68. Filmfestspiele Cannes 2015
Maïwenn, Bercot, Donzelli: Regie-Frauen – Blick nach Cannes III |
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Maiwenns Mon roi mit Emmanuelle Bercot, Regisseurin des Eröffnungsfilms | ||
(Foto: Studiocanal GmbH) |
Von Dunja Bialas
Dritter Blick nach Cannes. Allmählich tun sich Bezüge, Querverweise, Deleuzsche Flucht- und Verbindungslinien auf. Alles hängt untereinander zusammen, irgendwie. Plötzlich stoße ich auf ein typisch deutsches Thema: Die Frauenquote, und finde es in typisch französischer Manier beantwortet. Siehe da: Im Land der Aufklärung gibt man sich Post-Gender. Es gehe um Filme, nicht um die Quote, wird auf der Pressekonferenz betont. Eine sich auf den Inhalt fokussierende, sympathisch sachliche Einstellung. Frankreich war eben immer schon das Land der Nicht-Zicken und der Emanzen, die keine Latzhosen, sondern Stöckelschuhe tragen. Oder?
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Maïwenn und Emmanuelle Bercot: Zwei Regie-Frauen in Cannes. Es wird ja immer viel von den »starken Frauen« gesprochen, seitdem Dieter Kosslick diese auf der diesjährigen Berlinale ausgerufen hat. Auch die deutsche Quotenregie-Bewegung Pro Quote Regie ruft nach mehr weiblichen Regisseuren, und nach mehr Filmen von Frauen auf den großen Festivals. Auch international sollte dies Thema sein: Emmanuelle Bercot eröffnete (nach 1987) als erst zweite Frau in der 68jährigen Festivalgeschichte mit La Tête Haute (Standing Tall) (zuletzt bei uns im Kino mit Madame empfiehlt sich). Sie selbst sieht dies jenseits der Gender-Thematik, was typisch französisch ist: »Je suis persuadée que Thierry Frémaux ne se pose pas la question du sexe des films !« – »Ich bin überzeugt, dass Thierry Frémaux (der Leiter der Cannes-Festspiele) die Filme nicht nach ihrem Geschlecht auswählt.« Das ist sehr selbstbewusst gesprochen, und verrät mehr Selbstverständlichkeit und Qualitätsbewusstsein als ihre deutschen Regie-Kolleginnen mit ihrem Ringen um die Quote.
Das ändert nichts über das Missverhältnis, das auch in Cannes besteht. Von den neunzehn offiziellen Wettbewerbsbeiträgen sind zwei davon von Regisseurinnen, also gerade mal zehn Prozent: Die eine ist Valérie Donzelli. Sie zeigte ihren Wettbewerbsbeitrag Marguerite & Julien bereits vor zwei Tagen (zuletzt war von ihr bei uns im Kino zu sehen: Das Leben gehört uns). Die andere ist Maïwenn, die heute ihren Film Mon roi vorstellte und 2011 für Poliezei in Cannes den Preis der Jury gewann. Das ist wichtig. Denn was tun mit einer Quote, wenn dann die Filme nicht gut sind? Dass dennoch der Eröffnungsfilm Emmanuelle Bercots, der nicht am offiziellen Wettbewerb teilnehmen kann, von der Presse als unglamouröses Sozialdrama abgefertigt und statt dessen der Testosteron-Film Mad Max – Fury Road als die eigentliche Eröffnung gefeiert wurde, sagt wiederum einiges über die Erwartunshaltung der überwiegend männlichen Filmkritiker aus (und ihrer weiblichen Kollegen, die ihnen darin in nichts nachstehen wollen, um nicht als Spaßbremsen abgestempelt zu werden).
Maïwenn hat nun mit Mon roi den Brückenschlag zum Eröffnungsfilm gemacht: Ihre Hauptfigur spielt dessen Regisseurin Emmanuelle Bercot, an der Seite von Vincent Cassel (in Cannes auch in Tale of Tales zu sehen, wir berichteten), in einem klaustrophobischen Drama über die Beziehung eines sich gegenseitig zerstörenden Liebespaars. Maïwenn wird damit einmal mehr ihrem Ruf als unerbittliche Regisseurin gerecht. In Pardonnez-moi (2006) hatte sie die komplexen Familienverhältnisse, aus denen sie selbst stammt, als quasi-dokumentarisches Zerfleischungsstück inszeniert. Ihre Mutter, die Schauspielerin Catherine Belkhodja, soll sie vor die Kamera getrieben haben, zunächst als Model, dann als Schauspielerin (u.a. bei Luc Bessons Leon – der Profi), ebenso wie ihre Schwester Isilde Le Besco, die schneller als Maïwenn im Autorenfilm ankam (zuletzt war sie in François Ozons Eine neue Freundin zu sehen und und realisierte den Hardcore-Film über eine ungezähmte Mädchenwohngemeinschaft Bas-Fonds). Die Regieführung von Maïwenn kann in diesem Zusammenhang, ohne über die Maßen psychologisieren zu wollen, als Befreiungsschlag gegen ihre eigene Exploitation gesehen werden.
Hier das Video der Pressekonferenz von MON ROI, in der auch auf die Genderfrage eingegangen wurde und sich zeigte: kein Thema für die Franzosen. In Cannes geht es um Filme, stellte Maïwenn noch mal klar.