67. Berlinale 2017
Aus dem Nekestchen |
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Werner Nekes (1944-2017) | ||
(Foto: Berlinale | Werner Nekes) |
Am 16.1. ehrt die Berlinale den einmaligen deutschen Filmemacher Werner Nekes, der kürzlich verstarb. Mit freundlicher Genehmigung von Claus Löser drucken wir hier seinen Nachruf in der »Berliner Zeitung« nach.
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Dass es in (West-)Deutschland einmal eine Zeit gab, in der Experimentalfilmemacher als Helden gefeiert wurden, ist heute unvorstellbar. Doch Werner Nekes war ein solcher Rock'n'Roller des alternativen Kinos. Ab 1966 drehte er Film auf Film, kurze und lange, stumme und laute. In den einen geschah äußerlich kaum etwas, andere schienen förmlich zu bersten von ihrer bildlichen und akustischen Dichte. Wohlgemerkt: Wir sprechen hier nicht von Nischenprodukten, die lediglich von einer Schar spezieller Liebhaber wahrgenommen und gefeiert wurden. Nekes erhielt bereits 1969 einen Bambi (!) für sein Œuvre und 1970 das Filmband in Silber; unzählige Preise in der ganzen Welt folgten.
Würde man heute eine Rundfrage an Filmhochschulen starten, dann dürfte wohl bei nur ganz wenigen Studierenden der Name von Werner Nekes noch irgendeine Assoziation wecken. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet seine belangloseste Arbeit einigermaßen bekannt wurde. In der Slapstick-Parodie Johnny Flash (1987) nämlich spielte Helge Schneider seine erste Hauptrolle. Danach drehte Nekes zwar weitere Filme, die Anzahl ihrer Zuschauer bewegte sich jedoch im kaum zählbaren Bereich. So erfüllte dieser Künstler das Schicksal wahrer Avantgarde: An einem bestimmten Punkt der kulturellen Entwicklung wesentliche Impulse vermittelnd, um später in Vergessenheit zu geraten.
Doch im Hamburg der späten 1960er-Jahre war alles noch ganz anders. Hier bildete Werner Nekes neben seiner Frau Dore O. sowie Klaus Wyborny, Hellmuth Costard, Helmut Herbst und anderen das Zentrum einer pulsierenden Szene, die lustvoll die Grenzen des Kinos erweiterte und sprengte. In Werner Grassmanns legendärer »Filmmacherei« auf der Brüderstraße 17 wurde debattiert, getrunken, geliebt und musiziert. Und natürlich wurden Filme gemacht und gezeigt. Es ging auch um Politik, doch die bewegten Bilder wurden nicht in den parteipolitischen Dienst gestellt, sondern wollten selbst als Revolution verstanden sein. Wichtig war die Neubestimmung der Sinne, die Umkehrung des Blicks.
Man wollte weg von einer lediglich konsumorientierten Perspektive, hin zu bewusster Wahrnehmung und schließlich zur authentischen Produktion eigener Bilder, die ihrerseits aktiv in die Wirklichkeit eingreifen. Deutlich wird dieser Anspruch in einem Klassiker wie »Kelek« (1968). In wenigen, immer wieder variierten Bildmotiven werden Alltagsszenen und ein Geschlechtsakt gegeneinander geschnitten. Am Anfang steht der subjektive Weg der Kamera durch einen städtischen Park, schließlich auf ein banales Gebüsch schwenkend, als verberge sich dort ein dramatisches Geheimnis. Ein nachfolgender Plot bleibt aus. Dennoch entfaltet der stumme Film über eine Stunde lang einen frappierenden Sog der Wahrnehmung – vorausgesetzt freilich, man lässt sich auf dieses Wagnis ein. Der knapp über 20-jährige Wim Wenders meinte damals: »Das Sehen ist der Gegenstand des Films. Bislang gab es nur Filme zum Zuschauen.« Er nannte »Kelek« eine »unglaublich physische Angelegenheit«.
