67. Berlinale 2017
Liebe Linda Söffker... |
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Rüdiger Suchsland ist ein Spokesman. Hier spricht er Linda Söffker, Leiterin der Berlinale-Sektion Perspektive Deutsches Kino, direkt an, als Stellvertreterin der Berlinale | ||
(Foto: VdFk) |
»I am just a reporter. I report, what I see.«
Graham Greene, »The Quiet American«
Es ist gut, dass ich nicht auf Facebook bin, sonst würde ich auch sowas schreiben, so schnell und ohne Begründung: »Rüdiger, tut mir leid, ich kann dich nicht mehr ernst nehmen. Ich muss das so sagen, und du musst das so schreiben. So sind wir alle Gefangene unserer eigenen Beschränkung. Und des Alters...« also schrieb Linda Söffker auf einen meiner letzten Berlinale-Blogs.
Wäre ich auf Facebook, würde ich wohl kurz und auch in diesem Facebook-Stil der Begründungslosigkeit
antworten. Aber ich bin ja nicht bei Facebook. Darum mal ein anderer Versuch zu zivilisierter Kommunikation...
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Liebe Linda,
es ist ja vor allem Dein Problem, wenn Du mich, wie Du schreibst, nicht mehr ernstnehmen kannst. Ich umgekehrt kann Dich sehr wohl ernstnehmen, und ich nehme Dich ernst. Wobei das, worum es gehen sollte, wohl noch besser mit dem Wort »Respekt« bezeichnet ist.
Die Berlinale allerdings, die kann ich nicht mehr respektieren, und das nicht erst seit diesem Jahr – und da bin ich ja nicht der Einzige. Und dass viele die Berlinale in ihrem jetzigen Zustand nicht mehr respektieren, ist viel schlimmer, als wenn man sie hassen und als Gegner begreifen würde. Die Berlinale aber ist zur Zeit einfach nicht satisfaktionsfähig.
Wenn Du wüsstest (vielleicht weißt Du es ja auch, möchtest es aber öffentlich verständlicherweise nicht sagen), wie scheiße die Berlinale alle Kollegen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis hier wirklich finden, was da so »unter uns« gesagt wird, völlig unter der Gürtellinie, wie sehr die ganzen Tage gelästert wird, wie viel gekotzt wird, unter Filmkritikerkollegen aber auch unter Filmemachern, unter Berlinale-Preisträgern und Gästen, Kuratorenkollegen von Dir, wie
viel sogar von Mitarbeitern – ehemaligen aber vor allem derzeitigen der Berlinale! Unter der Hand natürlich.
Du weißt das, glaube ich, aber eigentlich auch ganz genau... An Deiner Stelle würde ich dazu dann auch klug schweigen, und versuchen, mir keine Blöße zu geben. Aber im Gegensatz zu Dir bin ich hier nicht »part of the system«, ich habe auch nicht den leisesten Glauben, je auf der Berlinale zu arbeiten – ich hoffe nur, dass den 21 Berlinalen, die ich jetzt hinter mir
habe, mindestens 21 weitere folgen, und dass die besser sind.
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Ich kenne so viele Leute, die nur noch auf die Berlinale gehen, weil sie müssen, die einfach nur genervt und gelangweilt sind von Eurem Programm. Ich kenne Kritiker, die sich ihre Akkreditierung nicht abholen, weil sie einfach von der Vorstellung abgeschreckt sind, sich den ganzen nichtssagenden Schmarrn antun zu müssen. Ich kenne »Profis«, die auf ihre Profiakkreditierung in diesem Jahr verzichten, weil »es nichts bringt«, und/oder weil sie »im letzten Jahr nur doofe Filme gesehen haben« usf. Mit dem Winterwetter hat das nichts zu tun. Sondern mit zuviel Filmen und zuviel schlechten. Mit einem völligen Verzicht aufs Kuratieren.
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Natürlich kannst Du mich als Querulanten betrachten und abtun, das ist einfach und bequem. Die, die das hier lesen, wissen aber, dass ich nur das schreibe, was viele denken, was auf der Berlinale die meisten reden. Es ist kein Überdruss mehr, keine Langeweile, kein Genervtsein, es ist blanke Abneigung gegenüber einem Festival, dass wunderbar sein könnte.
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Regelmäßige Leser wie Du wissen auch, dass ich von anderen Festivals schwärmen kann, von Filmen sowieso. Dass ich pathetisch werden kann, vielleicht sogar über Gebühr.
Und was ich der Berlinale am meisten Übel nehme ist, dass sie mich zwei Wochen lang zu einem solchen Miesepeter und Rechthaber und Kotzbrocken macht, dass sie meine schlechtesten Eigenschaften herauskitzelt. Ich nehme der Berlinale übel, dass sie mich zum Dauerschimpfen zwingt.
