64. Filmfestspiele Cannes 2011
The Trouble with Lars |
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»The special one«: Lars von Trier |
»Jehova! Jehova!« – wir kennen diese Figur aus Das Leben des Brian. Einer ruft das gerade dort, wo er es nicht rufen sollte. Dann wird er gesteinigt. Und was ruft man heute, wenn man die Menge provozieren möchte?
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»Ich habe entdeckt, dass ich ein Nazi bin. Das bereitet mir ein gewisses Vergnügen. Ich verstehe Hitler, auch wenn er einige falsche Entscheidungen getroffen hat. Ich sympathisiere sogar ein bisschen mit ihm.« Außenseiter unter sich – fassungslose Stille, und peinlich berührtes Gelächter war die erste spontane Reaktion auf diese Äußerungen, gestern Mittag während der Pressekonferenz zu Lars von Triers neuem Film Melancholia im Wettbewerb beim Filmfestival von Cannes. An diesem Donnerstag dann kam die Antwort: Das »Bord of Directors« – »ein Club von zehn alten Sarkozy-Anhängern«, so Josef Schnelle zwischen Tür und Angel – beim Festival bei dem Von Trier regelmäßig zu Gast ist, schon viele Preise gewonnen hat, unter anderem vor elf Jahren die Goldene Palme für Dancer in the Dark erklärt den dänischen Skandal-Regisseur zur persona non grata. Da half auch jene Presseerklärung Von Trier wenige Stunden zuvor nichts mehr, in der der Über-Regisseur versicherte, es tue ihm leid, sollte er jemanden beleidigt haben.
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»Persona non grata«, das ist ja eigentlich ein Begriff aus der Diplomatie, nicht aus der Kunst. Insofern kann man auch nicht richtig glücklich sein, mit der Art, wie das Filmfestival von Cannes nun mit Lars von Trier umgesprungen ist, sondern es als eine peinliche Überreaktion des Festivals empfinden, Trier zur persona non grata zu erklären. Andererseits legt nun gerade Lars von Trier gerne Wert darauf, dass man ihn ernst nimmt, und wenn man es dann tut…
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Jedenfalls hat er mal wieder richtig für Ärger gesorgt. Wie eigentlich immer auf seinen Pressekonferenzen. Hätte Alfred Hitchcock schon Lars von Trier gekannt, hätte er seinen Film wohl eher The Trouble with Lars genannt. Mit jedem Film, also mit jedem Cannes-Auftritt sorgt Lars von Trier für Ärger. Aber so schlimm wie diesmal, war es noch nie.
Wenn man ein wenig von Lars von Trier weiß, womöglich sogar schon einmal einen seiner öffentlichen Auftritte erlebt, oder mit ihm gesprochen hat, kann man sich über seine Äußerungen nicht besonders aufregen. Von Trier ist immer ein Provokateur, gelegentlich ein Zyniker, und oft genug schießt er mit seinen Äußerungen einfach über das Ziel hinaus. Offenkundig steckt hinter solchen Ausrastern auch ein gewisser, nur halb kontrollierter Selbstzerstörungstrieb des Regisseurs, der in der Vergangenheit offen zu seiner Depression gestanden hat. Und warum soll einer auch, bloß weil er gute Filme macht, intelligent sein, oder besonders sympathisch. »Er ist einfach ein Arschloch« meinte eine Kollegin, die die Pressekonferenz verfolgt hatte und berichtete, die Hitler-Äußerung sei keineswegs die schlimmste gewesen.
Man weiß zudem, dass der Däne sich sehr leicht provozieren lässt, und dass es in der Schar der Berichterstatter gerade in Cannes genug Leute gibt, die es genau darauf anlegen, die Schwäche auszunutzen, und einen Von-Trier-Ausraster herbeizuführen. Es gibt auch genug, die Von Trier einfach nur hassen, oder ihn nicht verstehen, und sich dann auf solche Art abreagieren.
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Und für andere ist es ein gefundenes Fressen. Etwa der Spiegel hat die Filmberichterstattung fast aufgegeben und wartet eher auf solche Momente. Und zu den deprimierendsten Erfahrungen dieser Woche gehört die Spiegel-Hörigkeit der Redaktionen, bis zu den allerbesten von ihnen. Denn am Telefon am Tag zuvor und im Angesicht der dpa-Meldung war man noch ganz gelassen gewesen. Erst als der Spiegel unter der Überschrift »Eklat in Cannes« »berichtete«, war das Thema auf einmal wichtig. Selber schuld, wenn ihr Euch von der Konkurrenz die Themen diktieren lasst, denkt man da.
