69. Berlinale 2019
Was hätte SIE zu diesen Film gesagt...? |
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Rob Garvers »What She Said: The Art of Pauline Kael« ist wie ein verfilmter Wikipedia-Artikel | ||
(Foto: Berlinale | Rob Garver) |
Von Sedat Aslan
Vor der Vorführung im Kino am Potsdamer Platz tritt der Filmemacher vor sein Publikum und sagt nur folgende Sätze: »Hätte Pauline Kael gehört, dass jemand einen Film über eine Filmkritikerin drehte, hätte sie es vermutlich verrückt gefunden. Wenn sie dann aber erführe, dass der Film von ihr handelte, hätte ihr das wohl sehr gefallen.«
Nun tritt Rob Garver ab, und sein Dokumentarfilm im Panorama, What She Said: The Art of Pauline Kael, beginnt. Das eineinhalbstündige Werk behandelt Leben und Schaffen der berühmten Filmkritikerin, die besonders in ihrer wichtigsten Phase ab 1968 beim »New Yorker« die Filmkritik zu einer eigenständigen prosaischen Form führte, wie Weggefährten und Bewunderer zu betonen nicht müde werden. Gerade in der Umbruchzeit im US-Kino der 60er und 70er Jahre,
Stichwort „New Hollywood“, war sie mit ihren später in mehreren Bänden gesammelten, oftmals sehr umfang- und nicht minder geistreichen Filmkritiken dafür mitverantwortlich, dass Filme wie Bonnie and Clyde und Regietalente wie Steven Spielberg und Martin Scorsese die Beachtung erfuhren, die ihnen von weniger progressiven Kritikern verwehrt blieb, und welche Ihnen zu
nachhaltigem Weltruhm verhelfen sollte.
Pauline Kael hatte nicht nur Einfluss auf Karrieren von Regisseuren in ihrer größten Wirkungsphase, sondern auch solchen, die sie später rezipiert haben. Besonders zu nennen wäre hierbei Quentin Tarantino, der im Film auch vertreten ist, und an einer sehr schönen Stelle verrät, wie ihn Kaels Besprechung zu Bande à part von Jean-Luc Godard zu seinem
eigenen künstlerischen Zugang inspirierte.
Neben der Tatsache, dass sie sich als Frau in einer männlich dominierten Branche, von dieser argusäugig betrachtet, an die Spitze der Filmkritik schrieb und ihr Urteil über Erfolg und Misserfolg an der Kinokasse mitentschied, lässt der Film nicht unerwähnt, dass Pauline Kael durchaus schroff und streitlustig sein konnte. Davor waren weder Genies wie Chaplin und Welles noch heute als Meilensteine geltende Filme gefeit: Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey interpretierte sie negativ, ihre Rezension zu Claude Lanzmanns Shoah brachte ihr sogar den Vorwurf des Antisemitismus ein.
Regisseur Rob Garver ist seine Recherche- und auch Montagearbeit sowie seine Leidenschaft für sein Sujet hoch anzurechnen. Ebenso, dass er es geschafft hat, die lange Zeit skeptische Tochter Kaels, Gina James, vor die Kamera zu holen – sie wertet den Film als zeitgeschichtliches Dokument deutlich auf. Durch ihre Einblicke sowie die von ihr vorgetragenen Auszüge aus Kaels Texten wird deren spezielle Kunst, Sachen zu beschreiben, die man nur fühlen kann, erfahrbar.
Wie
lässt sich aber ein dokumentarischer Film über eine solch einflussreiche Filmkritikerin erzählen? Dieser naheliegenden Frage stellt sich der Film überhaupt nicht. Er findet keine besondere Form, sondern könnte prinzipiell von jedem anderen Menschen handeln. Es geht chronologisch vom Leben bis zum Tod, und wie es bei vielen neueren, gerade für Streamingportale produzierten Dokumentarfilmen mittlerweile Usus ist, wechseln sich auf diesem Weg rastlos Interviewsequenzen,
Archivmaterial, Filmausschnitte, Fotografien und Voice-Overs ab, eine dahinplätschernde Musik untermalt den Bilderbrei fast ununterbrochen. Der Film ist zwar informativ und als Startpunkt für eine Beschäftigung mit dem Werk der Kritikerin zweifellos lohnenswert, aber völlig ohne Überraschungen, er stellt keine Fragen und beantwortet alle.
Es ist wahrscheinlich, dass das Sujet des Films diesen bei aller Schmeichelei selbst nicht besonders schätzen würde, denn Filme, die den Zuschauern alles erklären und ihnen keinen Freiraum bieten, hielt sie, wie mehrfach betont wird, für langweilig. Genau dies macht jedoch dieser viel zu biedere Film. Er ist durch und durch unkünstlerisch, wie ein verfilmter Wikipedia-Artikel.
Nachdem der Vorhang gefallen ist, eine Zuschauerfrage: wie der Regisseur nach seiner intensiven
Beschäftigung mit Pauline Kaels Leben die Möglichkeiten eines Spielfilms darüber einschätzt. Diese Ehre wäre vermutlich selbst ihr dann doch ein wenig zu viel des Guten.