13.02.2003
53. Berlinale 2003

Tödlicher Wettbewerb

My Life Without Me
Sarah Polley in MY LIFE WITHOUT ME
(Foto: TOBIS Film)

Von Nani Fux

Der Tod steht Pate bei der dies­jäh­rigen Berlinale. Bei fast jedem Wett­be­werbs­film tritt er in einer seiner Masken in Erschei­nung. In seinem Regie­debut CONFESSIONS OF A DANGEROUS MIND beispiels­weise erzählt Holly­wood­beau George Clooney die unglaub­liche Geschichte der TV-Legende Chuck Barris, der die Welt mit Quiz­for­maten wie der Gong-Show und Herzblatt beglückte und nebenbei als Auftrags­killer für die CIA unterwegs war. Ein lachender Tode­s­engel, süchtig nach dem ulti­ma­tiven Kick, den ihm nur das Töten verschafft. Die Kugel im Kopf als konse­quente Fort­set­zung all der öffent­li­chen Hinrich­tungen, die er an unzäh­ligen unta­len­tierten Möch­te­gern­stars in seiner Gongshow vor Millio­nen­pu­blikum durch­führte.

Eine bürger­liche Version des Mordens führt Claude Charbrol in LA FLEUR DU MAL vor: Dort machen die Mitglieder eines Fami­li­en­clans einander in einer Art karmi­schen Endlos­schleife in jeder Gene­ra­tion aufs neue den Garaus.

Den Tod als staatlich ange­ord­netes Rach­ein­stru­ment zeigt Allan Parker in THE LIFE OF DAVID GALE. Ausge­rechnet ein enga­gierter Streiter gegen die Todes­strafe landet in diesem Thriller mit huma­nis­ti­scher Botschaft im Todes­trakt.

Um das Recht, sein Leben selbst zu wählen bis hin zum Zeitpunkt des eigenen Todes dreht sich THE HOURS. Virginia Woolfs Buch »Mrs. Dalloway« wird zum Aufhänger für das Leben dreier Frauen in unter­schied­li­chen Jahr­zehnten. Da ist zum einen Virginia Woolf selbst, gespielt von einer bis zur Unkennt­lich­keit verwan­delten Nicole Kidman, die sich gleich zu Beginn auf der Flucht vor ihren Wahn­vor­stel­lungen im Fluss ertränkt. Da ist Laura Brown, die glaubt der liebe­vollen Umklam­me­rung einer Vorortehe der fünfziger Jahre nur durch den Tod entkommen zu können. Und da ist der aids­kranke Dichter Richard, der zu seiner treu­sor­genden Freundin und Jugend­liebe sagt: »Ich lebe nur noch, um Dich zufrie­den­zu­stellen«. Ganz wie bei Mrs. Dalloway spiegelt sich in der Moment­auf­nahme eines Tages das gesamte Leben der Frauen wieder. Und jede von Ihnen trifft im Verlauf des Tages eine essen­ti­elle Entschei­dung – sei es für das Leben oder dessen Been­di­gung.

Den Tod mit allen Mitteln abzu­wenden – darum geht es zur Abwechs­lung in der deutschen Komödie GOOD BYE, LENIN! von Wolfgang Becker. Um seiner herz­kranken Mutter den zwei­fellos tödlichen Schock des Mauer­falls samt turbu­lenten Konse­quenzen zu ersparen, erschafft Alex ein sozia­lis­ti­sches Paral­lel­uni­versum in 79 Quadrat­me­tern Plat­tenbau. Wie in The Hours stehen die Prot­ago­nisten irgend­wann vor der Wahl, sich entweder für die Welt und das Leben zu entscheiden oder durch Tod und Lüge vor dem eigenen Schicksal zu fliehen.

Steven Sonder­bergs SOLARIS verwischt die Grenzen zwischen den Lebenden und den Toten. Auf der Raum­sta­tion Prome­theus begegnet der Psycho­loge Dr. Chris Kelvin seine Frau Rhyna, die sich vor Jahren das Leben genommen hatte. Kelvin muss entscheiden, ob Rhyna ein Geschöpf seiner von Schuld­ge­fühlen geprägten Imagi­na­tion ist oder ein Wesen aus Fleisch und Blut.

Der bewe­gendste und dabei unprä­ten­tiö­seste Beitrag zum Thema Leben und Sterben stammt jedoch von der Spanierin Isabel Croixet. In MY LIFE WITHOUT ME erzählt sie die Geschichte der 23järhigen Ann, die mit ihrem arbeits­losen Mann und zwei kleinen Töchtern in einem Wohnwagen auf dem Grund­stück ihrer Mutter lebt. Zwischen ihrer allnächt­li­chen Arbeit als Putzfrau, Kinder­be­treuung und Haushalt bleibt ihr wenig Zeit für Träu­me­reien. Bis die Nachricht, dass sie nur noch kurze Zeit zu leben hat, sie aus dem Alltags­trott heraus­ka­ta­pul­tiert. Ann beschließt, niemandem etwas von der Hiobs­bot­schaft zu erzählen. Den Tod vor Augen entwi­ckelt sie nicht nur den Mut, mit diesem Wissen allein fertig zu werden, sondern auch ungeahnte Lebens­lust und Sensi­vität. Dafür, wie es sich anfühlt, sich vom Regen durch­nässen zu lassen. Für den Geschmack eines Ingwer­bon­bons. Für den Boden unter ihren nackten Füßen. Ann schreibt eine Liste von Dingen, die sie vor ihrem Tod noch erledigen will. Von schein­baren Klei­nig­keiten wie falschen Fingernä­geln über »Immer sagen, was ich denke« bis hin zu Nach­richten an ihre Lieben. Die Botschaft des Films ist ebenso einfach zu verstehen wie schwierig zu leben: Eine Liste, wie Anne sie macht sollte jeder für sich aufstellen – und dann danach leben.