04.08.2016

Sommer­fri­sche und Kino kombi­nieren

Als die Sonne vom Himmel fiel
Als die Sonne vom Himmel fiel – mit dem Horizonte-Preis ausgezeichnet

Das Fünf-Seen-Filmfestival zelebriert seine zehn unterschiedlichen Spielorte. Doch für Besucher ohne Auto bedeutet das – auf manches verzichten und nach Alternativen suchen.

Von Ingrid Weidner

Das Fünf-Seen-Film­fes­tival in Starnberg ist nur gut 20 Minuten vom Münchner Haupt­bahnhof entfernt. Als wohl­ha­bende Stadt­be­wohner um 1900 zur Sommer­fri­sche an den Würmsee – wie der Starn­berger See bis 1962 hieß – fuhren, und sich Villen bauten, war die Reise noch beschwer­li­cher. Weiß-blauer Himmel, sommer­liche Tempe­ra­turen, lässiger Trubel an der Strand­pro­me­nade, der Samstag beginnt viel­ver­spre­chend. Der Boots­an­leger verwan­delt sich schon am Morgen in eine Bühne, das Schau­spiel beginnt zeitig. Wanderer, Touristen, junge Familien, Rentner, Trinker – alle suchen sich ein Plätzchen an der Promenade, warten auf ein Schiff, foto­gra­fieren oder staunen die Land­schaft an. Nach einer kleinen Verschnauf­pause geht es trotz strah­lendem Sonnen­schein ins Kino.

Der erste Film des Tages beschäf­tigt sich auch mit der Sonne – aller­dings nicht mit ihrer vergnüg­li­chen Seite. In Als die Sonne vom Himmel fiel (2015) erzählt Aya Domenig ihre Fami­li­en­ge­schichte und die Japans gleich mit. Anfangs wollte die Regis­seurin nur mehr über ihren 1991 verstor­benen Großvater erfahren, der in seinen letzten Lebens­jahren an einer schweren Krebs­er­kran­kung litt. Ihre Recherche führte sie in das Jahr 1945. Während des Krieges waren die Groß­el­tern aus der Stadt aufs Land gezogen, die Mutter der Regis­seurin wurde dort im Mai 1945 geboren. Der Großvater, ein junger Arzt, pendelte morgens mit dem Vorstadtzug zu seinem Arbeits­platz ins Zentrum von Hiroschima. Auch am 6. August 1945 machte er sich auf den Weg und blieb eine ganze Woche in der Stadt. Die Groß­mutter – ohne Radio – dachte, es sei eine Bombar­die­rung wie in den Monaten zuvor. Doch dieser Tag verän­derte alles. Ihr Mann sprach nach seiner Rückkehr und auch später nie mit ihr über das Erlebte. Aya Domenig füllt diese Lücke mit histo­ri­schen Aufnahmen vom Atom­bom­ben­ab­wurf, Fotos der Verletzten und der zerstörten Stadt. Schließ­lich findet sie zwei ehema­ligen Kollegen des Großva­ters aus dem Kran­ken­haus, die ihr erzählen, wie der Abwurf der ersten Atombombe das Leben alles radikal verän­derte. Diese beiden Prot­ago­nisten, ein Arzt und eine ehemalige Kran­ken­schwester, beide inzwi­schen über 90 Jahre alt, sprechen offen über die Kata­strophe, das Sterben der Menschen, die Hilf­lo­sig­keit der Ärzte und die große Unge­wiss­heit. Seit Jahren enga­gieren sich beide gegen das Vergessen, gehen an Schulen, halten Vorträge, um über dieses große Tabu und Trauma zu sprechen. Die Groß­mutter als dritte Prot­ago­nistin, ergänzt Persön­li­ches aus dem Fami­li­en­leben, liest Gedichte vor, die der Großvater schrieb, öffnet das Fami­li­en­album. Während der Dreh­ar­beiten wird Aya Domenig 2011 vom Tsunami und der Reak­tor­ka­ta­strophe von Fukushima über­rascht. Sie und auch die Prot­ago­nisten ihres Films erkennen deutliche Paral­lelen zu 1945 – wieder werden Folgen und Risiken der atomaren Kata­strophe klein geredet, wieder wird möglichst viel vertuscht.

Die in der Schweiz lebende Aya Domenig wurde am Sonntag Abend für Als die Sonne vom Himmel fiel mit dem Horizonte-Preis ausge­zeichnet. Das Preisgeld von 2.000,- Euro musste sie sich aller­dings mit Un paese di Calabria von Catherine Catella und Shu Aiello teilen. Sie porträ­tieren das Dorf Riace in Kalabrien, das viele Einwohner über die Jahre verlassen hatten, auf der Suche nach Arbeit und Wohlstand in den Norden zogen. Doch im Sommer 1998 wendet sich das Schicksal, als ein Schiff mit 200 Kurden dort strandet; die Menschen bleiben, finden eine neue Heimat, ziehen in die leer­ste­henden Häuser. Das Leben und die Hoffnung auf eine Zukunft kehren in den Ort zurück. Doch auch dort schüren Politiker rassis­ti­sche Ressen­ti­ments, wollen den linken Bürger­meister abwählen. Gelebte Utopie und die neue Rechte prallen aufein­ander. Die Jury zeichnete beide Filme aus, Laudator Matthias Helwig über­raschte die Entschei­dung nur kurz, denn es gab nur eine Plakette, die er Aya Domenig in die Hand drückte und die beiden Regis­seu­rinnen Catherine Catella und Shu Aiello erhielten Blumen­sträuße und das Verspre­chen: »Der Preis wird nach­ge­lie­fert.«