Mich kotzt es aber selber an,
dass man dieses Tagebuch als Berlinale-Bashing verstehen kann, und sei es nur ironisch. Mein Ziel mit diesem Blog ist nämlich kein Bashing. Es ist Offenheit, und Anregung zur offenen Debatte. Das Ziel ist, das zu schreiben, was aus verschiedenen Gründen marginalisiert ist. Ich schreibe hier, was ich sehe, was ich erlebe, was mir andere erzählen.
Es geht dabei einfach um gut begründete berechtigte Kritik, die nicht nur von mir geübt wird. Ich bin kein Meckerfritze. Auch wenn Schimpfen
gar nicht so selten gut tut und befreiende Wirkungen hat.
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Man kann jetzt sagen, dann sollte ich doch über die Filme schreiben, die ich gesehen habe, aber warum übers Festival? Einfache Antwort: Weil die Filme in den letzten Jahren immer seltener gut genug sind, dass man Lust hat, darüber zu schreiben, und sei es auch nur, sie zu verreißen.
Es gibt gute Filme, die rezensiere ich auch während der Berlinale bei den Radiosendern und Zeitungen, für die ich arbeite. Aber was ist das für eine Feststellung? Ihr habt 403 Filme. 403!! Also mehr als
alles, was in Cannes und Venedig läuft, zusammen.
Was soll es also heißen, dass es hier gute Filme gibt? Selbst wenn dies 40 Filme sein sollten, wären das mal gerade zehn Prozent, Ich habe keine 40 guten Filme gesehen in diesem Jahr und ich kenne niemanden, der erzählt, dass er das hat. Aber ich bin sicher, es gibt 40 oder sogar 60 gute Filme in diesem ganzen Berlinalehaufen. Aber das heißt eben auch, dass es 360 Filme gibt, die nicht gut sind. Die bestenfalls gehobener Durchschnitt
sind. Ihr zeigt die Filme, die für Venedig/Toronto/San Sebastian nicht fertig sind, und von Cannes nicht genommen werden, und die nicht lieber nach Rotterdam gehen.
Ihr seid ein A-Festival. Also sollten 80 Prozent Eurer Filme gut sein, es wert sein, gesehen zu werden, Nicht langweilen, nicht nerven. Das ist leider nicht der Fall.
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Es geht bei der Kritik an der Berlinale von mir und anderen aber gar nicht um einzelne Filme, sondern um die Umstände unter denen sie gezeigt und gesehen werden. Es geht um die Wahrnehmungsbedingungen. Diese Bedingungen, unter denen wir auf der Berlinale Filme sehen, unter denen sie von Euch präsentiert werden, sind lieblos und vulgär, sie sind alles andere als cinephil, sie sind mindestens im Effekt zynisch und sie schaden den Filmen.
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Dazu nur ein Beispiel: 403 Filme habt ihr. Eine Ausweitung des Programms um 209 Prozent. Eine Filminflation. Inflation heißt ja nun »Entwertung« und es findet bei Euch auf der Berlinale eine enorme Entwertung statt: Zuallererst eine Entwertung der Filme: Man kann sie nicht sehen, sie werden nicht präzise auf ein Publikum hinkuratiert, und miteinander sorgfältig in einen Programmfluss programmiert, sondern einfach ausgekübelt.
Mittelbar ist das auch eine Entwertung der
Berlinale selbst. Denn Cannes und Venedig zeigen in der »Offiziellen Selektion« kaum 80 Filme – wenn ihr dreimal so viel Filme zeigt, dann ist der Bär auf dem Plakat halt nur ein Drittel davon wert.
Auch darum würde fast jeder Filmemacher seinen Film lieber in Cannes und Venedig laufen haben, als in Berlin.
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Das versuche ich zu beschreiben. Als Mängelliste, wie in einem Schwarzbuch. Denn der Zustand der Berlinale ist ein kulturpolitischer Skandal! Darum versuche ich nüchterne Fakten zu präsentieren, wie die Münchner Studie zur Diversität auf der Berlinale. Darum beschreibe ich Gerüchte, wie neulich die über mögliche Nachfolger des derzeitigen Festivalleiters.
Das sauge ich mir nicht aus den Fingern. Aber wenn es für Dich beruhigender ist, musst Du mir nicht glauben, dass ich
die Wahrheit sage. Mir genügt, dass ich die kenne, mit denen ich gesprochen habe. Ich nenne die Namen hier nicht, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, dass es schwarze Listen gibt, dass Eure Presseabteilung mit Zuckerbrot und Peitsche, vor allem mit Peitsche versucht, auf Journalisten und ihre Berichterstattung Einfluss zu nehmen. Reden wir doch nicht darum herum!
