Der ganz und gar wahnsinnige Film-Marathon |
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Wang Bings Opus Magnum: Dead Souls | ||
(Foto: Asian Shadows / UNDERDOX) |
Von Dunja Bialas
Man kann es nicht oft genug sagen: Die Regisseure von UNDERDOX haben teils erstaunliche Karrieren hingelegt. Noch 2006, als ich das Festival zusammen mit Bernd Brehmer vom Werkstattkino aus einer Mischung aus Frust (keiner zeigt die Filme, die wir toll finden) und Lust (wir selbst wollen diese tollen Filme zeigen!) gründeten, galten die Filme unseres Programms als absolute Insider, wahlweise auch Außenseiter. Klar war: so richtig konnte keiner was mit den Filmen zwischen den Genres, Nischen oder Künsten anfangen, zwischen »Dokument« und »Experiment«, zwischen Dokumentarfilm, Spielfilm, Experimentalfilm.
Unsere Filme waren und sind »impur«; unreines Kino, das deshalb den Blick auf Erzählweisen zu schärfen vermag. Seit 2006 hat sich in dem Bereich viel getan. Was uns freut: Festivals wie Locarno zeichnen UNDERDOX-Regisseure mit den höchsten Trophäen aus, sogar die viel geschmähte Berlinale sorgt mit Lav Diaz für Langspielzeit-Furore im Wettbewerb, Wang Bing erhält in Kassel bei der Documenta 14 eine komplette Retrospektive.
Wahnsinn!
Andere Festivals zeigen ebenfalls, dass UNDERDOX-Filme salonfähig werden. Das Filmfest Hamburg hat mittlerweile nachgelegt und scheut sich nicht, ein UNDERDOX-würdiges Programm bereitzuhalten. Zum Glück machen sie das genau eine Woche vor UNDERDOX, sonst würde der Weltvertrieb auf einer deutschen Premiere bei einem anderen großen Festival bestehen, und wir könnten uns ein neues Programm zusammenschustern. Festivalpolitik.
Aber so freuen wir uns, dieses Jahr »TOPDOX« (Münchner Feuilleton) zu sein. Mit großen Namen, die unseren Status beweisen. Mit tollen Gästen, die umstandslos auch auf eigene Faust nach München kommen, um unsere kondensierte Zusammenstellung von unserem persönlichen »Best of the Year« zu inhalieren.
Radikalität ist ja nichts, womit man sich heute brüsten könnte. Kinoradikalität in einer Zeit, in der die Leute immer weniger ins Kino gehen, noch weniger. Und trotzdem haben wir jetzt mal einen draufgesetzt. Angesichts der zunehmend über-überlangen Filmen haben wir den bayrischen Wahlsonntag zum »Tag des Langen Films« ausgerufen.
Das ist aber alles längst nicht so schlimm, wie es sich anhört. Ab 11 Uhr kann man bei durchgehendem Einlass und für läppische 3 Euro im Kunstverein Wang Bings Opus Magnum Dead Souls sehen. Hier versammeln sich die letzten Zeugen einer gravierenden Menschenrechtsverletzung zu Zeiten der chinesischen Kulturrevolution, bei der selbst die Partei drei Jahre später die Reißleine zog. In die Wüste Gobi verschleppte man Angehörige der Intelligenzija, diffamierte sie als »Ultrarechte« und ließ sie verhungern. Der Film besteht rein aus Erzählungen, die sich über die Länge von acht Stunden reihen, in sich aber je abgeschlossen sind; man kann also auch nur zwei Stunden sehen, denn der Film ist ohne dramaturgischen Bogen. Außerdem hat der Kunstverein ein gemütliches Sofa, weshalb die Vorstellung auch dort stattfindet, und den ganzen Tag über ist Barbetrieb.
