25.05.2024
77. Filmfestspiele Cannes 2024

Welt der Oberflächen

The Shrouds
Geschändete Gräber
(Foto: Filmfestspiele Cannes | David Cronenberg)

David Cronenbergs The Shrouds zeigte im Wettbewerb von Cannes eine besondere Ausformung des Body Horrors: den Horror des Zerfalls

Von Benedikt Guntentaler

David Cronen­bergs Karriere beinhaltet viele Phasen, beginnend beim Body-Horror seines Frühwerks, auf das Lite­ra­tur­ver­fil­mungen folgten, die bereits immer abstrakter wurden, und ihn schluss­end­lich zu seinem heutigen Kino führten.

The Shrouds – sein neuer Film mit Premiere in Cannes – fühlt sich wie eine logische Entwick­lung an, ein Film, der all seine bishe­rigen Themen aufgreift, fortdenkt und moder­ni­siert, jedoch auf funda­mental andere Art. Es ist ein sehr moderner Film geworden, nicht unbedingt in seiner Machart, mehr durch die inhalt­liche Ausrich­tung. Cronen­berg befasst sich mit dem Digitalen, mit tech­ni­schem Fort­schritt, mit Displays, AIs, Videos und Teslas.

Die Filme des Kanadiers hatten schon immer einen asep­ti­schen Touch, selbst seine Horror­filme wirken steril, die Verfor­mungen und Körper-Kurio­si­täten sind bei ihm stets zu gleichen Teilen ausge­stellt und plastisch, weniger ein Schock als Kunst­ob­jekte, die zur Inter­pre­ta­tion und genauen Betrach­tung einladen. Cronen­berg ist ein Regisseur der Ober­flächen, weniger inter­es­siert an Emotionen als an theo­re­ti­schen Refle­xionen.

Deutlich wurde dies auch in seinem letzten Film Crimes of the Future, der erneut mit dem Body-Horror spielt, dies aber besonders radikal, der eigene Körper wird hier zum Kunst­ob­jekt, in Form einer Perfor­mance-Art, die im Dialog mit seinem eigenen Schaffen steht.

Sein neuester Film The Shrouds nun fühlt sich wie ein geistiger Nach­folger von Crimes of the Future an. Erneut sind die Kulissen befreit von jeglichem Staub und Dreck, und es gibt auch keine Natür­lich­keit mehr.

Dazu passend das Schau­spiel: Keine Emotionen zeichnen sich in den Gesich­tern ab, die Beto­nungen muten entrückt an, sind zu drastisch und zu expressiv, alles wirkt, als würden die Figuren nicht selbst sprechen, sondern nachahmen, was sie einmal gehört oder gesehen haben, man könnte auch sagen: Gerade so, wie wir es von einem (Hollywood-)Film erwarten.

Bezeich­nend ist in diesem Zusam­men­hang die Leistung Diane Kruegers, die gleich drei Rollen spielt, eine davon (auch nament­lich im Abspann genannt): Ein virtu­eller AI-Avatar. Dieser tech­ni­sche Anspruch, der Übergang ins Digitale, samt der damit einher­ge­henden Entkör­pe­rung, ist ein Haupt­thema des Films.

War in Video­drome noch die Rede vom »New Flesh«, ist dieses nunmehr erreicht. Menschen, die sich von sich selbst entfremdet und keine Beziehung mehr zum Körper haben, permanent versuchen, diesen zu über­winden und zu verbes­sern, gleich­zeitig aber nicht aufgeben wollen. Die »Shrouds«, das sind Gräber mit instal­lierten Webcams, mit Displays auf den Grab­steinen, die es ermög­li­chen, dem Verwesen der Leichname der geliebten Menschen in Echtzeit beizu­wohnen.

Das Körper­liche ist also nurmehr direkt mit dem Tod verbunden, mit einer Angst, es nicht mehr kontrol­lieren zu können, nicht mehr fest­zu­halten und zu analy­sieren. Denn: Alles muss fest­ge­halten und beob­achtet werden, wo sich Rätsel auftun, herrscht die Angst, das Ungewisse scheint schlimmer als der Tod.

Auf der anderen Seite – ein typischer makabrer Cronen­berg-Kniff – versi­chern sich die Figuren immer wieder über Sex der eigenen Körper­lich­keit. So ist der Film auch in einer seltsamen Art erotisch, zele­briert den Sex zwar formal, lädt ihn inhalt­lich jedoch gespens­tisch auf. Nie ist es ein Akt der Liebe, der statt­findet, immer ist es eine Bestä­ti­gung des eigenen Seins oder ein Suchen nach verlo­renen Erin­ne­rungen.

All diese Themen werden anhand einer verwor­renen Drama­turgie etabliert, die sich auch immer wieder selbst behindert: Cronen­berg erzählt sehr umständ­lich und durch­ein­ander, schnell wird klar, dass er die tatsäch­liche Handlung meidet. Wo keine Klarheit mehr herrscht, darf diese auch nicht von Seiten der Story geheu­chelt werden, wie die Prot­ago­nisten löst sich so der Film immer weiter auf, hält zwar an seinen Motiven fest und erforscht sie, weigert sich jedoch, sie zu einem Ende zu führen oder vers­tänd­lich zu machen.

Hier ist es wieder das Internet, das greift. The Shrouds fühlt sich an wie ein stetes Absinken in Bubbles und Algo­rithmen, ein manisches Suchen nach Sinn, das zu nichts führt, außer weiteren Verun­si­che­rungen.

Es ist ein trauriger, sehr durch­dachter Film geworden, einer den so nur Cronen­berg drehen würde, der nun im letzten Teil seiner Karriere immer expe­ri­men­teller wird, Drama­tur­gien hinter sich lässt, und dem Kino noch einmal alles abver­langt. Dieser letzte Film von Cronen­berg, viel­leicht sein aller­letzter, passt gut in die moderne Zeit – fast wirkt es, als hätte sie nur auf Cronen­berg gewartet.