19.02.2017
67. Berlinale 2017

Bullen schlachten...

Siebzehn Monja Art
Elisabeth Wabitsch in Siebzehn
(Foto: Salzgeber & Co. Medien GmbH)

Bären verachten? Das Ende der Träume: On Body and Soul gewinnt den Goldenen Bären – Berlinale-Tagebuch, Folge 12

Von Rüdiger Suchsland

Nein, um Red Bull, Red Bull Leipzig und den voll­kommen über­trie­benen Mora­lismus bei der Verfol­gung derje­nigen Borussia Dortmund Fans, die in grob formu­lierten Plakaten genau das ausge­drückt haben, was 95 Prozent der deutschen Fußball­fans über den Brau­se­klub denken, geht es in dieser Über­schrift nicht.
Obwohl diese Unfähig­keit zu streiten und Kritik zu ertragen, wenn sie mal nicht weich­ge­spült, glatt­ge­bü­gelt und politisch korrekt formu­liert ist, natürlich was mit dem deutschen Verhältnis zu Film und Kino zu tun hat. »Wir müssen mehr streiten, öffent­lich!« sagte mir Ursula von Keitz auf einem Berlinale-Empfang. Und in vielen anderen Gesprächen ging es auch um die dringend nötige Streit­kultur, um offenes Ausspre­chen von Posi­tionen, wo Wider­stand zu erwarten ist. Aber wer tut es wirklich? Die gras­sie­rende Verzweif­lung im deutschen Film suppt vor sich hin.
Obwohl ich also das Plakat »Bullen schlachten!!« in der Südkurve des West­fa­len­sta­dions im Stil grob formu­liert, in der Sache aber sympa­thisch finde und es für eine nötige Provo­ka­tion halte, die die Luft reinigt, nicht für eine Auffor­de­rung zu krimi­nellen Hand­lungen, zielt die Über­schrift auf anderes: Natürlich auf den Gewinner des dies­jäh­rigen Goldenen Bären: On Body and Soul (Testről és lélekről) von Ildikó Enyed, eine Liebes­ge­schichte, die in einem Schlacht­haus spielt.

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Zunächst erwähnen will ich aber meinen persön­li­chen Höhepunkt des Abends: Die groß­ar­tige Elisabeth Wabitsch, die vor zwei Wochen für ihre aller­erste Rolle als Schau­spie­lerin in der Haupt­rolle von Siebzehn von der Öster­rei­cherin Monja Art in Saar­brü­cken den dies­jäh­rigen Max-Ophüls-Preis gewann. Am Sonntag stellt sie den Film zum Abschluss der »Perspek­tive«vor. Ich traf sie beim Abschluß­emp­fang am Samstag, gratu­lierte ihr und wir kamen ins Gespräch. Das entschä­digte mich für manches andere an diesem Berli­na­leende.
Dabei war auch ihr Produzent Ulrich Gehmacher, für den Siebzehn auch der erste Spielfilm ist. Öster­reich­pre­miere wird bei der Diago­nalen in Graz sein – da werden wir nochmal länger über den Film sprechen.

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Die Abschluß­ver­an­stal­tung erinnerte insofern an die Auftakt­pres­se­kon­fe­renz, als das es vor allen eine routi­niert und latent gelang­weilt herun­ter­ge­spulte Veran­stal­tung war, ohne Passion, ohne peinliche Witze, mit den üblichen Verspre­chern des Direktors. »Hat er keine Reden­schreiber« fragte mich zwar meine FIPRESCI-Jury­kol­legin Sasja, die zum ersten Mal ist, die der das durch­schnitt­liche Absur­di­täts­ni­veau und die Geschmack­lo­sig­keiten noch merk­würdig vorkommen. Aber Jahres­zahlen und Schau­spie­ler­namen verwech­selt schließ­lich jeder mal nach zehn Festi­val­tagen.

