Geschichte wie Faustschläge in die Magengrube |
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Arrangement vor Auto im Iran zu Zeiten der British Petrol: The Host (2015) |
Von Dunja Bialas
»Morgen werde ich nicht in die Straßen gehen können, um zu demonstrieren. Ich werde das verpassen. Aber ich habe schon vor zwei Wochen per Brief gewählt.« Miranda Pennell sitzt im Fraunhofer Wirtshaus in München. Es ist ein Tag vor den von Theresa May so plötzlich einberufenen Neuwahlen. Sie will Konsolidierung ihrer Brexit-Politik – die Mehrheit des in den Großstädten lebenden internationalen Melting-Pots aus Intellektuellen, Arbeitern, Künstlern, Aufgeschlossenen hofft auf den Linken Jeremy Corbyn aus dem Labour-Lager. »I never voted with hope before«, schreibt George Monbiot vor einem Tag im Guardian, »Jeremy Corbyn has changed that.« Aller Hoffnung zum Trotz wird der heutige Donnerstag wohl zum May Day, nicht aber zum Tag der Arbeit, sondern zum Tag Theresas. Und Miranda Pennell wird nicht demonstrieren gehen können.
Pennell ist Filmemacherin aus dem Londoner East End, die nach München gekommen ist, um zur »Halbzeit« des UNDERDOX Filmfestivals zwei Lectures zu geben. Am Vormittag als Performance in der Hochschule für Fernsehen und Film in der Klasse des dem Experimentalfilms sehr aufgeschlossenen Dokumentarfilmdozenten Daniel Lang, und am Abend im Münchner Filmmuseum als Lecture entlang ihres filmischen Werkes. Als sie für den Halbzeit-Termin angefragt wurde, war die Entwicklung in England noch nicht absehbar. Auch dass es sie auf der Insel so durchschütteln würde: Erst Ende Mai das Attentat in Manchester, jetzt, vor wenigen Tagen, die Attentate auf der London Bridge.
Pennell ist visuelle Anthropologin, die sich in ihren Arbeiten für die gesellschaftlichen Rituale interessiert. Diese findet sie in allen möglichen Facetten des Lebens: als Initiationen in der Jugend, schlagzeugspielend in Drum Room (2007), mit Kopfhörern singend in Human Radio (2002), schlittschuhlaufend in Magnetic North (2003). Als abrufbare Handlungsabfolge im militärischen Drill in Tattoo (2001). Oder als Konventionen, die gesellschaftliche Anlässe mit sich bringen, so gesehen auf den Photographien, die sie in ihrem jüngsten Film The Host (2015) zum Essay collagiert. Ausgehend von ihrer Ausbildung als Tänzerin und Choreographin geht sie dabei stets vom Körper aus. Deshalb auch: auf die Straße gehen. Revolution oder Protest ist nicht ohne die Präsenz des Körpers denkbar.
Seit Why Colonel Bunny Was Killed (2010) hat Pennell sich von der unmittelbaren Präsenz der Körper vor ihrer Kamera abgewendet. Sie begreift den Körper jetzt mehr als eine sprachliche Manifestation, die sich in Arrangements ablesen lässt, wie sie in Archiven oder Familienalben, den privaten Archiven, zu finden sind. Wie ist die Aufstellung von Vater, Mutter, Kind? Wird vor oder hinter dem Auto posiert, und wer ist zu sehen? Wie ist die Sitzordnung bei einem historischen Meeting? Wer gibt den Ton an, erkennbar durch eine herausgehobene Position? Wer ist schmückendes Beiwerk? Besonders in den Fokus nimmt Miranda Pennell die Kolonialgeschichte der Briten, die die Insel mit heutigen Brennpunkt-Ländern verbindet. Die Geschichte von British Petrol im Iran zum Beispiel, der sie in The Host nachgeht, involviert sie selbst als Tochter von Eltern, die bei der BP angestellt waren. Gestern gab es zwei Attentate im iranischen Parlament. Auf den ersten Blick hat dies keinen Zusammenhang mit der Kolonialgeschichte. Aber vielleicht doch?
Pennell ist beunruhigt. In ihren Performances wird sie ihre politische Sorge einfließen lassen, wird von den Räumen zwischen den Bildern sprechen und den körperlichen Ritualen, die Krieg oder lieber doch Frieden bringen können. Noch hat sie ein wie von Licht durchflutetes Gemüt. Aber immer wieder zwischendurch, in unbeobachteten Momenten, wird sie ernst, und es ist, als würden Geschichte und Politik direkt durch ihren Körper gehen, Faustschläge verteilen wie die kämpfenden Trinker in ihrem vor genau zehn Jahren entstandenen Fisticuffs. Mit dem sie noch auf die harmlose Folgenlosigkeit von Western abzielte: Nach jedem Schlag konnte man wieder aufstehen und einfach weitermachen. Vielleicht gelingt ihr und den Briten das ja auch.
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Die Autorin leitet zusammen mit Bernd Brehmer das seit 12 Jahren bestehende UNDERDOX Filmfestival in München.
Mehr Informationen zu Miranda Pennell und ihren Filmen.
Lecture Performance, Donnerstag, 8.6., 11 Uhr, HFF München (Kino Rot), Eintritt frei
Film Lecture, Donnerstag, 8.6., 19 Uhr, Filmmuseum München, Eintritt: 5 / 4 Euro
Website des Festivals: www.underdox-festival.de