Übrigens findet parallel zum Film der Münchner Laufmarathon statt. Bei uns kann man also auch »dabei sein«. (Sonntag, 14.10., ab 11 Uhr, Kunstverein München, durchgehender Einlass)
Unser diesjähriger Länderschwerpunkt Portugal richtet sich in keinster Weise vor allem an Cineasten. Das zweite Programm mit den Kurzfilmen der 1980er Generation zeigt ein Best-of der letzten Jahre, Filme, die auf zahlreichen Festivals zu sehen waren. UNDERDOX aber will sich nicht mit der Leistungsschau zufriedengeben, und kontextualisiert deshalb den derzeit großen Erfolg des portugiesischen Kinos mit seinen Wurzeln: der School of Reis, benannt nach António Reis, der nach der Salazar-Diktatur begann, mit einer Art naturalistischem Kunstkino die Filmsprache zu erneuern. Eingeführt wird das Ganze von IndieLisboa-Leiter Miguel Valverde. (Freitag, 12.10., und Samstag, 13.10., je 18:30 Uhr im Filmmuseum München)
Bald bringt übrigens der tolle Verleih Grandfilm den portugiesischen A Fabrica De Nada ins Kino, einer meiner liebsten Filme des letzten Jahres. Fälschlicherweise wird er gerne als Musical beschrieben, und ehrlicherweise habe auch ich schon darauf zurückgegriffen, als ich versucht habe zu beschreiben, wie toll er ist (es gibt eine einzige gesungene Szene). Musicals sind eben einfach toll. Auf der Leinwand gesungen wird auch bei UNDERDOX, am schönsten bei Jeannette, L’Enfance De Jeanne D’Arc, dem neuen Film von Bruno Dumont, der wie Hadewijch bei uns sicherlich nie ins Kino kommen wird. Laiendarstellerinnen singen an der normannischen Küste von ihrem Alltag, dazu gibt es headbangende Nonnen, die Musik liefert die französische Death-Metal-Formation Igorrr, mit drei R. (Sonntag, 14.10., 11 Uhr, Theatiner)
Bei Lav Diaz geht es am Tag des Langen Films nicht ganz so fröhlich zu. Der »The Brockas«-Leader hat für Season of the Devil einen Score komponiert, der sich vor allem durch eindringliche Repetition auszeichnet. Gesungen wird von einer vom Militär kontrollierten Bürgerwehr, die in den 70er Jahren die abgelegenen Dörfer im philippinischen Dschungel terrorisierte. (Sonntag, 14.10., 18:30 Uhr, Filmmuseum München)
Falls man es bei Lav Diaz nicht aushalten sollte, kann man rüber ins Werkstattkino und dort ab 20 Uhr den »besten Film der Berlinale« (artechock) sehen. Der Chinese Hu Bo hat einen darken, vierstündigen Film noir im Kleingangster-Milieu geschaffen, der einen Tag lang bis zum Sonnenaufgang geht, mit einem sitzenden Elefanten als Sehnsuchtszentrum der Ruhelosen und Getriebenen: An Elephant Sitting Still, so heißt auch der Film. (Sonntag, 14.10., 20:00 Uhr, Werkstattkino)
Bleibt mir zum Schluss nur noch, das Vorwort des Katalogs zu zitieren: »Mit 22 internationalen Gästen aus Ecuador, Frankreich, Österreich, Portugal, Schweden, den USA und natürlich Deutschland möchten wir mit Ihnen unsere 13. Ausgabe feiern, die wieder wie ein Wunder, Low- bis No-Budget zum Trotz, entstanden ist.«
13. UNDERDOX Filmfestival, 11.-17.10.2018
Filmmuseum München, Werkstattkino, Theatiner Filmkunst, Kunstverein München
Eintritt: regulär 7€, Überlänge 8€, Nachttarif 5€, Kunstverein 3€
Mehr Informationen auf der Website von UNDERDOX: www.underdox-festival.de
Die Autorin ist Co-Begründerin und Co-Leiterin von UNDERDOX.