67. Berlinale 2017
Die Unfähigkeit, Kritik zu ertragen |
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Die Berlinale hat es diesmal mit dem Embargo für Berichterstattung übertrieben. Hier die Pressekonferenz mit Hong Sangsoo. | ||
(Foto: Dunja Bialas) |
Das Überraschendste ist eigentlich, wie überrascht alle sind. Die Berlinale ist schlecht, ja, und sie ist in den letzten 15 Jahren immer schlechter geworden, richtig heruntergekommen zu einer billigen Boutique, das stimmt.
Plötzlich merken es alle. Plötzlich hat das schon länger verheerende internationale Echo und das seit Jahren grassierende Gemecker der professionellen Berlinalebesucher die Branchenzirkel verlassen, und auch die deutschen »Qualitätsmedien«
erreicht. Sogar, in wohldosierter Form, die Hauptstadtpresse, die immer noch glaubt, sie muss hier einen auf Lokalpatriotismus machen und ja nichts gegen »unsere Berlinale« sagen. Die Profiteure dieser Haltung waren bislang die, die mit der Berlinale umgehen als sei es ihr Privateigentum, und die sie heruntergewirtschaftet haben wie nachlässige Erben.
Aber vielleicht geht das ja nicht mehr so lange gut. Vielleicht erkennen die Besucher und die verantwortliche Politik,
dass die Berlinale nicht einigen wenigen gehört, sondern dem deutschen Film und seinem Publikum, und dem Kino als solchem.
Inzwischen haben also auch die Allerletzten gemerkt, wie schlecht die Berlinale ist, und dass dies nichts mit einzelnen Jahrgängen zu tun hat, sondern System ist.
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Der Berlinale fehle Adrenalin, schreibt die »Süddeutsche Zeitung« heute zum Abschluss. »Nicht, dass im Wettbewerb 2017 nur schlechte Filme gelaufen wären, aber ... ein OK-Gefühl, das reicht natürlich nicht aus für den Wettbewerb eines A-Festivals, wo man die magischen Filmmomente erleben möchte, wegen denen man überhaupt ins Kino geht.« Die SZ moniert »Behäbigkeit«, »Dienst nach Vorschrift«; der Tagesspiegel »deutliche Ermüdungserscheinungen«, einen »Wettbewerbsjahrgang,
der zum Schluss hin immer weniger überzeugte. (...) Grundsympathische, verdienstvolle, aber irgendwie auch wenig nachhaltige Filme«, wobei immer wieder nur über den Wettbewerb geschrieben wird, als ob der das Wichtigste bei der Berlinale wäre.
»Es stimmt etwas nicht mehr mit dieser Berlinale«, war in der »Welt« zu lesen, »ein Festival lebt von der Vorfreude, von dem Kribbeln, diesen oder jenen Film unbedingt sehen zu wollen ... Diesmal war da kein Kribbeln. Es hat auch die vorigen
Jahre schon wenig gekribbelt, aber da ragten immer ein oder zwei Leuchttürme hervor, die das Mittelmaß vergessen ließen.« »Der Berlinale-Wettbewerb ist kein Aushängeschild mehr. Man versteht die Auswahlpolitik immer weniger.« »Das Schweigen der Filme«, beklagt »Die Zeit«, die FAS das allenfalls »durchwachsene Programm«, die FAZ: »Es war ein mittelmäßiger Wettbewerb. Das ist bei der Berlinale nun schon seit vielen Jahren so und wird vorher und nachher so laut beklagt, dass
'passabel' fast schon als Gütesiegel durchgeht. ... Fehlte der Berlinale ein unbestrittener Höhepunkt? Unbedingt. Könnte man sich eine elektrisierendere Veranstaltung vorstellen? Sicher – aber nicht mit gut vierhundert Filmen in mehr Sektionen und Kinos, als zu überschauen sind. Könnte das Festival frischen Wind vertragen? Natürlich. Seit zwanzig Jahren ist das so...«
Vom Schimpfen in den sozialen Netzwerken mal ganz abgesehen.
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Dagegen steuert eine PR- und Marketingmaschine an. In erster Linie geht es darum, die unzähligen Journalisten unter Kontrolle und ein bisschen im Zaum zu halten, von denen man einerseits Berichte will, aber möglichst gefällige, positive, liebesdienerische. Recht gut bildet das Verhältnis jene »Pressewand« ab, wo normale Besucher und Medienvertreter die Texte ihrer Kollegen lesen können. Kritik, auch nur eingeschränktes Lob will man da nicht. Sondern nur Jubelperserei. Auch
von mir waren da früher schon Artikel angepinnt, aber nie die, in denen ich mich zum Beispiel über den Verfall des Forums, das längst seinen einstigen Eigensinn verloren hat, ausgelassen habe.
