8. Mittelmeerfilmtage im Münchner Gasteig |
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New kids on the block: Ägyptische Subkultur im Eröffnungsfilm Microphone |
Von Dunja Bialas
Irgendwie hat sich die Landkarte umgedreht. Wenn man mit dem Zeigefinger über die Länder des Mittelmeers fährt, ist man versucht, wie in einem Abzählreim vor sich hinzumurmeln: Spanien – Krise. Italien – Krise. Griechenland – große Krise. Tunesien – Aufbruch. Libyen – Aufbruch. Ägypten – Aufbruch. Festung Europa, war da was?
Seit dem sogenannten »arabischen Frühling« blickt die Welt voller Hoffnung auf den Norden Afrikas, sorgenvoll dagegen, seit ihrer Abstufung durch Rating-Agenturen, auf die Mittelmeerstaaten Europas. Das eine ist sehr greifbar, handgemacht, durch das Volk herbeigeführt, das andere erscheint irgendwie irreal und einem nicht mehr zu durchschauenden Staats- und Bankenwirken geschuldet. Deshalb gelten die Umstürze in den arabischen Ländern – egal, wie erfolgreich sie sein werden – als Anleitung zum Nachahmen für Europa, was nicht weniger ist als ein Nachfühlen: endlich wieder fühlen, wie es ist, Realität zu sein. So stellen die Spanier im Frühjahr 2010 in Madrid und Barcelona die Verhältnisse auf dem Tahrir-Platz von Kairo nach, schlagen Zelte auf, fordern eine Politik fürs Volk. Daran schließt sich ein paar Monate später die Occupy-Bewegung an, die bis nach Israel und New York ihre Wellen schlägt. Plötzlich ist Arabien unser Vorbild geworden, der Wille nach Selbstbestimmung scheint ansteckend zu sein.
Tahrir 2011 – The Good, the Bad, the Politician heißt so auch der in den Bann ziehende Dokumentarfilm der diesjährigen Mittelmeerfilmtage, die ab diesem Freitag, noch bis zum 22. Januar im Münchner Gasteig stattfinden. Der Film wurde aus der Hand von drei Regisseuren gedreht, zu Zeiten des Aufruhrs auf dem berühmt gewordenen Platz, um möglichst viele unterschiedliche Szenen und Stimmungen einzufangen. Unterteilt in drei Kapitel (»The Good«, »The Bad«, »The Politician«), nähert sich der Film den unterschiedlichen Lagern der Revolution. Dabei geht es auch humorvoll zu, und man erfährt in einer kleinen Lektion in zehn Schritten, wie man Diktator wird. (Sa., 21.01., 19:00 Uhr)
Der Revolution ins Gesicht schauen. Der jungen, undergroundigen Szene, die vielleicht mit an der Revolution auf dem Tahrir-Platz beteiligt war, widmet sich der Eröffnungsspielfilm Microphone. Hier trifft man auf die subkulturelle Szene von HipHop, Street Art und Rock. Konflikte und Brüche der ägyptischen Gesellschaft werden sichtbar. (Freitag, 13.01., 19:30 Uhr, Carl-Orff-Saal)
Die Mittelmeerfilmtage setzen dann über nach Europa, und mit einem Male kommen einem die Ländernamen wie aus einer fernen Vergangenheit vor. Bosnien, Serbien, war da nicht mal was? Circus Columbia geht zurück bis in das Jahr 1991, als es mit Titos Tod zum Zerfall von Jugoslawien kam, und in der Folge zu einem seit 1945 in Europa nicht mehr gesehenen Krieg. (So., 15.01., 18:30 Uhr)
Mit Griechenland und Italien präsentieren sich zwei Länder, die gerade aufpassen müssen, nicht ihr Gesicht zu verlieren. Reue und Schuld sind so auch die zwei Moralitäten, die in dem griechischen Film Eduart eine zentrale Rolle spielen – hier heruntergebrochen auf den Konflikt zwischen Albanien und Griechenland, Homosexualität und Raub. (So., 15.01., 20:30 Uhr und Sa., 21.01., 17:00 Uhr)
Italien hatte gerade sein 150. Jubiläum. Wäre nicht Berlusconi gewesen – könnte es immer noch stolz sein. Der Dokumentarfilm Flucht und Landung (Fughe e approdi) zeigt die vergangene Schönheit des Landes, im Film und als Landschaft: entlang der Liparischen Inseln werden die Schicksale vieler Familien aufgegriffen, die die Inseln verlassen mussten und eine Reise in die Glanzzeiten des italienischen Kinos unternommen: Rossellini, Antonioni und andere haben hier gedreht. (Di., 17.01., 20:30 Uhr, Sa. 21.01., 21:00 Uhr)
Früher war es für manche besser, heute blicken alle in eine ungewisse Zukunft: Die Umkehrung der politischen Hoffnung entlang der Mittelmeerstaaten kristallisiert sich in dem mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilm Les arrivants, der eine Aufnahmestation für Asylbewerber in Frankreich zeigt, die aus den afrikanischen Staaten kommen. Für sie ist Europa noch immer der einzige Hoffnungsschimmer für eine neue Existenz; sie werden von den arabischen Ländern übers Mittelmeer nach Europa hinübergereicht. (Fr., 20.01., 20:30 Uhr)
8. Mittelmeerfilmtage. 13. bis 22. Januar 2012 im Gasteig München.