Ähnlich sinnlich-analytisch ging Werner Nekes 1972 im abendfüllenden T-Wo-Men (1972) vor. Hier nutzt er die Konstellation einer lesbischen Liebe für ein wahres Bombardement von Bild- und Tonsignalen, führt alle spekulativen Erwartungshaltungen ad absurdum. Zur Musik von Richard Wagner und des Avantgarde-Musikers Anthony Moore (Slapp Happy) gipfelt eine Liebesszene in ein minutenlanges Stroboskope-Gewitter aus lauter Einzelbildern, die getrennt gar nicht mehr zu erkennen sind.
»Was geschah wirklich zwischen den Bildern« nannte der Künstler dann auch einen Zyklus von dokumentarischen Arbeiten, die sich mit der Vor- und Frühgeschichte des Kinos befassten. Er war besessen von der Grenzlinie zwischen den körperlichen und psychischen Elementen der visuellen Wahrnehmung, bewegte sich deshalb historisch zurück bis zur Geburtsstunde des neuen Mediums. Nekes sammelte alles, was mit der Vorgeschichte des Films zu tun hat, wie optische Spielzeuge, Laterna magica, Panoptiken und vieles mehr, deren Techniken er auch in seinen Filmen verwendete. Im Laufe der Jahre hatte er eine umfangreiche Sammlung von internationaler Bedeutung zusammengetragen, die mehrfach ausgestellt und auch in Büchern und Filmen gewürdigt wurde.
Nun ist Werner Nekes im Alter von nur 72 Jahren gestorben. Er hat mehr als 50 Filme hinterlassen. Zuletzt war es ruhig um ihn geworden. Der 1944 in Erfurt geborene, in Oberhausen und Mühlheim an der Ruhr aufgewachsene Filmemacher und Kino-Archäologe hat bis zum Ende vergeblich gehofft, eine Heimat für seine in der Welt wohl einmalige Sammlung von Apparaturen und anderen Artefakten aus der Frühzeit der Kinematographie zu finden. Die gute Nachricht: Noch zu seinen Lebzeiten hat die Hamburger Regisseurin Ulrike Pfeiffer ein Porträt über den Film-Pionier gedreht. Die Dokumentation mit dem Arbeitstitel »Der Zauberer zwischen den Bildern« wird hoffentlich bald ins Kino kommen.
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In ihrem Blog schrieb auch Heike-Melba Fendel über Nekes. Hier ein Auszug:
»Werner Nekes war für mich immer schon ein alter Mann. Die speckige Lederweste, der hängende Schnäuzer, die Gemächlichkeit. So also sieht ein Regisseur aus, flüsterte mir Georg Uecker zu, der damals noch nicht in der ›Lindenstraße‹ mitspielte, weil es sie noch gar nicht gab.
Wir waren mit einem Dutzend weiterer ›The-Fi-Fe‹-Studenten zu Besuch in Nekes' Häuschen in Mühlheim an der
Ruhr, weil unser Dozent Bazon Brock das für zielführend hielt. Das Ziel an sich blieb nebulös. Denn das Seminar, das er als Gast an der Kölner Uni gab, hatte eigentlich Sloterdijks ›Kritik der zynischen Vernunft‹ zum Gegenstand, das Werk eines weiteren alten Mannes.
Dass nichts mit nichts zu tun hatte, war auch insofern egal, als zum Beispiel ich statt ›The-Fi-Fe‹ eigentlich Politik und Geschichte studierte und weitere Seminarteilnehmer gar nicht erst an
der Uni eingeschrieben waren. Warum also nicht ein Wochenende bei einem Mann verbringen, dessen Filme ›jüm-jüm‹ oder ›putt-putt‹ heißen – oder ›Uliisses‹, weil man eben nicht nur 1904 als Leopold durch Dublin, sondern auch 1980 als Uli durch Mülheim irren kann.
