12.01.2012

8. Mittel­meer­film­tage im Münchner Gasteig

Microphone
New kids on the block:
Ägyptische Subkultur
im Eröffnungsfilm Microphone

Verkehrte Verhältnisse

Von Dunja Bialas

Irgendwie hat sich die Landkarte umgedreht. Wenn man mit dem Zeige­finger über die Länder des Mittel­meers fährt, ist man versucht, wie in einem Abzähl­reim vor sich hinzum­ur­meln: Spanien – Krise. Italien – Krise. Grie­chen­land – große Krise. Tunesien – Aufbruch. Libyen – Aufbruch. Ägypten – Aufbruch. Festung Europa, war da was?

Seit dem soge­nannten »arabi­schen Frühling« blickt die Welt voller Hoffnung auf den Norden Afrikas, sorgen­voll dagegen, seit ihrer Abstufung durch Rating-Agenturen, auf die Mittel­meer­staaten Europas. Das eine ist sehr greifbar, hand­ge­macht, durch das Volk herbei­ge­führt, das andere erscheint irgendwie irreal und einem nicht mehr zu durch­schau­enden Staats- und Banken­wirken geschuldet. Deshalb gelten die Umstürze in den arabi­schen Ländern – egal, wie erfolg­reich sie sein werden – als Anleitung zum Nachahmen für Europa, was nicht weniger ist als ein Nach­fühlen: endlich wieder fühlen, wie es ist, Realität zu sein. So stellen die Spanier im Frühjahr 2010 in Madrid und Barcelona die Verhält­nisse auf dem Tahrir-Platz von Kairo nach, schlagen Zelte auf, fordern eine Politik fürs Volk. Daran schließt sich ein paar Monate später die Occupy-Bewegung an, die bis nach Israel und New York ihre Wellen schlägt. Plötzlich ist Arabien unser Vorbild geworden, der Wille nach Selbst­be­stim­mung scheint anste­ckend zu sein.

Tahrir 2011 – The Good, the Bad, the Politi­cian heißt so auch der in den Bann ziehende Doku­men­tar­film der dies­jäh­rigen Mittel­meer­film­tage, die ab diesem Freitag, noch bis zum 22. Januar im Münchner Gasteig statt­finden. Der Film wurde aus der Hand von drei Regis­seuren gedreht, zu Zeiten des Aufruhrs auf dem berühmt gewor­denen Platz, um möglichst viele unter­schied­liche Szenen und Stim­mungen einzu­fangen. Unter­teilt in drei Kapitel (»The Good«, »The Bad«, »The Politi­cian«), nähert sich der Film den unter­schied­li­chen Lagern der Revo­lu­tion. Dabei geht es auch humorvoll zu, und man erfährt in einer kleinen Lektion in zehn Schritten, wie man Diktator wird. (Sa., 21.01., 19:00 Uhr)

Der Revo­lu­tion ins Gesicht schauen. Der jungen, under­groun­digen Szene, die viel­leicht mit an der Revo­lu­tion auf dem Tahrir-Platz beteiligt war, widmet sich der Eröff­nungs­spiel­film Micro­phone. Hier trifft man auf die subkul­tu­relle Szene von HipHop, Street Art und Rock. Konflikte und Brüche der ägyp­ti­schen Gesell­schaft werden sichtbar. (Freitag, 13.01., 19:30 Uhr, Carl-Orff-Saal)

Die Mittel­meer­film­tage setzen dann über nach Europa, und mit einem Male kommen einem die Länder­namen wie aus einer fernen Vergan­gen­heit vor. Bosnien, Serbien, war da nicht mal was? Circus Columbia geht zurück bis in das Jahr 1991, als es mit Titos Tod zum Zerfall von Jugo­sla­wien kam, und in der Folge zu einem seit 1945 in Europa nicht mehr gesehenen Krieg. (So., 15.01., 18:30 Uhr)

Mit Grie­chen­land und Italien präsen­tieren sich zwei Länder, die gerade aufpassen müssen, nicht ihr Gesicht zu verlieren. Reue und Schuld sind so auch die zwei Mora­litäten, die in dem grie­chi­schen Film Eduart eine zentrale Rolle spielen – hier herun­ter­ge­bro­chen auf den Konflikt zwischen Albanien und Grie­chen­land, Homo­se­xua­lität und Raub. (So., 15.01., 20:30 Uhr und Sa., 21.01., 17:00 Uhr)

Italien hatte gerade sein 150. Jubiläum. Wäre nicht Berlus­coni gewesen – könnte es immer noch stolz sein. Der Doku­men­tar­film Flucht und Landung (Fughe e approdi) zeigt die vergan­gene Schönheit des Landes, im Film und als Land­schaft: entlang der Lipa­ri­schen Inseln werden die Schick­sale vieler Familien aufge­griffen, die die Inseln verlassen mussten und eine Reise in die Glanz­zeiten des italie­ni­schen Kinos unter­nommen: Rossel­lini, Antonioni und andere haben hier gedreht. (Di., 17.01., 20:30 Uhr, Sa. 21.01., 21:00 Uhr)

Früher war es für manche besser, heute blicken alle in eine ungewisse Zukunft: Die Umkehrung der poli­ti­schen Hoffnung entlang der Mittel­meer­staaten kris­tal­li­siert sich in dem mehrfach preis­ge­krönten Doku­men­tar­film Les arrivants, der eine Aufnah­me­sta­tion für Asyl­be­werber in Frank­reich zeigt, die aus den afri­ka­ni­schen Staaten kommen. Für sie ist Europa noch immer der einzige Hoff­nungs­schimmer für eine neue Existenz; sie werden von den arabi­schen Ländern übers Mittel­meer nach Europa hinüber­ge­reicht. (Fr., 20.01., 20:30 Uhr)

8. Mittel­meer­film­tage. 13. bis 22. Januar 2012 im Gasteig München.