Neugie­rige Zuschauer

»Ein ganz beson­deres Publikum«, verspricht Festival-Macher Matthias Helwig vorab den Gästen, das höflich und neugierig sei, echte Fragen stelle und inter­es­siert an den Filmen und ihren Regis­seuren sei. Die Höflich­keit zeigt sich während des Films, denn an der Kasse und beim Einlass wird genauso gedrän­gelt wie in München oder Berlin. »Ich habe vorbe­stellt, ich muss mich doch nicht anstellen?«, ist immer wieder in der Schlange zu hören. Wenn das Licht ausgeht und der Film anläuft, verstummen die Gespräche im Kinosaal, es wird weniger geschwatzt als in der Großstadt. Auch die Geduld scheint größer zu sein, denn nur wenige verlassen den Saal, selbst wenn ihnen, beispiels­weise Wild dann doch etwas zu wild wird. Leises Seufzen und Kopf­schüt­teln, Augen zuhalten – höfliche Zurück­hal­tung in Starnberg. Als Nicolette Krebitz nach dem Film mit Festi­val­leiter Matthias Helwig zum Publi­kums­ge­spräch in den Saal kommt, bleiben die meisten, bestaunen die Regis­seurin aus Berlin und wollen von ihr wissen: »Wie war das mit dem Wolf?«, »War der wirklich echt und wild?« »Ja.« Krebitz beant­wortet geduldig alle Fragen, erzählt, wie sie die Idee zum Film träumte, wie lange sie brauchte, eine Produ­zentin zu finden und die Finan­zie­rung zu stemmen, wie sie die Haupt­dar­stel­lerin fand. Gerne würde sie ausführ­li­cher über ästhe­ti­sche Details sprechen, doch die Zuschauer fragen immer wieder nach dem wilden Tier und Krebitz muss immer wieder von den Dreh­ar­beiten mit einem Rudel echter Wölfe berichten. Doch der Regis­seurin scheinen diese Fragen Spaß zu machen, denn sie plaudert geduldig und gut gelaunt mit dem Publikum, verrät Tricks und Pannen vom Dreh. Ob das daran liegen mag, dass sie auch eine gute Schau­spie­lerin ist?

Fünf Seen – zehn Veran­stal­tungsort – nur wie hinkommen?

Pfarr­stadl Weßling, Gasthaus Schuster in Hochstadt, Südbad in Tutzing, Schloss­berg­halle, die Breitwand-Kinos in Starnberg und Schloss Seefeld, ein Kino in Landsberg sowie ein Schiff auf dem Starn­berger See – das Angebot klingt toll – nur – wie kommen Besucher ohne Auto dort hin? Der Shuttle-Bus fährt nicht alle Ziele an, das eigene Fahrrad steht in einem München Hinterhof. Nach­fragen – nein, es gibt leider keinen Shuttle nach Landsberg und am Sonntag Vormittag fährt auch niemand zum Werk­statt­ge­spräch aus der Reihe „Drehbuch“ mit Nicolette Krebitz und Sebastian Schipper nach Seefeld. Die App der Bahn liefert nieder­schmet­ternde Infos: Starnberg und Seefeld trennen rund 15 Kilometer. Mit der S-Bahn dauert die Fahrt über eine Stunde, weil es erst zurück nach München geht, dort muss man umsteigen und dann wieder Richtung Süden fahren. Mit dem Auto bräuchte man für die Strecke etwa 20 Minuten. Und jetzt? Es wäre schön gewesen, Absolute Giganten und Victoria in Landsberg noch mal zu sehen (Fahrzeit mit der Bahn zwei bis drei Stunden, je nach Strecke) und zu hören, was die beiden Regis­seure und Schau­spieler zu erzählen hätten. Doch ein Woche­n­ende im Zug statt im Kino zu verbringen klingt wenig verlo­ckend, also erstmal an den Starn­berger See gehen, überlegen, ein Eis essen und sich dann für eine prag­ma­ti­sche Lösung entscheiden – Sommer­fri­sche am See statt Shuttle-Stress. Dann das Programm­heft nochmals durch­forsten. Die Filmfülle birgt eine Tücke – wie pendelt man ohne Auto zwischen den Orten? Sich das nächste Mal entweder für einen Ort entscheiden oder das Rad mitnehmen, das könnte die Lösung sein. Oder eben eine Pause am See.

10. Inter­na­tio­nales Fünf Seen Film Festival, 27.7.-7.8.2016
Diverse Spielorte, darunter Kino Breitwand Starnberg, Schloss Seefeld und Herr­sching