dialoge: Eine Bardame will dem Held »die Karten lesen«: »Vergan­gen­heit oder Zukunft?« – »Meine Vergan­gen­heit kenne ich.« – »Nur wer Hoffnung hat, will seine Zukunft wissen.«
Und der Nachspann verrät den Namen des Produc­tion Designers. Er heißt Antonio Negri. Was wohl nur ein Zufall ist, oder?

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Auch eine Reflexion der Gewalt Amerikas ist schließ­lich der Wett­be­werbs­film The Assas­si­na­tion of Jesse James by the Coward Robert Ford von Andrew Dominik. Aus der zunächst allzu vorher­seh­baren Nach­er­zäh­lung der histo­ri­schen Vorgänge der letzten Monate vor Jesse James' Tod im Jahr 1882 wird unter der bril­li­anten Kamera von Roger Deakins (der auch In the Valley of Elah gefilmt hat, No Country for Old Men, The Village, Fargo und überhaupt überaus viele groß­ar­tige Filme) ein schöner Zen-Western.
Die Gangster werden als unbe­ab­sich­tigte Folgen des civil war, als Kinder des Krieges sichtbar. Aber eigent­lich ist die Geschichte von Jesse James und Robert Ford hier die eine enttäuschter Liebe und unbe­wußter Demü­ti­gung. Die proto­ty­pi­sche Geschichte von Star und Fan, an deren Ende der Fan den Star tötet, der ihn nicht so wie gewünscht wieder lieben will. Eine Bluttat aus Ressen­ti­ment.
Die viel­leicht inter­es­san­testen Fakten betreffen die Folgen des Mordes: Robert Ford wurde selbst zum Star, der 800 Mal seine Tat auf der Bühne nach­spielte. Und der zhn Jahre später selbst ermordet wurde – ohne Nachrufe, Fotos und Nachruhm. Irgend­wann würde man aber nun gern die Fort­set­zung sehen: The Assas­si­na­tion of Robert Ford by the Coward Ed O’Kelley.

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Dominiks Film ist zu lang, aber nicht schlecht. Ein Drama der Entschleu­ni­gung, noch mehr aber der Desil­lu­sio­nie­rung, dass der print-the-legend-Moral der Medi­en­ge­sell­schaft Wider­stand entge­gen­setzen will. Mich hat der Film stark an Robert Altmans Film Buffalo Bill and the Indians erinnert. Auch dies eine Enmy­thi­sie­rung, die selbst mythi­sches Potential entfaltet.