28.07.2016

No(w) Limits

Karuna Grand Show
Der Dokumentarfilm Karuna Grand Show feiert seine Weltpremiere beim 10. Fünf-Seen-Filmfestival: eine glanzvolle Darbietung

Karuna Grand Show, ein Dokumentarfilm über Tibeter auf Showtournee durch ganz Indien – bis zum Dalai Lama

Von Natascha Gerold

Sein T-Shirt fällt auf. »No limits« steht in großen Lettern vorne drauf, gleich­zeitig zeichnet sich matteres, aber doch deutlich erkenn­bares »W« hinter dem »NO« ab. So ist es auch, denn jetzt gilt es: Bald schon werden sie ihm, dem Quer­schnitt­gelähmten im Rollstuhl und den anderen Teil­neh­mern der geplanten Show im südin­di­schen Bylakuppe zujubeln: 5000 Menschen werden begeis­tert sein von dem Programm, das die jungen Menschen aus dem nahe gelegenen Behin­der­ten­heim »Karuna Home« und die hiesigen Pop-Größen gemeinsam darbieten. Zusammen singen, tanzen, musi­zieren sie in der tibe­ti­schen Flücht­lings­sied­lung, feiern ein buntes Festival der eigenen Kultur – die einzige Verbin­dung, die den Exil-Tibetern zu ihrer Heimat geblieben ist.

Doch Bylakuppe ist erst der Anfang: Weil das »Karuna Home« sein zehn­jäh­riges Bestehen feiert, gehen Gründer Khube Rinpoche, seine Schütz­linge sowie die mitrei­senden Künstler dieser Karuna Grand Show auf große Tour durch Indien. Von Süd nach Nord, machen sie mit ihren Darbie­tungen auf insgesamt 4000 Kilo­me­tern immer wieder Halt in tibe­ti­schen Kolonien, bis zu ihrem Ziel Dharam­sala, wo der 14. Dalai Lama residiert.

Die beiden Filme­ma­cher Wolfram Seipp und Sebastian Hirt – der eine aus Pöcking am Starn­berger See, der andere aus Gräfel­fing – waren im vergan­genen Jahr bei diesem drei­wöchigen Abenteuer dabei. Ihr 77-minütiger Doku­men­tar­film Karuna Grand Show ist als filigran-komplexes Porträt dieser Reise und dieser starken Truppe konzi­piert, deren Fäden bei dem charis­ma­ti­schen buddhis­ti­schen Ex-Mönch Khube Rinpoche zusam­men­laufen. Wohnhaft in Indien, einem Land, in dem Behin­de­rung oft für eine Strafe der Götter gehalten wird, erziehen er und die Betreuer die physisch und psychisch betrof­fenen Kinder und Jugend­liche zur Selbst­stän­dig­keit. Er ist der Matchmaker zwischen ihnen und den Künstlern, die – nach oft schmerz­hafter Flucht aus Tibet auf der ganzen Welt verstreut – für diese einmalige Veran­stal­tung der Karuna Grand Show unent­gelt­lich zusam­men­ge­kommen sind.

Behin­derte und Nicht­be­hin­derte treffen sich hier im Moment der Selbst­be­s­tä­ti­gung: Egal, was den Alltag bestimmt – auf der Bühne können, dürfen und sollen sie sich zeigen, iden­ti­täts­be­wusst Laut geben als Tibeter, als Persön­lich­keiten. Keinen anderen Schluss lassen die Bilder zu, die Seipp und Hirt während der Proben, auf Reisen, backstage oder während der Vorstel­lung für die Erzählung dieser außer­ge­wöhn­li­chen Roadshow einge­fangen haben. Und wie in Neben­sätzen oft die wich­tigste Botschaft steckt, haben viele Eindrücke manchmal eine umso stärkere Wirkung, je zurück­hal­tender, absichts­loser ihr Charakter ist.

Zwischen den Stationen fröhlich betanzter Disco­beats, der Tradition, die im trei­benden Hip Hop verkleidet ist oder der herz­er­grei­fenden Cover-Version von »This land is your land« (die sicher auch Woody Guthrie berührt hätte) erfährt der Zuschauer von Schick­salen und Lebens­hal­tungen auf eine Weise, die Diskus­si­ons­runden und Vorträge nicht vermit­teln können – von einem Volk, dessen Situation momentan gegenüber anderen natio­nalen und inter­na­tio­nalen Brand­herden ins Hinter­treffen geraten ist.

Doch wie die Foto-Ausstel­lung »Tibet im Exil«, die unter anderem tibe­ti­sche Fußbal­le­rinnen bei Turnieren in Nepal und Indien zeigt (die man noch bis 30. September in den Räumen des H-Teams in der Münchner Plin­ganser Straße sehen kann), ist Karuna Grand Show ein weiterer moti­vie­render und berei­chernder Beweis dafür, dass die tibe­ti­sche Kultur überall auf der Welt am Leben gehalten wird – manchmal auch dort, wo man sie nicht gleich vermutet. Doch spätes­tens seit Ray Bradburys Dystopie »Fahren­heit 451« wissen wir, dass Herz und Gedächtnis die sichersten Tresore für das Schüt­zens­werte ist – unab­hängig von Raum und Zeit.