Gerade die deutsche Presse hat bei derartigen Großereignissen ihren implantierten Nazi-Detektor aktiviert, und fahndet nach möglicherweise anrüchigen Äußerungen. Statt nun aber in die kompliziertere Semiotik einzutauchen, und diejenigen aufzuspüren, die gewandt, eingängigen Mainstreams oder glatten Kunstgewerbes Gedankengut transportieren, dass bei genauerem Hinsehen tatsächlich überaus fragwürdige Züge aufweist, kommt dann einer wie Lars von Trier vermeintlich gerade recht: Er tappt tatsächlich (oder scheinbar?) in jeden aufgestellten Fettnapf, und man tut der Mehrheit der germanischen Kollegen nicht unrecht, wenn man feststellt: Es gibt auch manche, die jetzt dankbar sind, endlich den diesjährigen Festivalnazi entdeckt zu haben.
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Auch sonst gab Lars von Trier dem Affen Zucker: »Ich bin kein Antisemit, aber Israel mag ich auch nicht.« »Lange dachte ich, ich wäre jüdisch und war glücklich«, »Ich werde als nächstes mit Kirsten Dunst einen Porno drehen. Sie wollte das.« Wie gesagt: Wer Lars von Trier und seine Sentenzen auf Pressekonferenzen ernst nimmt, ist selber schuld.
Vielleicht sollte man sich einfach besser mit seinen Filmen beschäftigen. Melancholia ist fraglos großes Kino und großer Wille: Sterne und Galaxiennebel im Weltall, ein kosmologischer Blick unter dem auf einmal der Mensch ganz klein wird. Eine Geschwistergeschichte: Justine und Claire, zwei erwachsene ungleiche Schwestern, gespielt von Kirsten Dunst und Charlotte Gainsbourg. Zeit und Raum sind nicht näher bezeichnet. Man begleitet Justine zunächst auf ihrer prächtigen Hochzeitsfeier, die von Claire und deren reichem Gatten und überquellendem Luxus und in alten Ritualen ausgerichtet wird. Diese erste halbe Stunde wirkt ein wenig wie Von Triers Version von Vinterbergs Das Fest und Hanekes Das weisse Band – das Portrait einer bürgerlichen Gesellschaft, hinter deren prächtiger Fassade sich ein Abgrund an Amoral und Verzweiflung auftut. Man erfährt, dass Justine depressiv ist, und ihre Ehe wird die Hochzeitsnacht nicht überstehen. Schwerer wiegt, dass ein meteorenhaft sich aufführender Planet an den nächsten Tagen knapp an der Erde vorbeirasen soll. Justine aber ahnt Schlimmeres – und am Ende des Films tritt tatsächlich der Weltuntergang ein! Trier inszeniert das mit abstrakter Reduktion, Zeitlupen und viel opernhaftem Pathos – zur Musik von Wagners »Tristan«.
Melancholia ist fraglos kühl und ironisch. Lars von Trier glaubt nicht an Gott, aber ans Ende der Welt, und teilt uns diese Gewissheit mit einem gewissen sarkastischen Vergnügen mit. Wo andere die Heiligkeit des Lebens feiern, entfaltet Trier einen apokalyptischen Abgesang. Aber der visionären Kraft seiner Bilder, ihrer Eleganz und dem erzählerischen Mut werden sich auch Triers Kritiker nicht ganz entziehen können.
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Im wunderbaren Tocotronic-Song »Im Zweifel für den Zweifel«, den wir in den letzten Tagen nicht ganz zufällig wieder ein paarmal gehört haben, den man als ästhetisches Manifest verstehen kann, weil er auch viele kluge Ratschläge zur Filmwahrnehmung enthält, heißt eine Zeile: Im Zweifel für den Teufel. Das trifft Lars von Trier ganz gut. Er ist ein Teufel, ein höchst unangenehmer Typ, er redet unglaublichen Mist, aber man sollte ihn im Zweifel doch auch dafür verteidigen…
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Andere sehen alles sowieso gelassener: Ganz anders die Franzosen. Gestern war das alles Le Monde keine Zeile wert, heute geht es nur in einem kleinen Nebentext zu Melancholia um die Gefahren des »Missbrauchs von Wagner.« »Von Trier ist wie Real-Trainer Mourinho« meinte die spanische Kollegin Violeta Kovacsics, allerdings ein erklärter FC-Barcelona-Fan. So ist es wohl. Er ist »the special one«.