Laptop & Lederhos'n |
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Willkommen in der abstrakten Gesellschaft: Ich bin Alice – der Roboter als Sozialersatz |
Von Dunja Bialas
»Scheint den digitalen Nomaden die Sonne auf den Arsch?« fragt Dokumentarfilmer Tim Jonischkat auf der Suche nach der Pointe. Natürlich will er nur provozieren. Der Sache, der er in seiner Doku Digitale Nomaden – Deutschland zieht aus auf den Grund gehen will, das sind die, ja, digitalen Nomaden. Sie, so erfahren wir von Jonischkat, tauschen die Sicherheit eines festen Jobs gegen Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und den Berliner Sommer ein. Den sie dann nämlich genießen können.
Wir entschuldigen uns vorab für die leichte Ironie, die diesen Text begleiten wird. Wollen aber auch entschuldigt sein, immerhin ist Artechock (since 1996) das – soweit wir das überblicken – dienstälteste digitale Filmmagazin. Im Netz! Digital. Von überall in der Welt zu bedienen. Kollege Axel Timo Purr hat schon mal aus dem chinesischen Hinterland das Magazin freigeschaltet. Da mutet uns, ehrlich gesagt, der Blick von Tim Jonischkat schon sehr naiv an, immerhin ist der Film von 2015 und nicht von 1995. Sein Fazit: »Was ich herausgefunden habe, ist, dass es nicht den digitalen Nomaden gibt.« Jetzt im Ernst?
Wenn am heutigen Donnerstag die neue Ausgabe von FilmWeltWirtschaft nicht ins Netz geht, sondern ganz analog im Filmmuseum München beginnt, dann haben wir es mit einer Premiere zu tun. Claudia Engelhardt, die seit zehn Jahren regelmäßig im Januar der spannenden Frage nachgeht, was Arbeiten ist und wie sich Arbeit filmisch abbilden lässt, hat diesmal die Futurale zu Gast – ein vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit dem Untertitel »Arbeiten 4.0« zusammengestelltes Filmprogramm, das durch Deutschland tourt. Flächendeckend wohlgemerkt. Die Filmreihe findet an 25 Orten statt und versorgt von Koblenz über Rostock bis Dresden und Bremen die namhaften Großstädte in Ost und West. Berlin, die Hauptstadt der digitalen Nomaden, wo alles im Café St. Oberholz seinen Anfang nahm (wir erinnern uns, es war um die Jahrtausendwende), machte vergangenen November den Auftakt. Nürnberg macht den Abschluss – kommenden November. Dann haben die versammelten Filme also ein Jahr Zeit, um zu reifen wie ein guter Schinken.
Spannend ist, dass Andrea Nahles als Hausherrin des BMAS höchstpersönlich zur Eröffnung ins Filmmuseum kommt. Immerhin ist ihre Partei, die SPD, doch eigentlich gegen die digitalen Nomaden: sie können sich nicht gewerkschaftlich organisieren und machen es den Auftraggebern billig, die sich um soziale Abgaben drücken. Extra führte man doch dagegen die Scheinselbständigkeit ein! Die allerdings nicht die Auftraggeber in die Knie zwang, sondern die digitalen Nomaden heute dazu nötigt, absurde Verträge zu unterzeichnen, mit denen sich die Geldgeber absichern, damit ja niemand Ansprüche anmeldet.
Liebe Frau Nahles, wie sieht denn Ihrer Meinung nach die soziale Realität des digitalen Nomadentums aus? Sonne im Arsch und den Latte Macchiato als Flatrate im St. Oberholz? Die Antwort hat sie bereits formuliert. Nahles sieht in der digitalen Arbeit vor allem eine Chance für die Frauen. Stichwort: ortsunabhängiges Arbeiten. Jetzt auch möglich zwischen den drei großen Ks. Gab es das nicht schon einmal: Heimarbeit? Im »Tagesspiegel« erläutert das Frau Nahles so: »Die digitale Welt eröffnet in einer Weise Freiheit, Mobilität und Flexibilität, von der wir vor Jahren nicht zu träumen gewagt hätten. Sie ermöglicht so einen echten Quantensprung, wenn wir sie zu nutzen wissen. Frauen können die Gewinnerinnen des digitalen Wandels werden, wenn wir es klug anstellen.« Interessant. Wir sind gespannt, ob sie sich bei Gelegenheit auch Gedanken über die sozial-ökonomischen Faktoren machen wird. Selbstversicherung, Non-Stop-Verfügbarkeit, Bürokosten, soziale Isolation. Keinerlei Arbeitslosenversicherung. Horrende Krankenversicherungsbeiträge, es sei denn, man hat es in die Künstlersozialkasse geschafft. Nicht zu sprechen von der Altersarmut, die uns digitalen Nomaden nicht droht, sondern bevorsteht. Arbeiten wird zum Life-Style-Luxus, den man sich eigentlich nicht leisten kann. Auf dem aber die Gesellschaft mittlerweile aufbaut, sehr geehrte Frau Nahles. Von Kulturschaffenden über Grafiker und Webprogrammierer zu Journalisten und Datenbankpflegern. Und dies nicht erst seit gestern.
