20.01.2016

Rette sich, wer kann: Das Mittel­meer

Mediterranea
Jonas Carpignano herausragender Mediterranea eröffnet die Mittelmeerfilmtage

Die 10. Mittelmeerfilmtage bestechen mit ausgewählten Filmen zur Flüchtlingsthematik – haben aber auch leichtere Themen im Gepäck

Von Dunja Bialas

Was ist das Mittel­meer?

War das Mittel­meer nicht einmal die Erin­ne­rung an den schönsten Sommer­ur­laub unserer Kindheit? Wollen wir nicht alle den Oliven­duft der Bäume atmen, in den Zika­den­sound eintau­chen, unsere Italie­nisch-, Spanisch- und Fran­zö­sisch­kennt­nisse bei einem Glas Rotwein verfei­nern? Ist das Mittel­meer denn nicht noch immer ein Sehn­suchts­raum?

Die Mitglieder der Filmstadt München e.V. erfor­schen vom 20. bis 31. Januar zum zehnten Mal, was denn das Mittel­meer sei. Mehr als die Jahre zuvor stellt es sich im Programm als politisch-geogra­phi­sche Größe dar – das ist konse­quent, denn oft genug, zu oft, war es in den vergangen Jahr Brenn­punkt der Nach­richten gewesen. Das Mittel­meer funk­tio­niert heute nur noch in beschränktem Maße und immer dann, wenn die Sommer­fe­rien kommen, als Sehn­suchts­raum. Den Rest des Jahres ist es zurzeit vor allem eins: eine gefähr­liche Tran­sit­strecke für die Hoffnung auf ein anderes, viel­leicht besseres Leben.

Zu den aktuellen Frage­stel­lungen gesellt sich eine neu gegrün­dete Initia­tive: »Kino Asyl« ging im Dezember 2015 erstmals an die Öffent­lich­keit. Das Programm: Filme, die Migranten aus ihrer Heimat kennen, werden dem Münchner Publikum gezeigt. Ausge­wählt wurden die Filme von acht jungen Flücht­lingen aus verschie­denen Herkunf­s­län­dern, die das Film­pro­gramm selbst orga­ni­sierten. Als »Special Guest« der Mittel­meer­film­tage zeigen sie ein Kurz­film­prgramm mit Filmen aus Kongo, Syrien, Senegal – drei Para­digmen der Migration. (Sa. 23.01. 19:00 Uhr)

Eröffnet werden die Mittel­meer­film­tage mit einem Film, der bereits beim LUX Filmpreis als Finalist große Aufmerk­sam­keit erregte. Medi­ter­ranea ist das Lang­film­debüt des bereits für seinen Kurzfilm in Venedig preis­ge­krönten Italie­ners Jonas Carpi­gnano. »Refugees welcome?« fragt er im Neben­titel. Es geht um die Ankunft von zwei Flücht­lingen aus Burkina Faso in Italien, die, wie zahl­reiche andere, als Arbeiter ohne Papiere (und ohne Rechte) auf einer Plantage landen. Gedreht wurde mit einer Hand­ka­mera, der Film geht dicht an die Prot­ago­nisten ran, schafft Authen­ti­zität und ist meilen­weit entfernt von modernen Inte­gra­ti­ons­mär­chen wie Heute bin ich Samba. Ein Film der Stunde, zugleich der Film der Mittel­meer­film­tage 2016. (Eröffnung Mittwoch, 20.01., 19:00 Uhr, Carl-Orff-Saal, Wdh. Freitag, 22.01., 18:30 Uhr)

Als Thriller hat der grie­chi­sche Film River­banks von Panos Karka­ne­vatos die Migration inter­pre­tiert. Karka­ne­vatos ist eigent­lich Doku­men­tar­filmer, hat sich diesmal aber eine span­nungs­volle Geschichte ausge­dacht, die viel Realität in sich trägt. Der Evros, der die Türkei von Grie­chen­land trennt, ist für viele Flücht­linge die unüber­wind­bare grüne Grenze. Eine Schleu­serin, ein Drogen­boss und ein Soldat verstri­cken sich zunehmend in den prospe­rie­renden Schwarz­handel am Flussufer. (Mi. 27.01. 20:30 Uhr und So. 31.01. 18:30 Uhr)

Ein durch und durch akti­vis­ti­scher Film ist der in Regie­ge­mein­schaft entstan­dene An der Seite der Braut. In einem »Akt des zivilen Unge­hor­sams« werden als eine Hoch­zeits­ge­sell­schaft verklei­dete Migranten durch die Festung Europa geschleust. Das Filmteam verstößt uner­schro­cken gegen die herr­schenden Reise­be­schrän­kungen und macht das Unmög­liche möglich – die Urauf­füh­rung des Films auf den Fest­spielen von Venedig kam quasi einer Selbst­an­zeige gleich – und wurde mit dem Spezi­al­preis der Jury belohnt. (Do. 28.01. 18:30 Uhr)

Akti­vis­tisch ging auch die fran­zö­si­sche Regis­seurin Nathalie Nambot vor, als sie ihren tune­si­schen Prot­ago­nisten Maki Berchache kurzer­hand zum Co-Regisseur machte. Brûle la mer (Burn the Sea) ist ein Essayfilm, der in grob­kör­nigen 16mm-Bildern die Erin­ne­rungen des Migranten herauf­be­schwört: Poli­ti­scher Akti­vismus, der hier zu einem ganz und gar poeti­schen Film findet. Sein Titel verdankt sich dem Maghreb-Ausdruck »Harragas«, der für all jene gebraucht wird, die sich über das Meer auf den Weg nach Europa machen. (Mo. 25.02. 20:30 Uhr, Vorfüh­rung auf 35mm. Die Regis­seurin Nathalie Nambot und Kame­ra­mann Nicolas Rey sind zu Gast!)

Das Mittel­meer ist aber nicht nur Transit-Raum, hier leben nach wie vor die Menschen in ihrem ganz und gar europäi­schen Alltag. Etliche der insgesamt fast zwanzig Film­pro­gramme, Kinder­kino inklusive, zeigen auch Erhei­terndes (Via Castel­lana Bandiera, Sa. 23.01. 21:00 Uhr und Fr. 29.01. 18:30 Uhr) und Poeti­sches (Winter­schlaf, So 24.01. 18:30 Uhr und So. 31.01. 11:00 Uhr), Musi­ka­li­sches (Aegean Rhythm – Lyre, Sa. 23.02. 17:00 Uhr) und fast schon normale Dramen des Lebens (Rastres de sàndalTraces of Sandal­wood, Di. 26.01. 20:30 Uhr).

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10. Mittel­mer­film­tage. 20. bis 31. Januar 2016. Alle Vorfüh­rungen im Vortrags­saal der Biblio­thek im Gasteig. Eröffnung: Carl-Orff-Saal, Gasteig, Rosen­heimer Str. 5. Karten­re­ser­vie­rung: 089 / 54 81 81 81. Eintritt: 7 Euro / 5 Euro (ermäßigt). Kinder­kino 2 Euro (4 Euro Erwach­sene). 5er-Karte: 28 Euro / 20 Euro.
Die 10. Mittel­meer­film­tage sind eine gemein­same Veran­stal­tung der Mitglieder der Filmstadt München e.V. unter Mitwir­kung des Instituto Cervantes, des Institut Français, des Instituto Italiano di Cultura, des Centre Català de Munic und der Münchner Stadt­bi­blio­thek.