Und da stehen dann natürlich auch informative Überblicke, die Lust machen sollen, den einen oder anderen Film zu besuchen. Zum Beispiel den vom tollen Kritiker Claus Löser in der »Berliner Zeitung«. Er stellt die von Linda Söffker geleitete, dem deutschen Nachwuchsfilm vorbehaltene Sektion
»Perspektive« vor, in ziemlich wertender Form: Das Programm »geht filmisch mal mehr, mal weniger gut auf« heißt es einleitend. An einem Film bemängelt Löser den »unselig-kitschigen« Epilog. Später ist im Vergleich mit Felicitas Sonvilla Tara von den »Defiziten anderer Arbeiten« die Rede. Sein Fazit ist gar nicht positiv: »Leider zielen viele Regisseure des aktuellen Perspektive-Jahrgangs zu stark auf Oberflächenreize. Sie wollen schon als Studierende möglichst
sofort sendefähige Langfilme produzieren, die dann doch mehr nach Bildschirm als nach Leinwand aussehen.«
Lösers Text enthält auch diverse Inhaltsangaben.
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Das schreibe ich so ausführlich, weil die Berlinale mit zweierlei Maß misst. Nicht nur, dass die Berlinale für Journalisten das unangenehmste aller halbwegs ernstzunehmenden Festivals ist; abgesehen davon, dass die Filme im Durchschnitt einfach zu schlecht und viel zu irrelevant sind, und dass man nicht weiß, wie man sich im Wust der über 400 Filme zurechtfinden soll, abgesehen von den entwürdigenden Umständen im Presseraum, der viel zu klein ist, zu warm, und einfach nur ein Spiegel der Geringschätzung der Filmkritik durch das Festival – abgesehen von alldem ist die Berlinale auch unklar und unfair in ihrem Umgang mit der Presse. Das reicht bis zur Gängelung von Berichterstattern durch die Presseabteilung der Berlinale. Viele Kollegen – und leider sind nicht alle mutig – haben sogar den Eindruck, hier würde versucht, Berichte zu zensieren, oder es würde mit zweierlei Maß gemessen, oder über Bande gespielt, nach dem Motto: Wenn ich den Chefredakteur treffen will, dann schlage ich seinen Mitarbeiter.
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Jüngste Beispiel hierfür: Der Streit mit den Kollegen von »critic.de«. Wer das im Einzelnen nachlesen will, kann es hier tun. Es wurde versucht, einen kritischen Artikel unter dem Vorwand, er breche mit dem Embargo, zu unterdrücken, und ihn wieder
aus dem Netz nehmen zu lassen.
Fazit der Redaktion: »Die Berlinale baut ihre Berichterstattungsverbote aus und drohte critic.de zeitweilig mit Akkreditierungsentzug, wenn ein negativer Vorabbericht nicht umgehend von der Seite entfernt wird.«
Der zentrale Punkt ist erstens: Durch diesen sinnlosen Streit führt die Berlinale Presseabteilung erstens dem inkriminierten Text nur noch höhere Aufmerksamkeit zu. Zweitens: Keine Festival-Presseabteilung leistet sich auch nur annährend ähnliche Gängelungen und Beschränkungen der Berichterstattung. In Cannes etwa berichtet man selbstverständlich sofort nach der ersten Pressevorführung – ein Embargo gibt es dort nicht.
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Leider ist die mögliche interessante Debatte darüber in eine völlig falsche Richtung geglitten, weil Filmkritiker Daniel Kothenschulte erst eine Debatte darüber entfesselte, ob Online-Medien, die ihre Autoren nicht bezahlen, der gedruckten »Qualitäts«-Presse das Wasser abgraben – einer gedruckten Presse, die in vielen Fällen ihre Autoren schlecht bezahlt, und außerdem in bestimmten Fällen noch unter dem Deckmantel angeblichen »Leistungsschutz« auch »für alle zukünftigen
Medien« ausbeutet. Das hatte schon nicht mit dem Thema zu tun, und klang wie: Online darf man zensieren, mich aber nicht.
