Meer Leben! |
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Those Who Go Those Who Stay eröffnen am heutigen Donnerstag die 11. Mittelmeerfilmtage | ||
(Foto: Sixpackfilm / Filmstadt München) |
Von Dunja Bialas
Ist das zynisch? Derzeit werben überall in der Stadt Plakate des Reiseunternehmens »Mein Schiff« für Kreuzfahrten über das Mittelmeer. »Premium, alles inklusive« preisen sie an, »7 Nächte ab 995 €«. Für wie kurz hält man eigentlich das Gedächtnis der Menschen, oder besser der Konsumenten, die hier angeprochen werden? Vor kurzem wurde man noch beinahe täglich von Schreckensnachrichten von im Mittelmeer gesunkenen Flüchtlingsschollen erschüttert; heute packt man sich selbst schon wieder in Watte. Wenn aber das Watteschiff vulgo Kreuzschiff auf die harte Realität eines im Meer treibenden Schlauchbootes trifft, wie dies Philip Scheffner in seinem 2016 entstandenen experimentellen Dokumentarfilm Havarie zeigt, dann prallen die Welten aufeinander. Von seinem Kreuzschiff aus hatte ein Passagier ein Boot gefilmt, das in Seenot geraten war, und das Video ins Netz gestellt. Havarie dehnt den lebensbedrohlichen Augenblick des steuerlosen Treibens auf dem Wasser in die schiere Unendlichkeit aus, bis die Realität wieder weh tut.
Wenn am heutigen Donnerstag die 11. Mittelmeerfilmtage beginnen, dann ist es wieder an der Zeit, an den Mittelmeerraum als politischen Raum zu denken. Auch UNDERDOX – das ich zusammen mit Bernd Brehmer leite – nimmt als Festival der Filmstadt München e.V. an der Filmreihe in einem Programmpunkt teil. Angesichts des akutellen Kreuzschifffahrt-Werbeplakats bedauere ich es zutiefst, nicht den Film von Philip Scheffner fürs Programm vorgeschlagen zu haben. Andererseits wäre es vielleicht wiederum ein wenig brutal erschienen, einen Film über ein havariertes Schlauchboot voll mit Flüchtlingen bei den Mittelmeerfilmtagen zu zeigen. Unsere Sehnsucht, sich den Mittelmeerraum als intakte Region unserer Urlaubswünsche, des guten Essens, der immer scheinenden Sonne zu denken, ist groß.
Vieles aber ist politisch, vielleicht nicht auf den ersten Blick. So kann auch ein Essen politisch werden. Die britische Künstlerin Anna Sherbany inszeniert in A Place At The Table einen Essenstisch, an dem sechs Frauen Platz nehmen, gefilmt wurde von oben. Sie stammen alle aus verschiedenen Regionen des Mittelmeers, fügen die Aromen, Traditionen und ihre Geschichten zu einer lebendigen Tafel des Austauschs. Die Arbeit wird bei den Mittelmeerfilmtagen als Videoinstallation gezeigt; projiziert wird auf ein Tischtuch. Die Installation wirft so auch einen Lichtstrahl in den häuslichen Bereich, der der Frau eine traditionsgebundene Rolle zuweist. Mehr noch aber geht es Sherbany um das sinnliche Zusammentreffen der Kulturen in einem Raum. In den verschiedenen Speisen finden sich auch Migration, Herkunft, Ankunft; sodann gibt es leere und volle Teller, die die ungerechte Verteilung der Ressourcen symbolisieren. Der Akt des Essens ist solidarisierend. Und wenn man zusammen isst, geht man für den Moment der Mahlzeit eine Gemeinschaft außerhalb der Zeit ein, tauscht sich aus, bevor wieder der Alltag beginnt.
Die in Israel geborene Künstlerin gehört dem Volk der Mizrachim an, also den sogenannten orientalischen Juden, wie Irit Neidhardt in »Mit dem Konflikt leben« herausstellt, und ist so seit jeher zwischen den Kulturen beheimatet. Sie ging nach London und lebte sogar eine zeitlang in München. Aus dieser Zeit kennen sie auch die Frauen der Münchner Filmgruppe »Bimovies«, die jetzt ihre nachhaltig wirkende Installation im Aktionsraum PIXEL (ehemaliger Gastro-Raum im Durchgang von der S-Bahn zum Gasteig) zeigen. Vernissage ist am heutigen Donnerstag um 18 Uhr in Form eines »Warm-ups« vor der eigentlichen Eröffnung der Mittelmeerfilmtage mit Ruth Beckermanns Those Who Go Those Who Stay (19 Uhr, Gasteig Carl-Orff-Saal).