Wir tranken Hagebuttentee in einem recht angestaubten Wohnzimmer voller Topfpflanzen und Kieferholzmöbel. Bazon sprach, und Nekes schwieg die meiste Zeit. Dann teilte er uns
paarweise auf und ließ uns nacheinander in seinem benachbarten ›Studio‹ eine von ihm konzipierte Miniatur spielen. Ich habe nie erfahren, was die anderen in dem mit weißem Papier ausgekleideten Raum gemacht haben. Auch ich sprach nie über meine Szene, und außer Bazon hat keiner jemals Nekes Zusammenschnitt der Aufnahmen gesehen.
Wenige Wochen später kam ein Anruf aus Mühlheim, ob ich nicht bei einem richtigen Film mitspielen wolle. Die Gage betrug 500 Mark. Ich sagte
ja, weil ich immer ja sagte, und fuhr nach Mühlheim, wo ich für eine Woche das Gästezimmer im Haus Nekes bezog. Eigentlich gab es den Film ›Johnny Flash‹ bereits, eine 45-minütige Abfolge von Musik-und Gesangsnummern von Helge Schneider, ein Mülheimer auch er. Aber Nekes fand, es brauche so etwas wie eine richtige Handlung, und sein Assistent, der Sohn des Apothekers am Ort, Christoph Schlingensief, fand das auch. Und so stockte das örtliche, von Nekes mitgegründete,
Filmbüro NRW das ursprüngliche Budget auf.«
Es gab ein Buch, an das sich niemand hielt, Nacktszenen, von denen, so versicherte mir Nekes, nach seinen Verfremdungstechniken nichts Nacktes mehr übrig bleibe. Die Drehorte waren Nekes' Haus, Helges schäbige Parterrewohnung und die Straße, die beides verband. In einem Café in der Fußgängerzone servierte ich Johnny und seiner Mutter Torte und Persico, denn, so Andreas Kunze als Mutter, das sei mal was anderes als das trockene Grahambrot. Natürlich betonte er Graham mit zwei langen »a«. Eigentlich spielte ich ja gar nicht die Kellnerin, sondern die Tante von »Musik-Sat« – Slogan: »Wir machen Musik satt« – und Andreas Kunze den Herrn Toi von der Agentur Toitoitoi, eine Art Ruhrpott-Variante von Woody Allens »Broadway Danny Rose«. Natürlich entstand nie eine richtige Handlung, und ebenso natürlich »spielte« niemand, und am Ende blieb, bei allen experimentellen optischen Finessen, die Nacktheit prägnant und der Film ein einziger, liebevoll geschichteter Verhau des auch während der Dreharbeiten schweigsamen Filmemachers.
Inzwischen ist nicht nur die einstige Talentschmiede Filmbüro NRW längst in der machtvollen Filmstiftung mit Sitz in Düsseldorf aufgegangen, auch die Wertschätzung des Experimentellen wurde aus der Förder- und Sehenswürdigkeit verstoßen. Fakultätenhopping ist so unmöglich wie spontane Seminargestaltung oder freihändige Aufstockung von Filmlänge und -handlung. Und Helges seit Jahrzehnten anhaltender Ruhm ist allein als so große wie trotzige Ausnahme eines nach Geschmeidigkeit gierenden Showgeschäfts zu begreifen.
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»Es ist keinesfalls Achtziger-Jahre- Nostalgie, wenn dieser Abschied von gestern schmerzt. Der Respekt für sich möglicherweise als relevant entpuppende Randständigkeit ist weg und damit die Freiheit. Die Freiheit, zu frickeln, zu spielen, zu sammeln, zu entdecken, zu vermitteln und aus all dem ein so respektiertes und heißverehrtes Werk zu erschaffen, wie es Werner Nekes gelungen und unterlaufen ist, der in seiner Heimat Mühlheim geblieben ist und sich redlich gewehrt hat. Gegen Großmannssucht, Vereinnahmung und Formatierung.«