Aus der Deckung kommen nur die, die sich ganz sicher fühlen oder Außenseiter wie der aus Korea stammende Berliner
Philosoph Byung-Chul Han: In seinem sehr lesenswerten, krassen Text in der Welt steht natürlich auch mancher Quatsch, jedenfalls nach meiner Ansicht, aber auch in diesem Fall müsstet ihr Euch doch fragen, warum ihr bei dem Typ diese Aggressionen weckt, dass er schreibt: »Das Berliner Filmfestival ist zu einem kafkaesken Schloss geworden.« Und noch vieles mehr.
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Wir müssen mehr über Festivals nachdenken, Festivals sind wichtig. Wir müssen darüber nachdenken, wozu sie da sind, was sie leisten sollen, und was sie vielleicht auch nicht leisten können. Ein Festival kann es nicht allen rechtmachen.
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Die Berlinale ist ein wunderbares Festival. Potentiell. Potentiell könnte sie Venedig locker einholen. Potentiell wären Locarno und San Sebastian keine Konkurrenz.
Aber Euer Wettbewerb ist bieder und inhaltistisch. Der Film, der jetzt gewonnen hat, ist ein guter netter Film. Ich hab ihn gemocht. Aber er ist nicht mal im Traum ein Film, dem man sich im Wettbewerb von Cannes oder Venedig auch nur vorstellen könnte.
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Ich weiß auch, dass ich mir Blößen gebe. Vermeidbare und unvermeidliche Blößen. Dass nicht jeder Kommentar sitzt. Dass ein paar, die davon wissen, vielleicht tatsächlich glauben, ich würde mich hier nur dafür rächen, dass mein neuer Film, Hitlers Hollywood über das NS-Kino, der am Donnerstag in den deutschen Kinos startet, vom Panorama der Berlinale nicht eingeladen wurde. Wer das
behaupten will, zeigt damit natürlich vor allem erstmal, wie er selber denkt. Solche Art der Rache habe ich nicht nötig. Zumal ich die Berlinale schon in früheren Jahren schlecht fand. Zumal ich tatsächlich die Dokumentarfilme in allen Reihen in diesem Jahr das Stärkste am ganzen Festival fand.
Man muss das aber ansprechen, auch das gehört zur Offenheit. Um allerdings auch die ganze Sache zu erzählen: Einreichen wollte mein Weltvertrieb. Dazu gehört auch, dass der im Forum gar nicht
eingereicht hat, mit der Begründung, »dass das Forum dem Film nichts bringt«. Ich habe übrigens, dafür gibt es Zeugen, gleich gesagt: Die nehmen mich nicht. Mir war bei der Einreichung auch deshalb nicht wohl, weil ich mir dachte: Wie kann ich dann je noch über die Berlinale schreiben? Hier übrigens fand ich die Berlinale wieder mal töricht. Es wäre für Euch nämlich eine wunderbare Chance gewesen, großzügig zu sein, einen, der Euch seit Jahren in nicht völlig unbedeutenden Medien
kritisiert, einfach einzuladen.
Das wäre übrigens nicht nur großzügig gewesen, sondern auch ein cleverer Schachzug. Wie hätte ich dann denn noch jemals im Ernst über die Berlinale schreiben können? Egal was ich geschrieben hätte – man hätte mir entweder vorgeworfen, keine Manieren zu haben oder mich einseifen zu lassen.
Daher bin ich eher erleichtert darüber, dass ihr weder besonders großzügig seid, noch clever.
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Das ist die egozentrische Sicht. Ihr bei der Berlinale bewegt Euch umgekehrt aber auch in einer einzigen Filterblase: selbst-zentriert, selbst-gefällig, selbst-gerecht – so tritt der Laden auf und wird wahrgenommen. Diese Berlinale-Blase, die müssen wir aufstechen. Und das werden wir. Irgendwann wird sie platzen. That will be ugly.
Es spricht für Dich, dass Du dann schreibst »Ich muss das so sagen...« und erwähnst, dass ja »wir alle Gefangene unserer eigenen Beschränkung« sind. (Mit dem Alter hat das btw nichts zu tun, und so weit sind wir ja auch nicht auseinander.)
Mir ist da der Gedanke gekommen, ob es nicht auch beim Berlinale-Betrieb so etwas wie ein Stockholm-Syndrom gibt – die Identifikation mit dem eigenen Gefangenen-Wärter? Da müssen manche bei Euch – Du nicht! – aufpassen.
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Wie dem auch sei, liebe Linda, wünsche ich Dir jetzt gute Erholung. Heute früh, am Montag, wachen wir auf, und die Berlinale ist vorbei. Ein Jahr lang können wir dann ganz ohne Berlinale leben, und bestimmt angenehmere Gespräche über bessere Filme und bessere Festivals führen. Schöne Aussichten!
Herzlich,
Rüdiger