68. Berlinale 2018
Zynische Zombies |
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Kosslick steht unter Beobachtung… |
Die Programm-Pressekonferenz der Berlinale – seit Jahren ist sie unter Berliner Journalisten gefürchtet. Selten unter zwei Stunden lang, wird dort endlos geredet, die Leiter der rund zwei Dutzend Sektionen stellten das Programm vor, dann am Ende, wenn alle ermüdet sind, gibt es zwei, drei Fragen – aber wer da eine Woche vor Eröffnung des Festivals noch echte Neuigkeiten erwartet, ist am falschen Ort. Eher geht es um die Art des Auftritts. Alles ist Zeichen und Performance in der Berliner Medienwelt, und wer genau hinschaute, dem verriet die gestrige Berlinale-Pressekonferenz eine ganze Menge – allemal über die Befindlichkeiten des bald scheidenden Direktors.
»Wir haben uns seit unserem letzten Festival Gedanken gemacht über unsere Kommunikationsmittel. Auch diese Programmkonferenz ist in neuem Gesicht keine Stühle auf der Bühne, keine Talk-Show-Situation.«
Das waren die allerersten Sätze am Dienstag. Wie sonderbar und wie bemerkenswert, eine Pressekonferenz mit einer Nachricht zur Kommunikation und Pressearbeit beginnen zu lassen.
Aber medienbewusst, das war die Berlinale unter diesem Direktor schon immer. Das galt auch für die gestrige, seine 17 Programmpressekonferenz, der vorletzten, denn im Februar kommenden Jahres wird Kosslicks Vertrag nicht mehr verlängert. Und das wollte er alle spüren lassen. Oder er konnte nicht anders. Jedenfalls reagierte er wie eine beleidigte Leberwurst auf Kritik, zeigte Wirkung, wurde endlich einmal ernst (was nach so vielen Jahren natürlich ziemlich lächerlich
wirkt).
Müde, schlecht gelaunt, beleidigt, strafte er die Journalisten mit Showverzicht ab.
Alles, wie gesagt, war Zeichen, Performance, Auftritt und Geste: Keine Stühle, sondern ein Pult. Der schwarze Anzug des Direktors. Der Verzicht auf den Roten Schal, sein Markenzeichen im letzten Jahrzehnt.
Und vor allem: Statt wie immer sein Team vorzustellen, und mit zwölf oder mehr Sektionsleitern auf der Bühne Diversität zumindest zu behaupten, stand Kosslick gestern ganz allen auf der Bühne, nur begleitet von Thomas Hailer, der im Organigramm des Festivals als
»Berlinale-Kurator« geführt wird, praktisch gesehen eine Art Stabschef und de facto Graue Eminenz und Nummer Zwei. Wachsam ergänzte dieser Haushofmeister die Ausführungen des Chefs ergänzte, korrigierte milde.
Vielleicht war es ja eine unbewusste Geste, aber es war auch eine sehr sprechende: Gerade in dem Moment, in dem das Ende des Regiments von Dieter Kosslick am Horizont der Berlinale sichtbar wird, in dem man sagen kann: Es geht endlich nicht mehr um eine Person, leistet sich der Berlinale-Direktor eine schamlose One-Man-Show.
Erkennbar reagierte Kosslick auf die Kritik der über 80 Regisseure an seiner Direktion und Filmauswahl. Gefragt, mit welchen Gefühlen er in seine vorletzte Berlinale gehe, antwortete er:
»…ja mit welchen Gefühlen… Gut… Man wird nicht mehr so viele Witze reißen, denn die Spaßbremsen möchten das ja nicht…«
Die bösen Spaßbremsen sind also schuld.
Zugleich zeigte die Pressekonferenz auch in den Fragen der Medienvertreter, die tiefer liegenden Probleme der Berlinale, des selbsternannten Publikumsfestivals, dass sich auch seine höfischen Journalisten erzogen hat: Keine Frage zum Wettbewerb als solchem, eine Frage zum polnischen Wettbewerbsfilm (natürlich von einem polnischen Journalisten), sie wurde von Hailer beantwortet, und eine Frage zum »roten Faden« (»gibt keinen«, sagte Kosslick). Dann eine Frage zum
»Kulinarischen Kino«, über die wir ob ihrer Banalität das Leichentuch des Schweigens breiten wollen, und eine kaum spannendere Frage zu »Berlinale goes Kiez«.
