flimmern&rauschen 2019 – Vielfältigkeit als Programm |
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Spielerische Wiederentdeckung alter Techniken |
Von Axel Timo Purr
Zum nun schon 36. Mal findet auch dieses Jahr vom 27. – 29. März das legendäre Kinder & Jugend-Filmfestival flimmern&rauschen in München statt. Mit einer gravierenden Neuerung: das Festival wechselt vom bisherigen Standort Muffathalle in die Black Box im Gasteig, in der mehr als 15 Stunden Programm und über 70 Filme junger Filmschaffender gezeigt werden. Die letztes Jahr erstmals eingeführte und über die Festivalzeit hinaus aktive Networking-Plattform Glitch&Noise wird auch dort wieder ein Festival begleitendes Programm anbieten.
flimmern&rauschen – das sei nicht oft genug wiederholt – ist das älteste Kinder- und Jugendfilmfestival Deutschlands, das von klein auf dazu ermutigen will, eine Kamera aufzuheben, den Lauf einer Geschichte selbst in die Hand zu nehmen und am Ende vielleicht sogar eine kreative Karriere zu starten. flimmern&rauschen versteht sich aber auch als Treffpunkt der bereits professionellen Newcomer der Münchner Filmszene unter 27 Jahren, doch im Andenken an den Titel des Festivals wird auch hier darauf Wert gelegt, dass nicht nur die Perfektion, sondern auch die ungeschliffenen Macken jeder Art einen Platz auf der Leinwand verdient haben.
So ungeschliffen die Ansprüche, so professionell ist die Jury besetzt, denn immerhin zielt das Festival ja auf einen glanzvollen Höhepunkt hin, die Preisverleihung am Freitag, den 29. März um 20:00 Uhr, nach der um 21:00 Uhr noch einmal alle Preisträgerfilme, die in fünf Altersklassenkategorien aufgeteilt sind, gebündelt gezeigt werden. Neben Anna Roller (junge Filmemacherin) sitzen Daniel Aberl (junger Filmemacher), Monika Haas (Filmstadt München, DOK.fest), Sandra Knösel (Filmfest München), Eva Opitz (Medienfachberatung Niederbayern) und Klaus Schwarzer (Jugendkulturwerk/pomki.de) in der Jury.
Und so altersklassenübergreifend die Filmgruppen sind, so vielseitig sind auch die Themen und Filmgenres auf dem Festival. Eröffnet wird das Festival mit dem 12-minütigen Spielfilm Behind The Scene von den film_larrys, in dem eine Jugendfilmgruppe vergeblich versucht die entscheidende Filmszene ihres Trashfilms in den Kasten zu bekommen.
Aber es gibt natürlich nicht nur filmische Introspektiven zu sehen, sondern auch Auseinandersetzungen mit den Abgründen des Alltags und den eigenen Träumen von einem anderen Leben. Andrea Kurz zeigt in Ungeziefer zwei Mädchen mit schweren Depressionen, die einen Selbstmordpakt geschlossen haben.
Tote Fische von FINE Filmproduktion erzählt die Geschichte von Ben, Raphael und Anna, die ihre Sommerferien genießen bis Ben an einem
Aneurysma stirbt und die Freundschaft von Anna und Raphael auf die Probe gestellt wird.
Lene Pottgießer und Christian Hödl verfolgen in FAME den Traum von Ferdi und Tschacki, die in der Tristesse des bayerischen Hinterlandes aufgewachsen sind und nun als Models die Laufstege der Welt erobern wollen.
In die Die Jungs vom Bolzplatz dokumentiert Lukas John Günther drei junge Männer, die sich an vergangene, gemeinsame Tage auf ihrem
damaligen Bolzplatz zurückerinnern. Woher sie kamen, spielte dort keine Rolle, doch in der Welt außerhalb des Bolzplatzes war dies anders.
Beziehungsleben und Beziehungssuche, mit deutlichen Anklängen an die gegenwärtige Me-Too-Debatte, ist auch bei flimmern&rauschen präsent: In Plan B, dem kurzen Spielfilm von Berthold Wahjudi, haben Isabell und Ben einen One-Night-Stand, als das Kondom platzt. Isabell findet, dass es ihre Entscheidung sei, wie sie damit umgehen soll. Doch Ben ist anderer Meinung. Es kommt zu einem Streit darüber, wer über Isabells Körper bestimmen darf. In Benjamin Tomoff und Alexander Bergmanns JULIE sehen wir Julie in ihrer freundschaftlichen und intimen Beziehung mit Lou, doch Lou muss seit einiger Zeit nachts im Krankenhaus arbeiten, um die Miete ihrer gemeinsamen Wohnung zu zahlen. Julie lebt in den Tag hinein und verbringt die meiste Zeit beim Surfen am Eisbach. Dort lernt sie Ben kennen.
Aber auch der Blick in die Welt, auf das Andere, die Fremde und einen erweiterten Heimatbegriff beschäftigt etliche Produktionen. Mal spielerisch wie in dem Animationsfilm Begegnungen von SprachBewegung e.V., der mit einer Schulklasse der 5. Jahrgangsstufe im Rahmen eines Ganzjahresprojekts von SprachBewegung e.V., Tanz & Kreatives Schreibforum entstanden ist und sich an das Thema herantastet, auf welche Weise sich Menschen begegnen
können.
