67. Berlinale 2017
Die Berlinale zeigt heute weniger deutsche Filme als in den 90er Jahren |
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Die Perspektive »Neues deutsches Kino« auf der Berlinale: Ghetto fürs deutsche Kino? | ||
(Foto: missingFilms Acrivulis & Severin GbR) |
Die Berlinale ist das mit Abstand größte deutsche Filmfestival und auch eines der international bedeutendsten Filmfestivals der Welt. Dort laufen in über einem Dutzend Sektionen und Untersektionen Filme aus aller Welt, nicht zuletzt auch immer mehr Filme von Regisseurinnen und immer mehr Filme aus Deutschland. Denn die Berlinale behauptet von sich, dass sie Frauen fördert und viel für das hiesige Kino tut, ein Schaufenster für den deutschen Film ist.
»Wir haben 74 deutsche Filme in allen Programmen der Berlinale, das ist ja auch wichtig und drei im Wettbewerb und mehrere deutsche Filme noch im ›Berlinale-Spezial‹.« Also sprach Berlinale Direktor Dieter Kosslick erst vor einer Woche, als er das diesjährige Programm vorstellte. Stimmt doch auch. Oder etwa nicht?
Es stimmt zumindest nicht ganz, muss man zugeben. Drei Wissenschaftler der LMU, der Münchner Universität und der Münchner Filmhochschule – Tanja C. Krainhöfer, Konrad Schreiber und Dr. Thomas Wiedemann – haben jetzt etwas genauer hingeschaut, was wirklich an den vollmundigen Behauptungen und dem Selbstlob der Berlinale dran ist.
Das Ergebnis ist ernüchternd.
Die Wissenschaftler haben 37 Jahre Berlinale-Programm gründlich unter die Lupe genommen und nach Herkunft, Alter und Geschlecht der Filmemacher aufgeschlüsselt. Weil im Gegensatz zu Cannes oder Venedig in Berlin die Leiter leicht die Amtszeiten sowjetischer Parteifunktionäre überschreiten, werden damit genaugenommen nur zwei Intendanten miteinander verglichen: Der Schweizer Moritz de Hadeln, der 1980 die Leitung der Berlinale übernahm, und sein Nachfolger nach 21 Jahren, Dieter Kosslick, der, wenn er im Jahr 2019 aufhört, auch 19 Jahre im Amt sein wird.
Was etwas trocken als »Untersuchung der Programmdiversität« – also der Programmvielfalt – »der Internationalen Filmfestspiele Berlin« bezeichnet wird, ist viel mehr nur eine enorme Fleißarbeit – hinter allerlei Zahlentabellen und Diagrammen enthält der Text auch einigen kulturpolitischen Sprengstoff.
Das wichtigste Ergebnis: Der Anstieg des deutschen Produktionsaufkommens spiegelt sich nicht in einer Erhöhung der programmierten deutschen Produktionen wider. Gemessen am Gesamtprogramm, das in den letzten Jahrzehnten mehr als verdreifacht wurde, hat der Anteil der deutschen Filme sogar abgenommen.
Die immer gern wiederholte Selbst-Preisung des Direktors, er Dieter Kosslick habe auf seiner Berlinale so viel für die Präsenz des deutschen Films getan, ist auch in anderer Hinsicht einfach unwahr.
Denn abgesehen vom Wettbewerb nimmt der Anteil der deutschen Filme in den wichtigen Sektionen »Panorama« und »Forum« sogar deutlich ab. Die relativ neue Sektion »Perspektive deutsches Kino« erweist sich als ein Ghetto für das deutsche Kino – in der Studie ist von einer »fragwürdigen« »Abspaltung« vom jungen internationalen Programm die Rede.
Und noch mit einem weiteren Ergebnis übt die Studie deutliche Kritik: »Große Versäumnisse sind ... erkennbar, wenn es darum geht, die Vielfalt der deutschen Gesellschaft im Programm widerzuspiegeln. Dies gilt einerseits hinsichtlich der Repräsentanz von Filmemachern mit Migrationshintergrund, andererseits aber auch im Hinblick auf den Anspruch auf Teilhabe von einzelnen Gruppen der deutschen Zuwanderungsgesellschaft.«
Der multikulturelle Alltag in Deutschland wird auf der Berlinale nicht sichtbar.
Auch in anderer Hinsicht genügt die Berlinale nicht ihren eigenen Ansprüchen bei genauerem Hinsehen nicht, jedenfalls nicht in Bezug auf das deutsche Kino: Die Gleichstellung von Frauen.
O-Ton Dieter Kosslick auf der Pressekonferenz: »Das is' ja heute wichtig: 124 Frauen sind im Programm der Berlinale vertreten, ja muss man sagen, die sind entweder mit Kamera, Produktion oder Regie vertreten. Wir sind auf gutem Wege«
Die Nebenbemerkung in Dieter Kosslicks Statement ist schon ein guter Hinweis. »Kamera und Produktion« – bei Männern würde der Berlinaledirektor das gar nicht erwähnen. Immerhin hat er Schauspielerinnen nicht auch noch mitgezählt.
Was aber hinter den gut klingenden 124 Frauen bei 370 Filmen nicht dazu gesagt wird: Die wenigsten sind Regisseurinnen. Und wenn doch, dann kommen sie nicht aus Deutschland.
Aus der Münchner Studie wird Widersprüchliches deutlich. Einerseits steigt der Anteil der Regisseurinnen kontinuierlich. Aber nur international. Deutsche Regisseurinnen gibt es heute auf der Berlinale kaum häufiger, als vor 37 Jahren.
Und auch der allgemeine Anstieg ist vor allem ein statistischer Mittelwert. Denn über die Jahre gibt es erhebliche Schwankungen. Nur ein einziges Mal lag der Anteil von Regisseurinnen im Programm höher als im allerersten Jahr 1980: 1999. Unter Dieter Kosslick lag er niemals so hoch wie unter seinem Vorgänger.
Mit solchen Fakten schütten die Münchner Wissenschaftler etwas Wasser in den Wein des Festival-Marketings. Den Kater nach dem Berlinale-Rausch in ein paar Tagen wird das hoffentlich mildern.