Es geht nie um Kunst bei diesem Kunstfestival, auch nicht in den Fragen der Journalisten. Es geht nie um die Form, um Stil, um neue Filmsprachen oder gar um das Doppelsinnige und Irritierende guter Kunst.
»Kunst, das ist die Lüge, die die Wahrheit sagt.« – So einen Satz würde man von Kosslick nie hören. Bestenfalls noch geht es im Berlinale-Programm ums Eindeutige, um willfährige Filme, und um den Punkt, an dem sich das Kino in politische und soziale Botschaften übersetzen, die Unklarheit der Kunst in die Klarheit eines Manifest ummünzen lässt.
Das heißt: Es geht auf der Berlinale um Flüchtlinge – mindestens fünf Filme haben das Thema.
Das heißt auch: Es geht um »Me Too«. Natürlich sei er gegen Gewalt, Missbrauch, Sexismus, ließ Kosslick erklären, interessanterweise wieder durch seinen Stabschef, der eine vorbereitete Erklärung vom Blatt ablas – als ob man so etwas eigens dazusagen müsste. Muss ein Festivaldirektor bald auch noch öffentlich verkünden, dass er Mord und Folter ablehnt, quasi zur Sicherheit, falls es Zweifel gibt?
Die Solidarität der Berlinale mit Opfern des Sexismus geht dann aber doch nicht sehr weit. Sie hat ihre Grenzen dort, wo man das Schauspielerinnen-Schaulaufen in leichtester Kleidung auf dem roten Teppich wenigstens zum Thema machen könnte. Zum Beispiel indem man die Sponsoren und Agentinnen der »Talents« auffordert, sich für einen anderen Dresscode einzusetzen.
»Nobody’s Doll« heißt die entsprechende Initiative der Schauspielerin Anna Brüggemann, die die Darstellerinnen selbst in die Verantwortung nimmt, und auf die die Berlinale aber nur zu sagen hat: Jede solle sich halt anziehen, wie sie wolle – als ob man im harten Showbiz immer die Wahl hätte.
»Ich werde auf keinen Fall eine Frau in flachen Schuhen zurückweisen, und keine Männer in High Heels.«
Und »Pro Quote Film« spielt dieses zynische Spielchen mit, veranstaltet auf und mit der Berlinale das »Pro Quote Bubble« und bietet dem Festival dadurch ein billiges Feigenblatt. Man behauptet bei »Pro Quote Film«, man wolle der Männermacht die Stirn bieten – aber man kungelt mit dem Berlinale-Direktor und der etablierten Politik.
Bisher habe ich kein Wort zu jener vom »Missy«-Magazin initiierten, aber schnell durch Kosslick-Interventionen unterdrückten, Nachfrage nach
Sexismus und Rassismus auf der Berlinale gehört.
Aber es ändert nichts daran: Die Berlinale wie sie heute ist, sieht schon sehr alt und vergangen aus, sie hat keine Zukunft mehr. Die Berlinale war mal etwas, und sie muss wieder was werden. Zur Zeit aber ist Zwischenzeit angesagt, ein Leerstand zwischen Gestern und Morgen.
Wie denn eine Berlinale-Zukunft aussähe, wurde der Langzeitdirektor auch noch gefragt:
»Also, wenn Sie mich fragen, für mich ist die Geschichte durch. Das ist der Stand der Dinge – mehr kann ich dazu nicht sagen.«
Eine inhaltliche Bankrotterklärung – die Berlinale der Zukunft wird nun daran arbeiten müssen, nicht nur viele Filme zu zeigen, sondern die Kunst des Kinos und seine Künstler wieder sichtbar zu machen.
Denn worum geht es bei einem Filmfestival? Um Sichtbarkeit. Sichtbarkeit der Filme. Bei einem Festival das 400 Filme zeigt, ist jeder einzelne Film also nur ein Viertel so viel wert, wie wenn er auf einem Festival läuft, dass sich auf 100 Filme beschränkt. Dort hat der
einzelne Film viermal so viel Chance auf Aufmerksamkeit. Die Person des Direktors muss im Vergleich zu den Filmen wieder unwichtig werden.