53. Berlinale 2003
Tödlicher Wettbewerb |
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Sarah Polley in MY LIFE WITHOUT ME | ||
(Foto: TOBIS Film) |
Von Nani Fux
Der Tod steht Pate bei der diesjährigen Berlinale. Bei fast jedem Wettbewerbsfilm tritt er in einer seiner Masken in Erscheinung. In seinem Regiedebut CONFESSIONS OF A DANGEROUS MIND beispielsweise erzählt Hollywoodbeau George Clooney die unglaubliche Geschichte der TV-Legende Chuck Barris, der die Welt mit Quizformaten wie der Gong-Show und Herzblatt beglückte und nebenbei als Auftragskiller für die CIA unterwegs war. Ein lachender Todesengel, süchtig nach dem ultimativen Kick, den ihm nur das Töten verschafft. Die Kugel im Kopf als konsequente Fortsetzung all der öffentlichen Hinrichtungen, die er an unzähligen untalentierten Möchtegernstars in seiner Gongshow vor Millionenpublikum durchführte.
Eine bürgerliche Version des Mordens führt Claude Charbrol in LA FLEUR DU MAL vor: Dort machen die Mitglieder eines Familienclans einander in einer Art karmischen Endlosschleife in jeder Generation aufs neue den Garaus.
Den Tod als staatlich angeordnetes Racheinstrument zeigt Allan Parker in THE LIFE OF DAVID GALE. Ausgerechnet ein engagierter Streiter gegen die Todesstrafe landet in diesem Thriller mit humanistischer Botschaft im Todestrakt.
Um das Recht, sein Leben selbst zu wählen bis hin zum Zeitpunkt des eigenen Todes dreht sich THE HOURS. Virginia Woolfs Buch »Mrs. Dalloway« wird zum Aufhänger für das Leben dreier Frauen in unterschiedlichen Jahrzehnten. Da ist zum einen Virginia Woolf selbst, gespielt von einer bis zur Unkenntlichkeit verwandelten Nicole Kidman, die sich gleich zu Beginn auf der Flucht vor ihren Wahnvorstellungen im Fluss ertränkt. Da ist Laura Brown, die glaubt der liebevollen Umklammerung einer Vorortehe der fünfziger Jahre nur durch den Tod entkommen zu können. Und da ist der aidskranke Dichter Richard, der zu seiner treusorgenden Freundin und Jugendliebe sagt: »Ich lebe nur noch, um Dich zufriedenzustellen«. Ganz wie bei Mrs. Dalloway spiegelt sich in der Momentaufnahme eines Tages das gesamte Leben der Frauen wieder. Und jede von Ihnen trifft im Verlauf des Tages eine essentielle Entscheidung – sei es für das Leben oder dessen Beendigung.
Den Tod mit allen Mitteln abzuwenden – darum geht es zur Abwechslung in der deutschen Komödie GOOD BYE, LENIN! von Wolfgang Becker. Um seiner herzkranken Mutter den zweifellos tödlichen Schock des Mauerfalls samt turbulenten Konsequenzen zu ersparen, erschafft Alex ein sozialistisches Paralleluniversum in 79 Quadratmetern Plattenbau. Wie in The Hours stehen die Protagonisten irgendwann vor der Wahl, sich entweder für die Welt und das Leben zu entscheiden oder durch Tod und Lüge vor dem eigenen Schicksal zu fliehen.
Steven Sonderbergs SOLARIS verwischt die Grenzen zwischen den Lebenden und den Toten. Auf der Raumstation Prometheus begegnet der Psychologe Dr. Chris Kelvin seine Frau Rhyna, die sich vor Jahren das Leben genommen hatte. Kelvin muss entscheiden, ob Rhyna ein Geschöpf seiner von Schuldgefühlen geprägten Imagination ist oder ein Wesen aus Fleisch und Blut.
Der bewegendste und dabei unprätentiöseste Beitrag zum Thema Leben und Sterben stammt jedoch von der Spanierin Isabel Croixet. In MY LIFE WITHOUT ME erzählt sie die Geschichte der 23järhigen Ann, die mit ihrem arbeitslosen Mann und zwei kleinen Töchtern in einem Wohnwagen auf dem Grundstück ihrer Mutter lebt. Zwischen ihrer allnächtlichen Arbeit als Putzfrau, Kinderbetreuung und Haushalt bleibt ihr wenig Zeit für Träumereien. Bis die Nachricht, dass sie nur noch kurze Zeit zu leben hat, sie aus dem Alltagstrott herauskatapultiert. Ann beschließt, niemandem etwas von der Hiobsbotschaft zu erzählen. Den Tod vor Augen entwickelt sie nicht nur den Mut, mit diesem Wissen allein fertig zu werden, sondern auch ungeahnte Lebenslust und Sensivität. Dafür, wie es sich anfühlt, sich vom Regen durchnässen zu lassen. Für den Geschmack eines Ingwerbonbons. Für den Boden unter ihren nackten Füßen. Ann schreibt eine Liste von Dingen, die sie vor ihrem Tod noch erledigen will. Von scheinbaren Kleinigkeiten wie falschen Fingernägeln über »Immer sagen, was ich denke« bis hin zu Nachrichten an ihre Lieben. Die Botschaft des Films ist ebenso einfach zu verstehen wie schwierig zu leben: Eine Liste, wie Anne sie macht sollte jeder für sich aufstellen – und dann danach leben.