67. Berlinale 2017
Bullen schlachten... |
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Elisabeth Wabitsch in Siebzehn | ||
(Foto: Salzgeber & Co. Medien GmbH) |
Nein, um Red Bull, Red Bull Leipzig und den vollkommen übertriebenen Moralismus bei der Verfolgung derjenigen Borussia Dortmund Fans, die in grob formulierten Plakaten genau das ausgedrückt haben, was 95 Prozent der deutschen Fußballfans über den Brauseklub denken, geht es in dieser Überschrift nicht.
Obwohl diese Unfähigkeit zu streiten und Kritik zu ertragen, wenn sie mal nicht weichgespült, glattgebügelt und politisch korrekt formuliert ist, natürlich was mit dem
deutschen Verhältnis zu Film und Kino zu tun hat. »Wir müssen mehr streiten, öffentlich!« sagte mir Ursula von Keitz auf einem Berlinale-Empfang. Und in vielen anderen Gesprächen ging es auch um die dringend nötige Streitkultur, um offenes Aussprechen von Positionen, wo Widerstand zu erwarten ist. Aber wer tut es wirklich? Die grassierende Verzweiflung im deutschen Film suppt vor sich hin.
Obwohl ich also das Plakat »Bullen schlachten!!« in der Südkurve des Westfalenstadions im
Stil grob formuliert, in der Sache aber sympathisch finde und es für eine nötige Provokation halte, die die Luft reinigt, nicht für eine Aufforderung zu kriminellen Handlungen, zielt die Überschrift auf anderes: Natürlich auf den Gewinner des diesjährigen Goldenen Bären: On Body and Soul (Testről és lélekről) von Ildikó Enyed, eine Liebesgeschichte, die in einem
Schlachthaus spielt.
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Zunächst erwähnen will ich aber meinen persönlichen Höhepunkt des Abends: Die großartige Elisabeth Wabitsch, die vor zwei Wochen für ihre allererste Rolle als Schauspielerin in der Hauptrolle von Siebzehn von der Österreicherin Monja Art in Saarbrücken den diesjährigen Max-Ophüls-Preis gewann. Am Sonntag stellt sie den Film zum Abschluss der »Perspektive«vor. Ich traf sie beim Abschlußempfang am Samstag, gratulierte ihr und wir kamen ins Gespräch.
Das entschädigte mich für manches andere an diesem Berlinaleende.
Dabei war auch ihr Produzent Ulrich Gehmacher, für den Siebzehn auch der erste Spielfilm ist. Österreichpremiere wird bei der Diagonalen in Graz sein – da werden wir nochmal länger über den Film sprechen.
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Die Abschlußveranstaltung erinnerte insofern an die Auftaktpressekonferenz, als das es vor allen eine routiniert und latent gelangweilt heruntergespulte Veranstaltung war, ohne Passion, ohne peinliche Witze, mit den üblichen Versprechern des Direktors. »Hat er keine Redenschreiber« fragte mich zwar meine FIPRESCI-Jurykollegin Sasja, die zum ersten Mal ist, die der das durchschnittliche Absurditätsniveau und die Geschmacklosigkeiten noch merkwürdig vorkommen. Aber Jahreszahlen und Schauspielernamen verwechselt schließlich jeder mal nach zehn Festivaltagen.
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Anke Engelke machte Witze über das Alter des Publikums – zum Festivalende sähen die Leute endlich so alt aus, wie sie wirklich sind, haha – und erwähnte immer die deutschen Koproduktionen aller Berlinale-Filme; Aki Kaurismäki machte den Kasper, wie es das Publikum will, und kam nicht auf die Bühne, weshalb man ihm dann den Bärenzum Platz brachte, hihi, und Agniezka Holland bekam den Innovationspreis, weil es inzwischen ja Mode ist, die Preise für Innovation den
besonders alten Regisseuren im Wettbewerb zu geben.
Danach gab es beim Empfang trockenes Brot und nach einer Stunde wurde der Bierhahn abgedreht – »noch nicht mal was zu essen gibt es« smste ein Freund aus dem »Crackers« nahe dem Friedrichstadtpalast, wo die sogenannte Aftershowparty stattfand.
Davor aber lief noch Ildikó Enyeds On Body and Soul, der ungarische
Siegerfilm.
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Die neue Qualitätskontrolleurin nimmt ihre Arbeit im Schlachthof auf. Bald nennen sie die Kollegin »Schneewittchen«. Denn Maria scheint kalt, unnahbar, wie aus Eis. Ein Mensch im Glaskasten. Alles erstarrt um sie herum. Nur Endre, ihr Vorgesetzter mit dem gelähmten Arm, eine coole Socke, der viel Ankratz bei Frauen hat, hat ein Auge auf sie geworfen, ohne dass er selbst genau weiß warum.
Dazwischen immer kurze Szenen von Wild im Wald. Hirsche, die sich an einer verschneiten
Tränke begegnen, beschnüffeln. Diese entpuppen sich als Traumbilder. Dazwischen auch Schlachtszenen, poetisch zerlegte Rinderkadaver.
Der Film ist am besten in seinen Bildern: Close Ups von weißer Haut. Sinnliche Gewißheiten, wie ihre Hand auf dem rostigen Geländer, das Geräusch dazu – der beste Moment des Films. Weißblondes Haar, Sauberkeit, eine lebenskluge Putzfrau, Blut auf weißen Kacheln, junge Körper auf der Wiese. Ein Bewässerungsapparat, der angeht.
Gut ist
auch, wie die Regisseurin das soziale Gewebe schildert. Die Beobachtungen Endres. Die Tiermetaphern: »Er ist der neue Stier im Dorf«. Es geht um Männlichkeit, darum, wie man die Bullen entmannt.
Laura Marlings Supermusik hilft auch.
Ansonsten bleibt eine roboterhafte sozialgestörte autistische Frau. Sie braucht einen Mann, der ihr Vater sein könnte, um aufzutauen und das Leben zu lernen. Ein Klischee scheint mir. Ein Männerfilm. Jetzt hat er wenigstens eine, die ihm die
Tomaten schneidet. Es wirkt zudem als fernes Echo von »Toni Erdmann«. Da liegt was in der Luft.
Ärgerlich zudem der letzte Satz: »Ich glaube ich habe nichts geträumt.« Keine Hirsche mehr. Geht es darum? Dass man nichts mehr träumt?
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Ein kleiner unscheinbarer Film, gegen den nichts zu sagen ist. Aber es knallt nicht. Filmisch unambitioniert, kleine Poesie. In Cannes würde ein solcher Film nie im Leben im Wettbewerb laufen, vielleicht noch nicht einmal im »Un Certain Regard«. Im deutschen Kino wird er kaum 30.000 Zuschauer machen, wenn er überhaupt einen Verleiher findet, der die relativ hohen Preise für den Film bezahlen möchte.
»Ist das ein Goldener Bär?« – »Nein, aber gabs 'nen besseren?« – das
ist wahrscheinlich die bestmögliche Antwort. Sie kam von einer Produzentin, die hier vor Jahren selbst einen Bären gewonnen hatte. Auch alle anderen, insgesamt sieben, mit denen ich sprach, reagierten spontan enttäuscht.
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Man nimmt das so hin. So, das ist also der diesjährige Berlinale Sieger... Ist ja eigentlich auch egal.