61. Berlinale 2011
Im Zeichen des Nilpferds |
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The Future wenn’s nach Miranda July ginge |
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(Foto: Alamode Film – Fabien Arséguel e.K. / Die FilmAgentinnen GmbH i.G.) |
Von Thomas Willmann
Es soll ja noch immer Leute geben die glauben, bei der Berlinale ginge es um Bären.
Zugegeben, das Festival tut sein Möglichstes, diesen Schein aufrechtzuerhalten – von wegen Verleihung von Bären in diversen Edelmetall-Ausführungen, Meister Petz-Logo, Ursus-Wappen der zugehörigen Stadt und so. Aber das ist alles nur Tarnung. Von der sich nicht blenden lässt, wer hinter die Oberflächen auf die verborgenen, wahren Zeichen zu schauen vermag. Denn der eigentliche, geheime
animalische Schutzgeist der Berlinale – jedenfalls dieses Jahr – ist: das Nilpferd.
Dieser vermeintlich behäbige, putzig-gemütliche Paarhufer, in Wahrheit mit das gefährlichste Großwild, durchstreift tagtäglich das Festivalprogramm und hebt sein knubbelbeohrtes Haupt in den unerwartetsten Momenten, den unerwartetsten Filmen.
Inzwischen ist klar: Bei der Berlinale 2011 geht es schlicht darum, alle versteckten Flusspferde zu finden. Und wer das schafft, wird der wahre Filmfestspiele-Sieger sein.
Was jetzt nach einer bloßen, vom Zufall nahegelegten
absurden Pointe klingen mag. Aber glauben Sie mir: Es ist bisher bei weitem nicht die unplausibelste Erklärung dafür, warum dieses Internationale Festival des Undringlichen Films abgehalten wird.
Und so lassen Sie uns die Zeit des Wartens und Hoffens auf einen echten Höhepunkt verbringen mit einer kleinen Parade der gefundenen Flusspferde – und ihrer Filme.
Das erste Unhappy Hippo stapfte ganz am Ende von Ulrich Köhlers Entwicklungshelfer-Non-Drama ins Bild. Und bezog sich auf eine zuvor erzählte Legende von einem Apotheker, den ein Liebes-Rivale in ein Tier verhexen ließ.
Schlafkrankheit ist der konsequente Export der Berliner Schule auf den »Schwarzen Kontinent«, also sprich: Jetzt neu! Deutscher Befindlichkeitskram auch in Afrika! Ein
Entwicklungshelfer (Pierre Bokma) – tätig als Arzt – schickt Frau und Tochter heim nach Deutschland, will bald folgen. Bleibt aber dann doch irgendwie in Afrika hängen, verliert sich dort, ein Kollege aus Frankreich – Hautfarbe schwarz, aber Europäer durch und durch – begegnet ihm Jahre später in Kamerun, kurz bevor ihn der Dschungel vollends zu verschlucken scheint. So weit, so »Heart of Darkness«.
Aber das Nilpferd-Ende ist ziemlich symptomatisch für
den gesamten Film: Endlos interpretierbar, wie viele Details geradezu für ein eigenes Doktorarbeits-Kapitel gemacht, und hallo, postkolonialer Diskurs, Intertextualität, Erzählstrategien und so weiter. Aber da, wo’s zählt, letztlich kraftlos und unentschlossen. So dass die Ebene fehlt, die einen überhaupt inspirieren würde, besagtes Doktorarbeitsunterfangen anzupacken.
Köhler selbst sagt auf der Pressekonferenz, dass er nicht recht wusste, wie er die Geschichte, die Figuren erzählerisch zu packen bekommt. Er scheint nach etlichen Drehbuchfassungen eher aufgegeben denn wirklich die Lösung gefunden zu haben. Und da hilft es erstaunlich wenig, dass sehr viel Autobiographisches in dem Film steckt.
Schlafkrankheit teilt ein Problem, das viele Filme
dieses Berlinale-Jahrgangs offenbar haben: Der Antrieb zu seiner Entstehung ist ein Thema, keine Geschichte. Und das gibt selten befriedigende Resultate.
Im afrikanischen Setting des Köhler-Films war der Nilpferd-Auftritt noch nicht übertrieben überraschend. Dass einem einen Tag darauf ein weiteres ausgerechnet in Wuppertal begegnen würde, war aber nicht zu ahnen. Das zweite Hippo war aus Kunststoff, stammte aus einem Pina Bausch-Tanztheaterstück, und absolvierte an einem Flusslauf (vermutlich der Wupper) ein Pas de deux mit einer Tänzerin aus Bauschs Ensemble.
In 3D.
