Rette sich, wer kann: Das Mittelmeer |
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Jonas Carpignano herausragender Mediterranea eröffnet die Mittelmeerfilmtage |
Von Dunja Bialas
Was ist das Mittelmeer?
War das Mittelmeer nicht einmal die Erinnerung an den schönsten Sommerurlaub unserer Kindheit? Wollen wir nicht alle den Olivenduft der Bäume atmen, in den Zikadensound eintauchen, unsere Italienisch-, Spanisch- und Französischkenntnisse bei einem Glas Rotwein verfeinern? Ist das Mittelmeer denn nicht noch immer ein Sehnsuchtsraum?
Die Mitglieder der Filmstadt München e.V. erforschen vom 20. bis 31. Januar zum zehnten Mal, was denn das Mittelmeer sei. Mehr als die Jahre zuvor stellt es sich im Programm als politisch-geographische Größe dar – das ist konsequent, denn oft genug, zu oft, war es in den vergangen Jahr Brennpunkt der Nachrichten gewesen. Das Mittelmeer funktioniert heute nur noch in beschränktem Maße und immer dann, wenn die Sommerferien kommen, als Sehnsuchtsraum. Den Rest des Jahres ist es zurzeit vor allem eins: eine gefährliche Transitstrecke für die Hoffnung auf ein anderes, vielleicht besseres Leben.
Zu den aktuellen Fragestellungen gesellt sich eine neu gegründete Initiative: »Kino Asyl« ging im Dezember 2015 erstmals an die Öffentlichkeit. Das Programm: Filme, die Migranten aus ihrer Heimat kennen, werden dem Münchner Publikum gezeigt. Ausgewählt wurden die Filme von acht jungen Flüchtlingen aus verschiedenen Herkunfsländern, die das Filmprogramm selbst organisierten. Als »Special Guest« der Mittelmeerfilmtage zeigen sie ein Kurzfilmprgramm mit Filmen aus Kongo, Syrien, Senegal – drei Paradigmen der Migration. (Sa. 23.01. 19:00 Uhr)
Eröffnet werden die Mittelmeerfilmtage mit einem Film, der bereits beim LUX Filmpreis als Finalist große Aufmerksamkeit erregte. Mediterranea ist das Langfilmdebüt des bereits für seinen Kurzfilm in Venedig preisgekrönten Italieners Jonas Carpignano. »Refugees welcome?« fragt er im Nebentitel. Es geht um die Ankunft von zwei Flüchtlingen aus Burkina Faso in Italien, die, wie zahlreiche andere, als Arbeiter ohne Papiere (und ohne Rechte) auf einer Plantage landen. Gedreht wurde mit einer Handkamera, der Film geht dicht an die Protagonisten ran, schafft Authentizität und ist meilenweit entfernt von modernen Integrationsmärchen wie Heute bin ich Samba. Ein Film der Stunde, zugleich der Film der Mittelmeerfilmtage 2016. (Eröffnung Mittwoch, 20.01., 19:00 Uhr, Carl-Orff-Saal, Wdh. Freitag, 22.01., 18:30 Uhr)
Als Thriller hat der griechische Film Riverbanks von Panos Karkanevatos die Migration interpretiert. Karkanevatos ist eigentlich Dokumentarfilmer, hat sich diesmal aber eine spannungsvolle Geschichte ausgedacht, die viel Realität in sich trägt. Der Evros, der die Türkei von Griechenland trennt, ist für viele Flüchtlinge die unüberwindbare grüne Grenze. Eine Schleuserin, ein Drogenboss und ein Soldat verstricken sich zunehmend in den prosperierenden Schwarzhandel am Flussufer. (Mi. 27.01. 20:30 Uhr und So. 31.01. 18:30 Uhr)
Ein durch und durch aktivistischer Film ist der in Regiegemeinschaft entstandene An der Seite der Braut. In einem »Akt des zivilen Ungehorsams« werden als eine Hochzeitsgesellschaft verkleidete Migranten durch die Festung Europa geschleust. Das Filmteam verstößt unerschrocken gegen die herrschenden Reisebeschränkungen und macht das Unmögliche möglich – die Uraufführung des Films auf den Festspielen von Venedig kam quasi einer Selbstanzeige gleich – und wurde mit dem Spezialpreis der Jury belohnt. (Do. 28.01. 18:30 Uhr)
Aktivistisch ging auch die französische Regisseurin Nathalie Nambot vor, als sie ihren tunesischen Protagonisten Maki Berchache kurzerhand zum Co-Regisseur machte. Brûle la mer (Burn the Sea) ist ein Essayfilm, der in grobkörnigen 16mm-Bildern die Erinnerungen des Migranten heraufbeschwört: Politischer Aktivismus, der hier zu einem ganz und gar poetischen Film findet. Sein Titel verdankt sich dem Maghreb-Ausdruck »Harragas«, der für all jene gebraucht wird, die sich über das Meer auf den Weg nach Europa machen. (Mo. 25.02. 20:30 Uhr, Vorführung auf 35mm. Die Regisseurin Nathalie Nambot und Kameramann Nicolas Rey sind zu Gast!)
Das Mittelmeer ist aber nicht nur Transit-Raum, hier leben nach wie vor die Menschen in ihrem ganz und gar europäischen Alltag. Etliche der insgesamt fast zwanzig Filmprogramme, Kinderkino inklusive, zeigen auch Erheiterndes (Via Castellana Bandiera, Sa. 23.01. 21:00 Uhr und Fr. 29.01. 18:30 Uhr) und Poetisches (Winterschlaf, So 24.01. 18:30 Uhr und So. 31.01. 11:00 Uhr), Musikalisches (Aegean Rhythm – Lyre, Sa. 23.02. 17:00 Uhr) und fast schon normale Dramen des Lebens (Rastres de sàndal – Traces of Sandalwood, Di. 26.01. 20:30 Uhr).
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10. Mittelmerfilmtage. 20. bis 31. Januar 2016. Alle Vorführungen im Vortragssaal der Bibliothek im Gasteig. Eröffnung: Carl-Orff-Saal, Gasteig, Rosenheimer Str. 5. Kartenreservierung: 089 / 54 81 81 81. Eintritt: 7 Euro / 5 Euro (ermäßigt). Kinderkino 2 Euro (4 Euro Erwachsene). 5er-Karte: 28 Euro / 20 Euro.
Die 10. Mittelmeerfilmtage sind eine gemeinsame Veranstaltung der Mitglieder der Filmstadt München e.V. unter Mitwirkung des Instituto Cervantes, des Institut Français, des Instituto Italiano di Cultura, des Centre Català de Munic und der Münchner Stadtbibliothek.