Dann führte Kothenschulte, einst verantwortlicher Film-Redakteur der »Frankfurter Rundschau«, noch aus, dass er heute nicht mehr für die Filmvergabe verantwortlich und kein Redakteur mehr sei – ließ diese längst öffentliche Information aber wieder löschen. Dass critic.de das getan hat, und dann auch in den entsprechenden Antworten anderer die sich
darauf beziehenden Passagen mit dem Hinweis à la »Der erste Satz dieses Kommentars wurde auf Wunsch von D. Kothenschulte gelöscht« quasi schwärzte, war kein Glanzstück. Im Zusammenhang mit dem Fall versuchter Einschränkung von Berichterstattung des eigenen Textes gibt diese Art der Selbstzensur insgesamt zu denken.
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Zwei andere Beispiel, nicht vergleichbar, zeigen immerhin, dass das Ergebnis solcher Pressepolitik eine allgemeine Gereiztheit ist, die dann die Kritik auch mal übers Ziel hinausschießen lässt. Harald Mühlbeyer wollte Algol in der Retrospektive
besuchen. Er kam nicht rein und schließt daraus: »Die Berlinale will nicht, dass Sie etwas von diesem Film erfahren.« So weit würde ich nicht gehen. Ich glaube der Berlinale ist es wurscht. Das passt zum allgemeinen Zynismus und zur Wurschtigkeit dieses Festivals
Mühlbeyer hat ganz recht: »Die Berlinale vergibt an Akkreditierte ganz gerne mal vergiftete Geschenke. Beispielsweise: Freier Zugang im Zeughauskino mit Akkreditierung ohne Karten holen zu müssen. Hört sich super
an. Klappt aber seit Jahren nicht. Denn in den nicht einmal kleingedruckten, sondern völlig unausgesprochenen Bedingungen steht geschrieben: Das gilt nur für die ersten 25 mit Akkreditierungsbadge. Wenn man 30. ist, dann kommt man nicht rein. Kann nix sehen und nix hören und nix schreiben, und Sie gehen leer aus. Jeder retrointeressierte Akkreditierte weiß es, das Zeughauskino weiß es, die Retroverantwortlichen wissen es – das System funktioniert nicht!« Und
weiter, leider auch ganz richtig: »Was soll man auf der Berlinale machen, wenn man plötzlich vom Festivaldirektor persönlich zwei freie Stunden geschenkt bekommt, in denen kein Film und kein gar nichts lockt? Man stirbt vor Langeweile.«
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Das zweite Beispiel: Ein hundsmiserabel geschriebener, von völliger Kenntnislosigkeit und mangelndem Anstand strotzender Text des in Berlin lebenden Mode-Philosophen Byung-Chul Han in der »Welt«. Man hätte das dort redigieren können, wollte aber wohl den Scoop – und warum soll ein Mode-Philosoph sich nicht auch blamieren. Schade war es, weil die Beschreibung der Berlinale als »Kafkas Schloss« nicht nur lustig, sondern treffend ist, und weil auch die Urteile über »ahnungslose Kulturfunktionäre« nicht immer falsch liegen.
Aber wer die sympathischen – und oft gutaussehenden – Berlinale-Mitarbeiterinnen (die für ihre ChefInnen ja nichts können) als »langbeinige Walküren« und den Rest als »Zombies« und »Fachidioten« (wären sie das mal!) verächtlich macht, und Filme von Arslan, Schanelec (nicht auf der Berlinale) und Hong Sangsoo über den stumpfen Leisten »grauenhafter Seelenporno« (was soll das überhaupt sein) schlägt, hat einfach keine Ahnung von Film und wahrscheinlich zuviel
Heidegger gelesen – wie ja überhaupt Ausländer Heidegger immer überschätzen – aber lassen wir das.
Natürlich wäre es wert, einmal über so einen Satz zu debattieren: »Das Gleiche, das sich dem Vergleich unterzieht, wird heute honoriert. Das andere hingegen wird ausgetrieben. Es gibt keine Fantasie für das andere mehr. Zäune schließen sie aus, es herrscht das Gleiche. Das andere hingegen bedroht die Herrschaft, die sich heute als Freiheit gibt. Die neoliberale Herrschaft
besteht darin, dass die Freiheit nicht unterdrückt, sondern ausgebeutet wird.«
Das hat etwas mit der Berlinale zu tun. Aber in dieser Form tut der Text seinem Anliegen keinen Gefallen.
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Filmkritik bedeutet gerade in Zeiten des Postfaktischen, die Fähigkeit, über Meinungen hinaus, die Fähigkeit genauer hinzugucken, begründete Urteile zu fällen und dies dann auch sprachlich auf den Punkt zu bringen.