Cinema Moralia – Folge 21
Der deutsche Film und sein Preis: Die Leuchte Asiens, der Flop des Jahres, die Finanzkrise und der Tod des Web 2.0 |
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Flop des Jahres? John Rabe | ||
(Foto: Majestic Filmverleih/ Twentieth Century Fox of Germany) |
Es ist wieder so weit: Der Deutsche Filmpreis steht bevor. Wie das so ist, sickert wieder allerhand durch über angebliche neue Pläne der famosen Deutschen Filmakademie. So erzählen Akademiemitglieder, die Akademie-Leitung wolle die bisherigen Vorauswahl-Jurys abschaffen und stattdessen eine einzige große Vorauswahl-Jury einberufen. Mal schauen, was man auf der Preisverleihung so darüber hört.
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Auch interessant: Achtmal nominiert, mit über 130 Kopien gestartet, hat John Rabe bisher in drei Wochen gerade mal 80.000 Zuschauer – locken können, und einen Kopienschnitt von 92 Zuschauern erzielt. Man könnte vom Flop des Jahres sprechen. Verdient ist er für die Vergewaltigungsschmonzette allemal – wie schon im Fall von Anonyma zeigt sich, dass die Zuschauer klüger sind als die Verleiher glauben.
Noch interessanter: Dass die Nominierungen der Akademie offenbar keine S… interessieren. Auch hier ist das Publikum schlauer, auch hier entpuppt sich das Marketinggeschrei – Melodie »wir tun was für den deutschen Film« – als hohl.
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Einen sehr lesenswerten Aufsatz zu eigentlich dem gleichen Thema hat Rolf Giesen im »Filmdienst« geschrieben. »Einbruch oder Aufbruch? Überlegungen anlässlich einer Filmwirtschaft in der Krise«. »Die Einschläge kommen näher.« steht da, »Angesichts des bevorstehenden wirtschaftlichen (und gesellschaftlichen) Tsunamis, zu dem die globale Spekulation über viele Jahre beigetragen hat, spürt man leichte Nervosität auch und gerade unter Medienschaffenden, besonders den
Freiberuflern. Die Mehrzahl ist nicht wetterfest. Viele hängen am Tropf der Förderungen. Ohne ihn würde ihnen der Exitus drohen.« Und weiter: »Nun könnte sich der deutsche Film, der vorrangig ein Fernseh- und nur beiläufig ein Kinofilm ist, an der Seite eines starken Partners, wie es das Fernsehen ist, eigentlich in Sicherheit wiegen, aber der Partner ist nur noch vermeintlich stark.«
Und weiter: »PC, Internet und die Verfügbarkeit preiswerter digitaler Software forcieren den
… Ausschluss der etablierten analogen Vertriebswege. Bill Gates und George Lucas nannten dies eine Demokratisierung der Medien. Sie geht mit einer hoffnungslosen Inflation der Bilderwelten einher, wenn jeder Amateur und Dilettant seine ganz persönlichen Bilder ins Netz stellt. Vielleicht führt dies dazu, dass professionelle Filme- und Bildermacher ein Nischendasein führen, was viele letztlich schon jetzt tun. Sie konkurrieren quasi mit ihrem potenziellen Publikum.
Auch für sie wird das einzelne Medium nicht mehr entscheidend sein, sondern der Zwang zur Diversifizierung bei gleichzeitiger Themenfindung. Eine herausragende Rolle könnte hier das E-Learning spielen: themenbezogene Bilderwelten für Ausbildung und Unterricht. Bildermacher könnten sich neues Terrain sichern in der Vernetzung der Wissensgesellschaft und in der Entwicklung entsprechender Tools.
Dies wäre, soviel ist sicher, eine neue Form des Kinos, und zwar über die
bloße Unterhaltung hinaus (= Edutainment). Auf diesem Markt tummeln sich dann bestimmt keine Piraten mehr, weil auf die Zusammenarbeit mit Unterrichtsministerien, Behörden etc. größter Wert gelegt wird. Außerdem kann hier etwas praktiziert werden, was man im Kommerzkino selten antrifft: ethische Verantwortung in direkter (interaktiver) Kommunikation mit künftigen Generationen.«
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Giesen zumindest glaubt also noch ans Web 2.0 Im Gegensatz zu Nick James vom britischen »Sight & Sound«. Der erzählte letzte Woche im Gespräch: Web 2.0 is dead, … nobody is making money, except google … look at the papers … The Guardian has put ist compleet history online, but it without any effect gestellt, … the readers are not interested in that … One has to start with paying for content. Dann entwarf James noch das Modell zweier möglicher Zukunftsmodelle der Filmkritik: Der »critic as pirate« der Filmausschnitte ripen sollte, und alles ins Netz setzen – »das ist Zitatrecht, wir werden sehen, ob das die Gerichte verbieten.« Oder der Kritiker als VJ, der Ausschnitte sampelt.