Das filmische Gegenstück zu Sherbanys Installation ist Ouroboros der in Kuwait geborenen Künstlerin Basma Alsharif. Sie setzt das Verrückt-Sein der Welt in das Zentrum ihres experimentellen Spielfilms. Der Film hebt an mit einem schwindelerregenden Blick auf das Mittelmeer am Gaza-Streifen; gänzlich beunruhigend wird es, erkennt man, dass das Bild rückwärts läuft und die Wellen somit ins Meer zurückfließen. Das Land veräußert sich, übergibt sich dem Wasser, ist nicht mehr der solide Grund, auf dem alles gebaut ist. Diese Verunsicherungen finden ihre Fortsetzungen in einer palästinensischen Frau, die wie in einem Geisterhaus durch die Flure ihrer Wohnung streift. Ein Mann schält sich schließlich als Protagonist aus der beobachtenden Position der Kamera. Alsharifs Film ist rätselhaft, voller Widersprüche, und inszeniert die Konvention, auch die Seh-Konvention, als starken Widerspruch. Ein herausfordernder Film, zugegeben, aber auch eine betörend schöne Reise durch diffuse Bewusstseinszustände, für die Mittelmeerfilmtage von UNDERDOX herausgesucht (Samstag, 17 Uhr, Gasteig Carl-Amery-Saal).
Insgesamt werden bis 28. Januar im Münchner Gasteig 23 Filme von den verschiedenen Gruppen der Filmstadt München gezeigt. Filme für die Jüngsten, die das Kinderkino München ausgewählt hat, sind dabei (jeweils Freitag um 15 Uhr), Kurzfilme aus dem Repertoire des Festivals »Bunter Hund« ergänzen an ausgewählten Terminen das Programm. Es lohnt sich, mit ihnen auf Entdeckungsreise durch den Mittelmeerraum zu gehen – und dazu braucht es nur eine Eintrittskarte ins Kino.
Die Mittelmeerfilmtage machen in folgenden Ländern Station: die Türkei (Yarim: eine unkonventionelle Beziehung an der Ägäis; Kedi: Katzen in Istanbul), Italien (Sole cuore amore: eine italienische Arbeiterin; La stoffa dei sogni: die Camorra), Spanien (Estiu 1993: ein katalanischer Sommer; No todo es vigilia: Dokumentarfilm über eine Liebe im Alter; El Rayo: mit dem Traktor zurück nach Marokko), Israel (Bar Bahar: drei Palästinenserinnen in Tel Aviv; Sar'a: Dokumentarfilm über einen verschwundenen Kibbuz; Disturbing the Peace: Dokumentarfilm über die preisgekrönte NGO »Combatants for Peace«), Griechenland (Son of Sofia: Aufwachsen in Athen), Algerien (Good Luck Algeria: als algerischer Skifahrer bei den Olympischen Winterspielen), Syrien (zwei Kurzfilme von KINO ASYL: Shakespeare in Zaatari und Ungewöhnlich), Marokko (Dokumentarfilm Als Paul über das Meer kam), Kosovo / Mazedonien (Home Sweet Home: ein Kriegsgefangener kehrt aus Serbien heim), Katar (A Memory in Khaki: Dokumentarfilm über Syrier im Exil); Tunis (À peine j'ouvre les yeux: Erwachsenwerden kurz vor dem arabischen Frühling), Montenegro / Serbien (Igla ispod praga: eine surreale Tragikomödie auf einer montenigrinischen Halbinsel).
Auf den sechs dalmatinischen Inseln im Mittelmeer gab es früher übrigens viele Kinos. Dies zeigt Kino Otok – Islands for Forgotten Cinemas des kroatischen Filmemachers Ivan Ramljak. Heute hat sich das Leben dort geändert, die Kinos sind verschwunden. Aber die Gebäude sind geblieben, und sie sind immer noch die Orte, an denen die Menschen zusammenkommen. Der Film wird ebenfalls als Installation im PIXEL gezeigt, das für die Zeit der Mittelmeerfilmtage so etwas wie ein kleines Festivalzentrum ist.
11. Mittelmeerfilmtage
18.-28. Januar 2018, Gasteig München, Carl-Amery-Saal
Eintritt: 7 € (ermäßigt 5 €, Kinderprogramm 3 €)
Das Programm ist ein Gemeinschaftsprogramm der Gruppen der Filmstadt München e.V. in Zusammenarbeit mit der
Münchner Stadtbibliothek, dem Instituto Cervantes, dem Institut Français, dem Centro Catala de Munic und ist gefördert vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München.