Und man wird bei vielen dieser Außendreh-Sequenzen
– u.a. in der Schwebebahn, einem Bergwerk, auf einer Straßenkreuzung, einer Tagebau-Grubenklippe – nie ganz das Gefühl los, dass dabei die Eigenwerbung für die Filmtechnik so entscheidend war wie die Hommage an Bauschs Werk. Wim Wenders betont bei der Pressekonferenz wieder und wieder, wie sehr er sich allein im Dienste der unerwartet verstorbenen Tanzmeisterin sieht. Aber so sehr Wenders gewiss Bauschs Persönlichkeit und Arbeit liebt: Wenders liebt vor allem auch
immer Wenders, begeistert sich schnell auch für und über seine eigene Begeisterung.
Pina hat viele höchst eindrucksvolle Stellen. Was wohl kaum ausbleiben kann, wenn man die großen Bühnenwerke von Pina Bausch dokumentiert: Selbst einem Tanztheater-Laien wie mir hat sich da eine ungeheure emotionale Kraft vermittelt, eine künstlerische Dringlichkeit, wie sie die meisten Filme dieser Woche eben vermissen ließen. Und man spürt, kapiert schon schnell, worum es im Kern immer
wieder geht: Sehnsucht. Und das ständige Wechselspiel von Anziehung und Abstoßung auf der Suche nach menschlicher, körperlicher Nähe. Aber einerseits finde ich das 3D mindestens so oft distanzierend, mit seiner ausgestellten Künstlichkeit grade aus der gezeigten Welt raushaltend, wie es mich in den dargestellten Raum zu versetzen schafft. Und andererseits bleiben es immer eben nur Stellen: Auszüge aus den Stücken, die den dramaturgisch-erzählerischen Bogen nicht
widergeben. Als wäre der unwichtig, beliebig, als gehöre der nicht zu Bauschs Kunst. (Oder, bei klassischen Baletten, zu der der Komponisten: Schmerzhaft brutal wird grade beim »Sacre du printemps« stets kurz vor den Höhepunkten abgehackt.)
Und so bleibt’s eine in der Gesamtheit unbefriedigende Nummernrevue – eine bloße (und etwas selbstverliebte) Huldigung, die die wahre Größe ihres Gegenstands weder richtig erfassen, noch ihr entsprechende eigene Größe
entgegensetzen kann.
Und dann wurde es absurd: Komisch genug, dass aus der scherzhaft zum Trend ausgerufenen Koinzidenz von zwei Leinwand-Flusspferden dann tatsächlich eine Reihe wurde. Aber nirgends hätte man das dritte Hippo wohl weniger vermutet als ausgerechnet in einer Dokumentation über den russischen Öl-Oligarchen, den Wladimir Putin sich offenbar als Intimfeind erkoren hat und dessen Gefängnisstrafe unlängst erst wieder unter höchst fragwürdigen Umständen um ein paar Jahre verlängert wurde.
Ein ehemaliger Mitstreiter des Ex-Yukos-Chefs füttert während des Interviews ein (sein?) Baby-Nilpferd mit Gelberüben – und nutzt es sogleich für eine politische Allegorie. Er lobt durchaus Medwedews Antrittsrede – äußerst aber Zweifel an dem realen Gewicht der Wort. Der Unterschied zwischen westlichen und russischen Politikern, erklärt er, sei der, dass die westlichen Kollegen spätestens bei den nächsten Wahlen dann doch auch an ihren Versprechen und deren (mangelnder) Umsetzung gemessen würden. Bei den russischen Politikern sei es, als würde er seinem Nilpferd versprechen, dass es morgen Avocados bekäme: Was will das Tier tun, wenn es sie dann nicht bekommt?
Khodorkovsky – der für einiges Aufsehen sorgte, weil kurz vor dem Festival im Büro des Filmemachers Cyril Tuschi eingebrochen und Festplatten mit dem Film entwendet wurden; Spekulationen über Täter und Motive erlaubt – lebt weniger davon, dass er einem ganz Neues über den Fall zu erzählen hätte. Höchstens die Vorgeschichte und die Biografie des jungen Michail Chodorkowski ist da eine bisher noch kaum geläufige Facette. Nein, die Stärke des Films ist es vielmehr, die Angelegenheit schön, spannend und mit einigen gut gesetzten Schlaglichtern zu erzählen.
Da ist das kolportierte (und vom Büro des Ex-Kanzlers wenig glaubhaft dementierte) Schröder-Zitat, es handle sich halt um eine »Angelegenheit zwischen Männern«. Da sind die Fernsehausschnitte mit Putin, die alles Nötige zu sagen scheinen: Das Gesicht und das kaum zusammenhängende, latent drohende Stammeln eines zutiefst beleidigten (und leider enorm mächtigen) Kindes, das Widerworte nur mit gnadenloser Rache beantworten kann.
Und da ist Joschka Fischer, der ehemalige Idealist, der selbstzufrieden dem Filmemacher naiven Idealismus vorwirft, weil der Menschenrechte offenbar für ein absolutes Gut hält und nicht für einen (eher gering zu achtenden) Faktor im Wechselspiel politischer und wirtschaftlicher Interessen. Aus vielen Gründen einer der grusligsten Momente dieser Doku – auch, weil der Fall Chodorowski sich da eben als keineswegs allein russisches Problem entblößt.
