9. Mittelmeerfilmtage im Münchner Gasteig |
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Schattenspiele der Vergangenheit: Bloody Beans zeigt den Algerienkrieg als traumatisch-träumerische Erfahrung |
Von Natascha Gerold
Laue Brise, Dauersonnenschein und Menschen, die die Meister darin sind, das Leben zu genießen, trotz seiner Unwägbarkeiten. Noch nie waren diese Klischees vom Mittelmeerraum und seinen Anrainernationen unwahrer als in den vergangen Jahren: Arbeits- und Perspektivlosigkeit, Kriege und historisch gewachsene Konflikte sind oder bleiben die Parameter, die das Leben an vielen Orten in hohem Ausmaß bestimmen. Die 9. Mittelmeer-Filmtage der Filmstadt München mit ihren Mitgliedern Kurzfilmfestival Bunter Hund, Circolo Cento Fiori, DOK.fest, Griechisches Filmforum, Kinderkino München, SinemaTürk Filmzentrum und UNDERDOX rücken mit den von ihnen ausgewählten Filmen vor allem die ins Zentrum, die diese Zustände am härtesten treffen: Kinder und Jugendliche. In den meisten der 23 Spiel- und Dokumentarfilme (darunter vier Kurzfilme) aus über zehn Mittelmeerländern – allesamt beachtet und ausgezeichnet bei internationalen Filmfestivals – sind sie die Protagonisten.
Weinerliches, wohlfeiles Mitleid ist hier nirgends anzutreffen – stattdessen packende Geschichten, die, unter anderem, von einsamen jungen Helden erzählen, für die Todesgefahren Alltag geworden sind und die unbeirrbar ihre Ziele im Auge behalten – sonst haben sie nichts mehr zu verlieren. Beispielsweise Fahed, der palästinensische Flüchtlingsjunge in dem israelischen Film Zaytoun (So, 2.2., 18.30 Uhr), der das Lager in Beirut verlassen will, um den Wunsch seines verstorbenen Vaters zu verwirklichen und dessen liebevoll gezüchteten Olivenbaum im palästinensischen Heimatdorf zu pflanzen. Auch Jîn, das 17-jährige Mädchen aus dem gleichnamigen türkischen Film von Reha Erdem (So., 26.1., 21 Uhr), will endlich raus aus dem von Kurden und Türken umkämpften Berggebiet im Osten der Türkei, in dem sie in einer Gruppe Rebellen mitkämpfen musste. Dafür nimmt sie weite Wege in noch größerer Isolation und mit unvorhersehbaren Risiken in Kauf.
Wenn Flucht Todesgefahr bedeutet, was bedeutet dann Rückkehr? Sie wird zum freudigen Wiedersehen, aber auch zum schmerzhaften Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen und Lebensgewohnheiten. Das zeigen, auf höchst unterschiedliche Weise, der spanische Spielfilm Wilaya (So., 26.1., 19 Uhr und Mi., 29.1., 18.30 Uhr), eine konfliktreiche, bilderstake Familiengeschichte im gleichnamigen Flüchtlingscamp der Sahraui, sowie der libanesische Dokumentarfilm A World Not Ours (So. 2.2., 20.30 Uhr). Darin porträtiert Regisseur Mahdi Fleifel das Leben seiner Familie und seines Freundes in einem palästinensischen Lager im Süd-Libanon in heiterem Grundton, aber mit feinem Hintersinn – als Besucher, der immer wieder kommt, doch nicht, um zu bleiben.
