70. Locarno Filmfestival 2017
Kino der Beunruhigung |
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Jacques Tourneurs Cat People | ||
(Foto: Locarno | Jacques Tourneur) |
»Wenn ich mir was wünschen dürfte, käm' ich in Verlegenheit...« – es ist die Stimme Marlene Dietrichs, unverkennbar auf einer Aufnahme in späteren Jahren, die plötzlich das große, mit über 2000 Zuschauern gefüllte Fevi-Kino in Locarno füllt. Friedrich Hollaenders Lied über das »Heimweh nach dem Traurigsein«, das die Dietrich bis zum Schluss immer wieder gern auf ihren Konzerten anstimmte, sang sie zuerst gegen Ende der Weimarer Republik, in Robert Siodmaks Der Mann, der seinen Mörder sucht, in dem ausgerechnet Heinz Rühmann einen selbstmordgefährdeten Angestellten spielt.
Der Berliner Jan Speckenbach hat den melancholischen Song jetzt ausgegraben, und unterlegt seinen zweiten Film (nach Die Vermissten) an entscheidender Stelle damit. Freiheit, mit dem am ersten Donnerstag beim Filmfestival von Locarno der Wettbewerb um den Goldenen Leoparden gewann, könnte auch den Titel tragen: »Die Frau, die ihren Mörder sucht«. Johanna Wokalek spielt hier Nora, eine Anwältin, die von einem auf den anderen Moment alles hinter sich lässt: Mann, zwei Kinder, den hochbezahlten Job und das gute Leben in Berlin. Sie tauscht es ein gegen ein prekäres Driften in eine imaginäre Nebelwinterlandschaft zwischen Wien und
Bratislava. Eigentlich weiß man schon von Anfang an, worauf es hinaus läuft, wenn man die Donau sieht, die wie der Totenfluß »Lethe« aussieht, wenn Nora im Kunsthistorischen Museum Breughels »Turmbau von Babel« ansieht und dann »Orpheus und Eurydike«, wenn immer wieder aus dem Off Purcells Dido die Arie »Rember Me« anstimmt.
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Die Musik des Films ist großartig, wenn sie auch gelegentlich zu deutlich als Kommentar oder Intensitätsverstärker eingesetzt ist – andererseits passt das, denn um Intensität, die Suche nach ihr und die Angst vor ihr, geht es in Freiheit. In Bildern, die düstere Pracht mit beiläufigem sozialem Kommentar vereinen, parallelisiert er Noras einsame Reise, ihr Warten ohne Ziel mit dem Weiterleben ihres Mannes Philip (wunderbar zwischen Saturiertheit und Zerbrechen: Hans Jochen Wagner) und der Kinder. Der Film ist eine große Leistung, nicht allein weil er unter schwierigen Bedingungen mit wie üblich zu geringer Finanzaustattung entstand, sondern weil er seinen Figuren zur Seite steht, wie das selten der Fall ist, sie nie verrät, auch nicht wenn es schwer wird – ohne Frage war dies ein Film, der das Niveau, das man vom Wettbewerb in Locarno in den letzten Jahren gewohnt war, klar überschritt, und der bei der Preisverleihung nicht leer ausgehen sollte.
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Von der modernisierten schwarzen Romantik bei Speckenbach führt ein gerader Weg zurück zum Schaffen von Jacques Tourneur, dem in Locarno die diesjährige Retrospektive gewidmet ist.
Das Kino, das solle Eskapismus sein, angenehme Ausflucht in künstliche Welten, es solle den Leuten helfen, ihre Sorgen und Probleme zu vergessen. So sprach er als alter Mann, Mitte der 70er im französischen Fernsehen.
Tatsächlich hat der Filmregisseur Jacques Tourneur in seinen Werken aber
oft das Gegenteil gemacht: Er brachte die Alpträume auf die Leinwand, das Unterdrückte und Verdrängte, sein Kino ist ein Kino der Beunruhigung – dies allerdings in stilistisch so ansprechender und eleganter Weise, dass es genau der Kontrast aus Beunruhigung und Verzauberung, aus Verunsicherung und Geborgenheit war, der diese Filme so attraktiv machte.