Drei Tage, drei Hippos: Da war das Suchspiel nun bewusst eröffnet – und die Auftritte der Großsäuger wurden folglich subtiler, um es nicht allzu leicht zu machen. In Miranda Julys neuem Film waren sie zwar immerhin gleich zu dritt und in Großaufnahme zu sehen – aber nurmehr in Schrumpfform als Porzellannippes auf einem Beistelltischchen, fast als wären’s Erinnerungen an ihre gleichzahligen Vorgänger. »Zufall!«, wird jetzt der vernunftbegabte Mensch rufen. Aber mit Vernunft und rationalem Tagbewusstsein kommt man bei The Future nicht weit.
Wer dachte, Julys wunderbarer Kino-Erstling Me and You and Everyone We Know sei schon verspult und eigenartig gewesen, wird hier erleben, dass das damals noch gar nichts war. The Future hat als (von der Regisseurin selbst hauchend gekrächzte) Erzählerstimme die einer Tierheim-Katze; ein gelbes T-Shirt mit »C'est la nuit«-Aufdruck macht sich selbständig und robbt heimwärts, wo die (von der Regisseurin selbst gespielte) Protagonistin dann wie in eine Art Ganzkörpersack hineinschlüpft und einen Ausdruckstanz aufführt; die Zeit wird angehalten und der Mond bittet um Hilfe beim Gezeitenschieben; ein kleines Mädchen buddelt im Garten ein tiefes Loch. Und es gibt wenig Chancen herauszufinden, was davon nun »Realität«, was Traum sein soll, weil der Tonfall selbst in Passagen vermeintlich eindeutigen Wachszustands komplett somnambul ist.
Was man davon zu halten hat? Ist’s hinreißend versponnene Kunst oder unerträglich possierliche Feenpose und cineastischer Nippes? Ehrlich gesagt: Ich weiß es für mich (noch) nicht/
Das fünfte Hippo hatte sich dann ein wirklich raffiniertes Versteck gesucht: Zusammen mit dem Rhinozeros lugte es aus einem Songtext hervor auf dem Soundtrack zu dem türkischen Wettbewerbsbeitrag. »Animal Kingdom« hieß die ziemlich Shaggy-inspirierte Nummer, und sie dröhnte im Film vorgeblich aus den Lautsprechern einer Disco, in der die Protagonisten tanzten. Nur dass man den starken Eindruck hatte, dass beim Dreh andere Musik gelaufen sein muss. Und somit reckte das Hiphopapotamus (Grüße an alle »Flight of the Conchords«-Fans...) sein Haupt erneut just an einer symptomatischen Stelle: Denn auch sonst blieb das Animalische in diesem Film sehr oft Behauptung, groovte es da nicht, wo es zwischen den Hauptfiguren funken sollte.
Kann aber sein, dass das raffinierte Absicht war. Die Geschichte handelte nämlich von zwei Schulfreunden und langjährigen WG-Genossen um die 40, welche die von einem Autounfall traumatisierte, blutjunge Schwester eines Kumpels bei sich aufnehmen. (Der Kumpel verlässt Ankara, um nach Berlin zu gehen – denn dort gibt es Filmfördergelder vom Land Berlin-Brandenburg, und mit diesen automatisch beachtlich erhöhte Chancen auf eine Teilnahme am Berlinale-Wettbewerb, ähem...) Prompt verlieben sich Jules & Jim... äh, sorry, Cetin & Ender beide in das Mädel. Was aber letztlich kein großes Drama ist. Und nun ist Günes Sayin, die selbiges Mädel spielt, zwar schon ziemlich süß. Aber es knistert erstaunlich wenig zwischen ihr und den beiden Männern – der freundschaftliche Spaß, den sie zu dritt haben, ist glaubhaft, aber im Eins-gegen-Eins spürt man selten den in den Dialogen konstatierten animalischen Magnetismus. Wohingegen die Chemie zwischen den beiden Freunden mehr als stimmt. Und vielleicht ist das genau der beabsichtigte Punkt: Dass sich die wahre Liebesgeschichte zwischen den Männern abspielt und sie das nur nicht recht checken.
Wie symbolisch ist’s, dass Cetin & Ender am Ende miteinander Kicker spielen? Heißt das, sie wollen/sollen sich eigentlich gegenseitig einen reinmachen?
Ach ja, apropos Kicker: Das war nach dem iranischen Wettbewerbsfilm Jodaeye Nader Az Simin nun auch schon der zweite Film, in dem ein Kickertisch Zentralmöbel einer prominenten Szene darstellte. Da zeichnet sich doch nicht etwa ein Trend ab...?