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Anke Engelke machte Witze über das Alter des Publikums – zum Festi­valende sähen die Leute endlich so alt aus, wie sie wirklich sind, haha – und erwähnte immer die deutschen Kopro­duk­tionen aller Berlinale-Filme; Aki Kauris­mäki machte den Kasper, wie es das Publikum will, und kam nicht auf die Bühne, weshalb man ihm dann den Bärenzum Platz brachte, hihi, und Agniezka Holland bekam den Inno­va­ti­ons­preis, weil es inzwi­schen ja Mode ist, die Preise für Inno­va­tion den besonders alten Regis­seuren im Wett­be­werb zu geben.
Danach gab es beim Empfang trockenes Brot und nach einer Stunde wurde der Bierhahn abgedreht – »noch nicht mal was zu essen gibt es« smste ein Freund aus dem »Crackers« nahe dem Fried­rich­stadt­pa­last, wo die soge­nannte After­show­party stattfand.
Davor aber lief noch Ildikó Enyeds On Body and Soul, der unga­ri­sche Sieger­film.

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Die neue Quali­täts­kon­trol­leurin nimmt ihre Arbeit im Schlachthof auf. Bald nennen sie die Kollegin »Schnee­witt­chen«. Denn Maria scheint kalt, unnahbar, wie aus Eis. Ein Mensch im Glas­kasten. Alles erstarrt um sie herum. Nur Endre, ihr Vorge­setzter mit dem gelähmten Arm, eine coole Socke, der viel Ankratz bei Frauen hat, hat ein Auge auf sie geworfen, ohne dass er selbst genau weiß warum.
Dazwi­schen immer kurze Szenen von Wild im Wald. Hirsche, die sich an einer verschneiten Tränke begegnen, beschnüf­feln. Diese entpuppen sich als Traum­bilder. Dazwi­schen auch Schlacht­szenen, poetisch zerlegte Rinder­ka­daver.
Der Film ist am besten in seinen Bildern: Close Ups von weißer Haut. Sinnliche Gewißheiten, wie ihre Hand auf dem rostigen Geländer, das Geräusch dazu – der beste Moment des Films. Weiß­blondes Haar, Sauber­keit, eine lebens­kluge Putzfrau, Blut auf weißen Kacheln, junge Körper auf der Wiese. Ein Bewäs­se­rungs­ap­parat, der angeht.
Gut ist auch, wie die Regis­seurin das soziale Gewebe schildert. Die Beob­ach­tungen Endres. Die Tier­me­ta­phern: »Er ist der neue Stier im Dorf«. Es geht um Männ­lich­keit, darum, wie man die Bullen entmannt.
Laura Marlings Super­musik hilft auch.
Ansonsten bleibt eine robo­ter­hafte sozi­al­ge­störte autis­ti­sche Frau. Sie braucht einen Mann, der ihr Vater sein könnte, um aufzu­tauen und das Leben zu lernen. Ein Klischee scheint mir. Ein Männer­film. Jetzt hat er wenigs­tens eine, die ihm die Tomaten schneidet. Es wirkt zudem als fernes Echo von »Toni Erdmann«. Da liegt was in der Luft.
Ärgerlich zudem der letzte Satz: »Ich glaube ich habe nichts geträumt.« Keine Hirsche mehr. Geht es darum? Dass man nichts mehr träumt?

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Ein kleiner unschein­barer Film, gegen den nichts zu sagen ist. Aber es knallt nicht. Filmisch unam­bi­tio­niert, kleine Poesie. In Cannes würde ein solcher Film nie im Leben im Wett­be­werb laufen, viel­leicht noch nicht einmal im »Un Certain Regard«. Im deutschen Kino wird er kaum 30.000 Zuschauer machen, wenn er überhaupt einen Verleiher findet, der die relativ hohen Preise für den Film bezahlen möchte.
»Ist das ein Goldener Bär?« – »Nein, aber gabs 'nen besseren?« – das ist wahr­schein­lich die best­mög­liche Antwort. Sie kam von einer Produ­zentin, die hier vor Jahren selbst einen Bären gewonnen hatte. Auch alle anderen, insgesamt sieben, mit denen ich sprach, reagierten spontan enttäuscht.

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Man nimmt das so hin. So, das ist also der dies­jäh­rige Berlinale Sieger... Ist ja eigent­lich auch egal.