Cinema Moralia – Folge 291
»Ich bin hier. Ich bleib hier. Und fuck you!« |
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Dieser Film hat uns auf gute Weise niedergerungen: Bones and All | ||
(Foto: Warner Bros.) |
»seht in den spiegel: feig,
scheuend die mühsal der wahrheit,
dem lernen abgeneigt, das denken
überantwortend den wölfen,
der nasenring euer teuerster schmuck,
keine täuschung zu dumm, kein trost
zu billig, jede erpressung
ist für euch noch zu milde.«
Hans Magnus Enzensberger: verteidigung der wölfe gegen die lämmer
Dass es diesen Film überhaupt gibt. Wunderbares deutsches Kino, und heute plötzlich auch ein Kommentar zur letzten Silvesternacht und jenen Ereignissen, die tatsächlich unentschuldbar sind, und doch anders und differenzierter erklärt werden müssen, als man das gerade tut.
Cem Kayas Ask, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod ist für mich einer der besten, wenn nicht wahrscheinlich sogar der allerbeste deutsche Film des letzten Jahres: Voller Leidenschaft und Intensität, sehr humorvoll und dabei ungemein schmerzhaft! Mir sind die Tränen gekommen, mehr als einmal, sowohl, weil das Gefühl und die Sympathie einen übermannt, aber auch aus Scham für das, was die
Deutschen all denen angetan haben, die sie je nachdem Gastarbeiter, Ausländer oder Kanaken genannt haben.
Ich glaube, dieser Film hat in jeder Hinsicht noch mehr öffentliche Anerkennung verdient. Es ist mir ein Rätsel, warum so etwas nur beim DOK.fest München (Pardon, Freunde!) Premiere hatte, nicht bei der Berlinale oder DOK Leipzig, aber vielleicht gibt es dafür Erklärungen.
[Anmerkung der Redaktion: Die Premiere war auf der Berlinale, Sektion Panorama, wo der Film mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde.]
Dieser Film ist auch eine Erinnerung an die alte Bundesrepublik, an D-Mark-Zeiten, eine Art des Überfluss und des Hedonismus, der nur vor dem Hintergrund des Mangels möglich ist, nur vor dem Hintergrund einer Gesellschaft in Bewegung und nicht in einer festgefügten neureichen Gesellschaft wie der unsrigen, jetzigen Berliner Republik.
Zeiten, die kein morgen kannten, nur Arbeit; Zeiten, in denen Kartons von Champagner und Raki gebechert wurden.
Am meisten rühren die Kinder der Gastarbeiter. Einer sagt mal: »Als wir doch geblieben sind, war unsere Jugend vorbei.«
Zugleich empfindet man Empörung über Rassismus und Türkenfeindlichkeit. Zorn und Hass mancher Migrantenkinder sind verständlich angesichts dieser Geschichte.
Ein Jüngerer bringt das Bewusstsein seiner Altergenossen auf den Punkt: »Ich bin hier. Ich bleib hier. Und fuck you!«
+ + +
661 Neustarts gab es im vergangenen Jahr, damit war 2022 fast schon wieder das schlimme Normalmaß des deutschen Kinos. Je mehr Filme, desto weniger Kassenerfolge, am Überfluss dieser Art geht das Kino zugrunde, und doch ist dieser Überfluss, die vielen Filmstarts, nur eine Folge der Ausdifferenzierung einer diversen Gesellschaft.
Rechnet man die Pandemie der ersten Monate noch mit ein, in denen insgesamt viel weniger Filme starteten – »nur« 138 Filme in den ersten drei
Monaten – dann gab es eher mehr Starts als vor der Pandemie. Einschränkend kann man allenfalls sagen, dass es eine riesige Menge Wiederaufführungen gab.
+ + +
Der Monat mit den meisten Filmstarts im Jahr 2022 war der vergangene November mit 73. Knapp dahinter liegen September und Oktober. Die Woche mit den meisten Filmstarts war die letzte Novemberwoche mit 22 Starts.
Im Durchschnitt starteten jede Woche 12,7 Filme.
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Die besten von ihnen waren für mich (in wertender Reihenfolge):
Elvis Regie: Baz Luhrmann
Atlantide Regie: Yuri Ancarani
Petite Maman Regie: Céline Sciamma
Mona Lisa and the Blood Moon Regie: Ana Lily Amirpour
Verlorene Illusionen Regie: Xavier Giannoli
Ask, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod Regie: Cem Kaya
Triangle of Sadness Regie:
Ruben Östlund
Vortex Regie: Gaspar Noé
Medusa Regie: Anita Rocha da Silveira
Sonne Regie: Kurdwin Ayub
EO Regie: Jerzy Skolimowski
To the Ends of the Earth Regie: Kiyoshi Kurosawa
Belle Regie: Mamoru Hosoda
Leander Haußmanns Stasikomödie Regie:
Leander Haußmann
Schweigend steht der Wald Regie: Saralisa Volm
Zeiten des Umbruchs Regie: James Gray
Auch sehr gut waren:
An einem schönen Morgen Regie: Mia Hansen-Løve
Das Ereignis Regie: Audrey Diwan
Sundown Regie: Michel Franco
A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe Regie: Nicolette Krebitz
Vatersland Regie: Petra Seeger
Niemand ist bei den Kälbern Regie: Sabrina Sarabi
Come
on, Come on Regie: Mike Mills
Als Susan Sontag im Publikum saß Regie: RP Kahl
Der beste Film aller Zeiten Regie: Mariano Cohn, Gastón Duprat
Bones and All Regie: Luca
Guadagnino
Eine Frau Regie: Jeanine Meerapfel
Zu allem Weiteren das nächste Mal.
(to be continued)