Er war eine der merkwürdigsten Figuren im an seltsamen Gestalten nicht armen Personal des Klassischen Hollywood:
Jacques Tourneur, der einzige Franzose, dem es als Regisseur dauerhaft gelang, in der Traumfabrik zu überleben – wenn auch manchmal eher schlecht, als recht.
Geboren 1904 zog er noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs mit seinem Vater, dem gleichfalls berühmten Stummfilmregisseur Maurice Tourneur, nach Kalifornien. In den späten 20er Jahren arbeitete er dann ein knappes Jahrzehnt in seiner französischen Heimat, bevor er dann für die nächsten 30 Jahre in der amerikanische
Traumfabrik arbeitete.
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»And out of their westindian island comes a tale of terror and Vodoo, of witchcraft an zombies..« Berühmt wurde er mit B-Movies: Kurz und schnell, so flink erzählt, wie gedreht, ohne bekannte Stars, erlaubten sie freieres Arbeiten. I Walked with a Zombie schrieb Tourneur mit dem deutschen Emigranten Curt Siodmak, es wurde der erste Zombie-Film der Filmgeschichte.
Noch bekannter ist Catpeople, Katzenmenschen, in dem sich eine junge Frau mit einem Panther identifiziert – und zugleich ein Film, der überaus einfallsreich, klug und visuell fesselnd das ewiges Thema vom Anteil des Tierischen im Menschen aufgreift und betrachtet, ebenso wie den Mythos von der Raubtiernatur der Frau, der noch heute in den Fetischgestalten der »Catwoman«, und der krallenhaften Femme Fatale nachwirkt.
40 Jahre später drehte Paul Schrader sein berühmtes
Remake Cat People mit Nastassja Kinski in der Hauptrolle und ganz im Geist des psychodelischen Glam-Punk, zu dem David Bowie den Soundtrack beisteuerte.
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Das Irrationale und die Vernunft, Aufklärung und der Glaube ans Übersinnliche prallen in Tourneurs Filmen immer wieder schroff aufeinander. Immer wieder gibt es Gestalten, die an der Idee einer berechenbaren, kontrollierbaren Welt festhalten, und immer wieder werden sie enttäuscht. Darum sind die Frauen, denen zumindest das kulturhistorische Klischee nachsagt, dem Emotionalen, Natürlichen und Übersinnlichen näherzustehen, immer die Überlegenen in Tourneurs
Filmen.
Denn Tourneur versuchte das Paradox: Er versuchte, das Unsichtbare zu filmen. So sind seine Filme Beispiele für eine modernisierte schwarze Romantik, die im französischen Film immer präsent war: Von Georges Franju über Jean-Luc Godard bis hin zu Luc Besson.
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Zugleich ist Tourneur auch der Begründer des »Film noir«,, jenes einmaligen Genres, das Deutschen Expressionismus und kühl existentialistische Neue Sachlichkeit in die USA importierte und mit der Erfahrung des Krieges zu illusionslosen, »hard boiled« Dramen verschmolz düsteren, coolen, eisgekühlten, zugleich stilbewussten Kriminalgeschichten, die dem Zeitgeist der Nachkriegszeit der 40er und 50er Jahre perfekt entsprachen. Bei Tourneur waren sie oft phantastisch. Der Gangsterthriller Out of the Past mit Robert Mitchum, Kirk Douglas und Jane Greer ist Tourneurs Meisterwerk. Er handelt genau wie Freiheit von Sehnsüchten, und dem Widerspruch zwischen dem Wunsch nach Intensität und nach Geborgenheit, und es misslingt auch der zweite Versuch, ein Leben gelingen zu lassen – und die Menschen ergeben sich ihrem Schicksal: Dass die Vergangenheit mächtiger ist, als die Gegenwart.
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Zu einem jener Erlebnisse, wie man sie nur in so überschaubaren Orten wie Locarno haben kann, kam es dann am Donnerstag nach der Vorführung dieses Films: Mit im Kino saßen da nämlich zwei ganz Große des europäischen Films: Claude Lanzmann und Olivier Assayas, die beide in ihren Filmen die gleichen Obsessionen verfolgen, und den Geistern der Gegenwart wie Vergangenheit Raum geben.