Dann es geht auch historisch wie in dem Dokumentarfilm Kein Zurück Mehr von Schülern des Wilhelmsgymnasiums, der sich dem Schicksal vertriebener und geflüchteter Deutscher aus Mittel- und Osteuropa zwischen 1945 und 1947 widmet. Dabei stehen Erinnerungen von Frauen und Mädchen im Fokus. Vier Zeitzeuginnen erzählen über ihre verlorene Heimat, prägende Erlebnisse und über ihr neues Leben weit weg von zu Hause.
Auch Rassismus wird in diesem
Themenkomplex verhandelt. Mal dokumentarisch wie in LEBEN von Drehplan Anita Augspurg – Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage, die sich fragen, was Rassismus eigentlich ist. Schüler*innen der städtischen Anita-Augspurg-Berufsoberschule München berichten über ihre eigenen Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung. Interviews mit Dr. Heigl (Fachstelle für Demokratie der LHS München) und Nimet Gökmenoglu (before e.V.) thematisieren
die Frage, ob Rassismus aktuell wieder gesellschaftsfähig wird. In Bobby Braun von Jonas Leonard wird Rassismus hingegen weniger dokumentarisch als über eine Geschichte thematisiert: Wie beurteilen wir unseren Mitmenschen, wenn er eine andere Hautfarbe hat? Was spielt sich alles in unseren Köpfen ab, bevor wir handeln? Wie bestimmen Ängste unser Denken? Leonard zeigt Deutschland in den 1960er Jahren und Bobby Braun, der neu in der Stadt und schwarz ist. Linda
ist weiß. Und beide fühlen sich zueinander hingezogen.
Dass diese Themen sich auch ideal als Science Fiction erzählen lassen, zeigen mirlach.productions, die in FOG die Geschichte des Polizisten Liam Walker erzählen, der im Nebel von Kansas City ein Alien entdeckt. Er nimmt es in der Station auf, das Alien zieht es aber weiterhin unter die Menschen, wo es Gewalt und Ungerechtigkeit beobachtet. Es warnt sie davor und fortan wird Liam nicht nur zunehmend mit der
Frage, warum es hier ist, sondern auch mit dem patriotischen Gouverneur konfrontiert.
Aber flimmern&rauschen ist nicht nur gut für tolle Geschichten und interessante Perspektiven, sondern auch für die spielerische Wiederentdeckung alter Techniken. In Die Geheimnisvolle Uhr etwa werden Erinnerungen an Lotte Reiningers Die Abenteuer des Prinzen Achmed wach. In ihrem Scherenschnitt-Trickfilm erzählt eine Produktion von Kinderkino München e.V. / Medienwirkstatt von einem wilden Wolf, einem leeren Akku und einer Reise durch die Zeit und davon wie zwei Kinder die Welt von Mutter und Großvater entdecken und deren Geschichte verändern.
Neben all den Filmen, die in ihrer Vielfältigkeit kaum zu fassen ist, sollte aber auch ein im letzten Jahr etablierter Treffpunkt unbedingt auf der Agenda jeden Besuchers stehen. Denn Glitch&Noise, die im letzten Jahr eingeführte Veranstaltungsreihe und Networking-Plattform begleitet auch dieses Jahr flimmern&rauschen. Glitch&Noise ist als Treffpunkt für den Münchner Filmnachwuchs gedacht, um bei Fachgesprächen und Geschichten über Fehler anderer, mit Musik, Kaltgetränken und Snacks persönlich zu profitieren. In fünfminütigen Präsentationen werden filmspezifische Themen (von »Respekt beim Dokumentarfilm«, über »Was tun wenn sich die Darsteller für einen Liebesfilm hassen« bis »Die Welt besteht aus Polygonen«) vom jungen Filmvolk für das junge Filmvolk präsentiert.
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Flimmern&rauschen – das Festival der jungen Filmszene, findet vom Mittwoch 27. bis Freitag 29. März 2019 in der Black Box im Gasteig statt.
Speziell für Schulklassen gibt es zu ermäßigten Eintrittspreisen Sondervorführungen am Donnerstag und Freitag.
Die Vorführungen am Donnerstag richten sich an Kindertagesstätten und Grundschulklassen und starten um 9:30 Uhr und um 11.00 Uhr. Die Programme am Donnerstag um 14 Uhr sowie Freitag um 9:30 Uhr und 14 Uhr richten sich an Schulklassen ab der 5. Jahrgangsstufe.
Eintrittspreise: 1 € pro Schüler*in
Lehrkräfte und Begleitpersonen haben freien Eintritt.
Die Schüler*innen haben mit dem Eintritt ein Festivalticket und können alle drei Tage die Programme besuchen. Die
Preisverleihung findet am Freitag, den 29. März um 20:00 Uhr statt; im Anschluss daran, um ca. 21.00 Uhr, werde noch einmal die Preisträgerfilme gezeigt. Weitere Infos auf der Webseite des Festivals.