In der abstrakten, digitalen Gesellschaft verlieren sich die sozialen Zusammenhänge zugunsten der reinen Leistungsperformance. Andrea Nahles macht daraus (ebenfalls im »Tagesspiegel«): Während man in der »klassischen Arbeitswelt« präsent sein müsse, um Karriere zu machen, zählten in der »neuen Arbeitswelt« vor allem die Resultate. Die gute Absicht ist erkennbar. Sie sollte aber als Politikerin dafür sorgen, dass das nicht mal nach hinten los geht.
Machen wir einen Versuch, zum Filmprogramm zu kommen: Immerhin fächert es ein breites Spektrum der digitalen Arbeitswelt auf. Von Youtube (alle Teenies lieben die Youtuber, und vergessen wir nicht ihren politischen Einfluss, wenn sich sogar Angela Merkel mit LeFloid trifft. Kleine Frage am Rande: Ist das dann schon Politik 4.0 oder erst mal nur ein Ranwanzen an die Jugend?). Youtube ist jedenfalls Thema der US-Doku Please Subscribe (2013) mit anschließender Diskussion zwischen der Soziologin Sabine Pfeiffer und Said Köse vom goldrichtigen und wichtigen Münchner Café Netzwerk (22.01.).
Mein wunderbarer Arbeitsplatz unternimmt eine Bestandsaufnahme »befreiter Unternehmen«, die jedem Einzelnen Mitgestaltung und Verantwortung zugestehen, gefolgt von einer Diskussion zwischen einem Personalentwickler, einem Psychologen und einem Soziologen (23.01.). Silicon Wadi geht ins gelobte Land der Start-up-Unternehmungen und erkundet in Tel Aviv, wie Start-up geht. Das macht er tatsächlich spannend und auf hohem Dokumentarfilmniveau. Anschließend folgt eine Diskussion zwischen munich start-up, Bavaria Israel Partnership Accelerator und der xgap-Unternehmensberatung (23.01.). Außerdem gibt es einen Film über die Wunderwelt der 3D-Drucker (Print the Legend, 22.01.), die WDR-Doku Deine Arbeit, Dein Leben! (24.01., bereits im Mai 2015 ausgestrahlt, und, pardon, auf WDR online zu sehen). Der berührendste Film im Programm und ausdrücklich von den Artechock-Nomaden empfohlen, ist der niederländische Dokumentarfilm Ich bin Alice von Sander Burger über den Einsatz sogenannter Socio-Bots bei der Altenpflege (24.01., anschließend Diskussion mit einem Experten für Robotik, einer Technik-Theologin und einer Pflege-Professorin der Katholischen Stiftungsfachhochschule München). Daneben hätten wir uns auch gut Plug & Pray des soeben mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichneten Jens Schanze vorstellen können, eine überaus intelligente, erhellende und, Achtung, kritische Befragung zur Roboterisierung der Lebens- und Arbeitswelt (2010).
Um keine Missverständnis aufkommen zu lassen: Wir bitten alle, zur Futurale zu gehen und durch Einmischung dafür zu sorgen, dass ein spannender und hinterfragender Dialog entsteht.
Zum Abschluss, dann ist aber wirklich Schluss, versprochen, möchten wir hier noch zitieren, wie sich München aus der Sicht des Berliner BMAS darstellt:
»Die bayerische Hauptstadt ist nicht nur wegen des FC Bayern und dem Oktoberfest weltbekannt. Die Münchener Mischung, die enge Vernetzung von Hightech-Unternehmen mit anderen Unternehmen unterschiedlichster Größe und Branchenzugehörigkeit, zeichnet die lokale Wirtschaft aus. München besitzt entsprechend die idealen Voraussetzungen, um den Wandel der Arbeitsverhältnisse erfolgreich anzugehen. Mit einer fast tausendjährigen Existenz hat München eine prächtige
Innenstadt und zahllose Attraktionen im Angebot. So gibt es den bekannten Marienplatz als Zentrum der Stadt zu bestaunen, und neben dem Rathaus auch eine beträchtliche Zahl an Kirchen, die jede denkbare Stilepoche abdecken – nicht nur für Architektur-Fans ein erhebender Anblick. Bekannt sein dürften auch die diversen kulinarischen Spezialitäten der Stadt und Region – von hier aus traten Weißwurst, Hefeweizen und Brez'n ihren globalen Siegeszug an. Immer ein Besuch wert
– nicht nur im Oktober.«
Auf boarisch hoaßt des: Laptop & Lederhos'n.
Noch Fragen?
Das Futurale Filmfestival zu Gast bei FilmWeltWirtschaft
21. bis 24. Januar 2016, Filmmuseum München