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Der Münchner Produzent Thomas Schühly meint übrigens, die Deutschen hätten nach dem Zweiten Weltkrieg verlernt, große Bilder zu machen und seien schlussendlich beim Fernsehen gelandet. »Das ist doch alles kein Kino!«, findet Schühly, nur wenig von dem, was aus Deutschland kommt, sei auf dem internationalen Kinomarkt wettbewerbsfähig. Vieles sei dagegen nur eine kinematografische Kopfgeburt des unteren Mittelstandes.
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Von Akademiepräsidentin Senta Berger liest man nebenbei auch in einer Pressemitteilung. Sie wird, nach Jahren in der Fernsehversenkung, mal wieder eine Kinorolle spielen: An der Seite von Hitler…, äh Bruno Ganz in dem Satte Farben vor Schwarz (AT). Wir sind überaus gespannt.
Was uns an der Meldung aber dann doch ein wenig stutzen ließ, war der zweite Satz: »In Düsseldorf
beginnen heute die Dreharbeiten zu dem Kinofilm Satte Farben vor Schwarz (AT). Für die Hauptrollen der Liebesgeschichte konnte Produzent Titus Kreyenberg (u.a. Hannah mit Nina Hoss) die Stars Senta Berger und Bruno Ganz gewinnen.« Da wundert man sich, weil man zwar weiß, dass Produzenten die
Schauspieler bezahlen, und natürlich die Presseagenturen, die solche Meldungen unters Volk bringen, aber doch bisher eigentlich dachte, dass Schauspieler immer noch von Regisseuren verpflichtet werden. Regie führt übrigens die Berlinerin Sophie Heldman.
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Das Beste, was man über Florian Gallenbergers für diverse deutsche Filmpreise nominiertes Historien-Melo John Rabe sagen kann, ist, dass es unseren Blick auf die hierzulande weitgehend unbekannten schrecklichen Ereignisse und das Massaker im Gefolge der Eroberung der chinesischen Hauptstadt Nanking durch japanische Truppen Ende 1937 lenkt – und auf das Wirken von
John Rabe, der seinerzeit als Leiter einer internationalen Sicherheitszone über 200.000 Menschen vor Tod, Folter und Vergewaltigung rettete. Wer sich all die Fragen beantworten möchte, die Gallenbergers Film offen lässt, und nach den Fakten hinter mancher Geschichtsklitterung sucht, wird im deutschen Buchmarkt, vom jüngst wiederaufgelegten Tagebuch John Rabes abgesehen, weitgehend allein gelassen. Auch Dokumentarfilme zum Thema gibt es nur in Übersee. Sie sind aber im
Internet bestellbar.
Wie »Nanking« überhaupt im letzten Jahrzehnt wieder in den Blick der Historiker kam und zum Symbol der japanischen Kriegsverbrechen während des Eroberungskrieges in China wurde, erzählt eindrucksvoll der fürs Fernsehen produzierte Film Iris chang: the rape of nanking (Regie: Anne Pick, William Spahic). Im Zentrum steht die Sino-Amerikanerin Iris Chang, die – selbst Kind von Nanking-Opfern – in den 90er Jahren mit den
Methoden der Oral-History erstmals in China Interviews mit Überlebenden führte, zudem erstmals die Tagebücher John Rabe als historische Quelle auswertete, und ihre Erstveröffentlichung 1997 ermutigte. Diese Quellen verarbeitete Chang zu ihrem Buch »The Rape of Nanking«, das das Thema popularisierte und in den USA zum Sachbuchbestseller wurde. Filmisch störend sind hier zwar einige mit Schauspielern nachgestellte Szenen und die überaus sentimentale Musik, aufregend
dafür die Zeitzeugen-Interviews, in denen auch manches über John Rabe zu erfahren ist. Erzählt wird zudem das weitere traurige Schicksal von Chang, die über die Arbeit in Depressionen fiel und 2004 Selbstmord beging.