Manchmal braucht es ein paar Abstraktionsebenen mehr als Geschichtsbücher und Nachrichten, um Ereignisse, aktuelle wie historische, annähernd zu begreifen. Mutige Experimente der Filmkunst wie Recycling Medea aus Griechenland (So., 2.2., 11.30 Uhr) und Bloody Beans aus Algerien (Fr., 24.1., 20.30 Uhr und Fr., 31.1., 18.30 Uhr) nehmen den Zuschauer mit auf solche Ebenen. Ersteres ist eine multimediale dramatische Moritat von der Jugend Griechenlands, die die Gesellschaft im Zuge der Finanzkrise um ihre Zukunft bringt, wie es Medea in der griechischen Mythologie mit ihren Kindern gemacht hat. Zweiteres zeigt eine Gruppe algerischer Kinder, die am Strand die französisch-algerische Kolonialgeschichte nacherlebt, in fantastischen Rollenspielen und traumhaften Sequenzen. »Mari interessiert, wie Mythen im Heute wiederbelebt und schließlich mit einer revolutionären Geste wieder dekonstruiert werden«, kommentierte das internationale Dokumentarfilmfestival Kopenhagen CPH:DOX das preisgekrönte Spielfilmdebüt der Regisseurin Narimane Mari.
»Du bist schön und jung und stark/nimm dir was du willst (…) verschwende deine Jugend.« Diese Songzeilen der Deutsch-Amerikanischen-Freundschaft aus dem Jahr 1981 wirken, knapp 30 Jahre später mit Blick auf die junge Generation im Mittelmeerraum, nicht mehr wie eine Ode an irgendeinen Hedonismus, sondern wie das Credo einer grausamen, alternativlosen Lebensform. Die innere Zerrissenheit, befeuert durch Ablehnung von außen, lässt ein Vakuum entstehen, das gefüllt werden will. Fluchten in Parallelwelten des Konsums wie in dem französischen Film Sur la planche (Do., 23.1., 18.30 Uhr und So., 26.1., 17 Uhr), der Gewalt wie in The Wild Ones (Do., 30.01., 20.30 Uhr) oder vermeintlich heilsbringender religiöser Systeme wie in La désintégration von Philippe Faucon (Mo., 27.1., 20.30 Uhr und Do., 30.1., 18.30 Uhr) sind die Folgen davon.
Als mediterranes, crossnationales Gesamtprojekt kann man Indebito (So., 26.1., 11.30 Uhr, in Anwesenheit des Regisseurs) verstehen. Der Film begleitet den italienischen Cantautore Vinicio Capossela auf seiner Reise in die Tavernen von Athen und Thessaloniki, wo er dem Rembetiko begegnet, dem griechischen Blues mit türkischen Wurzeln, mit dem Menschen musikalisch gegen die Identitätskrise, die die Finanzkrise zeitigt, eindringlich aufbegehren. Ein grandioses, ermutigendes Plädoyer für Musik als identitätsstiftendes und -stärkendes Medium ist der katalanische Dokumentarfilm A Film about Kids and Music (Sa., 25.1., 17 Uhr, in Anwesenheit des Regisseurs). Jazz, ein Genre, das man gerne mit der Reife Erwachsener assoziiert, ist in den Händen der hier gezeigten Kids und unter der Ägide eines gestanden Musikers, ein Zeugnis jugendlicher Schöpfungskraft und Genialität.
Erstmalig haben die Mittelmeer-Filmtage heuer eine eigene Kinderfilmreihe mit Produktionen für Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren. Darin bewältigen junge Heldinnen und Helden scheinbar unüberwindbare Hindernisse: Um ihren Vater zu retten, sieht sich die Halbwaise Zaïna in Zaina – Königin der Pferde (ab 8 Jahren, Sa., 25.01. 15 Uhr) gezwungen, bei dem berühmten Pferderennen von Marrakesch anzutreten, an dem nur Männer teilnehmen dürfen. Auch Mäuschen Célestine und Brummbär Ernest im Zeichentrickfilm Ernest & Célestine (ab 6 Jahren, Fr. 31.01., 15 Uhr) müssen stark sein – wollen sie ihrem Umfeld doch zeigen, wie gut man trotz großer äußerer Unterschiede miteinander durch dick und dünn gehen kann.
9. Mittelmeerfilmtage. 22. Januar bis 2. Februar 2014 im Gasteig München.
Eine Veranstaltung der Filmstadt München in Zusammenarbeit mit dem Institut Français de Munich, dem Instituto Cervantes, dem Istituto Italiano di Cultura, dem Centre Catala de Munic und der Münchener Stadtbibliothek. Alle Vorstellungen finden im Vortragssaal der Bibliothek im Gasteig statt.