67. Berlinale 2017
Die Lümmel und der Klassenprimus |
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Nie wieder war das deutsche Kino so gut wie in Schwarzer Kies | ||
(Foto: Universum-Film AG) |
Es könnte so wild sein, das deutsche Kino, so anarchistisch. In Tiger Girl ist es zumindest wild und laut, und manchmal gibt es zumindest Ansätze zum Anarchistisch-Utopischen in diesem zweiten Film des Regisseurs Jakob Lass. Mit Love Steaks wurden er, sein Team und sein »Fogma«-Manifest zur neuen Hoffnung des deutschen Films – ein bisschen übertrieben vielleicht. Aber mit seinem neuen Film belegt Lass, dass er viel vom Handwerk des Filmemachers versteht. Zwei ungleiche Mädchen freunden sich an und werden als »Tiger« und »Vanilla« zu Neo-Punkern im Berlin von heute.
Zwischen der von privaten Sicherheitsdiensten mit faschistoiden Ritualen gelenkten verwalteten Welt und allgemeiner Depression sorgen die zwei als eine Art Spaßguerilla für Adrenalinschübe.
Ob das wirklich viel Sinn macht, ist noch die Frage, ein neues »Lola Rennt« ist es auch nicht, aber es ist ein gut gelaunter Feelgood-Film, der nur am Ende wirklich enttäuscht und zumindest als Mängelanzeige funktioniert: Jugendwahn gibt es zwar genug im deutschen Film, aber Überschuss und Anti-Effizienz erlebt man kaum.
Die besten deutschen Filme sind ordentlich, und brav, Klassenprimus- und Oberlehrerfilme aus den Berliner, Münchner und Kölner Schulen.
Ein etwas älterer Musterschüler des Kunstkinos ist Heinz Emigholz – gleich vier Filme von ihm laufen im Internationalen Forum. Sie erzählen keine Geschichten, weder Märchen, noch Sozialdramen – sie verführen zum Hingucken. Die andere Seite dieser Offenheit ist aber auch das Gefühl des Verlorenseins, das mancher Zuschauer empfinden mag.
Gegen die Alternativlosigkeit des Konfektionsfilms stellt Emigholz das Schweigen und die Stille, die auch nicht restlos
befriedigende Auswege sind.
In der »Sektion Perspektive«, offiziell ein Ort des Nachwuchses, obwohl da auch schon mal ein über 50-jähriger seine Filme zeigt – und unter vielen deutschen Filmemachern aber eher als Ghetto oder Brutkasten für den in der rauen Festivalwildbahn lebensunfähigen deutschen Film verschrien, lief Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes, ein Film des Berliner Filmstudenten Julian Radlmaier, der bereits in Rotterdam Premiere hatte. Radlmaier gelingt etwas Seltenes: Ein sehr lustiger deutscher Film, der den Mut hat, sich nicht ernst zu nehmen und gleichzeitig utopisch zu sein, und von der Revolution zu erzählen. Eine politische Komödie.
Historisch gesehen muss man den deutschen Film aber als offene Wunde beschreiben. Das tun Dominik Graf und Johannes Sievert in ihrem zweiten Dokumentarfilm zur deutschen Filmgeschichte: Offene Wunde deutscher Film erzählt von den wilden 70ern, als in Deutschland abseits des staatstragenden und zunehmend erstarrenden Autorenkinos von Fassbinder, Wenders und Konsorten (das aber die internationalen Preise gewann), auch Science-Fiction gedreht wurde, Exploitation und Klaustrophobiefilme wie Abwärts mit Götz George der den ganzen Film über in einem Fahrstuhl zubringt.
Das üble Schicksal, das gerade guten deutschen Filmen in ihrer Heimat beschieden ist, illustriert Schwarzer Kies – der beste deutsche Film auf der diesjährigen Berlinale.
Er stammt aus dem Jahr 1961 von Helmut Käutner, dem einzigen deutschen Regisseur, der je auf einem Cover des »Spiegel« war. Er wurde von der Filmkritik verrissen, vom Zentralrat der Juden verklagt und verschwand
bald für sechs Jahrzehnte im Giftschrank. Jetzt hat ihn die Murnau-Stiftung prachtvoll restauriert, und man sieht voller Überraschung ein Meisterwerk:
Eine schonungslose Abrechnung mit dem Westdeutschland der Nachkriegs-Zeit mit alten Nazis und jungen Besatzern und der Amoral einer opportunistischen Nation und ihren Erziehern: Angesiedelt in einem amerikanischen Armee-Camp in der Pfalz brettern fortwährend Düsenjäger am Himmel. Auf dem Boden machen die Deutschen schmutzige Geschäfte mit den Amis
Der Titel Schwarzer Kies deutet auch auf Geld und Schwarzmarkt hin, es gibt Sex und Crime, Unfall und Selbstmord. Mitten drin eine bildschöne Ingmar Zeisberg, die im Pelzmantel wie eine Frau bei Antonioni aussieht, aber auch nicht zu retten ist:
»Ich will keine Sicherheit mehr! Nimm mich mit«
Ihr Hilferuf am Ende ist eine Abrechnung mit der Wiederaufbau-Zeit und ihren Idealen, die bis in die sicherheitstrunkene Gegenwart reicht.
Nie wieder war das deutsche Kino so gut, wie hier.