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Der eindeutig bessere Film aber ist Bill Guttentags und Dan Sturmans Nanking (2007, http://www.thinkfilmcompany.com). Diese Dokumentation macht ausgiebig von jenem Dokumentarmaterial Gebrauch, das der amerikanische Pastor John Magee, der gemeinsam mit Rabe und anderen über drei Monate den Alltag in der Sicherheitszone organisierte, drehte, zum Teil mit versteckter Kamera. Es sind Bilder, die für sich sprechen in ihrer Schrecklichkeit. Man sieht
dort zum Beispiel einen Mann, dessen Köpfung per Säbel misslang. Sein halber Hals ist weggeschlagen, die andere Hälfte riesig eingekerbt, die Muskeln, die den Kopf aufrecht halten durchtrennt. Oder eine Frau, die am Leib Wunden von über 30 Bajonettstichen trägt, aber wundersamerweise überlebte. Rabe brachte Magees Filme 1938 nach Deutschland, offenbar allen Ernste in dem guten Glauben, Hitler zu einer Änderung seiner Politik bewegen zu können. Dort wurden sie von der GESTAPO
beschlagnahmt. Um andeutungsweise auszumalen, was seinerzeit geschah, zitieren die Filmemacher auch ausgiebig aus zeitgenössischen Quellen, die, von bekannten Schauspielern wie Mariel Hemingway, Woody Harrelson und Stephen Dorff gelesen, die Originalbilder begleiten – ein Verfahren, dass man von den TV-Dokumentationen von Ken Burns kennt. Durch die vielen Stimmen erfährt man auch einiges über John Rabe, das über dessen Hintergründe hinaus geht. Berufen wurde der
langjährige Siemens-Repräsentant in China natürlich auch aus der taktischen Überlegung, dass ein Deutscher bei den verbündeten Japanern am ehesten Gehör finden würde. Eindeutig aber ist das Lob für sein so unerschrockenes Auftreten vor Ort, und seine unmittelbare Humanität im Angesicht der Leiden der Chinesen.
Auch wer sich für den asiatischen Blick auf die Dinge interessiert wird fündig. Während es keine japanische Dokumentation zum Thema gibt, gibt es auch aus China
neben mehreren Spielfilmen von zweideutiger Qualität Wu Zinius halbdokumentarischen Nanking 1937: don’t cry, nanking, der 1998 in Tokio Premiere hatte, und dort heftig angegriffen wurde. Er ist über diverse asiatische DVD-Vertriebe bestellbar.
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Kaum zu glauben, aber wahr: Es gibt auch ein »Internationales Buddhistisches Film Festival«. Und zwar in London. Zur Eröffnung am siebten Mai läuft live Sitar- Flöten und Violin-Musik. Dort läuft ein Film mit dem beziehungsreichen Titel The Light Of Asia, ein Film von 1925, die erste internationale Koproduktion Indiens. Der Regisseur ist der 1876 in München geborene Franz Osten, einer der Pioniere des deutschen wie des indischen Kinos, und später
NSDAP-Mitglied. Der Film, der auch in einer deutschen Fassung (Die Leuchte Asiens) gedreht wurde – seinerzeit war das nicht unüblich –, gehört in den Kontext der verbreiteten deutschen Indiensehnsucht, und zeigt historisches Dokumentarmaterial, verbunden mit der Lebensbeschreibung des historischen Prinz Siddhartha, und dessen spiritueller Umwandlung in Gautama
Buddha. Er wurde in den 20er Jahren weltweit gezeigt. Bis 1929 drehte Franz Osten noch zwei weitere deutsch-indische Stummfilme, später arbeitete er dann als Regisseur für die Produktionsgesellschaft »Bombay Talkies« und drehte 16 Hindi-Filme.
Weiter Informationen unter www.barbican.org.uk/buddhistfilm und www.ibff.org
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In Berlin eröffnet am Sonntag, den 03. Mai 2009 im Delphi Kino das »15. Jewish Film Festival«. Gezeigt werden u.a. Der Junge im gestreiften Pyjama und der diesjährigen Kurzfilm-Oscar-Gewinnerfilms Spielzeugland von Jochen Alexander Freydank.
Rüdiger Suchsland
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.