Von Libellen und Söldnern |
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Wolfgang Lehman, Libellen mit Vögeln und Schlange (Closing Night Trip) |
Von Dunja Bialas
Von Dunja Bialas
Dieses Jahr schreiben wir unseren programmatischen Untertitel groß: Dokument und Experiment sind titelgebend für zwei Kurzfilmprogramme, in denen die ganze Spannbreite des Festivals sichtbar wird. Viele unserer Filme stellen sich grundsätzliche Fragen: Wie dokumentieren? Und wie viel experimentieren, ohne sich im Formenspiel zu verlieren?
Um den Fokus dieses Jahr stärker auf das Experimentieren zu legen, wagen wir drei hintereinanderfolgende Night Trips. Den Auftakt macht unser diesjähriger Artist in Focus Makino Takashi. Er gehört zur neuen Generation japanischer Experimentalfilmer, die Anfang des neuen Jahrtausends erstmals mit ihren verstörend sinnlichen Arbeiten die internationale Festivalszenerie betraten. Wir zeigen vier seiner „total art“-Werke, bei denen er mit Jim O’Rourke zusammenarbeitete. (Montag, 14.10., 22:30 Uhr, Werkstattkino, in Anwesenheit von Makino Takashi)
Die Kurzfilmabende bei Underdox sind in ihrer Zusammenstellung immer einzigartig und überraschend, »entlegen und verwegen«, wie die legendären Salons des Werkstattkinos in ihrer kurzen Blüte 2005 überschrieben waren. Ganz in dieser Tradition sehen sich die »Dokumente« und »Experimente«, dokumentarischen Kurzfilme und ein Experimentalfilmprogramm, das die Rezeptoren zum Glühen bringt, in unserem zweiten Night Trip. (Dienstag, 15.10., 20:30 Uhr (Dokumente) und 22:30 Uhr (Experimente))
Mit Libellen mit Vögeln und Schlange zeigen wir einen letzten Night Trip des deutschen Experimentalfilmers Wolfgang Lehmann Mittwoch Nacht. Lehmann folgt der dokumentarischen Tradition der von uns so geschätzen »Tierfilme«. Wissenschaftliches Aufnahmen aus dem Biologieunterricht und selbstgefilmte Tiere bringt er in einen knallbunten Bilderwechsel, so schnell das Auge sehen kann. (Mittwoch, 16.10., 22:30 Uhr, Werkstattkino)
Auf der Seite der »Dokumente« ist bei unseren Langfilmen diesjähriger thematischer Mittelpunkt die Aufarbeitung von Terror und Gewalt. Schonungslos ist der Eröffnungsfilm The Act of Killing. Die Mitglieder einer indonesischen Todesschwadron spielen ihre Morde an Verfolgten des Regimes nach – am Filmset, in Maske und Kostümen. (Donnerstag, 10.10., 19 Uhr, Filmmuseum, in Anwesenheit von Co-Regisseurin Christine Cynn)
Im Grunde genommen um ähnliche Grausamkeiten und Verbrechen geht es in No Man’s Land. Wo aber The Act of Killing auf eine überbordene Inszenierung setzt, vertraut der minimalistische Film der jungen Portugiesin Salomé Lamas vor allem auf die Bilder, die in den Köpfen des Zuschauers entstehen. In einem kargen Setting, zu dem nicht mehr als ein Stuhl in einem nackten Raum gehört, erzählt ein ehemaliger Kolonialsöldner und Auftragskiller von dem Schrecken, den er über die Menschen hereinbrachte. (Freitag, 20:30 Uhr, Werkstattkino)
Sollen Verbrechen nicht gesühnt werden? Muss denn nicht Strafe folgen? Und was ist, wenn einer Schuld auf sich geladen hat, er aber unerkannt davon gekommen ist und jetzt ein anderer die Strafe unschuldig verbüßt? Norte, The End of History, ein epischer Spielfilm nach dem Vorbild von »Verbrechen und Strafe« (Dostojewski) stellt sich genau diesen moralischen Fragen der Conditio humana und verbindet sie mit einer atemlosen und packenden Geschichte im heutigen Philippinen. Lav Diaz hat soeben auf dem Menschrechtsfilmfestival in Nürnberg den Hauptpreis für seinen Film erhalten, dem seit Cannes der Ruf als Meisterwerk vorausgeht. (Freitag, 11.10., 18:30 Uhr, Filmmuseum)
Die belgische Künstlerin Sarah Vanagt konfrontiert den Zuschauer in Dust Breeding mit den Aussagen des ehemaligen Präsidenten von Bosnien und Herzegowina Karadzic, die er vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag macht. Karadzic werden Bilder vorgelegt, offensichtliche Bilder, die Genozid dokumentieren. Wir hören, wie er sich rausredet, die Bilder uminterpretiert und ihnen eine harmlose Variante – entgegen alle Offensichtlichkeit – zuschreibt. Karadzic erlangte 2012 einen Teilfreispruch, der dieses Jahr im Juli wieder aufgehoben wurde. (Sonntag, 13.10., 18:30 Uhr, Filmmuseum)
Dust Breeding ist der zweite Teil unseres Specials »Surfing the Black Wave«. Im ersten Teil gehen wir dem Aufbruch Jugoslawiens nach, als mit Filmemachern wie Karpo Godina, Krsto Papic und Petar Krelja die sogenannte »Schwarze Welle« losbrach, die in den 60er und 70er Jahre in Jugoslawien ideologisch und kinematographisch Neues wagte. (Samstag, 12.10., 21:00 Uhr, Filmmuseum, in Anwesenheit von Karpo Godina)
Viele der Filme des diesjährigen Programms sind Kompositionen aus Found Footage. Der Filmemacher tritt in ihnen als Autor zurück und lässt, ganz wie Godard es forderte, in der Montage eine Form entstehen, »die denkt«. Namenlos entstandene Handy-Aufnahmen montiert der indische From Gulf to Gulf to Gulf des Künstlerkollektivs CAMP zu einem sehr freien Dokument moderner
Seefahrt. (Mittwoch, 16.10., 20:30 Uhr, Werkstattkino, in Anwesenheit von Shaina Anand)
Die Londoner Otolith Group versammelt in The Radiant Archivmaterial und Interviews zu einer scharfsinnigen Analyse über die Atomindustrie. (Freitag, 13.10., 22:30 Uhr, Werkstattkino)
Die Studenten der Moskauer Filmhochschule waren gemeinsam mit ihren Kameras bei Demonstrationen auf der
Straße. Winter, Go Away! ist ihr filmisches, demokratisch entstandenes Flugblatt. (Montag, 14.10., 20:30 Uhr, Werkstattkino)
Die Autorin ist Leiterin des Underdox-Festivals
8. Underdox Filmfestival. 10.-16. Oktober 2013, Filmmuseum München und Werkstattkino.